Das große Weltmeisterinterview mit Kimi Räikkönen
Kimi Räikkönen in der FIA-PK über seinen Sieg in São Paulo, die Erleichterung nach dem Gewinn des Titels und die Erfüllung seines Kindheitstraums
(Motorsport-Total.com) - Frage: "Kimi, es ist noch gar nicht lange her, da hast du gesagt, dass die Weltmeisterschaft gelaufen ist. Fast wie durch ein Wunder hat es heute doch geklappt..."
Kimi Räikkönen: "Ich kann mich nicht daran erinnern, das gesagt zu haben. Vielleicht hat das jemand anderes gesagt, aber es stimmt, wir waren manchmal in der Saison nicht in der besten Position. Dennoch haben wir immer daran geglaubt, dass wir es schaffen können, denn wir können einen besseren Job machen als die anderen."

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Weltmeister! So ein Lächeln sieht man bei Kimi Räikkönen selten...
"In schwierigen Zeiten rücken wir zusammen - wir haben nie aufgegeben. Das war wichtig, denn am Ende konnten wir unseren großen Rückstand reduzieren und Weltmeister werden, nicht nur bei den Konstrukteuren, sondern auch bei den Fahrern. Ich muss mich beim Team bedanken - sie haben nicht nur heute, sondern schon das ganze Jahr einen großartigen Job gemacht. Wir hatten einige Probleme, aber wir haben hart daran gearbeitet, diese zu beheben, und das Teamwork hat immer gepasst."#w1#
Dank an den Teamkollegen
"Felipe (Massa; Anm. d. Red.) war auch sehr hilfreich. Wir hatten das ganze Jahr einen harten Fight mit ihm, aber dann konnte er leider ein paar Mal nicht punkten und er war nicht mehr im WM-Rennen, also unterstützte er uns. Und die Sponsoren waren auch ein großer Bonus für uns. Das Team steht sich sehr nahe, hat toll gearbeitet, das Benzin verbessert und uns mit dem neuen Reglement geholfen. Den heutigen Tag können wir genießen, vielleicht den ganzen nächsten Monat. Ich bin sehr glücklich."
Frage: "Es war ein sauberes Rennen von dir. Du warst hinter Felipe Massa, hast Lewis Hamilton in der ersten Kurve überholt und übernahmst dann beim zweiten Boxenstopp die Führung."
Räikkönen: "Ich hatte einen sehr guten Start und lag Seite an Seite mit Felipe, aber wir wollten gegeneinander nicht zu hart fahren. Hauptsache war, an Hamilton vorbeizukommen. Ich sah dann im Rückspiegel, als er neben die Strecke fuhr, und da dämmerte mir, dass ich eine Chance haben könnte."
"Unsere beiden Autos waren sehr schnell. Wir gingen es locker an, schonten die Reifen und die Autos. Wenn wir gewollt hätten, hätten wir viel schneller fahren können. Es war perfektes Teamwork, das sich sehr gut bezahlt gemacht hat. Ich meine damit nicht nur dieses Rennen, sondern das ganze Jahr, und dafür bedanke ich mich."
Frage: "Du wirst 'Iceman' genannt, aber in der Schlussphase hat dir das Team sicher gesagt, dass du bei diesem Zieleinlauf Weltmeister wärst. Was ist dir da durch den Kopf gegangen?"
Räikkönen: "Nicht wirklich viel. Ich war mir nicht hundertprozentig sicher, weil uns nicht klar war, ob vor Lewis noch jemand an die Box kommen würde. Er wurde Siebenter, aber selbst als ich über die Ziellinie fuhr, mussten die Jungs vor ihm auch ins Ziel kommen, daher wartete ich ab. Es dauerte ziemlich lange, bis mir gesagt wurde, dass wir gewonnen haben. Es ist erstaunlich. Nach dem Auf und Ab der letzten Rennen, in denen wir selbst bei schwierigen Bedingungen gute Punkte geholt haben, war das ein gutes Ende der Saison. Gute Arbeit von allen! Ich bin sehr glücklich, es war ein erstaunlicher Tag."
