Das große 'F1Total.com'-Interview mit Colin Kolles

Der Jordan-Teamchef über seine Fahrer, den steinigen Weg seiner Truppe, die Perspektiven von Midland in der Formel 1 und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - Das Jordan-Team, das 2006 unter dem Namen Midland in der Formel 1 an den Start gehen wird, gehört zwar dem russischen Multimilliardär Alexander Shnaider, die Entscheidungen in der Fabrik in Silverstone werden aber von einem Deutschen getroffen, nämlich Colin Kolles. Gemeinsam mit dem Briten Trevor Carlin ist er für den Rennstall verantwortlich.

Titel-Bild zur News: Colin Kolles

Colin Kolles ist bei Jordan/Midland der Mann, der die Entscheidungen trifft

Am Dienstag nahm sich der gebürtige Rumäne Zeit, um im Interview mit 'F1Total.com' die aktuelle Lage seines Teams zu besprechen. Dabei nahm er zu den Gerüchten um einen etwaigen Fahrerwechsel während der Saison ebenso Stellung wie zur geplanten Umlackierung der beiden Fahrzeuge für nächstes Jahr und die Fortschritte seiner noch recht jungen Mannschaft. Außerdem machte er seinem Ärger über das Vorgehen der Hersteller in der Formel 1 Luft.#w1#

Deutscher Pass, englischer Vorname, in Rumänien geboren

Frage: "Herr Kolles, Sie sind in Rumänien geboren, haben einen englischen Vornamen und einen deutschen Pass. Wie kommt das?"
Colin Kolles: "Weil mein Onkel Engländer ist. Der deutsche Pass kommt daher, dass wir nach Deutschland geflüchtet sind."

Frage: "Sie sind außerdem Zahnarzt. Wann haben Sie zum letzten Mal einen Zahn gezogen?"
Kolles: "Vor einem Jahr ungefähr. Ich habe das auch neben meinem Formel-3-Team gemacht. Die Praxis gibt es ja noch. Ich habe nebenbei schon auch Zähne gezogen..."

Frage: "Jetzt auch noch?"
Kolles: "Nein."

Frage: "Inzwischen fühlen Sie sozusagen Jordan auf den Zahn. Wann und wie sind sie mit Alexander Shnaider das erste Mal ins Gespräch gekommen?"
Kolles: "Vor ungefähr einem Jahr. Er ist auf mich zugegangen."

Ursprünglich wollte Midland das Jaguar-Team von Ford kaufen

Frage: "Der ursprüngliche Plan war ja, ein eigenes Midland-Team aufzubauen. Warum haben Sie sich stattdessen dazu entschlossen, Jordan zu übernehmen?"
Kolles: "Wir hatten immer einen Plan A und einen Plan B - entweder ein neues Team oder Kauf eines bestehenden. Wir haben auch versucht, Jaguar zu kaufen, aber das hat nicht funktioniert. Deswegen ist es dazu gekommen, dass wir Jordan gekauft haben."

Frage: "Hatte da auch Bernie Ecclestone seine Hände im Spiel?"
Kolles: "Der erste Kontakt ist durch ihn zustande gekommen, ja."

Frage: "Neben dem Jordan-Team gibt es auch noch die Rennwagenschmiede Dallara unter dem Midland-Banner, wenn man so will. Wie sieht die genaue Rolle von Dallara aus?"
Kolles: "Wir haben einen Vertrag mit Dallara. Die gebuchten Windkanalstunden werden wir natürlich mit den Ingenieuren von Jordan nutzen."

Frage: "Kann man klar sagen, ob das Auto in Silverstone oder in Italien gebaut wird?"
Kolles: "Man kann schon sagen, dass das Auto in Silverstone gebaut wird. Manche Sachen werden in Italien entwickelt, manche in Silverstone. Es wird parallel in zwei Windkanälen gearbeitet."

Kolles schließt eine Trennung von Dallara nicht aus

Frage: "Steht langfristig möglicherweise eine Kündigung des Vertrags mit Dallara bevor?"
Kolles: "Wir haben keinen langfristigen Vertrag, den man kündigen müsste. Es gab schon immer den Vertrag, der erst einmal bis Ende 2005 läuft. Das war schon immer so. Da muss man nichts kündigen. Natürlich kann es sein, dass wir weiterhin mit Dallara zusammenarbeiten werden."

Frage: "Da ist also noch keine Entscheidung gefallen?"
Kolles: "Nein. Da muss man abwarten, wie alles funktioniert und was für Ergebnisse dabei herauskommen. Wir wollen uns ja verbessern."

