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Der Fall Hamilton: Wie Sabotage in der Formel 1 möglich wäre

Durch Lewis Hamiltons Motorschäden wurde Mercedes 2016 erneut Sabotage vorgeworfen: Warum vieles dagegen spricht, Sabotage aber durchaus möglich wäre

(Motorsport-Total.com) - Verschwörungstheorien sind so alt wie die Formel 1 selbst: Ist es möglich, dass ein Team einen Fahrer sabotiert, damit der andere, vielleicht aus Marketingsicht attraktivere Pilot, sich durchsetzt? Der dieses Jahr vom Pech verfolgte Lewis Hamilton schürte vor allem nach seinem Motorschaden in Sepang derartige Spekulationen, indem er davon sprach, "etwas oder jemand" wolle nicht, "dass ich dieses Jahr gewinne".

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

Nach seinem Sepang-Motorschaden schürte Hamilton Sabotagegerüchte Zoom

Interessant ist, dass Ende 2014 Nico Rosbergs Fans dem Team ebenfalls vorgeworfen hatten, den anderen Piloten zu bevorteilen, als der Mercedes des Wiesbadeners in Singapur vom Start abgezogen wurde. Hintergrund: Ein Mittel, das zur Qualitätssicherung eingesetzt wurde, um Risse im Kabelstrang zu zeigen, hatte einen Kurzschluss der Kabel in der Lenksäule verursacht.

Bei Mercedes reagiert man genervt, wenn wieder einmal Sabotagegerüchte aufkommen. "So etwas gibt's nicht", stellt Motorsportchef Toto Wolff klar. "Nicht bei uns, nicht bei einem anderen Team. Wenn jemand so einen Hokuspokus im Kopf hat, ist ihm nicht zu helfen."

Sabotage: Wird Mercedes-Team überschätzt?

Und auch Ex-Technikchef Paddy Lowe schlägt in die gleiche Kerbe. "Jeder, der nur über ein bisschen Intelligenz verfügt, würde erkennen, dass wir alles gewinnen und alles steuern könnten, wenn wir in der Lage wären, ein System zu designen, das genau zu diesem Zeitpunkt im Rennen so einen Defekt hervorruft", erklärt der Brite auf Anfrage von 'Motorsport-Total.com'. "Wenn wir es drauf hätten, so zu sabotieren, dann hätten wir gar keine Defekte mehr."

Lowe ist der Ansicht, dass die Verschwörungstheoretiker dem Mercedes-Team, das dieses Jahr immer wieder von Defekten heimgesucht wurde, schlicht zu viel zutrauen: "Die Dinge gehen schon mal schief, denn die Formel 1 ist unglaublich komplex und wir operieren am absoluten Limit."

Lewis Hamilton

Mit einer Ausnahme traten alle Mercedes-Motorschäden bei Hamilton auf Zoom

Dass bei acht Piloten mit Mercedes-Antriebseinheiten abgesehen von einer Ausnahme alle Defekte bei Hamilton auftraten, vergleicht der nun zu Williams wechselnde Ingenieur mit einem Würfelspiel: "Wir alle wissen, dass es möglich ist, drei Mal hintereinander einen Sechser-Pasch zu würfeln. Und wenn es dann passiert, dann denkt man sich trotzdem: Wie konnte das passieren? So ist es uns auch bei Lewis ergangen. Es war reiner Zufall und hat uns sehr frustriert. Wir versuchen dann aber immer, gleich rational zu denken und zu akzeptieren, dass das eben passieren kann."

Experten glauben nicht an Hamilton-Sabotage

Auch unter den Experten denken übrigens die wenigsten, dass Hamilton wirklich Opfer eines Sabotageaktes geworden sein könnte. "Sabotage fand hier hundertprozentig keinen Platz im Technikdepartment", meint Ex-Formel-1-Pilot und Teamberater Alex Wurz gegenüber 'Motorsport-Total.com'. Und Eddie Irvine drückt es in unserer Videoserie "Auf einen Drink mit Eddie Irvine" noch drastischer aus: " Manchmal müsste man Lewis einfach ohrfeigen."

Interessant ist, dass der ehemalige Teamchef Colin Kolles zwar im Mercedes-Fall nicht an Sabotage glaubt, diese aber allgemein keinesfalls ausschließen würde. "Sabotage ist möglich. Ich glaube, dass es in diesem speziellen Fall eine Ansammlung von unglücklichen Zufällen war. Aber man kann Sabotage nicht generell zu 100 Prozent ausschließen."

Wie Sabotage möglich wäre

Der ehemalige Force-India-, HRT- und Caterham-Teamchef ergänzt aber gegenüber 'Motorsport-Total.com', dass dies nicht im Alleingang möglich sei: "Mindestens zwei bis drei Personen müssten eingeweiht sein, Toto Wolff hätte das also nicht selbst machen können. Er hätte dafür einen gebraucht, der sich mit der ganzen Computertechnik auskennt. Über die Motorenelektronik kann man einiges steuern. Das ist aber nicht einfach, vor allem dann die Geheimhaltung." Eine mechanische Sabotage ist auszuschließen, denn dann fliege der Motor "gleich in die Luft".

"Mindestens zwei bis drei Personen müssten eingeweiht sein." Colin Kolles

Kolles nennt noch eine weitere Variante: "Man könnte auch vom Werk aus Sabotage betreiben, indem ein gewisser Schaden eingebaut und der Fehler im Nachhinein als unbewusst passiert dargestellt wird." Erinnerungen an den 2014 bei einem Autounfall tödlich verunglückten ehemaligen Ferrari-Chefmechaniker Nigel Stepney werden wach, dem Sabotage vorgeworfen wurde, nachdem beim Monaco-Grand-Prix 2007 im Tank von Kimi Räikkönens Boliden ein weißes Pulver gefunden worden war. Er war einer der Hauptdrahtzieher in der Spionageaffäre.