• 16.05.2008 23:41

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Brief an die Mitglieder: Mosleys Verschwörungstheorie

Max Mosley führt in einem Schreiben einen Machtkampf um die Kontrolle in der Formel 1 als Grund an, warum er nicht abgewählt werden sollte

(Motorsport-Total.com) - Max Mosley schlägt zurück: Genau 18 Tage vor der außerordentlichen Generalversammlung der FIA-Mitgliedsklubs in Paris, die in einer Abstimmung über seine Zukunft als Präsident des Automobilweltverbandes entscheiden werden, wandte er sich heute schriftlich an alle Nationalpräsidenten. Eine Kopie des Briefes liegt 'Motorsport-Total.com' vor.

Titel-Bild zur News: Schreiben von Max Mosley

Das Schreiben von Max Mosley an die Nationalpräsidenten der FIA-Mitglieder

Das Schreiben kommt zu einem strategisch klugen Zeitpunkt, nämlich eine Woche vor seinem ersten Besuch im Rahmen der Formel 1 in Monaco seit Bekanntwerden der Mosley-Affäre und spät am Freitagabend, sodass seine Story erst in den auflagenstarken Sonntagszeitungen aufgegriffen werden wird und nicht schon in den Samstagsausgaben.#w1#

Angeblich Unterstützung für Mosley

Mosley versucht von Anfang an, eine Art Verschwörungstheorie und eine Medienkampagne gegen seine Person zu unterstellen: "Es tut mir sehr leid, dass die Veröffentlichung von Details aus meinem Privatleben, welche immer privat bleiben hätten sollen, so viele Probleme und Peinlichkeiten verursacht hat. Trotz einer Pressekampagne gegen mich habe ich nur ein Interview selbst gegeben. Das war vor vier Wochen im britischen 'Sunday Telegraph'."

Er bietet den Mitgliedsklubs - insgesamt sind es 222 Delegierte, die mitentscheiden dürfen - sogar dezidiert eine übersetzte Version seines Interviews im 'Sunday Telegraph' an und verweist darauf, dass er seit Bekanntwerden der Affäre von insgesamt 85 Automobilclubs formell angeschrieben wurde. 62 davon sollen voll hinter ihm stehen, nur 13 hätten ihm den Rücktritt nahe gelegt. Den Inhalt der übrigen zehn Briefe lässt er unerwähnt.

Seine Schlussfolgerung aus dieser Unterstützung: "Angesichts dieser Mehrheit wäre es die falsche Entscheidung gewesen, die geäußerten Ansichten zu ignorieren und ohne weitere Diskussion zurückzutreten. Zumindest wollte ich den FIA-Mitgliedern die Gelegenheit geben, ihre Meinung zu äußern. Darum habe ich den Senat gebeten, eine außerordentliche Generalversammlung einzuberufen." Diese wird wie erwähnt am 3. Juni in Paris abgehalten.

Anschließend geht er auf derzeit stattfindende Verhandlungen zwischen der FIA und den Haltern der kommerziellen Rechte der Formel 1 (im Folgenden KRH), also der Investmentgesellschaft CVC und Bernie Ecclestone, ein. Offenbar findet hinter den Kulissen nämlich gerade ein Machtkampf um die Kontrolle über die Königsklasse des Motorsports statt. In so einer Situation sei es "verantwortungslos", als FIA-Präsident einfach abzutreten.

Neue Wahl würde zwei bis vier Monate dauern

Auch dafür lieferte Mosley - als gelernter Jurist wie immer sehr wortgewandt und überzeugend - eine Erklärung: "Während der zwei- bis viermonatigen Wahlperiode (eines neuen Präsidenten; Anm. d. Red.) würden die komplexen Verhandlungen verlangsamt oder sogar eingestellt. Ein neuer Präsident ohne Hintergrundwissen würde das Amt übernehmen - oder, noch schlimmer, jemand, der gerade von den Leuten unterstützt wurde, mit denen wir verhandeln."

Worum geht es? CVC fordert ein größeres Mitspracherecht in Regelfragen und vor allem die Abschaffung des Vetorechtes der FIA für den Weiterverkauf der Rechte an der Königsklasse. Nach einem Bericht der Internetseite des Fachmagazins 'auto motor und sport' will CVC möglicherweise seine Anteile weiterverkaufen und deshalb das Vetorecht der FIA, für das der Weltverband keine Gründe angeben muss, streichen lassen.

