• 08.10.2005 15:53

  • von Inga Stracke

Das große 'F1Total.com'-Interview mit Pierre Dupasquier

Michelins Sportchef analysiert gegenüber 'F1Total.com' das Qualifying in Suzuka, Höhen und Tiefen der Saison 2005 und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - Beim morgigen Grand Prix von Japan werden die ersten vier Reihen nach dem heutigen Regen-Qualifying in Suzuka wieder einmal von Michelin-Piloten besiedelt, womit es stark nach dem nächsten Sieg der französischen Reifenmarke riecht. Mit bisher 16 Erfolgen in 17 Rennen, dem Skandal von Indianapolis und dem ersten WM-Titel seit dem Wiedereinstieg in die Formel 1 war es für den französischen Reifenhersteller eine bewegte Saison. Sportchef Pierre Dupasquier arbeitete diese im Interview mit 'F1Total.com'-Boxengassenreporterin Inga Stracke auf.

Titel-Bild zur News: Pierre Dupasquier

Pierre Dupasquier wird nach dieser Saison wahrscheinlich seine Rente antreten

Frage: "Pierre, das heutige Qualifying war zum Teil eine Lotterie, denn die Regeln bestimmen auch bei so schlechtem Wetter, wann ein Fahrer auf die Strecke gehen darf. Bist du dennoch zufrieden mit dem Ausgang?"
Pierre Dupasquier: "Das hat nichts mit zufrieden oder nicht zu tun, sondern die Regeln sind nun mal so. Zu Beginn der Session waren die Bedingungen halbwegs normal - es hat nicht mehr geregnet, aber die Strecke war sehr nass und wurde langsam immer besser. David Coulthard legte als Erster eine sehr gute Runde hin."#w1#

Dupasquier kam im Qualifying voll auf seine Kosten

"Wir haben ein paar Fehler von einigen Fahrern gesehen, aber was dann lustig war, war, dass es gerade zu regnen begann, als Michael (Schumacher; Anm. d. Red.) auf die Strecke ging. Es waren erst nur ein paar Tropfen, aber dann begann es richtig zu schütten! Der erste Sektor seiner Runde war gut, aber der Rest war ein Desaster. Nach ihm war Alonso der erste Fahrer mit Full-Wets draußen, aber es war sowieso nur noch lächerlich, denn Michael, Alonso und die McLarens konnten nur noch um den Kurs rollen."

Frage: "Favoriten wie Michael Schumacher, Fernando Alonso, Juan-Pablo Montoya und Kimi Räikkönen müssen nun das Feld von hinten aufrollen. Das verspricht doch ein elektrisierendes Rennen, nicht wahr?"
Dupasquier: "Ganz genau! Die Jungs werden auf jeden Fall alles geben, denn die McLarens wollen genauso Erster und Zweiter werden wie die Renaults. Diese beiden Teams sind ganz nahe dran, die Konstrukteurs-WM zu gewinnen. Michael wird wie immer voll fahren und nicht aufstecken."

Frage: "Suzuka ist die Hausstrecke von Bridgestone. Wie glücklich würde es dich machen, sie gerade hier zu besiegen?"
Dupasquier: "Nicht mehr als auf anderen Strecken. Suzuka ist eine schöne und interessante Strecke. Es ist für sie dieselbe Situation wie für uns von Michelin in Magny-Cours: Wir kennen Magny-Cours auch überhaupt nicht! Magny-Cours ist natürlich besonders spannend für uns, und Suzuka ist für Bridgestone von besonderer Bedeutung, aber wir werden einfach unser Bestes geben und dann sehen, was morgen passiert."

Michelin hat auch im Regen zu Bridgestone aufgeschlossen

Frage: "Es gab dieses Jahr bis auf Spa-Francorchamps eigentlich kein Regenrennen. Michael Schumacher hat nun gesagt, dass Michelin auch im Regen den Rückstand aus dem Vorjahr aufgeholt hat. Was sagst du dazu?"
Dupasquier: "Das denken wir auch. Spa war diesbezüglich ein sehr informatives Rennen, denn die Bedingungen waren konstant; sie wurden immer besser, aber gleichmäßig. Es war schön, die Performance unserer Intermediates zu sehen, speziell mit abgefahrener Lauffläche, denn Villeneuve und Button - um Beispiele zu nennen - hatten im Ziel praktisch nur noch Slicks drauf. Das ist eine Erfahrung, die man beim Testen nicht reproduzieren kann, denn man würde bei einem Test nie 50 Runden am Stück mit einem Satz Intermediates fahren, bis es trocken wird. Das war eine sehr interessante Erkenntnis für uns."

"Bei Full-Wets sieht es etwas anders aus. Der Grip ist da, aber abhängig von der Fahrbahnoberfläche und den Wasserverhältnissen haben wir manchmal ein bisschen mehr, manchmal ein bisschen weniger Aquaplaning."

