• 07.03.2004 11:26

Das große Siegerinterview mit Michael Schumacher

Der Melbourne-Dominator dämpft die Erwartungen, analysiert sein Wochenende und spricht über die unmittelbare Konkurrenz

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Michael, von außen betrachtet sah das nach einem perfekten Rennen vom Start bis ins Ziel aus. War es tatsächlich so?"
Michael Schumacher: "Eigentlich schon, ja. Es war aber nicht einfach, denn in der ersten Hälfte des Rennens, als Rubens noch keine Probleme hatte, hat er ziemlich hart gepusht, es war ein enger Fight. Ich hätte mir keinen Fehler erlauben dürfen und das war sehr aufregend, muss ich sagen. Das Auto läuft jedenfalls gut, wie wir das ganze Wochenende gesehen haben, und für mich ist es ein guter Saisonstart, denn ich habe schon jetzt zwei Punkte mehr auf dem Konto als letztes Jahr nach drei Rennen!"

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Der Saisonstart 2004 ist für Michael Schumacher nach Wunsch verlaufen

Frage: "Du hast vor deinem zweiten Boxenstopp die schnellste Runde gedreht und dann zum Schluss verlangsamt. War das alles Teil des Plans?"
Schumacher: "Naja, als wir gemerkt haben, dass Fernando ein wenig zurückgeschraubt hat, beschlossen wir, auch unsere eigene Pace ein bisschen zu drosseln und das Material zu schonen, denn es gibt ein neues Reglement, es ist das erste Rennen der Saison. Das Vertrauen ist zwar schon da, aber nicht im selben Ausmaß wie beispielsweise beim letzten Rennen. Daher schont man einfach alles."#w1#

Motivation ist nach wie vor kein Problem für Schumacher

Frage: "Viele werden sich nun fragen, wie man mit sechs WM-Titeln im Rücken noch immer so motiviert sein kann. Vielleicht kannst du uns ein wenig Einblick gewähren in deine Gedanken im Winter und im Vorfeld des heutigen Rennens..."
Schumacher: "Ich finde nicht, dass es schwierig ist, motiviert zu bleiben - zumindest nicht aus meiner Sicht. Ich fahre im besten Team. Wir haben eine fantastische Atmosphäre. Es ist Ferrari und bis zu einem gewissen Grad habe ich nichts mehr zu gewinnen, aber ich liebe diesen Sport und die Zweikämpfe auf der Strecke. Das ist ganz natürlich für mich und solange ich konkurrenzfähig bin und die Liebe noch da ist, werde ich das machen, was mir am leichtesten fällt, und es genießen, so lange es geht."

Frage: "Das Rekordpublikum hier in Melbourne sieht das sicher genauso, nicht wahr?"
Schumacher: "Ja, das Publikum war heute fantastisch. Sie haben uns stark angefeuert, viele Leute. Einfach ein großartiges Auftaktrennen."

Frage: "Hättest du vor diesem Wochenende geglaubt, dass alles so glatt laufen würde?"
Schumacher: "Ich habe schon gewusst, dass wir sehr konkurrenzfähig sein würden, denn beim letzten Test in Imola... Ich wusste Bescheid über die Charakteristik der Strecke, über unsere Entwicklungen mit den Jungs - da war klar, dass wir stark sein würden. So stark? Nein, damit habe ich nicht gerechnet. Das ist auch fast nicht möglich."

Kühlere Bedingungen kamen Bridgestone entgegen

Frage: "Glaubst du, dass euch die etwas kühleren Bedingungen heute geholfen haben?"
Schumacher: "Vielleicht. Interessant wird sein, ob unsere neuen Bridgestone-Reifen auch bei höheren Temperaturen gut funktionieren. Das werden wir sicher in Malaysia herausfinden."

Frage: "Gab es irgendwelche besorgniserregenden Zwischenfälle im Rennen? Beim Überrunden hast du manchmal etwas Zeit verloren."
Schumacher: "Ja, zweimal war es brenzlig. Die Jungs wollten mir Platz machen, haben aber an so ungünstigen Stellen langsamer gemacht, dass ich beinahe in sie reingefahren wäre. Das war sehr eng."

Frage: "Es war aber kein grobes Fehlverhalten, oder?"
Schumacher: "Nein, nein. Es war kein Fehler. Wie gesagt, sie wollten mir einen Gefallen tun und Platz machen, aber anstatt schnell weiterzufahren und von der Ideallinie zu gehen sind sie auf der Linie geblieben und haben stark verlangsamt, weil sie davon ausgegangen sind, dass ich damit rechnen würde, aber das habe ich ehrlich nicht."

