Das (Minus-)Geschäft mit den Testfahrten
Für jeden Testkilometer geben die Formel-1-Teams um die 1.000 Dollar aus - Feature über Sinn und Unsinn des Testwahnsinns in der Königsklasse
(Motorsport-Total.com) - "Probieren geht über studieren." Es gibt alte Sprichwörter, die sind selbst in einer so fortschrittlichen Branche wie der Formel 1 nicht auszuhebeln. Denn das eigentliche Rennen liefern sich die Teams zwischen den Rennen. So läuft die Formel-1-Maschinerie in den offiziellen Pausen des Grand-Prix-Kalenders auf Hochtouren. Auch (und gerade) in der langen Pause zwischen dem Grand Prix in Bahrain und dem Rennen in Barcelona. Ein Feature unserer Kollegen vom 'emagazine' der Credit Suisse.

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Große Teams wie Honda testen pro Jahr mehr als 50.000 Kilometer
Der Testbetrieb gehört zu den wichtigsten, aufwändigsten und damit auch teuersten Arbeitsfeldern eines Rennstalls. Peter Sauber hat einmal die Faustformel entwickelt, dass ein Probekilometer mit stattlichen 1.000 Dollar zu Buche schlägt. Angesichts der 360.000 Kilometer, die von den elf Teams allein im Vorjahr abgespult wurden, ergibt sich eine astronomische Summe. Die 1.000 Dollar sind natürlich nur ein theoretischer Wert, aber zwischen 30 und 60 Prozent der Rennstalletats gehen trotzdem für die Erprobung neuer Rennwagenteile drauf. Dabei kam es in den letzten Jahren zu erheblichen Diskrepanzen: Ein Hinterbänkler wie Super Aguri schaffte lediglich 2.800 Kilometer, während Krösus Honda alle anderen mit 54.800 Kilometer toppte. Das Sauber-Team, als es noch ohne BMW bestand, konnte sich gar keine eigene Testabteilung leisten.#w1#
Testagreement wird ab 2008 Pflicht
Damit ist jetzt Schluss, ganz offiziell. Im Sinne der Effizienz und der - relativen - Chancengleichheit haben sich die Rennställe auf ein freiwilliges, aber verbindliches Testabkommen geeinigt, das 2008 dann Gesetz werden soll. Vor allem der Umstieg auf nur noch einen Reifenhersteller setzt beinahe die Hälfte der bisher verwendeten Energien bei Testfahrten frei. Der Sieg der Vernunft bringt einen harten Einschnitt mit sich: Bis zum Ende dieser Saison darf jedes Team lediglich 30.000 Kilometer abseits der Grand-Prix-Wochenenden abspulen, bei denen jeweils nur ein Auto pro Rennstall zum Einsatz kommt. Der Verschleiß der Reifen ist auf 300 Sätze limitiert. Aus logistischen Gründen testen die Teams während des Jahres zusammen auf einer Rennstrecke, acht solcher offiziellen Sessions sind anberaumt, zwei davon haben - in Malaysia und Barcelona - bereits stattgefunden. Wer, wie es früher fast Prinzip war, lieber für sich allein testet, kann auf eine Ersatzpiste ausweichen. Die Exklusivität ist dann aber teurer zu bezahlen: eigene Reifenanlieferung, keine Teilung der Streckenmiete, eigene Zeitnahme, kein aktueller Konkurrenzvergleich...
Mit der Regulierung der Testmöglichkeiten, bei denen sich die Teams über die Jahre hinweg gegenseitig hochschaukelten, verlagert sich der Wettbewerb stärker in die Rennfabriken und die Simulationsabteilungen. Das BMW Sauber F1 Team hat diesem Trend mit Albert2 bereits mit Höchstleistungsprozessoren Rechnung getragen. Dennoch gibt es ein verschärftes Wettrennen auf den realen Pisten. Genauer gesagt: zwischen den Rennstreckenbetreibern. Ganz wie es bei den Grand-Prix-Austragungsorten auch der Fall ist, treten neue Wettbewerber auf. Galten früher Barcelona und Jerez als Winterquartiere als gesetzt, entwickeln sich nun Alternativen. Le Castellet in Südfrankreich hat nach stattlichen Investitionen von Bernie Ecclestone den höchsten Standard aller Pisten, Bahrain entpuppt sich als perfekte Station um die Hitzebelastung vor der Saison zu testen - und in Spanien regt sich im Zuge der Alonso-Mania auch so einiges.
Vor allem die autonome Region Valencia und die agile Bürgermeisterin Rita Barberá, die seit Jahren ein architektonisches und sportliches Highlight nach dem anderen setzt, will die Expansion der Hafenstadt und die Aufholjagd gegen Barcelona und Madrid nun auch mit der prestigeträchtigen Formel 1 forcieren. Der Circuit Ricardo Tormo vor den Toren der Stadt und nahe des Flughafens ist zwar eher auf Motorradrennen ausgelegt, eignet sich aber für die Formel-1-Teams auch zur Probe für winklige Kurse. Das BMW Sauber F1 Team ist ob der Erkenntnisse gern dort zu Gast. Die Lokalpolitiker wägen jetzt ab, ob sich ein Ausbau der Strecke lohnt, oder lieber ein Areal nahe der America's-Cup-Basis in Stadtnähe bebaut werden soll, um einen richtigen Grand Prix zu bekommen. Vorbild könnte die spektakuläre Präsentation von McLaren-Mercedes sein, als über 100.000 Menschen im Januar Fernando Alonso bei seinen Ehrenrunden zujubelten. In jedem Fall aber wird auf der bestehenden Piste die Infrastruktur mehr und mehr verbessert, und mit der Streckenmiete, die pro Tag je nach Teilnehmerzahl bis in sechsstellige Bereiche wachsen kann, lassen sich die Investitionen durchaus refinanzieren. Und das Prädikat "Formel 1" zieht - so sah Valencia schon das Weltfinale der Formel BMW und den Start der GP2-Serie in diesem Jahr.
Barcelona bis 2011 sicher, ab 2008 auch Valencia
Der spanische Grand Prix, der am kommenden Wochenende in Barcelona gestartet wird, ist dem Circuit de Catalunya, der die Rekordkulisse von 145.000 Zuschauern erwartet, bis 2011 sicher. Was nicht bedeuten muss, dass es keinen zweiten oder dritten Grand Prix im Lande geben kann, wie früher in Italien und Deutschland bereits vorexerziert. Zum einen ist das Prädikat "Großer Preis von Europa" wieder frei, außerdem bastelt Bernie Ecclestone an einem von Ort zu Ort wechselnden Mittelmeer-Grand-Prix.
Ambitionen hat auch das südspanische La Palma del Condado, wo im Umfeld einer Golf- und Ferienanlage für 100 Millionen Euro ein zumindest testtauglicher Kurs mit unterschiedlichen Streckenverläufen konzipiert wird. Allein dass Ecclestones Lieblingsarchitekt Hermann Tilke an der Planung beteiligt ist, zeugt von der Ernsthaftigkeit des Unternehmens. Wenn es nach dem Willen von Renault-Teamchef Flavio Briatore geht, würde er sofort: "Unser Job ist es, Rennen zu fahren, nicht zu testen." Eine rein kaufmännische Überlegung: Rennen bringen Geld, Testfahrten kosten. Allerdings: Das eine geht nicht ohne das andere...