Frage: "Ursprünglich war auch geplant, dass Gary Anderson am neuen Auto mitwirken wird. Warum hat man sich von ihm getrennt?"
Kolles: "Das müssen Sie Dallara fragen. Jordan hatte nichts mit Gary Anderson zu tun. Soweit wir informiert sind, war er bei Dallara nur Berater. Dass diesbezüglich Falschinformationen in der Presse kursiert sind, ist eine andere Geschichte. Wie gesagt, er hatte nur einen Beratervertrag mit Dallara, aber nicht mit uns."

Frage: "Was Jordan momentan noch fehlt, ist ein Designer vom Schlage eines Mike Gascoyne. Gibt es Pläne, die Designabteilung zu verstärken?"
Kolles: "Zunächst einmal ist Mike Gascoyne kein Designer, sondern Technischer Direktor bei Toyota. Wir haben unsere Designabteilung verstärkt, aber wir geben das nicht bekannt. Es gibt Leute, die volle Pulle arbeiten."

Kolles: "Ich brauche keine Superstars"

Frage: "Jordan verzichtet derzeit in allen Bereichen auf die Verpflichtung großer Namen. Ist das eine gezielte Strategie oder einfach ein durch die beschränkten Ressourcen aufgezwungenes Vorgehen?"
Kolles: "Ich habe ein Prinzip: Ich brauche keine Superstars. Wir wollen stattdessen unsere eigenen Leute ausbilden. Wir haben kein Budget wie Toyota. Einen Mike Gascoyne, der fünf Millionen Euro pro Jahr verdient, können wir uns nicht leisten. Ein Mike Gascoyne hat aber auch einmal bei Jordan angefangen."

Frage: "Jordan hat derzeit ein Budget von ungefähr 100 Millionen Euro jährlich. Als Außenstehender frage ich mich, warum ein Konzern wie Midland, für den 50 weitere Millionen nicht viel Geld wären, nicht einfach mehr Mittel zur Verfügung stellt. Dem Rennteam würde das schließlich enorm weiterhelfen..."
Kolles: "Das ist eine Motivationsfrage. Wir müssen unsere Mittel vernünftig einsetzen. Wenn man sieht, dass man Fortschritte macht, werden sich da auch Lösungen finden."

"Man muss effizient arbeiten, dann funktioniert das alles"

Frage: "Das heißt, das Team soll momentan in erster Linie auf Effizienz getrimmt werden, richtig?"
Kolles: "Genau darum geht es, um Effizienz. Das ist genau das, was ich meine. Man muss effizient arbeiten, dann funktioniert alles."

Frage: "Steht schon fest, in welchen Farben das Team nächstes Jahr antreten wird?"
Kolles: "In anderen Farben als jetzt. Das Präsentationsauto in russischen Farben, das wir in Moskau hatten, war nur für die Präsentation, aber unser neues Auto wird ganz anders aussehen als dieses Jahr. Im Moment zerbrechen sich darüber Designer den Kopf. Es soll jedenfalls ein bisschen anders aussehen als die anderen Autos."

Frage: "Der Russland-Bezug ist an und für sich aber schon etwas, was Alexander Shnaider am Herzen liegt, oder?"
Kolles: "Könnte sein, ja. Es wird mehrere Designvorschläge geben. Dann wird man sehen, was dabei herauskommt. Es ist noch nichts entschieden, aber es steht fest, dass das Auto nicht nur gelb sein wird. Das ist natürlich auch davon abhängig, ob ein Titelsponsor kommt oder nicht."

Frage: "Der Russland-Bezug ist ja auch durch Boris Jelzin jun. gegeben, den Enkelsohn des Ex-Präsidenten. Er ist im Marketing engagiert. Was sind seine genauen Aufgaben im Team?"
Kolles: "Er hat keine Rolle im Team. Es gibt ein Marketingbüro in Russland, das sich mit der Akquirierung von Sponsoren beschäftigt. Mit der operativen Seite, also dem Tagesgeschäft, haben sie nichts zu tun. Das läuft über Midland."

Eddie Jordan hat keine aktive Rolle mehr im Team

Frage: "Eddie Jordan hätte eigentlich als Berater im Team bleiben sollen. Hat er noch eine Rolle im Team oder nicht mehr?"
Kolles: "Seitdem wir hier sind, hat er die nie gehabt. Er sollte nie Berater sein. Eddie Jordan ist willkommen, wenn er dem Team Sponsoren bringen möchte. In diese Richtung gibt es ein Abkommen - wie ein Agent, der dann seine Prozente bekommt."