Frage: "Es war dein 15. Grand-Prix-Sieg. Vielleicht kannst du ein bisschen über deine bisherige Karriere sprechen, deine Anfänge in Finnland, die Stolpersteine auf dem Weg und darüber, was dir der WM-Titel bedeutet..."
Räikkönen: "Es ist schwierig, das in Worte zu fassen, aber Finnland war nicht der beste Ausgangspunkt für eine Rennfahrerkarriere. Ich hatte nichts, aber meine Familie hat viel investiert, unsere Freunde, Cousins und alle Sponsoren. Das hat mir sehr geholfen, aber das ist lange her."
"Ich hatte immer tolle Leute hinter mir, tolle Manager, die mir dazu verholfen haben, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Ich war schon ein paar Mal nahe an der Weltmeisterschaft dran, aber es hat noch nie gepasst. Dieses Jahr sah es schon so aus, als würde uns der Titel wieder entgleiten, aber wir haben ein großartiges Team. Wir haben an uns geglaubt und es hat funktioniert. Niemand hatte uns noch auf der Rechnung, aber wir wussten, dass wir noch eine Chance haben, also bedanke ich mich beim Team."
Räikkönen fühlt sich bei Ferrari wohl
"Ich liebe das Team, habe hier eine so tolle Zeit - die Formel 1 macht mir viel mehr Spaß als im Vorjahr. Meine Erinnerungen an dieses Jahr sind schöner als an jedes andere Jahr, und dafür möchte ich mich bei allen bedanken, die eine Rolle gespielt haben. Natürlich gab es schwierige Zeiten in meiner Karriere, aber das geht jedem so. Das habe ich mir immer gewünscht - alles, was jetzt noch kommt, ist nur noch eine Draufgabe. Wir werden es nächstes Jahr wieder versuchen. Es wird schwierig, aber schauen wir mal, was sich machen lässt."
Frage: "Hättest du dir das am Saisonbeginn oder auch heute Morgen überhaupt erträumt?"
Räikkönen: "Der Saisonbeginn war ja gut. Wir haben die Saison so beendet, wie wir sie angefangen haben, aber es gab natürlich auch schwierige Zeiten mit Zuverlässigkeitsproblemen, durch die wir ziemlich viele Punkte verloren haben. An einem gewissen Punkt haben die Leute gesagt, dass wir nicht mehr in der Weltmeisterschaft sind, aber wir haben sie eines Besseren belehrt. Wir haben zurückgeschlagen und waren am Ende ganz stark. Tolles Teamwork von allen Beteiligten, von Felipe und dem Team. Es war eine großartige Saison."
Frage: "Mit welchem Gefühl kamst du heute Morgen an der Strecke an?"
Räikkönen: "Es war wie jedes andere Rennen für mich. Einige Leute haben gesagt, dass ich sicher gewinnen würde, aber ich nahm sie nicht ernst. Es mussten heute einige Dinge für uns laufen, aber passiert ist alles in der ersten Runde. Wir legten einen guten Start hin und bestimmte Dinge liefen in unsere Richtung. Dann hatten wir ein gutes Auto, wir konnten genau die gewünschte Pace fahren, mussten den Doppelsieg sicherstellen - der Rest war nicht in unserer Hand."
Frage: "Es war wohl sehr wichtig, Lewis Hamilton am Start zu überholen, nicht wahr?"
Räikkönen: "Das stimmt. Ich habe damit gerechnet, ihn zu überholen. Wir haben seit dem dritten oder vierten Rennen ein sehr gutes Startsystem. Ich wäre fast in Führung gegangen, aber wir wollten zwischen mir und Felipe kein Risiko eingehen, also war es mal wichtig, vor Lewis zu sein. Das hat funktioniert - und dann gaben wir nur noch unser Bestes."
Frage: "Die Pace der Ferraris war heute phänomenal..."
Räikkönen: "Ja, aber wenn wir gewollt hätten, hätten wir noch eine Sekunde schneller fahren können, also war die Pace die ganze Zeit da. Das Auto war großartig, die Reifen funktionierten sehr gut, obwohl es einige Fragezeichen bezüglich ihrer Haltbarkeit gab. Aber alles lief wunderbar."
