Das große Interview mit Alexander Wurz
Nach dem für ihn sensationellen Bahrain-Wochenende sprach Alexander Wurz über seine Hoffnungen auf einen Start in Imola und vieles mehr
(Motorsport-Total.com) - Mit mehr als einer Sekunde Vorsprung demolierte McLaren-Mercedes-Testfahrer Alexander Wurz im Freitagstraining in Bahrain die Konkurrenz - ein eindrucksvolles Comeback auf der Grand-Prix-Bühne. Dennoch musste er beim Rennen zuschauen, weil er noch nicht perfekt in den neuen "Silberpfeil" passt. Lesen Sie dank freundlicher Genehmigung des 'ORF' bei 'F1Total.com', was der 31-Jährige in der gestrigen Ausgabe von 'Sport am Sonntag' zu seiner aktuellen Situation zu sagen hatte.

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Wurz ist nach seiner Trainingsbestzeit in Bahrain wieder in aller Munde
Frage: "Alex, wie anstrengend war die Reise von Bahrain nach Wien und wie hast du das Rennen verfolgt?"
Alexander Wurz: "Es war schon ein bisschen mühsam, aber für den 'ORF' mache ich alles! Ich bin erst in der Nacht von Bahrain weggekommen und über London hierher geflogen."#w1#
Beim Schauen des Bahrain-Rennens kam Wurz auf seine Kosten
Frage: "Wo liegt dein Interesse, wenn du dir ein Rennen im Fernsehen anschaust? Musst und kannst du deinem Team in der Nachanalyse auch aus der Ferne helfen?"
Wurz: "Naja, ich bin natürlich auch Formel-1-Fan und schaue mir das einfach gerne an. Meistens weiß ich vorher schon die Boxenstoppstrategie. Das heißt, ich schaue einmal, wer wie viel Sprit an Bord hat. Daran kann man die Konkurrenz relativ gut analysieren und sagen, wer wie stark war. Ich finde, dass es heute ein spannender Grand Prix war. Das hat mir Spaß gemacht."
Frage: "Du bist am Freitag Trainingsbestzeit gefahren, obwohl du das Auto und die Strecke nicht kanntest. Wie war das möglich?"
Wurz: "Man sieht ja sogar an den Onboard-Kameras, wie wenig Platz ich im Cockpit habe. Es war schon irrsinnig schwierig. Ich wusste, dass ich mit dem Auto noch nie gefahren bin. Ich wusste auch, dass es irrsinnig knapp ist drin. Wir reden nicht von komfortabel oder nicht komfortabel, sondern von möglich oder unmöglich. Am Freitagmorgen hatte ich noch Zweifel, ob das gut gehen kann. Ich war wirklich sehr verunsichert. Dann fühlte ich mich aber auf Anhieb wohl in dem neuen Auto und es hat gut gepasst. Leider hatte ich im ersten Training ein technisches Problem, aber schon da bin ich einen Long-Run gefahren, der irrsinnig schnell war. Damit war ich zufrieden. Ich wusste auch, dass ich im zweiten Training einen Reifenvergleich fahren muss. Meine Bestzeit war absolut spitze, fehlerfrei - und ich hatte noch Sprit an Bord. Darauf bin ich sehr stolz."
McLaren-Mercedes zu Wurz: "Das war spitze!"
Frage: "Nach außen hin hat das Team eher verhalten darauf reagiert, aber hast du intern Lob bekommen?"
Wurz: "Ja, absolut. Das Team weiß ja, wie schwierig das für mich ist. Dass ich die Strecke nicht kannte, war im Prinzip für mich kein Problem. Das Team hat das dann auch anerkannt und gesagt: 'Das war spitze!' Wenn man sieht, was meine Kollegen dann im Zeittraining gefahren sind, wäre ich zwischen den beiden gestanden, obwohl ich am Freitag noch mehr Sprit dabei hatte - nur ein bisschen, aber immerhin. Ich bin schon sehr zufrieden, muss ich sagen, aber das ist eben meine Aufgabe. Ich bin jetzt seit vier Jahren dort und wäre sicher nicht mehr dort, wenn ich diese Sachen nicht umsetzen könnte."
Frage: "War es so etwas wie eine Kampfansage in Richtung McLaren-Mercedes, auch eine Visitenkarte für die anderen Teams - nach dem Motto: 'Hier kommt Alex'?"