Frage: "Was sagt denn Alexander Shnaider zu den bisherigen Resultaten?"
Kolles: "Alex Shnaider und ich sind nicht zufrieden mit den Ergebnissen, aber wir hatten am 23. Januar, als wir gekommen sind, vier alte Monococques vor uns. Es gab keinen Motor, es gab keine Fahrer, es gab keine Sponsoren - nichts. Da muss man erst einmal ins Ziel kommen. Ich habe von Anfang an gesagt, dass wir versuchen müssen, möglichst zuverlässig zu sein. Das haben wir bis heute mit einer Ausnahme geschafft - und bei dieser Ausnahme war ein kleines Steinchen, fünf Millimeter groß, Schuld, weil es in die Lichtmaschine gekommen ist. Das war ein blöder Zufall, der jedem passieren kann."

Frage: "Im Juni oder Juli soll es ja eine Ausbaustufe des Autos geben. Wie genau wird die aussehen?"
Kolles: "Wir arbeiten sehr hart daran, dass das ein großer Schritt für Jordan wird."

Frage: "Das bezieht sich aber nur auf die Aerodynamik, nicht wahr? Oder kommt auch von Toyota ein verbesserter Motor?"
Kolles: "Wir bekommen dauernd neue Entwicklungen von Toyota. Toyota arbeitet ja durchgehend und wir bekommen das dann entsprechend auch."

Kolles hat im Team alleinige Entscheidungsgewalt

Frage: "Mit Ihnen, Trevor Carlin und Alexander Shnaider, der ins Tagesgeschäft nicht involviert ist, gibt es drei Kompetenzträger im Team. Wer trifft denn schlussendlich die Entscheidungen?"
Kolles: "Es gibt nur einen, der unterschreiben darf. Das bin ich."

Frage: "Wie sieht die Rollenverteilung zwischen Ihnen und Trevor Carlin aus?"
Kolles: "Wir haben schon seit langen Jahren ein freundschaftliches Verhältnis zueinander. Ich habe Trevor Carlin geholt, weil ich ihn kenne und schätze. Er ist bei uns Sportdirektor. Seine Aufgaben sind, das Team gut vorzubereiten und die Fahrer im Griff zu halten, ebenso wie die Mechaniker, die Ingenieure und so weiter."

Frage: "Mit Narain Karthikeyan, Tiago Monteiro und Testfahrer Robert Doornbos setzen Sie auf drei sehr unerfahrene Piloten. Ist diese Rechnung bisher aufgegangen?"
Kolles: "Mit Narain auf jeden Fall. Manche Leute beginnen jetzt langsam zu realisieren, was er für ein Fahrer ist. Das bekomme ich zumindest zu hören. Man sieht das auch aus Sponsorensicht, wie positiv sich alles mit ihm entwickelt. Monteiro braucht anscheinend etwas mehr Zeit. Am Anfang war der Unterschied noch größer, jetzt wird er aber langsam kleiner. Er verringert den Abstand zu Narain. Robert Doornbos macht einen guten Job. Ich glaube, dass er auch eine Zukunft in der Formel 1 hat. Wir haben aber leider nur zwei Einsatzautos, deswegen können wir ihn nicht einsetzen, aber er wird sicherlich bald eine Chance bekommen."

"In jedem Team ist ein Fahrerwechsel denkbar"

Frage: "Bernie Ecclestone hat kürzlich erwähnt, dass möglicherweise bald ein Franzose für Jordan fahren wird. Gleichzeitig gibt es Gerüchte, dass Franck Montagny möglicherweise doch nicht in Le Mans fahren wird, angeblich wegen Verpflichtungen in der Formel 1. Sie wissen sicher, worauf ich hinaus will..."
Kolles: "Abwarten. In jedem Team ist ein Fahrerwechsel während der Saison denkbar. Das haben wir schon oft erlebt. Es kann sich immer wieder einer verletzen. Es können immer wieder irgendwelche unerwarteten Umstände eintreten. Red Bull hat die Fahrer auch gewechselt."

Frage: "Ist eine Rotation nach Red-Bull-Vorbild auch bei Jordan möglich - dass beispielsweise Robert Doornbos einmal statt Tiago Monteiro zum Zug kommt?"
Kolles: "Es ist eher eine andere Konstellation möglich."

Test für Norbert Siedler vom Finanziellen abhängig

Frage: "Ist ein Test für den Österreicher Norbert Siedler in diesem Jahr eine mögliche Variante?"
Kolles: "Das müssen Sie Edi Nikolic (Manager von Siedler; Anm. d. Red.) fragen. Ich kenne Edi Nikolic. Ob das funktioniert oder nicht, das hängt nicht nur von uns ab."

