• 25.07.2005 11:51

Dall'Ara: "Jacques gab uns ein paar gute Tipps"

Im Interview spricht Jacques Villeneuves Renningenieur über die Eigenheiten des Kanadiers beim Setup und über dessen Formanstieg

(Motorsport-Total.com) - Viel wurde darüber geschrieben, wie schwierig es für Ingenieure sei, mit Jacques Villeneuve zu arbeiten. Unsere Kollegen vom 'emagazine' der Credit Suisse befragten einen, der es wissen muss: Giampaolo Dall'Ara, den Renningenieur des Ex-Weltmeisters. Resultat: Der Kanadier hat tatsächlich relativ eigenwillige Vorstellungen von einem guten Setup, doch wenn die Ingenieure auf seine Wünsche einsteigen, kommt es am Ende gut heraus.

Titel-Bild zur News: Jacques Villeneuve

Jacques Villeneuve geht mit dem Setup seit jeher seine eigenen Wege...

Frage: "Giampaolo, ist es wirklich so schwierig, mit Jacques Villeneuve zu arbeiten?"
Giampaolo Dall'Ara: "Mit Jacques zu arbeiten ist nicht schwieriger als mit irgendeinem anderen Fahrer, mit dem ich in der Vergangenheit gearbeitet habe. Natürlich ist er ein spezieller Typ. Doch ich mag ihn gut. Auf der menschlichen Ebene hatte ich bisher nicht ein einziges Problem mit ihm."#w1#

"Er ist sehr ehrlich, er sagt gerade heraus, was er denkt"

"Er ist sehr ehrlich, er sagt gerade heraus, was er denkt. Ich bin da ähnlich gelagert. Und was zwischen uns läuft, ist ohnehin nicht für die Presse bestimmt. Was in der Presse auftaucht, sind eher politische Angelegenheiten. Da will ich mich gar nicht einmischen. Viele Artikel lese ich erst gar nicht."

Frage: "Aber es stimmt, dass er ganz klare, manchmal auch eigenwillige Vorstellungen bezüglich des Setups hat?"
Dall'Ara: "Natürlich hat er Präferenzen, wie jeder Fahrer. Wirklich neu für mich war aber die Tatsache, dass er es nicht mag, in jedem Rennen einen anderen Wagen fahren zu müssen. Wie Sie wissen, stellt jede Strecke ganz spezifische Anforderungen an das Auto. Deshalb lautete meine Philosophie - und die des Teams - bisher stets: Das Auto wird aufgrund der Streckencharakteristik abgestimmt. Der Pilot ist dabei ein Handwerker, dessen Aufgabe einfach darin besteht, mit dem so abgestimmten Auto so schnell wie möglich zu fahren.

Frage: "Und bei Jacques Villeneuve hat das nicht geklappt?"
Dall'Ara: "Nein. Bei ihm gibt es ein paar fixe Settings, an denen man nicht rütteln darf, egal, ob man nun in Monaco oder Monza fährt. Das war absolut neu für mich, doch es scheint, dass es funktioniert: Wir werden von Rennen zu Rennen schneller. Am Anfang hatten wir etwas mehr zu kämpfen, dann wurde das Auto schneller, gleichzeitig verbesserte sich auch unsere Zusammenarbeit. Ich kannte Jacques ja nicht, bevor er zu uns kam, insofern ist es normal, dass wir eine gewisse Zeit brauchten, bis wir gut harmonierten."

Massa hat einen aggressiveren Fahrstil als Villeneuve

Frage: "Ist somit das Setup von Felipe Massas Auto anders als dasjenige von Jacques Villeneuve?"
Dall'Ara: "Ja, doch das ist bei allen Fahrern so. Der Unterschied ist aber vielleicht noch etwas größer in diesem Jahr. Felipe ist ein aggressiver Fahrer, auch er braucht ein spezielles Setup für seinen Fahrstil."

Frage: "Es gab eine große Diskussion über die Rolle der Elektronik in eurem Team. Jacques Villeneuve kritisierte zu Saisonbeginn, dass Sauber zu stark an die Elektronik glaube. Ist da etwas dran?"
Dall'Ara: "Das hängt etwas mit dem zusammen, was ich vorhin gesagt habe. Wir waren es gewohnt, dass ein neues Teil, das aufgrund der Simulation und aufgrund unserer Erfahrung gute Ergebnisse brachte, schließlich auch ans Auto kommt, sei es nun ein Flügel, also ein aerodynamisches Teil, oder ein elektronisches Element, zum Beispiel die Traktionskontrolle, die Motorbremse, oder die Differentialkontrolle. Wir versuchten immer, dass der Fahrer alle diese Tools benützt, die wir ihm gaben, um schließlich schneller zu fahren."