Wurz: "Genau. Das kann man absolut so sagen. Gute Frage mit kurzer Antwort..."
Frage: "Die Gerüchteküche brodelt. Wie geht es jetzt weiter? Rechnest du dir Chancen aus auf ein Cockpit in Imola?"
Wurz: "Ich könnte meinen Job nicht machen, wenn mein Ziel nicht wäre, wieder Rennen zu fahren. Die Situation ist, dass Montoya eventuell ausfallen wird. Keiner weiß es - weder das Team, noch er selbst. Er hat jetzt drei Wochen Zeit, was für einen Athleten mit bester medizinischer Betreuung an und für sich viel ist. Manche Leute warten ganz heiß auf die Entscheidung, ob Montoya in Imola an den Start gehen kann, nämlich Pedro de la Rosa und ich..."
Wurz über de la Rosa: "Ich kann das auch"
Frage: "Norbert Haug und Pedro de la Rosa gaben sich heute recht bedeckt, was einen möglichen Start von dir in Imola angeht. Kannst du aus ihren Aussagen zwischen den Zeilen etwas herauslesen?"
Wurz: "Nein. Das sind Corporate-Aussagen vom Norbert und vom Pedro, ganz klar. Es ist ja auch so. Ich habe immer gesagt, dass die Testfahrerpaarung bei McLaren-Mercedes gleich stark oder sogar stärker ist als die Stammfahrerpaarung bei vielen anderen Teams. Pedro kann sehr schnell Autofahren, wie man heute gesehen hat. Ich hätte nichts anderes erwartet als so ein Rennen, wie er es heute hingelegt hat. Ich kann das aber auch! Dadurch, dass ich noch nicht ins Auto gepasst habe, ist er jetzt gefahren. Hut ab vor seiner Leistung und generell vor dem Team. Wir haben heute ein bisschen zurückgekämpft, denn bis jetzt sind wir unter Wert geschlagen worden."
Frage: "Kimi Räikkönen ist 175 Zentimeter groß, de la Rosa 177, Montoya nur 168. Du bist 186 Zentimeter groß. Bedeutet deine Größe eine Verschlechterung der Ausgangsposition gegenüber deinen Konkurrenten?"
Wurz: "Im Augenblick schon. Bis jetzt war es jedes Jahr okay. Ich meine, es war immer knapp - schon bei Benetton war das ein Thema. Ich kann nicht komfortabel sitzen und muss viel zusätzliches Training machen, damit meine Blutzirkulation in den Beinen und Armen während des Rennens oder beim Testen aufrecht bleibt. Im Prinzip ist es aber für ein Team okay. Wir haben derzeit eine sehr komplizierte Situation mit dem Cockpit-Layout, nicht so sehr mit der Größe des Cockpits an sich. Ich brauche ein bisschen mehr Platz für meine Ellbögen und Knie und da haben wir dieses Jahr ein Problem."
Mitleid mit Landsmann Klien nach dessen Problemen am Start
Frage: "Christian Klien ist heute ausgeschieden, noch bevor das Rennen überhaupt begonnen hat. Was ist das für eine Situation für einen Rennfahrer?"
Wurz: "Ich kann es nicht so sagen, wie ich es gerne ausdrücken würde (lacht), aber in Wirklichkeit ist es furchtbar für ihn. Er hatte ein wirklich starkes Zeittraining und war Siebenter hinter den Top-Teams. Das war eine absolut starke Leistung. Er hatte seinen Teamkollegen das ganze Wochenende über im Griff - und dann so etwas. Dafür kann er überhaupt nichts, auch das Team hat es sicher nicht absichtlich gemacht, aber es ist eben besonders bitter."
Frage: "Kann so ein Missgeschick beziehungsweise so ein Fehler in der Elektronik einfach so vorkommen?"
Wurz: "Sicher kann es vorkommen, das hat man ja gesehen. Es ist charakterbildend für ihn. Für das Team ist es sehr ärgerlich, denn Christian hätte heute sicher gute Punkte machen können. Coulthard hat ja einen Punkt geholt, ist aber natürlich viel weiter hinten weggefahren als Christian. Heute hätte er wirklich eine gute Chance gehabt. Ob er es genutzt hätte, ist eine andere Frage, aber man hat ihm leider nicht einmal die Möglichkeit gegeben."