Frage: "Wie viel Zeit hast du damit verbracht, Starts zu üben, nachdem die Startautomatik verboten wurde?"
Schumacher: "Natürlich viel, ganz klar. Wir haben dafür im Winter genauso viel Zeit aufgewendet wie für andere Dinge. Der Start zählt zu den wichtigsten Faktoren."

Startübungen waren Bestandteil der Wintertestfahrten

Frage: "Hast du auch ganze Tage daran gearbeitet?"
Schumacher: "Wir haben bei jedem Test eine gewisse Zeit dafür aufgewendet, aber wie man sieht, ist es immer noch nicht genug. Wir werden daran arbeiten müssen."

Frage: "Das Auto scheint sehr angenehm zu liegen. Ist dieser Eindruck korrekt?"
Schumacher: "Es ist sicherlich ein Schritt nach vorne und ein Schritt nach vorne bedeutet immer - oder meistens -, dass das Auto leichter zu fahren ist, weil die Konstanz besser ist. Wenn man ein Auto von vor ein paar Jahren hernehmen würde, wäre es sicher viel schwieriger zu fahren und das würde von außen auch haariger aussehen. Gleichzeitig muss ich aber auch einwerfen, dass es immer davon abhängt, wann man beobachtet, denn am Anfang mussten wir pushen und da war das Auto sicher unruhiger als am Ende. Unterm Strich waren wir nicht am Limit, daher hat es vielleicht ruhiger ausgesehen als es eigentlich ist."

Frage: "Du hast am Ende Pace rausgenommen, aber in der 55. Runde warst du mit 1:32 besonders langsam. Gab es dafür einen bestimmten Grund?"
Schumacher: "Ich denke, das war Jenson oder so. Ja, ich denke schon. Ich habe Jenson überholen lassen, weil er schneller unterwegs war und ich keinen Sinn darin sah, ihn aufzuhalten."

Ferrari in Malaysia nicht mehr derart überlegen?

Frage: "Es sieht nach einem Auftakt wie 2002 aus, als ihr alles total dominiert habt. Kommt es dir genauso vor?"
Schumacher: "Ehrlich nicht, denn wenn wir letztes Jahr ein freies Rennen gehabt hätten, hätte es am Ende nicht viel anders ausgesehen, schließlich waren wir im Training damals auch souverän vorne. Gerade deswegen kann ich immer wieder nur auf Malaysia verweisen. Dort werden wir ein echteres Bild des Kräfteverhältnisses sehen, denn diese Strecke hier kommt uns besonders entgegen und der Konkurrenz und womöglich den Reifen der Konkurrenz nicht so sehr."

Frage: "Malaysia ist normalerweise nicht optimal für euch..."
Schumacher: "Das meine ich ja. Weil es nicht optimal ist, wird es zeigen, wo wir in etwa stehen. Wenn wir dort dabei sind, werden wir sehr gut aussehen. Sollten wir aber ein wenig Rückstand haben, dann wird es wieder sehr schwierig."

Frage: "Du freust dich sowieso immer über deine Siege, heute aber ganz besonders. Hängt das damit zusammen, dass man vor dem ersten Rennen nicht weiß, wie stark man ist? Spielt Erleichterung mit?"
Schumacher: "Letztes Jahr kam ich hier nicht auf das Podium, vielleicht deswegen. Es ist aber auch so, dass ich jetzt weiß, wie fantastisch dieses Auto ist, wie gut es sich fahren lässt. Die tolle Atmosphäre spielt auch mit und wie gesagt, ich genieße sehr, was ich tue, und wenn man dann so ein Resultat erreicht, freut man sich natürlich."

Schumacher traut auch Alonso den WM-Titel zu

Frage: "Kannst du dir vorstellen, dass Alonso mit um den Titel kämpfen wird?"
Schumacher: "Ich denke, er hat die perfekte Ausgangsposition, ja. Er hat ein gutes Auto und sie sind sehr konstant. Auch als Fahrer ist er gar nicht so übel (lacht)! Spaß beiseite. Ich denke, es kommen Rennen, die ihnen besser liegen werden als uns, daher macht es keinen Sinn, den ganzen Saisonverlauf nur anhand von einem Wochenende einzuschätzen. Das wäre unfair, schätze ich."

Frage: "Warst du am Ende wegen der neuen Motorenregel besorgt? Hast du dich am Funk beim Team über etwaige Schwierigkeiten erkundigt?"
Schumacher: "Ich habe nicht dezidiert nach dem Motor gefragt, aber einmal funkte ich schon durch, ob es irgendwelche Problemchen gibt oder ob wir Drehzahl reduzieren sollten, was wir dann auch gemacht haben, weil es beim ersten Rennen dumm wäre und wir keinen Druck hatten. Man hat noch nicht das hundertprozentige Vertrauen, daher sind wir auf Nummer sicher gegangen."

