• 11.03.2010 16:48

  • von Dieter Rencken

Buemi: "Vielleicht pokern wir manchmal"

Toro-Rosso-Pilot Sébastien Buemi über die Vorbereitungen auf die neue Saison, die Erwartungen beim Auftakt und Probleme beim Überholen

(Motorsport-Total.com) - Toro Rosso musste für 2010 erstmals ein komplett eigenes Auto auf die Räder stellen. Der Transfer der Baupläne vom "Mutterschiff" Red Bull ist ab sofort untersagt. Die Italiener brachten mit dem STR5 einen Wagen auf die Teststrecken, bei dem niemand merkte, dass er nicht mehr aus der Feder von Adrian Newey stammt. Das ist ein großes Kompliment für Technikchef Giorgio Ascanelli. Welche Ziele man mit dem Toro-Rosso-Ferrari anpeilt, erklärte Sébastien Buemi den Medien am Donnerstag in Bahrain.

Titel-Bild zur News: Sébastien Buemi

Kein Rookie mehr: Sébastien Buemi geht in seine zweite Formel-1-Saison

Frage: "Sébastien, geht du an diese Saison anders heran als im vergangenen Jahr?"
Sébastien Buemi: "Ich fühle mich viel besser, bin auch besser vorbereitet. Ob man dadurch auch gleichzeitig schneller wird, ist immer die große Frage. Ich habe zumindest das Gefühl, dass ich nun meine Möglichkeiten besser nutzen kann. Ich weiß, wie ein Rennwochenende abläuft, ich weiß außerdem, wie man mit den Reifen arbeiten sollte, wann man im Rennen Druck machen muss und so weiter. Ich bin älter und besser vorbereitet. Das ist der größte Unterschied zu 2009. Wenn wir damals ähnlich viele Erkenntnisse über das Auto gehabt hätten, dann wäre vielleicht einiges anders verlaufen."#w1#

Frage: "In diesem Jahr musste Toro Rosso den Wagen erstmals komplett selbst bauen. Bist du mit dem Auto zufrieden?"
Buemi: "Ja, da muss ich die gesamte Mannschaft für die tolle Arbeit loben. Unser Technikchef Giorgio Ascanelli musste eine Mannschaft aufbauen, musste eine andere Strategie wählen. In den vergangenen Jahren haben wir die Designpläne von Red Bull bekommen. Die Teile mussten gefertigt werden und kamen dann ans Auto. In diesem Jahr mussten wir alles selbst machen, das war ganz anders. Wir mussten zum Beispiel in den Windkanal und dort auch erst einmal lernen."

"Aber unser Auto ist gut, mindestens bis Barcelona sind wir erst einmal konkurrenzfähig. Jetzt müssen wir sehen, wie es mit der weiteren Entwicklung vorangeht. Ich kann derzeit noch nicht einschätzen, in welchem Tempo es weitergeht. Wir hatten das Glück, dass wir aus dem letzten Jahr eine gute Basis hatten, auf die wir nun aufbauen können. Aber man darf nicht vergessen, dass bei uns 30 Leute im Windkanal arbeiten, bei anderen Teams sind es aber 150 bis 200. Die können natürlich viel mehr machen, während wir uns auf die wichtigsten Dinge beschränken müssen."

Ein Fahrer muss sich anpassen

Frage: "Musst du für die neue Saison deinen Fahrstil an die neuen Voraussetzungen anpassen?"
Buemi: "Unser Auto ist länger geworden, wir haben neue Reifen. Das ist schon etwas anders und man muss sich anpassen. Letztlich ist das Geheimnis des schnellen Autofahrens aber immer gleich: spät bremsen, Speed mit durch die Kurve nehmen und früh wieder Vollgas geben. Ich hatte aber nicht erwartet, dass sich der leicht größere Radstand dermaßen auf das Fahrgefühl auswirken würde, vor allem mit den neuen Reifen."

"Anfangs lag mir das gar nicht, aber wir haben uns diesbezüglich in die richtige Richtung begeben. Das neue Auto wird niemals so agil sein können wie das letztjährige. Es ist eben träger durch das höhere Gewicht und die größere Länge. Immerhin ist das Gefühl in schnellen Ecken sehr gut, da liegt der Wagen stabil. Als Fahrer muss man sich ohnehin immer möglichst gut an die jeweiligen Situationen anpassen können. Das ist sehr wichtig."