Frage: "Wäre Norbert Siedler - alle kommerziellen Hintergründe einmal ausgeklammert - ein Thema für die Formel 1?"
Kolles: "Ich glaube, dass er erst einmal testen muss, damit man sich ein genaues Bild machen kann. Man muss schauen, wie er sich im Formel-1-Auto anstellt."

Frage: "Wie ist der Stand der Dinge mit Mario Dominguez, der vor Saisonbeginn für 2006 mit Midland in Zusammenhang gebracht worden ist?"
Kolles: "Da muss man abwarten. Er ist ein Kandidat für nächstes Jahr, aber im Moment schauen wir uns in eine andere Richtung um. Ich habe nicht vor, nächstes Jahr mit Rookies zu fahren. Deswegen haben wir ja dieses Jahr den Weg der Rookies eingeschlagen, damit sie nächstes Jahr keine Rookies mehr sind."

Frage: "Natürlich müssen wir auch noch ein wenig über Sportpolitik sprechen. Bernie Ecclestone und Alexander Shnaider stehen sich sehr nahe, weil Ecclestone bekanntlich den Jordan-Deal eingefädelt hat. Heißt das automatisch, dass sich Midland nicht an einer Herstellerserie beteiligen wird?"
Kolles: "Das habe ich vom ersten Augenblick an gesagt."

Jordan wird demnächst bei Ecclestone unterschreiben

Frage: "Gibt es auch schon ein Dokument, ähnlich jenem, das Ferrari unterschrieben hat?"
Kolles: "Das werden wir zum gegebenen Zeitpunkt bekannt geben. Ich sage aber, dass es keine zweite Serie geben wird. Die Leute müssen endlich aufwachen und realistisch sein."

Frage: "Schränkt es eventuell die Möglichkeiten in der Motorenwahl ein, dass Sie sich in dieser Frage so klar festlegen?"
Kolles: "Nein. Wenn der Motorenpartner die gleiche Meinung hat, dann nicht."

Frage: "Das Pulverfass zwischen den zwei Fronten im Formel-1-Machtkampf scheint zu explodieren, gerade auch im Zuge der Affäre um BAR-Honda. Was muss geschehen, dass es da wieder eine Annäherung geben kann?"
Kolles: "Warum meinen Sie, dass es explodiert? Wenn sich jeder an die Spielregeln halten würde, würde es dieses Problem gar nicht geben."

Frage: "Die einzige Lösung aus Ihrer Sicht ist also, dass die Hersteller ihre Pläne fallen lassen?"
Kolles: "Es ist ganz einfach: Es sind ein paar auf ihrem Ego-Trip unterwegs. Das ist das Problem. Das hat nichts mit logischem Denken zu tun, sondern nur mit persönlichem Denken. Jeder, der hier von Herstellerseite auftritt, weiß ganz genau, dass das, was sie planen, nicht umzusetzen ist."

Scharfe Kritik an den Plänen einer Herstellerserie

Frage: "Warum?"
Kolles: "Es gibt keine Rennstrecken und kein Geld. Woher soll das Geld kommen, das da versprochen wird? Dann sollen sie eine Bankgarantie bringen. Bernie Ecclestone bezahlt seit 20 oder 25 Jahren seine Rechnungen immer pünktlich. Das ist schon einmal eine Garantie. Ich habe schon etliche Male erlebt, dass ein Hersteller an einem Tag das sagt, am nächsten Tag aber ganz etwas anderes macht. Außerdem wird es ohne Ferrari für jede andere Serie schwierig. Da muss man sich an einen Tisch setzen und Lösungen finden. Man hat ja in Amerika erlebt, dass zwei Serien nichts Positives ergeben können. Das funktioniert nicht. Es kann nur eine Serie geben."

Frage: "Meine letzte Frage: Was muss passieren, damit Sie Ende 2005 in einem Schaukelstuhl Platz nehmen können und dabei völlig zufrieden sind?"
Kolles: "Da muss sehr viel passieren. Das werde ich dieses Jahr nicht schaffen."

Frage: "Was wären realistische sportliche Ziele?"
Kolles: "Vielleicht Punkte holen, aber dafür müssen wir noch hart arbeiten, denn derzeit sind wir davon weit entfernt. Es wird ein neues Auto geben, aber wir müssen erst schauen, wie es damit laufen wird. Es sieht derzeit sehr gut aus. Wir machen gute Fortschritte, aber die anderen Teams auch. Es kann sein, dass wir den Rückstand verringern und den Abstand zu Minardi wieder vergrößern können, aber man muss erst einmal sehen, wie sich das Auto auf der Straße verhält. Windkanaldaten sind eine Sache, aber im Rennen kann es dann ganz anders aussehen."