Frage: "Als Felipe Massa zum zweiten Mal an die Box kam, hattest du noch ein paar schnelle Extrarunden, durch die du an ihm vorbeikamst."
Räikkönen: "Natürlich, ja, das war entscheidend, aber wie gesagt, wir hatten das geplant und wussten als Team, was wir tun würden. Wir hatten das so geplant und wir fuhren kein direktes Rennen gegeneinander. Ein großes Dankeschön ans Team, auch an Felipe. Genau das haben wir gebraucht - und wir haben es uns geholt."
Frage: "Was hast du am Boxenfunk nach der Zieldurchfahrt geschrieen?"
Räikkönen: "Ich habe nicht geschrieen, sondern mich beim Team bedankt und gewartet, ob es reicht oder nicht. Es war ein schönes Gefühl. In all den Jahren war ich zweimal nahe dran, aber es ist nie passiert. Dieses Jahr sah es wieder danach aus, aber wir haben zurückgeschlagen und es geschafft."
Mitleid mit Hamilton
"Natürlich weiß ich, dass das für Lewis hart sein muss, denn er hat das ganze Jahr darauf hingearbeitet und dann doch verloren. Das ist kein schönes Gefühl. Es kann auch lange dauern, bis man wieder eine Chance bekommt. Das weiß man nie. Man versucht es zu schaffen, wenn man die Chance hat, und das ist uns dieses Jahr gelungen. Es war knapp, aber so sollte es ja sein. Wir haben gewonnen."

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Erst nach der Zieldurchfahrt wurde Kimi Räikkönen von seinem Team informiert Zoom
Frage: "Um einen Punkt..."
Räikkönen: "Ja. Vor ein paar Jahren habe ich um zwei Punkte verloren. Zum Glück war das Glück diesmal auf unserer Seite, aber es war ein tolles Jahr für alle. Natürlich wurde viel über die Situation zwischen Teams und Fahrern gesprochen, aber ich finde, das hat alles nur noch aufregender gemacht. Manchmal ist so etwas gut für den Sport, dann macht es noch mehr Spaß."
Frage: "Würde es dich freuen, wenn nun auch Marcus Grönholm noch Rallye-Weltmeister werden sollte?"
Räikkönen: "Das wäre gut für ihn und Finnland, ja, aber das ändert nichts in meinem Leben. Ich würde mich mit ihm freuen, aber es wird schwierig. Aber jetzt genieße ich einmal meinen eigenen Sieg als Weltmeister - warten wir ab, was woanders passiert. Das interessiert mich im Moment nicht."
Frage: "Wie hat dich das Team über die Positionen von Fernando Alonso und Lewis Hamilton auf dem Laufenden gehalten und wie sehr hattest du selbst die Punktesituation im Kopf?"
Räikkönen: "Ich habe in der ersten Runde Lewis' Ausritt gesehen und wie Fernando an ihm vorbeiging, und in der vierten Kurve war er wie gesagt weg. Da wusste ich, dass er seine Chancen auf ein Podium reduziert hatte, und das Team sagte mir auch, dass er ein Problem hatte. Da wurde mir klar, dass unsere Chance ganz gut sein könnte. Natürlich wusste ich, was hinter mir los war, aber ich konzentrierte mich auf mein eigenes Rennen, auf den Doppelsieg. Der Rest lag nicht an uns, sondern an den Umständen. Das hat unseren Tag geprägt."
Frage: "Findest du, dass dieses Resultat nach der Spionageaffäre ein Sieg der Gerechtigkeit ist?"
Räikkönen: "Ich denke schon, ja. Es ist eine komplizierte Situation. Ich denke, es ist jetzt entschieden, wir sollten das hinter uns lassen und nicht mehr darüber reden. Das ist eine andere Geschichte abseits des Rennsports, keine schöne Sache. Leider war das dieses Jahr ein großes Thema. Hoffen wir, dass so etwas nicht mehr vorkommen wird."