Frage: "Wie werden die Rennen 2010 verlaufen? Viele sprechen davon, dass uns im letzten Renndrittel jeweils die große Langeweile drohen könnte..."
Buemi: "Mal abwarten. Früher waren es Sprints und du hast voll gepusht. Jetzt sind alle Fahrer die ganze Zeit mit ungefähr der gleichen Spritmenge unterwegs. Man weiß noch nicht, ob sich vielleicht doch mehr Überholmanöver entwickeln könnten. Ich persönlich glaube allerdings nicht daran. Wenn ich beim Test hinter einem Konkurrenten gefahren bin, habe ich sofort weniger Abtrieb gespürt. Vielleicht wird es in der ersten Rennphase mehr Überholmanöver geben, weil man die schweren Autos kaum auf der Straße halten kann. Aber schon nach wenigen Runden wird es so sein wie im Vorjahr."

Frage: "Könntet ihr als Mittelfeldteam manchmal auf gewagte Strategien setzen? Also zum Beispiel bei einer frühen Safety-Car-Phase zum Reifenwechsel und das Rennen dann mit einem Satz Pneus durchfahren?"
Buemi: "Ja, das ist möglich. Man muss umdenken, eher wieder die Reifenstrategie aus der GP2 verfolgen. Womöglich werden wir bei solchen Szenarien mehr Risiken eingehen als ein Team, das gerade um den Titel kämpft. Das hängt natürlich auch immer von der jeweiligen Situation ab. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass wir manchmal Pokern und schauen, was dann dabei herauskommt."


Fotos: Großer Preis von Bahrain


Frage: "Ein Teil deiner Familie kommt aus aus der Gegend um Manama. Empfindest du Bahrain als Heimrennen?"
Buemi: "Erst einmal ist es schön, dass einige Leute meiner Familie hier treffen kann. Ich sehe sie nicht sehr oft. Ich bin immer gern hier. Das Wetter ist viel besser als in der Schweiz. Auch zum ersten Rennen zu kommen und keinen Jetlag zu haben, ist nicht schlecht. Von mir aus könnte man den Auftakt jedes Jahr hier abhalten."

Der Umzug nach Monaco

Frage: "Wie denkst du über die neue Streckenpassage?"
Buemi: "Es ist anders, es ist ziemlich langsam. Ich bin den Abschnitt oft im Simulator gefahren. Die Überholchancen sind dort extrem gering. Trotzdem finde ich es nicht schlecht, wenn man mal andere Varianten ausprobiert. Wir müssen mal schauen, wie sich unser Auto dort verhält. Mein Gefühl ist nicht schlecht. Morgen fahren wir dort und dann wissen wir, wie es ist."

Frage: "Wie lange bleibst du insgesamt in Bahrain?"
Buemi: "Ich bin erst am Dienstagnachmittag gekommen, weil ich vorher keine Zeit hatte. Aber ich bleibe bis zum kommenden Dienstag, also insgesamt eine Woche. Ich war am Mittwoch zu einer Autogrammstunde in der Uni. Leider ist beim Rennen nie viel los, die Menschen in Bahrain interessieren sich nicht so sehr für die Formel 1. Ich habe jetzt auch keine Wohnung mehr hier, sondern lebe jetzt in Monaco. Hier in Bahrain wohne ich jetzt bei meinem Onkel."

Frage: "Was nimmst du dir auf Grundlage der bisherigen Erkenntnisse für dieses erste Rennen und für die Saison vor?"
Buemi: "Das ist schwierig zu sagen, wenn man noch nicht einmal das erste Training hinter sich hat. Ziel ist es, in die Punkte zu fahren. Ob ich Achter, Neunter oder Zehnter werden kann, ist schwierig zu sagen. Wir sind nicht vorne, nicht hinten, sondern in der Mitte. Aber gerade dort können drei Zehntelsekunden einen unglaublich großen Unterschied ausmachen. Du kannst fünftschnellstes Team sein, oder nur auf Platz acht. Man muss pushen, gut arbeiten, alles analysieren und nicht zu sehr auf die anderen Teams schauen. Wir können nur unsere eigene Leistung beeinflussen, alles andere haben wir nicht in der Hand."