Andererseits will CVC mehr Einfluss auf das von der FIA erstellte sportliche Reglement gewinnen. Kritiker und CVC werfen dem Verband vor, mit ständigen Regeländerungen die Kosten hochzutreiben und verweisen auf den Ausstieg des Super-Aguri-Teams. Sowohl die Teams als auch CVC fordern jetzt angeblich zumindest ein Vetorecht, was die FIA nach Informationen des Magazins allerdings verhindern will.

CVC-Chef Donald Mackenzie soll unzufrieden sein mit den jüngsten Entwicklungen in der Königsklasse. Nicht nur der Sexskandal um Mosley habe der Formel 1 geschadet; noch immer gibt es kein neues Concorde-Agreement zwischen der FIA, dem Rechteinhaber, den Teams und den Automobilherstellern. Das alte Concorde-Agreement lief im vergangenen Jahr aus. Seitdem herrscht ein weitgehend rechtsfreier Raum.

Hintergrund zum CVC/FIA-Machtkampf

Geregelt ist nur die Auszahlung der Einnahmen von CVC an die Teams. Sie sind seit April 2008 doppelt so hoch wie in der Vergangenheit. Die zehn Rennställe partizipieren je nach Zugehörigkeitsdauer und Erfolg nach einem komplizierten Auszahlungsmodus an rund 50 Prozent sämtlicher Einkünfte aus Startgeldern, TV-Gebühren, Streckenwerbung und dem Paddock-Club. Die FIA tritt in diesem Machtkampf oft als Gegner von CVC auf.

Vereinfacht gesagt gibt es eine Aufgabenteilung in der Formel 1: CVC/Ecclestone kontrollieren alles, was mit den kommerziellen Rechten und Einnahmen zu tun hat, die FIA hat auf sportlicher Ebene das Sagen. Diese Vereinbarung geht zurück auf ein Abkommen aus dem Jahr 2001, mit dem die FIA zugestimmt hat, die kommerziellen Rechte bis 2101 an den KRH, also heute an CVC/Ecclestone, abzutreten. Die FIA hat im Gegenzug ein Vetorecht gegen jeden Verkauf zugestanden bekommen.

Bei den aktuellen Verhandlungen ging es zunächst um marginale Anpassungen, um Steuervorteile für CVC zu erreichen. "Diesen können wir vielleicht zustimmen", so Mosley in seinem Schreiben. "Aber der KRH bittet uns auch um die Kontrolle über die Formel-1-Regeln und das Recht, das Business an jeden zu verkaufen - unterm Strich wollen sie die Formel 1 komplett übernehmen. Ich glaube nicht, dass die FIA dem zustimmen sollte."

"Das zu tun, würde Kernelemente der Herrschaft der FIA untergraben, zum Beispiel unsere Fähigkeit, die traditionellen Grands Prix zu schützen. Wir würden auch finanziell schlechter dastehen, aber vor allem - was noch wichtiger ist - die Lebensfähigkeit der FIA als regelgebende Autorität im internationalen Motorsport aufs Spiel setzen und eine wertvolle Kommunikationsplattform für die breiteren Interessen der Organisation verlieren", analysiert der FIA-Präsident.

Die Rolle des Concorde-Agreements

Seiner Meinung nach geht es um einen Machtkampf zwischen CVC und der FIA um die komplette Kontrolle: "Der KRH sieht ein Concorde-Agreement als eine andere Weise, Kontrolle über den Sport auszuüben. Ich glaube, wir sollten dem nicht zustimmen. Der Sport und die kommerziellen Interessen sollten getrennt gehalten werden. Den Teams und dem KRH sollte in allen Stadien zugehört werden, aber es muss die FIA sein, die die Entscheidung über Regeln trifft."

Auch die Verhandlungen hinsichtlich eines neuen Concorde-Agreements sieht er als entscheidenden Punkt: "Meiner Meinung nach sollten wir ein neues Concorde-Agreement nur dann unterschreiben, wenn es die Autorität der FIA bestätigt und angemessen mit der großen finanziellen Krise umgeht, die der Formel 1 wahrscheinlich bevorsteht. ... Nur mit fairen und realistischen Arrangements können wir vermeiden, weitere Teams zu verlieren."

Mosley verweist außerdem auf die derzeitigen Geschehnisse hinter den Kulissen der Rallye-WM, deren Struktur derzeit ebenfalls in Frage gestellt wird. Genau wie dort sei es auch in der Formel 1 das Ziel der Verschwörer, die FIA auszuhebeln und zu entmachten: "Wir reden von einem Sport, in dem es um Milliardenbeträge geht, und um Interessen, die nichts lieber hätten, als die FIA komplett aus der Weltmeisterschaft zu entfernen."

