• 10.01.2003 14:21

  • von Fabian Hust

Briatore: "Die Vereinbarung bringt uns viele Vorteile"

Renault-Teamchef Briatore erklärt ausführlich, warum sich Renault entschieden hat, den "Freitagstestfahrten beizutreten"

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Können sie genau erklären, was die Unterschiede zwischen der 'Suzuka-Vereinbarung' und der 'Heathrow-Vereinbarung' sind?"
Flavio Briatore: "Die 'Suzuka-Vereinbarung' galt während der Saison 2002 und limitierte die Tests in bestimmten Zeiten des Jahres. Im Besonderen untersagt sie Testfahrten im August und für sechs Wochen nach dem letzten Rennen. Es gibt auch ein zweiwöchiges Testverbot um Weihnachten herum. Des Weiteren werden Tests auf Strecken limitiert, die eine FIA-Zertifikation haben. Nur auf drei Strecken, auf denen auch Rennen ausgetragen werden, darf getestet werden (Silverstone, Barcelona und Monza). Andere Strecken (wie Paul Ricard) besitzen Zertifikationen aber veranstalten keine Rennen. Die Teams können hier bis auf die Einschränkungen testen so viel sie wollen."

Titel-Bild zur News: Flavio Briatore

Briatore glaubt, dass er und sein Team die richtige Entscheidung getroffen haben

"Die 'Heathrow-Vereinbarung' erlaubt es den Teams, die daran teilnehmen, am Freitag eines Grand-Prix-Wochenendes zwei zusätzliche Stunden zu testen. Diese werden zwischen 08:45 Uhr und 10:45 Uhr stattfinden und ist eine komplett freie Session, in der sich die Teams nur an die Sicherheitsbestimmungen zu halten haben. Teams, die nicht an der 'Heathrow-Vereinbarung' teilnehmen, können natürlich am Freitag testen."

"Es sollte vielleicht betont werden, dass die Vereinbarungen nicht der Zuständigkeit der FIA unterliegen sondern private Vereinbarungen sind, die die Teams selbst unter sich getroffen haben."

"Die Vereinbarung bringt uns viele Vorteile"

Frage: "Aus welchem Grund trifft ein großes Team wie Renault diese Entscheidung?"
Briatore: "Auch wenn die Presse die Meinung geformt zu haben scheint, dass die 'Heathrow-Vereinbarung' etwas für die kleineren Teams ist, so sind wir bei Renault sehr aufgeschlossen gegenüber den Möglichkeiten, die uns geboten werden. Unsere Analyse hat gezeigt, dass es viele Vorteile bei dieser Vereinbarung für uns gibt. Wir sehen es als eine kreative Lösung an."

Frage: "Können sie umreißen, welche Vorteile dies haben könnte?"
Briatore: "Es gibt viele Vorteile, der Hauptvorteil ist jedoch jener, dass wenn man zwei Stunden am Freitag testen kann, man den Fahrern und Ingenieuren mehr Zeit gibt, sich an die Strecke anzupassen, auf der man fährt. Dies hat besondere Vorteile, wie man sich vorstellen kann, auf den Strecken, auf denen wir nicht testen können. Es sollte auch eine besondere Hilfe für Fernando sein, der nur über eine eingeschränkte Erfahrung verfügt. Umgekehrt haben die Teams, die nach der 'Suzuka-Vereinbarung' arbeiten, nur eine Stunde, um ihr Auto für die erste Qualifying-Stunde abzustimmen."

"Man kann nicht alles haben!"

Frage: "Es muss aber sich auch ein paar Nachteile geben, oder?"
Briatore: "Ja, natürlich. Man kann nicht alles haben! Der Nachteil kann sein, dass die komplette Anzahl an Testkilometern limitiert ist und einige der langfristigen Projekte schwieriger sind, auch wenn sie nicht komplett unmöglich zu organisieren sind."

Frage: "Stimmt es, dass diese Limitierung die Entwicklung der Reifen für ihr Auto nachteilig beeinflusst?"
Briatore: "Nein, das glauben wir nicht. Tatsache ist, dass es vielleicht sogar genau anders herum kommen könnte. Wir können nun Reifen auf Strecken testen, auf denen wir dies zuvor nicht tun konnten. Dies gibt uns kurzfristige Vorteile für das Rennen und langfristige Vorteile, da wir die Informationen für die kommenden Jahre anwenden können."

Entwicklung wird nicht beeinflusst

Frage: "Glauben sie nicht, dass die Reduzierung der Testkilometer dazu führen wird, dass die Konkurrenzfähigkeit des Autos darunter leidet?"
Briatore: "Nein. In diesen Tagen kommen die meisten Verbesserungen des Autos durch Tests im Windkanal zustande, bei der Motorentwicklung auf dem Prüfstand und Simulationen kombiniert mit Prüfständen für das Chassis. Diese Entwicklungen werden in keiner Weise beeinflusst. Sie können sogar durch die Reduktion der Tests auf der Strecke ausgebaut werden."

Frage: "In wiefern werden diese ausgebaut?"
Briatore: "Nun, betrachten wir einmal die Entwicklung des Motors. In diesen Tagen ist es schwierig, die notwendigen Motoren für das Renn- und Testteam aufzubringen. Ihre Anfragen können nicht verspätet bearbeitet werden und dann ist es als erstes die Entwicklung auf dem Prüfstand, die darunter leidet. Wir gehen davon aus, dass wir durch den neuen Modus zwischen 30 und 40 Motoren einsparen, die wir ansonsten zum Testen hätten verwenden müssen."