Frage: "Wie läuft eigentlich das Reduzieren der Drehzahl ab?"
Schumacher: "Es ist manuell zu steuern, wir machen das also selbst im Cockpit."

Frage: "Kannst du anhand des heutigen Rennens und der Tests schon die Konkurrenz einschätzen und überrascht dich der große Rückstand von McLaren-Mercedes?"
Schumacher: "Von außen kann man das Rennen besser beobachten, man bekommt alle Zwischenfälle mit. Ich hingegen bin nur im Auto gesessen und habe das getan, was zu tun ist, daher ist es unfair, mir diese Frage zu stellen. Ich muss erst die Zeiten studieren und mir das Rennen anschauen, dann kann ich ein besseres Urteil abgeben."

McLaren? "Ich weiß ja nicht, was passiert ist..."

Frage: "Und McLaren?"
Schumacher: "Ich weiß ja nicht, was passiert ist, ob sie ein Problem hatten. Kimi hatte einen Motorschaden, richtig? Keine Ahnung, was bei David schief gelaufen ist, denn er hatte schon einen schlechten Startplatz, aber wie gesagt, es macht keinen Sinn, darüber jetzt zu spekulieren. Man muss einfach ein paar verschiedene Strecken und Bedingungen abwarten, dann kann man mehr sagen."

Frage: "Viele befürchten jetzt sicher eine überlegene Saison von Ferrari. Siehst du das auch so?"
Schumacher: "Ich meine, wenn das Rennen letztes Jahr halbwegs normal verlaufen wäre, hätte es damals auch nicht viel anders ausgesehen, aber es ist trotzdem eine sehr spannende Saison geworden. Warten wir ab!"

Frage: "Glaubst du, dass euer Rennen schwieriger geworden wäre, wenn sich Montoya in der ersten Kurve nicht vertan hätte und er direkt hinter euch gelegen wäre?"
Schumacher: "Eher nicht, denn wenn man sich das Rennen anschaut, dann war Renault klar schneller als Williams, wenn es nicht einen Grund dafür gegeben hat, was ich nicht weiß. Ralf war eine halbe Minute hinter Fernando und Juan-Pablo sogar noch weiter, also hat ihnen einfach die Pace gefehlt, es sei denn, es gab irgendwelche Probleme. Daher kann ich mir nicht vorstellen, dass mehr Druck auf uns ausgeübt worden wäre als durch Fernando."

"Fernando konnte bei freier Strecke konstant attackieren"

Frage: "Überrascht es dich, dass Williams nicht schneller ist?"
Schumacher: "Sicher gibt es einen Grund dafür, ich weiß es nicht. Gibt es irgendetwas, was ich wissen sollte? War da ein Zwischenfall? Nein? Montoya war in der ersten Kurve neben der Strecke und dabei hat er sicher einige Positionen verloren, durch die er sich wieder durchkämpfen musste, und Ralf hatte dasselbe Problem wegen einer schlechteren Startposition. Fernando hingegen hatte wahrscheinlich eine freie Strecke und konnte konstant attackieren. Ich weiß es nicht, kann es nicht wissen."

Frage: "Ist die Bedeutung des Fahrers durch das Verbot der Startautomatik wieder ein wenig gestiegen?"
Schumacher: "Man muss sich beim Hochschalten ein bisschen mehr konzentrieren, aber eigentlich ist es nicht schwieriger geworden."

Frage: "Ist Rubens vielleicht der Gegner, der dir am meisten Kopfzerbrechen bereiten muss?"
Schumacher: "Ja, das habe ich ja schon oft gesagt. Wenn man sich anschaut, wie sich Rubens über all die Jahre entwickelt hat, dann ist er ein sehr ernstzunehmender Konkurrent geworden. Im Qualifying war ich nur um einen Tick schneller und auch im Rennen waren wir fast gleich schnell, bis er seine Probleme hatte. Wer auch immer von uns das Auto ein bisschen besser hinbekommt, wird am Ende die Nase vorne haben, schätze ich."

Frage: "Du hast in Melbourne jetzt schon viermal gewonnen. Ist es eine deiner Lieblingsstrecken?"
Schumacher: "Es ist sicher eine der Städte, auf die man sich freut. Das Auftaktrennen ist immer eine große Show, sie veranstalten es sehr gut, die Stadt ist super, die Atmosphäre auch. Wir kommen sehr gerne nach Melbourne und die Resultate sehen ja auch nicht gerade schlecht aus..."