Frage: "Wie fühlst du dich als Weltmeister? Wirst du heute Abend Samba tanzen?"
Räikkönen: "Ich weiß nicht, ob ich tanzen werde - dafür fehlt mir die Kondition (lacht; Anm. d. Red.)! Schauen wir mal, was wir heute machen, aber wir werden sicher eine Party feiern - nicht nur heute, sondern die ganze nächste Woche."
Realisierung wird noch dauern
"Ich habe mich nach dem Rennen großartig gefühlt, aber es war eine lange Saison und es wird noch ein bisschen dauern, bis ich realisiere, dass wir es nach all diesen Jahren endlich geschafft haben. Es schien so weit weg, Weltmeister zu werden, daher ist es auch noch nicht eingesunken, aber wir sind zurückgekommen und haben gewonnen. Kaum zu glauben, was passiert ist. Ich fühle mich großartig, aber es wird noch ein bisschen dauern, bis sich das Gefühl wirklich einstellt."
Frage: "Du giltst als Fahrer mit viel Pech, aber heute hattest du das Glück auf deiner Seite, nicht wahr?"
Räikkönen: "Ich weiß nicht. Ich habe nie gesagt, dass ich viel Pech habe. Ich glaube nicht an Glück und Pech - es liegt an harter Arbeit. Manchmal macht man etwas falsch und manchmal hat man Probleme, aber heute brauchten wir Hilfe von den anderen. Das hat funktioniert. Viele Rennen in diesem Jahr waren schwierig, als wir geführt haben und ausgeschieden sind. Heute hat alles gepasst und es hat funktioniert. Ich weiß nicht, ob das Glück ist, aber ich nehme es so hin. Es war gut, das ist die Hauptsache."
Frage: "Du bist in deinem ersten Jahr mit Ferrari Weltmeister geworden, das ist bisher nur Juan Manuel Fangio gelungen. Wie fühlst du dich im Vergleich zu so einem großen Champion? Und wie ist es, McLaren-Mercedes geschlagen zu haben, das Team, für das du auch selbst gefahren bist?"
Räikkönen: "Ich genieße wie gesagt jeden Moment mit dem Team. Die Formel 1 macht mir aus vielen Gründen mehr Spaß als bisher - nicht nur wegen des Fahrens, sondern aus anderen Gründen. Und ich bin sehr glücklich, die Weltmeisterschaft für Ferrari gewonnen zu haben, noch dazu im ersten Jahr, in dem wir so viele Schwierigkeiten zu bewältigen hatten. Es ist eine große Familie mit tollen Leuten. Ich gewinne lieber für dieses Team als für jedes andere!"
Frage: "Wie wirst du mit den erhöhten Medienanfragen umgehen, die dir als Botschafter der Formel 1 bevorstehen?"
Räikkönen: "Natürlich werden wir mehr Termine haben, aber das wird mein Leben nicht verändern. Die Leute werden mich vielleicht anders ansehen und mehr Storys über mich schreiben, aber ich werde mich nicht verändern. Ich habe mich noch nie verändert und ich weiß nicht, was die Zukunft bringen wird. Ich werde besser darauf achten, was ich tue. Schauen wir mal. Vielleicht sollte man diese Frage Fernando stellen, denn er weiß, wie das ist, er kann sagen, ob er sich verändert hat. Ich mache mir deswegen keine Gedanken, werde mein Leben so weiterführen, wie ich will. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen."
Frage: "War das heute der beste deiner sechs Saisonsiege?"
Räikkönen: "Sehr schwer zu sagen, welcher der beste war, aber es war sicher der wichtigste. Wir haben mit diesem Doppelsieg die Weltmeisterschaft gewonnen. Okay, jedes Rennen, jeder Sieg ist wichtig, aber dieser Sieg hat schlussendlich die Entscheidung gebracht, daher war es der beste, würde ich sagen. Man kann Siege nicht vergleichen, aber dieser Sieg ist befreiender, denn wir haben damit die Weltmeisterschaft gewonnen und nicht nur ein einzelnes Rennen."

