• 27.09.2009 11:27

  • von Fabian Hust & Dieter Rencken

Brawn: "Wir müssen tief durchatmen"

Der Brawn-Teamchef über die zurückgekehrten Probleme, die Schwächephase von Jenson Button und die teaminterne Situation im Titelkampf

(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 ist dieser Tage wieder einmal verrückt. Red Bull Racing malte sich im Vorfeld des Großen Preis von Singapur nur wenige Chancen aus, schließlich war Gegner Brawn auf den bisherigen Stadtkursen überlegen. Doch dann kam wieder alles anders, vor allem Jenson Button schwächelte und Sebastian Vettel fuhr in die erste Startreihe.

Titel-Bild zur News: Rubens Barrichello, Ross Brawn (Teamchef)

Ross Brawn trifft in dieser Saison immer wieder auf Probleme

"Die Formel 1 ist ein sehr hartes Geschäft", meint Brawn-Teamchef Ross Brawn. "Ich denke, dass wir erneut gegen die Mauer geprallt sind, gegen die wir schon in Ungarn geprallt sind, als wir in das Qualifying gingen und begannen, mit wenig Benzin zu fahren. Als wir dann im dritten Qualifying-Durchgang wieder mit viel Benzin fuhren, war das Auto immer noch nicht bei der Musik. Das war nicht das, was wir erwartet hatten."#w1#

"Das war frustrierend, denn das Auto sah wirklich gut aus. Wir fuhren am Freitag und am Samstagmorgen mit einer ordentlichen Menge Benzin an Bord. Und als es darum ging, im Qualifying einen Schritt nach vorn zu machen, konnten wir die Leistung nicht finden. Es ist also ziemlich enttäuschend. Das einzige, auf das wir hoffen können, ist, dass es ein ziemlich ereignisreiches Rennen gibt. Wir müssen also tief durchatmen, uns sortieren und schauen, ob wir etwas retten können."

"Wir dachten, dass wir dieses Wochenende ein starkes Auto haben, und das haben wir womöglich immer noch, aber wir haben vielleicht die Leistung unserer Gegner unterschätzt und unsere eigene überschätzt." Brawn spricht aus diesem Grund schon von Schadensbegrenzung: "Das ist eine wahnsinnige Saison, denn es ist im Vergleich zu Monza eine 180-Grad-Kehrtwende. Wir müssen so viele Punkte wie möglich sammeln und hoffen, dass das Red Bull nicht schafft."

Derzeit ist der britische Rennstall noch auf Ursachenforschung: "Die Fahrer haben sich generell über mangelnde Haftung beschwert. Das Auto ist auf den Reifen nicht sehr stabil. Es ist ähnlich jener Erfahrung, die wir in Ungarn gemacht haben. Wenn wir diesen kritischen Punkt treffen, dann können wir die Dinge nicht ordentlich zum Arbeiten bekommen. Das ist also eine ähnliche Erfahrung, wie wir sie in Ungarn gemacht hatten."

Die Reifen sind beim Team dieses Jahr ein zentrales Thema: "Wir hatten ein paar Rennen, bei denen wir mit der Reifen-Temperatur zu kämpfen hatten. Normalerweise ist das Auto zu den Reifen sehr gut, was eine sehr positive Sache ist, aber bei einigen Rennen, wie in Silverstone oder auf dem Nürburgring, bekamen wir die Temperatur nicht in die Reifen. Ich denke, dass wir darauf zu sehr reagiert haben."

"Wir haben zu viel probiert, um eine Lösung für dieses Problem zu finden und haben uns selbst verwirrt. Wir haben aus diesem Grund einen Schritt zurück gemacht, kehrten zu fundamentalen Prinzipien zurück und akzeptierten, dass es Rennen gibt, bei denen wir vielleicht nicht in der Lage sind zu gewinnen aber wir dennoch viele Punkte holen können. Wir haben unsere Herangehensweise einfacher gestaltet."

"Das Team hat bei der Entwicklung des Autos sehr gute Arbeit geleistet, aber wegen der Konfusion, die wir zur Saisonmitte hatten, verloren wir die Vorteile der Verbesserungen, die wir vorgenommen haben. Aber nun werden diese Vorteile offensichtlich. Meiner Meinung nach haben wir zur Saisonmitte etwas gestottert, aber wir haben verstanden warum, und wir sind nun wieder in der Spur."

Vor der Qualifikation musste man bei Rubens Barrichello das aus Belgien vorgeschädigte Getriebe wechseln: "Wir haben auf dem Prüfstand gearbeitet, und auf diesem überlebte es gerade einmal drei Rennen. Aber es schien es nicht wert zu sein, dieses Risiko einzugehen. Glücklicherweise sieht es danach aus, als würden wir keinen weiteren Getriebewechsel benötigen", so Brawn auf Barrichello Unfall im Qualifying angesprochen.