Frage: "Laut Peter Sauber tauschen sich die Michelin-Teams untereinander sehr intensiv aus, wenn es um die Reifenwahl geht. Ist das einer eurer Vorteile gegenüber der Konkurrenz?"
Dupasquier: "Wir verfahren gar nicht so! Wenn ein Team seinen Job macht, übermittelt es die Daten unserem Techniker, denn wir haben einen Techniker für jedes Team. Dann treffen wir uns alle und besprechen, wer was gemacht hat. Das ist eigentlich nicht unser Problem, denn die Strategien sind Teamsache, aber so finden wir heraus, wie sich unsere Reifen unter welchen Verhältnissen verhalten haben. Sobald wir das wissen, sammeln wir alle Daten über das Verhalten unserer Reifen unter speziellen Bedingungen, und diese Informationen werden dann unter allen Teams aufgeteilt. So sehen die Teams dann, ob sie mit dem Setup daneben liegen, ob der Reifen daneben ist oder ähnliches."

Dupasquier versteht Bridgestones Philosophie nicht

"Wir haben uns vor unserem Formel-1-Einstieg mit Jean Todt unterhalten, aber so geht es eben nicht." Pierre Dupasquier

"Das ist kein Vorteil, aber es ist unmöglich, so eine Aufgabe mit effektiv nur einem Team in Angriff zu nehmen. Es ist unmöglich - und ein großer Fehler! Wir haben uns vor unserem Formel-1-Einstieg mit Jean Todt unterhalten, aber so geht es eben nicht. Wir hatten dasselbe Problem, als er noch mit Peugeot Rallye gemacht hat. Mit nur einem Team kann man als Reifenhersteller überhaupt nicht verstehen, was man überhaupt macht."

Frage: "Nun wechseln aber einige eurer Teams zu Bridgestone..."
Dupasquier: "Ja. Das war ein Wunsch unseres Managements, das gesagt hat, dass es nicht normal ist, dass wir sieben Teams ausrüsten und Bridgestone nur drei. Das ist zu viel Last auf unseren Schultern. Hätten wir zum Beispiel nur drei Teams gehabt, wären wir in Indianapolis nie in so ein Schlamassel geraten. Es muss bei den Reifen dieselbe Ausgewogenheit zwischen den Herstellern bestehen wie bei anderen Teilen des Autos, zum Beispiel dem Motor. In Form einer Pressemitteilung haben wir uns dann an unsere Partner gewendet, die dann uns gegenüber ihre Argumente vorgebracht haben. Williams und Toyota haben sich im Zuge dessen zu einem Wechsel zu Bridgestone entschieden, womit wir kein Problem haben."

Frage: "Wie ist die Situation mit Red Bull und Minardi? Das sind zwei Teams mit demselben Eigentümer, die im Moment auf verschiedenen Reifenmarken rollen..."
Dupasquier: "Noch ist nichts entschieden, aber wir arbeiten daran."

Testbeschränkung ist weiterhin ein heißes Thema

Frage: "Wird es nächstes Jahr wegen des neuen Motorenreglements auch reifenseitig gravierende Veränderungen geben?"
Dupasquier: "Manche Teams wollen kein Geld ausgeben, während andere sich überhaupt nicht um die Kosten kümmern. Insofern ist es sehr schwierig, dass sich die Teams auf eine gemeinsame Testbeschränkung einigen. Wir haben unsererseits einige Vorschläge eingebracht, die Reifentestkilometer zu limitieren. Wenn jetzt fast keine Reifentests mehr durchgeführt werden, würde das die Entwicklung der Reifen grundlegend verändern."

"Um die Frage zu beantworten: Ja, vieles wird anders. Die Leistung wird annähernd dieselbe sein wie dieses Jahr mit zehn Zylindern, aber die Drehzahlen werden ansteigen. Soweit ich weiß, wird die Traktionskontrolle bleiben, aber die Belastungen für die Hinterreifen könnten sich gravierend verändern. Da müssen wir uns neu einstellen. Die neuen Autos und Motoren werden im Winter früh genug fertig sein, damit wir die notwendigen Anpassungen in Ruhe vornehmen können."

Fast alle Tickets für Indianapolis sind bereits rückerstattet

Amerikanische Zeitungen nach Indianapolis 2005

Für das "Rennen der Schande" in Indianapolis wurde Michelin hart kritisiert Zoom

Frage: "Das Debakel von Indianapolis ist ja fast schon vergessen, aber ich habe gehört, dass ihr damit begonnen habt, die Entschädigungsgelder zu verschicken. Was ist da der Stand der Dinge?"
Dupasquier: "Wir haben das unseren geschätzten Michelin-Kollegen in den USA übertragen, die sich gemeinsam mit Tony George und seiner Organisation um diese Angelegenheit kümmern. Die meisten Zuschauer haben ihr Geld schon zurück, weil es von vielen Kreditkartendaten oder ähnliches gab. Es ist also nicht allzu schwierig, das abzuwickeln."

"Zum ALMS-Rennen in Road Atlanta kamen kürzlich ein paar Fans, die unseren Jungs gesagt haben, dass sie anfangs in Indianapolis fuchsteufelswild waren, aber inzwischen freuen sie sich über die nette Geste von Michelin. Natürlich haben diese Fans das Rennen doof gefunden, aber sie haben verstanden, dass wir nicht fahren konnten. Das fand ich sehr nett, schließlich haben wir ja nicht absichtlich auf den Start verzichtet."

Frage: "Der Grand Prix der USA 2006 soll am 4. Juli stattfinden, also am Unabhängigkeitstag. Da würden bestimmt viele Fans kommen..."
Dupasquier: "Oh ja, das hoffe ich. Hoffentlich können wir dann ein richtiges Rennen bieten, gerade am 4. Juli."