• 15.10.2005 12:33

  • von Inga Stracke

Das große 'F1Total.com'-Interview mit Kees van de Grint

Der "Schumi"-Vertraute bei Bridgestone spricht über die Saison 2005, Perspektiven für die Zukunft, Indianapolis, Urlaub und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - Reifenhersteller Bridgestone hat 2005 zum ersten Mal seit dem Premierenjahr 1997 wieder eine Weltmeisterschaft verloren. Dass der Katzenjammer bei den Japanern groß war, zumal Ferrari die Schuld an der Krise meistens auf das schwarze Gold abschob, ist verständlich. Eine der Schlüsselfiguren bei Bridgestone ist der Niederländer Kees van de Grint, der als enger Vertrauter von Michael Schumacher gilt. In Shanghai traf er sich zum ausführlichen Interview mit 'F1Total.com'-Boxengassenreporterin Inga Stracke.

Titel-Bild zur News: Kees van de Grint

Kees van de Grint kann auch einem dritten Platz durchaus etwas abgewinnen

Frage: "Kees, es war nicht gerade das beste Jahr für euch, aber ihr arbeitet hart. Auch Michael Schumacher betont immer wieder, dass ihr gemeinsam versucht, eine Lösung zu finden."
Kees van de Grint: "Wir haben genauso hart gearbeitet wie in den vergangenen fünf bis sieben Jahren. Der einzige Unterschied ist, dass wir bisher gewonnen und alle Meisterschaften geholt haben. Dieses Jahr fehlen die Resultate. Trotzdem wurde genauso viel und hart gearbeitet wie in der Vergangenheit."#w1#

Was meint Schumacher eigentlich mit dem Gesamtpaket?

Frage: "Michael Schumacher sagt immer, dass es am Gesamtpaket liegt. Was meint er damit?"
Van de Grint: "Ich denke, er schließt dabei den Fahrer aus (grinst), aber abgesehen davon meint er das Chassis, den Motor und die Reifen. Dieses Paket muss in allen Bereichen konkurrenzfähig sein. Wenn auch nur ein Teil dieses Pakets nicht so konkurrenzfähig ist, wie wir uns das wünschen, dann kann man keine konkurrenzfähigen Rundenzeiten produzieren."

Frage: "Trotz der gewaltigen Konkurrenz in diesem Jahr sicherte sich Ferrari Platz drei bei den Konstrukteuren..."
Van de Grint: "Ja. Ich bin froh, dass du das erwähnst, denn die Leute sind daran gewöhnt, dass Ferrari gewinnt und Michael immer Weltmeister wird, aber es gibt auch viele, die in ihrer ganzen Karriere noch nie auf Platz drei einer Weltmeisterschaft gekommen sind. Ich halte das auch für einen respektablen Erfolg. Wenn man allerdings daran gewöhnt ist, immer ganz vorne zu stehen, ist das natürlich eine kleine Enttäuschung, auch wenn ich finde, dass es trotz allem eine gute Leistung in dieser unglaublich umkämpften Welt ist."

Frage: "In Indianapolis gab es diese Saison sehr zur Enttäuschung der meisten Fans nur deswegen so etwas wie ein Rennen, weil ihr dort eure Hausaufgaben richtig gemacht habt. Wie siehst du diese Situation jetzt und wie lautet deine Botschaft an die amerikanischen Fans?"
Van de Grint: "Wenn man sagt, die meisten Fans waren enttäuscht, dann ist das eine Untertreibung, denn es war für alle Fans eine große Enttäuschung. Unterm Strich geht es darum, dass wir Rennen fahren sollten. Die ganze Show war nicht in der Lage, ein passendes Rennen auf die Beine zu stellen. Okay, wir haben gewonnen, aber ich zähle das nicht als echten Sieg. Das Einzige, was man sagen kann: Sorry, es hätte nicht passieren dürfen!"

Frage: "Die Reifenhersteller kennen doch alle Strecken, befassen sich immer intensiv mit der Vorbereitung. Wie kann es da überhaupt zu so einer Situation kommen?"
Van de Grint: "Man sollte eines nicht vergessen: Es ist ein Wettbewerb - und zwar ein ziemlich hart umkämpfter in diesem Jahr. Da geht man überall ans Limit. Wir verwenden zwar Computer, aber wir sind trotzdem nur Menschen. Da können in so einem umkämpften Umfeld schon mal Fehler passieren."

Ein Motorschaden fällt niemandem auf, aber ein Reifenproblem...

"Leider sind die Reifen so wichtig - und leider werden die gleichen Reifen so vielen Teams zur Verfügung gestellt, denn wenn ein Motor hochgeht, dann sind ein oder zwei Autos draußen, was vielleicht niemandem auffällt, aber wenn es mit den Reifen ein Problem gibt, sind es gleich bis zu 14 Autos, also mehr als die Hälfte des Feldes. Das ist ein Problem, aber es kann passieren. So etwas zeigt, dass trotz der ganzen Hightech menschliches Versagen immer noch möglich ist, denn in dem konkreten Fall muss irgendjemand die Schärfe des Kurses in Indianapolis falsch eingeschätzt haben."