"Er hat die Mauer ziemlich hart getroffen. Ich machte mir aus diesem Grund Sorgen, dass wir das Getriebe erneut wechseln müssen. Die linke Seite ist beschädigt, diese muss also ersetzt werden. Und wir müssen das Chassis und das Getriebe überprüfen. Es werden ein paar neue Bodywork-Teile benötigt."

Seit einigen Wochen ist es auffällig, dass Jenson Button nicht mit der Geschwindigkeit seines Teamkollegen Rubens Barrichello mithalten kann. Nach Ansicht seines Landsmannes liegt das daran, dass Button das Vertrauen in das Auto fehlt: "Wenn das Auto unruhig ist und sich nicht gut anfühlt, dann ist es schwierig, denn hier benötigt man viel Vertrauen."

Schon seit Silverstone scheint Barrichello stärker als Button zu sein, seitdem fährt der Brasilianer mit einem neuen Bremsen-Material: "Jenes Material, das er zu Beginn der Saison einsetzte, verfügte über mehr Potenzial, aber es war schwieriger zu verwenden. Nun spricht man mit Rubens nicht mehr über die Bremsen, wohingegen dies vergangenes Jahr eine andauernde Diskussion war."

"Das hat womöglich also geholfen. Aber ich denke, dass sie sehr eng beieinander liegen. Es war unnatürlich, dass Jenson alle Rennen gewann und Rubens nicht, denn sie liegen ziemlich nahe beieinander. Schlussendlich wird es gegen Ende der Saison wohl ziemlich ausgeglichen sein."

Wenn man zwei so ähnliche Fahrer habe, lasse es sich nicht vermeiden, dass in einer so komplexen Sportart mal der eine, mal der andere Fahrer vorne liegt: "Rubens hat Lösungen schneller gefunden als Jenson, und nun behält Rubens ein wenig die Oberhand. Aber es ist ein sehr enger Wettkampf, und dieses Rennen kann auch schnell andersherum ausgehen. Ich bin sehr erleichtert, zwei Fahrer zu haben, die beide um die Meisterschaft kämpfen."

Umso schwieriger wird es, den Kampf um den WM-Titel zu steuern, schließlich holt Barrichello derzeit seinem Teamkollegen regelmäßig Punkte weg. Dennoch wird keiner der Piloten benachteiligt: "Ich kann versichern, dass die Informationen nach wie vor alle auf den Daten-Schirmen stehen und jeder Ingenieur die Möglichkeit hat, sich die Daten des anderen Fahrers anzuschauen."

"Ich denke nicht, dass sich die Fahrer gegenseitig die Nuancen mitteilen, wie sie bremsen oder in einer Kurve einlenken. Das habe ich niemals zuvor gesehen, und ich bin mir sicher, dass ich dies niemals sehen werde. Man wird niemals die Lehrling-Meister-Herangehensweise sehen, aber so habe ich dies schon immer gesehen, wenn zwei Fahrer versuchen, sich gegenseitig in der Meisterschaft zu schlagen. Aber sie sind sehr offen und sehr ehrlich zueinander."

"Der einzige politische Druck kommt aus dem Team selbst. Es gibt keinerlei Druck von außerhalb des Teams, und wir wollen die Dinge einfach so offen und fair wie möglich gestalten. Es mag etwas passieren, eine Situation, in der sich ein Fahrer über den anderen aufregt oder über das Team, und das können wir nicht prophezeien. Wir können nur alles so fair wie möglich machen. Meiner Meinung nach kann man angesichts der Kaliber an Fahrern, die wir haben, nicht einen außen vor lassen, so lange es nicht rechnerisch unmöglich ist, dass einer gewinnt."

So lange der Titel rechnerisch nicht entschieden wird, wird sich Brawn nicht entspannen können: "Es wäre natürlich fantastisch, die letzten ein oder zwei Rennen ohne den Druck der Meisterschaft zu haben, aber wir bereiten uns auf alles vor. Ich habe aus meinen vielen Jahren im Sport gelernt, dass man nichts für garantiert hinnehmen kann, solange es nicht tatsächlich geschafft ist."

Den verbleibenden Rennen blickt der Brite durchaus optimistisch aber auch respektvoll entgegen: "Wir sollten in Abu Dhabi zu den Stärksten gehören. Vielleicht wird es für uns in Suzuka und Interlagos ein wenig herausfordernder."