Appell an die Generalversammlung

"Ich bin entschlossen, für die Rechte und die Rolle der FIA in der Formel 1 zu kämpfen, und das ist möglicherweise der Grund dafür, dass die Medien von denjenigen ermutigt wurden, die ein Interesse daran haben, meine Präsidentschaft zu untergraben. Ich glaube daher, dass wie auch immer die Entscheidung der Generalversammlung ausfallen wird, diese nicht diejenigen belohnen sollte, die die FIA in so einer entscheidenden Phase ihrer Geschichte destabilisieren wollen."

Das ist explosiver Stoff, denn der Brite suggeriert damit indirekt, dass es eine Verschwörung gegen seine Präsidentschaft gibt, um die FIA ausgerechnet während der Verhandlungen mit CVC/Ecclestone zu destabilisieren. Interessant in diesem Zusammenhang: Ecclestone wollte am Rande des Spanien-Grand-Prix beim Treffen der Teamchefs eben diese dazu bewegen, ein Dossier zu unterschreiben, in dem quasi offiziell Mosleys Rücktritt gefordert hätte werden wollen.

Ecclestone steht in der Mosley-Frage zwischen den Stühlen: Einerseits vertritt er die Interessen von CVC, andererseits ist Mosley ein langjähriger Weggefährte - der Spruch "Wir sind die Mafia" kommt vom Formel-1-Zampano selbst und beschreibt das Duo sehr treffend. Gerüchten zufolge soll er das Dossier nur von den Teamchefs gefordert haben, um quasi gegenüber CVC aus dem Schneider zu sein - weil er offenbar ohnehin wusste, dass es keine Zustimmung finden würde.

Zurück zum Mosley-Schreiben: In einer langen Passage auf Seite drei erörtert der FIA-Präsident, dass es derzeit Bestrebungen seitens der großen Automobilklubs gibt, sich von der FIA abzuspalten beziehungsweise eine Gegenbewegung mehrerer Nationalverbände zu Gründen. Ausdrücklich erwähnt er in diesem Zusammenhang den amerikanischen Klub AAA, den größten innerhalb des Automobilweltverbandes.

Was Mosley gegen die AAA hat

Dass Mosley die AAA als abtrünnig darstellt, ist wohl kein Zufall, denn nach den Statements zur Affäre von vier Automobilherstellern (BMW, Daimler, Honda und Toyota) war die AAA einer der ersten Klubs, der öffentlich Mosleys Rücktritt forderte. Der Brite unterstellt den großen Nationalklubs geringes Interesse am Motorsport und fordert eine Grundsatzdiskussion über deren Mitwirken innerhalb der FIA.

Abschließend liefert der 68-Jährige den Nationalpräsidenten noch ein besonderes Bonbon, indem er festhält: "Es war immer meine Absicht, 2009 aufzuhören." 2009 findet nämlich die reguläre Neuwahl des FIA-Präsidenten statt, zu der er ursprünglich tatsächlich nicht mehr antreten wollte. Allerdings hatte Mosley vor Bekanntwerden der Affäre auch öffentlich überlegt, ob er sich nicht doch für eine weitere Amtsperiode aufstellen lassen sollte.

Sprich: Wer sich am 3. Juni für Mosley entscheidet, muss mit dieser Entscheidung nur etwas mehr als ein Jahr lang leben. Demgegenüber stehen die repräsentativen Pflichten des FIA-Präsidenten, denn zu den Formel-1-Rennen in Bahrain und Monaco wurde Mosley von den jeweiligen Adelsfamilien entgegen der gängigen Traditionen nicht mehr eingeladen und auch sein Besuch bei der Rallye-WM-Premiere in Jordanien war ein Fiasko.

Also bietet er einen Kompromiss an: "Wenn die Generalversammlung zustimmt, werde ich bis Oktober 2009 weitermachen und nahezu alle öffentlichen Repräsentationsauftritte den beiden Stellvertretenden Präsidenten überlassen." Offiziell, um sich anderen Dingen widmen zu können, inoffiziell, um der FIA weitere Peinlichkeiten zu ersparen. Seine beiden Stellvertreter sind übrigens Marco Piccinini und Franco Lucchesi aus Italien.