Frage: "Menschliches Versagen passiert vor allem dann, wenn man nach einer so langen Saison wie dieser ausgelaugt und müde ist. Hast du jetzt bald Gelegenheit, mit euren Ingenieuren ein bisschen Urlaub zu machen?"
Van de Grint: "Ich denke, wir sollten Urlaub machen, denn 19 Rennen sind wirklich ziemlich hart. In der NASCAR-Serie fahren sie doppelt so viele Rennen - entweder sind das wirklich zähe Leute, oder sie haben ein gutes Rotationssystem! Ich finde, dass wir uns Urlaub verdienen, aber ich habe den neuen Plan schon gesehen, und ich denke, dass die Testfahrten schon im November wieder aufgenommen werden."

Frage: "Nächstes Jahr wird es einige Änderungen geben. Zum Beispiel habt ihr diese Saison weniger Teams als Michelin beliefert. Was wird sich daran ändern?"
Van de Grint: "Nun ja. Wir hatten auch in der Vergangenheit weniger Teams als unser Mitbewerber, aber wir waren dennoch sehr erfolgreich. Allerdings ist es mit der neuen Reifenregel, die den Schwerpunkt auf die Haltbarkeit gewichtet, sicherlich hilfreich, mehr konkurrenzfähige Teams, die auch regelmäßig testen, unter Vertrag zu haben. Weil die Regeln für nächstes Jahr wieder geändert werden sollen, bin ich mir nicht sicher, ob der Vorteil für uns durch die zusätzlichen Teams so groß sein wird, aber wir heißen die neuen Teams herzlich willkommen. Natürlich haben wir dadurch besser verteilte Chancen auf Siege."

Van de Grint freut sich auf die Wiedervereinigung mit Rosberg

Frage: "Williams-Cosworth wird 2006 definitiv mit euch arbeiten, und dort könnte ein junger Mann fahren, der dir aus dem Kartsport gut bekannt ist: Nico Rosberg."
Van de Grint: "Ja, das ist korrekt. Ich bin sehr glücklich, dass Williams zu uns kommt und dass ich bei den Tests wieder mit Nico arbeiten kann. Er hat immer einen sehr guten Job gemacht - und ich bin ein großer Fan von ihm! Das Wichtigste für ihn ist aber, dass er in die Formel 1 kommt, noch dazu auf unseren Reifen. Das ist für beide Seiten schön."

Frage: "Was können die Fans im nächsten Jahr erwarten? Wird es wieder einen so hart umkämpften Wettbewerb geben?"
Van de Grint: "Ja, denn ich denke, das ist der Geist der Formel 1. Für die Zuschauer ist es sehr gut, dass einige andere Teams dieses Jahr einen extrem guten Job gemacht haben, vor allem im Design der Autos. Dadurch ist alles viel enger geworden. Ein Teil unserer Dominanz in der Vergangenheit war, dass Ferrari im Vergleich zu einigen anderen extrem gut war, aber ich denke, dass wir das nächstes Jahr wieder schaffen werden. Wir haben als Paket wirklich ein bisschen aufzuholen. Die anderen werden versuchen, an der Spitze zu bleiben, daher kann man sich auf einen wirklich harten Wettkampf gefasst machen."

"Für die Zuschauer ist es sehr gut, dass einige andere Teams dieses Jahr einen extrem guten Job gemacht haben." Kees van de Grint

Frage: "Red Bull hat zwei Teams unter derselben Eigentümerschaft, aber im Moment noch zwei unterschiedliche Reifenmarken. Ist das ein Problem?"
Van de Grint: "Ich denke nicht. Das ehemalige Minardi-Team - wie immer es dann auch heißen mag - wird in der kommenden Saison nicht unsere Reifen verwenden. Daher ist das kein Problem."

Frage: "Noch eine letzte Frage vor dem morgigen Rennen: Was erwartest du und welche Wetterbedingungen wünscht du dir zum Abschluss?"
Van de Grint: "Die Bedingungen sollten keine allzu große Rolle spielen, aber ich muss fairerweise zugeben, dass unsere Chance auf einen Sieg im Regen wohl größer wäre, denn dieses Jahr ist McLaren wirklich schnell. In Suzuka hat sich aber gezeigt, dass wir im Nassen definitiv im Vorteil sind. Aber so oder so sollten wir für alle Bedingungen geeignete Reifen haben. Ich mache mir deswegen keine Gedanken. Wenn es trocken bleibt, wäre das für die Fans besser, daher hoffe ich auf gutes Wetter."