Wurz würde Klien nicht gegen Liuzzi austauschen
Frage: "Es steht ja im Raum, dass Vitantonio Liuzzi das Cockpit von Christian Klien übernehmen soll. Wem würdest du das zweite Red-Bull-Cockpit geben?"
Wurz: "Ich würde die Fahrerpaarung nicht ändern. Ich finde, dass Unkonstanz im Team sicher das Schlechteste ist, was passieren kann. Christian hat letztes Jahr ein bisschen Zeit gebraucht, aber er hatte auch einen sehr schwierigen Teamkollegen in einem sehr schwierigen Team. Jetzt hat er sich gesteigert und er hat Coulthard im Griff. Warum man ihn jetzt rausnehmen soll, verstehe ich überhaupt nicht. Coulthard dürfte einen guten Vertrag haben, nehme ich an, weil ich seine Rechtsanwälte kenne, und er ist als Nummer eins eingekauft worden. Liuzzi kann sich jetzt am Freitag alle Strecken anschauen und ohne Druck in der Formel 1 zurechtfinden. Vielleicht hat er Chancen, zu einem anderen Team zu wechseln, aber die Fahrer jetzt ändern, das würde ich an Red Bulls Stelle nicht machen."
Frage: "Bei McLaren-Mercedes sollen aber sicher nicht die beiden aktuellen Piloten weiterfahren, nicht wahr?"
Wurz: "Gut, das ist eine andere Situation. Montoya hat sich verletzt. In Wirklichkeit hätten weder Pedro, noch ich Anspruch auf das Cockpit, denn er ist der Vertragsfahrer - auch wenn er wirtschaftlich gesehen wesentlich mehr kostet als Pedro und ich. Da ist es eine andere Sache, wer Montoya ersetzt. Aber bei Red Bull gehen wir von Stammfahrern aus und ich würde Christian auf jeden Fall im Auto lassen."
"Renault hat in Enstone lange und hart dafür gearbeitet"
Frage: "Das Team der Stunde ist dein Ex-Team - unter deinem ehemaligen Teamchef Flavio Briatore. Warum ist Renault im Moment so stark?"
Wurz: "Die haben in den letzten paar Jahren wirklich toll gearbeitet und an Motorleistung irrsinnig dazu gewonnen. Das Auto ist schnell auf eine Runde, aber sie schaffen es trotzdem, die Reifen in einem halbwegs guten Zustand nach Hause zu bringen. Dazu kann man nur sagen, das ist fantastische Arbeit. Renault hat in Enstone lange und hart dafür gearbeitet. Ich kenne die Leute von früher ja noch recht gut. Sie hatten nicht immer nur einfache Zeiten. Hut ab!"
Frage: "Schließt du dich der Meinung an, dass Fernando Alonso im Moment wie ein Weltmeister fährt?"
Wurz: "Ja, absolut. Er hat es auch heute wieder fehlerfrei gemacht. Er pusht so lange, bis er genügend Vorsprung hat, und dann sieht man schon an den Schaltdrehzahlen, dass er Tempo rausnimmt. Er hatte heute alles unter Kontrolle. Auch im Zeittraining ist er fehlerlos und fährt irrsinnige Rundenzeiten raus. Das ist auch für Fisichella sehr schwierig, der von Sauber in das Team zurückgekommen ist. Ich glaube, es wird sehr schwierig für Giancarlo, gegen Alonso noch einmal zurückzuschlagen."
Frage: "Was sagst du zum heutigen Ausfall von Michael Schumacher und dem bisherigen Verlauf seiner Saison?"
Wurz: "Ich habe heute im Fernsehen gehört, dass er zum ersten Mal seit 2001 mit technischem Defekt ausgeschieden ist. Ich weiß, dass mich die Ferrari-Fans jetzt ausbuhen werden, aber für die Formel 1 ist das doch gut, wenn einmal nicht nur die Roten gewinnen. Daran sieht man, wie schnell sich die Formel 1 entwickelt, denn Ferrari ist vom überlegenen Weltmeisterteam ins Mittelfeld abgerutscht. Dort steht Ferrari im Moment - und das noch dazu mit Standfestigkeitsproblemen. Ich hätte das neue Auto eher noch mehr getestet und in Bahrain lieber sichere Punkte mitgenommen."