Frage: "Mit wem werdet ihr euch auseinandersetzen müssen?"
Buemi: "Wir haben eine grobe Ahnung, wie es aussehen könnte. Wahrscheinlich gibt es derzeit drei Gruppen in der Formel 1. An der Spitze werden die großen Vier sein, dahinter das Mittelfeld mit Renault, Williams, Force India, Sauber und uns. Ganz hinten dürften die neuen Teams unter sich sein. Wir müssen morgen mal schauen, wer welche Updates ans Auto bringt."

Sébastien Buemi

Dem Toro Rosso STR5 sieht man seine Red-Bull-Herkunft deutlich an Zoom

Frage: "Wird dir das Nachtankverbot bezüglich deines Fahrstils entgegenkommen, oder hast du die 'Sprints' der Vergangenheit bevorzugt?"
Buemi: "Ich glaube, das kommt mir entgegen, denn ich arbeite sehr ruhig am Lenkrad. Wenn man im vergangenen Jahr meinen Reifenverschleiß mit Bourdais oder Alguersuari verglichen hat, dann war bei mir immer weniger Abrieb zu sehen. Wie es mit anderen Piloten im Fahrerlager aussieht, das weiß ich nicht. Aber der Vergleich zu den Teamkollegen ist da. Bridgestone gibt dir nachher immer die Zahl der Runden, die du mit dem Reifen noch hättest fahren können."

Buemi hat einen weichen Fahrstil

"Diese Zahl lag bei mir immer höher als bei den anderen. Das ist ganz nett, aber im Qualifying darfst du nicht so denken. Da musst du dann sehr aggressiv zu Werke gehen, um das Maximum aus dem Reifen herauszuholen. Im Rennen musst du natürlich aufpassen, wie der Abrieb ist. Wenn der Verschleiß gering ist, dann kann man vielleicht sogar sofort zu Rennbeginn kräftig Druck machen. Das wissen wir aber noch nicht genau.

Frage: "Du siehst dich selbst auf den Plätzen acht bis zehn. Ist es denkbar, dass man sich im Qualifying absichtlich auf Platz elf einschießt, um neue Reifen für den Rennstart benutzen zu können?"
Buemi: "Ja, das ist vorstellbar. Man weiß noch nicht genau, welche Variante am besten ist. Meine Ansicht ist natürlich, dass man sich möglichst weit vorne qualifizieren sollte. Platz zehn ist natürlich etwas blöd. Du bist zwar in Q3, aber doch ganz hinten. Dann darfst du deine Reifen nicht wechseln."

Frage: "Wie groß ist denn der Vorteil eines neuen Reifens?"
Buemi: "Das kann man jetzt noch nicht sagen. Es hängt vom Verschleiß auf der jeweiligen Strecke ab. Es gibt Reifen, die halten und halten, es macht kaum einen Unterschied. Andere Reifen werden schon nach zwei Runden um 1,5 Sekunden langsamer."

¿pbvin|512|2515||0|1pb¿Frage: "Im vergangenen Jahr hatte ihr mit der Reifennutzung Probleme. Wird das dieses Jahr auch so sein?"
Buemi: "Wir wissen es überhaupt noch nicht. Wir müssen doch erst einmal schauen, wie sich die Reifen bei 30 Grad und mehr verhalten. Bei den Wintertests war es sehr kühl. Wir müssen es einfach mal abwarten. Es kann sein, dass wir auf einigen Strecken Probleme mit dem Reifenverschleiß bekommen. Aber das hängt natürlich auch davon ab, wie sich unser Auto in Zukunft entwickelt."

Frage: "Obwohl du erst 17 Formel-1-Rennen auf dem Buckel hast, bist du doch der Erfahrene im Team. Bist du der Teamleader?"
Buemi: "Nein. Ich will natürlich der schnellste Fahrer im Team sein, aber ich bin kein Leader. Ich habe die gleichen Möglichkeiten wie mein Teamkollege. Wenn es etwas Neues gibt, dann wird es abwechselnd zuerst an seinem oder meinem Auto ausprobiert. Es gibt bei uns keinen Teamleader. Wichtig ist einfach nur, dass man vorne ist."