Frage: "Was du mit Jacques Villeneuve aber überdenken musstest?"
Dall'Ara: "Genau. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass dieses Konzept so lange gut funktioniert, wie sich der Fahrer wohl fühlt. Doch wenn das System für den Fahrer zu komplex oder unvorhersehbar wird, sodass er kein Vertrauen mehr ins Auto hat oder sogar Angst kriegt, dann muss man das Konzept überdenken. Genau das passierte ein wenig mit Jacques."

Sauber musste ein paar Schritte auf "JV" zugehen

Frage: "Hat das auch damit zu tun, dass Jacques Villeneuve wegen seines Unterbruchs ein Jahr in der Formel-1-Entwicklung verpasst hatte - vor allem, was die Elektronik anbelangt?"
Dall'Ara: "Ich weiß es nicht. Für uns war wichtig, wie wir unser bisheriges System den Bedürfnissen von Jacques anpassen konnten. Und ich muss zugeben: Jacques gab uns ein paar gute Tipps, wie wir es hinkriegen, dass sich das Auto sicherer und vorhersehbarer anfühlt. Wir passten das System so an, wie er es wollte und machten prompt einen Schritt nach vorne in Sachen Performance."

Frage: "Mit andern Worten: Das Team lernte auch von Jacques Villeneuve, und nicht nur umgekehrt..."
Dall'Ara: "Ja, und so muss es auch sein. Wenn man einen Fahrer hat wie Villeneuve, der seit zehn Jahren in der Formel 1 fährt, und man versuchst, ihm alles beizubringen, dann hat man seinen Job nicht begriffen. Auch als Renningenieur muss man immer bescheiden bleiben und versuchen, etwas zu lernen. Gewöhnlich bringt diese Einstellung gute Resultate."

Frage: "Du hast ja sowohl mit Felipe Massa als auch mit Jacques Villeneuve zusammengearbeitet. Wo liegen die größten Unterschiede im Fahrstil?"
Dall'Ara: "Felipe ist definitiv aggressiver als Jacques. Jacques ist ein sanfterer Fahrer. In Kurven - egal ob schnell oder langsam - bremst Felipe gewöhnlich noch in der Geraden und dreht erst, wenn er fertig gebremst hat. Danach drückt er wieder hart aufs Gaspedal, um aus der Kurve heraus zu beschleunigen. Jacques dagegen bremst sanfter und setzt schon zur Kurve an, während er noch am Bremsen ist. Damit nimmt er mehr Speed in die Kurve hinein und fährt auch etwas sanfter aus der Kurve heraus. Unter dem Strich können sie mit dieser völlig unterschiedlichen Fahrweise gleich schnell sein, wie wir sehen können."

"Im Qualifying ist Felipe vielleicht etwas im Vorteil"

Frage: "Wie wirken sich diese Fahrstile beim Qualifying und beim Rennen aus?"
Dall'Ara: "Im Qualifying ist Felipe vielleicht etwas im Vorteil mit seinem Stil, wenigstens war das am Anfang der Saison so. Er schafft es, die Reifen viel schneller aufzuheizen, und mit diesem Qualifyingsystem, wo man nur eine Runde hat, muss man die Reifen gleich von Anfang an auf die richtige Temperatur bringen. Doch wie sie gesehen haben, hat Jacques in Monaco und Montréal die besseren Zeiten geschafft als Felipe. Was aber nicht so wichtig ist, weil beide mittlerweile bei den Qualifyings sehr nahe beisammen liegen."

"So sehr Felipe im Qualifying einen kleinen Vorteil hat, so sehr hat er mit seinem Stil im Rennen einen - wenn auch geringen - Nachteil. Weil er härter mit dem Auto umgeht, werden auch die Reifen und die Bremsen mehr belastet."

Frage: "Somit war Felipe Massas Reifenproblem in Monaco auch eine Folge seines Fahrstils?"
Dall'Ara: "Ja, wenigstens zum Teil, doch es lag auch daran, dass er gleich von Anfang an gut wegkam und mit den Schnellen fuhr. Jacques wurde zurückgehalten, fuhr dadurch langsamer und konnte so die Reifen auch etwas besser schonen. Somit hatte er einen viel besseren zweiten Teil. Am Ende endete die Sache schlecht, leider."

"Dennoch bereue ich es nicht, dass wir Jacques so stark gepusht hatten, denn es lag einiges drin. Etwa bei Runde 50 fuhr Jacques rund fünf Sekunden schneller pro Runde als Alonso, der damals auf Rang drei lag. Für uns ging es nicht darum, Felipe zu überholen, sondern wir sahen die Möglichkeit, dass Jacques Vierter wird. Am Ende ging es schief - ein Fehler, der nicht hätte geschehen sollen. Wir waren sehr enttäuscht und brauchten viel Zeit, um uns zu erholen. Doch so ist nun mal der Rennsport."