Zuverlässigkeit ist ein großes Problem

Frage: "Und wie gehen sie ein hartnäckiges Zuverlässigkeitsproblem an?"
Briatore: "Die Zuverlässigkeit ist ein schwieriges Thema und eine Lösung für ein Problem hat sich erst dann als gut erwiesen, wenn sie viele Kilometer hinter sich gebracht hat. Was ich sagen kann ist, dass wir die Fähigkeit haben, eine volle Renndistanz auf dem Prüfstand mit dem Motor und dem Getriebe zu absolvieren, was bedeutet, dass die Notwendigkeit, Kilometer auf der Strecke zu absolvieren, reduziert ist. Unser neuer Prüfstand, Nummer 9, ist extrem ausgeklügelt und simuliert alle angetrieben Teile. Er kann mit den aufgenommenen Daten von jeder Rennstrecke der Welt gefüttert werden und reproduziert sehr genau die Belastungen, die während dem Rennen auf den Motor und die Aufhängungen wirken."

Frage: "Aber was ist mit der Zuverlässigkeit des Chassis?"
Briatore: "Das kann schwieriger werden, besonders was Vibrationsprobleme angeht, aber man darf nicht vergessen, dass wir immer noch an zehn Tagen während der Saison testen und zusätzlich vor dem Beginn der Saison Tests durchführen. Der andere Pluspunkt ist jener, dass wir den R23 sehr früh im Jahr fertig hatten und so bereits eine Menge Getriebe- und Systemtests durchführen konnten."

"Die Anforderungen an einen Testfahrer haben sich verändert"

Frage: "Sie haben mit Allan McNish und Franck Montagny zwei Testfahrer bekannt gegeben. Wie werden ihre Rollen der Entscheidung zugeordnet?"
Briatore: "Die Anforderungen an einen Testfahrer haben sich dadurch verändert. Es wird notwendig sein, einen Fahrer mit großer Erfahrung zu haben, damit dieser am Freitag fahren kann. Es wird seine Aufgabe sein, an der Seite der Rennfahrer zu arbeiten, um jede Aufgabe zu erfüllen, die ihm ein Ingenieur stellt. Allan McNish hat in der Vergangenheit sehr professionell gearbeitet und seine Erfahrung und technische Fähigkeiten werden die Arbeit unserer Fahrer unterstützen. An den verbleibenden zehn Testtagen sollte man jedoch einem jungen Fahrer eine Chance geben. Nachdem wir nach Weihnachten ein paar Fahrer ausprobiert haben, von denen alle gute Arbeit verrichtet haben, haben wir uns entschieden, dass Frack Montagny die beste Wahl ist und unsere Rennfahrer ein wenig entlasten kann."

Gespartes Geld wird reinvestiert

Frage: "Die Entscheidung muss ja auch finanzielle Folgen haben, oder?"
Briatore: "Ja, natürlich. Kurzfristig gesehen werden die Kosten des operativen Teams höher und die des Testteams niedriger. Alles in allem kann man unter dem Strich beim operativen Budget des Teams sparen, auch wenn ich nicht sagen werde, wie viel dies ausmacht. Unser Ziel ist es, das eingesparte Geld, in die Entwicklung des Autos zu reinvestieren, damit es konkurrenzfähiger wird."

Frage: "Wie wird sich die Entscheidung auf ihre Mannschaft, vor allem auf das Testteam auswirken?"
Briatore: "Es wird mit Sicherheit keine Entlassungen geben. Tatsache ist, dass die Arbeitsbelastung des Testteams extrem hoch ist, da ein Teil von ihnen bei den Rennen das dritte Auto betreuen wird und in der Saison zehn weitere Testtage erlaubt sind, an denen wir mit drei Autos fahren wollen. Wir haben in unserem Testteam ein paar gute Leute und wir wissen ihren Beitrag sehr zu schätzen. Wir wollen sie für die Zukunft alle behalten."

Was 2004 kommt steht noch nicht fest

Frage: "Heißt das, dass sie den neuen Modus nur für ein Jahr anwenden möchten?"
Briatore: "Wie ich schon zuvor gesagt habe, sind wir ein sehr aufgeschlossenes Team. Wir werden alle unsere Möglichkeiten weiterhin genau betrachten. Wir glauben, dass dies für 2003 die für uns beste Möglichkeit ist, aber wer weiß, wie sich die Dinge bis zu dem Zeitpunkt verändert haben, an dem wir die Entscheidung für 2004 treffen müssen?"

Frage: "Glauben sie, dass der neue Testmodus die Norm wird und ihn 2004 jedes Team anwendet?"
Briatore: "Das ist schwer zu sagen. Wir haben im letzten Jahr in der Formel 1 große Veränderungen gesehen. Wer weiß, was die nächste Saison bringt? Es gibt den Trend, die Kosten in der Formel 1 zu reduzieren, um den kleinen Teams das Überleben zu ermöglichen und ihre relative Position zu stärken. Vielleicht ist dies eine Idee, die wir betrachten sollten."