• 19.06.2002 15:12

  • von Marcus Kollmann

Brawn: Noch ist nichts entschieden

Ferraris Chefstratege erklärt warum man "paranoid" ist und weiterhin nach Verbesserungen sucht und unermüdlich getestet wird

(Motorsport-Total.com) - Mit 86 WM-Punkten in der Konstrukteurswertung und 70 WM-Zählern in der Fahrermeisterschaft belegt die Scuderia Ferrari in beiden Wertungen momentan unangefochten den ersten Platz. Schon bei Saisonhalbzeit sind die "Roten" aus Maranello ihren Konkurrenten weit voraus. Doch während die Gegner aus dem weiß-blauen und silbernen Lager schon fest davon ausgehen dem Ferrari-Team nicht mehr gefährlich werden zu können, vertritt man dort eine andere Meinung.

Titel-Bild zur News: Ross Brawn (Technischer Direktor)

Brawn: Die WM ist noch nicht zu unseren Gunsten entschieden

Davon, dass man die Titelverteidigung quasi schon in trockenen Tüchern hat, wollen Michael Schumacher und Ross Brawn noch nichts wissen. Kategorisch lehnten es beide zuletzt ab, sich schon in Sicherheit zu wiegen. Der Technische Direktor des Rennstalls erklärte nun in einem Interview, mit unseren englischsprachigen Kollegen von 'Autosport', warum man trotz eines Punktepolster von 32 (Konstrukteurswertung) beziehungsweise 43 (Fahrerwertung) Zählern weiterhin testet und testet und testet, um den F2002 noch schneller zu machen.

Befragt ob er angesichts des doch beruhigenden Punktevorsprungs nicht damit rechne sich am Ende der Saison mit Luca di Montezemolo, Jean Todt, den beiden Fahrern und natürlich allen Ferrari-Angestellten in Maranello und allen Ferrari-Fans über eine weitere Saison die man als Sieger beendet hat zu freuen, meinte Brawn, dass er nie zu zuversichtlich sei. Wenngleich die Verantwortlichen der Formel-1-Teams und die Fans von der Ferrari-Stallorder beim sechsten WM-Lauf geschockt waren und diese bis heute nicht verstehen können, ist Ross Brawn immer noch davon überzeugt, dass man auf dem A1-Ring die richtige Entscheidung traf, als man Rubens Barrichello anwies den Sieg seinem deutschen Teamkollegen zu überlassen.

"Wir sind immer ein wenig paranoid und besorgt es könnte etwas schief laufen", gibt Ferraris Chefstratege einen kurzen Einblick der wohl bei der Entscheidung auf dem A1-Ring zu Grunde lag. Mit Ausnahme der Rennen in Malaysia und Monaco konnte Michael Schumacher bislang alle Grand Prix gewinnen, doch so lange rein mathematisch noch die Chance besteht besiegt zu werden, so lange wird man sich bei Ferrari nicht darauf verlassen es schon geschafft zu haben. Zu groß ist die Angst davor, dass der Konkurrenz, allen voran BMW-Williams, durch Verbesserungen ein großer Sprung gelingt. Zu groß ist die Angst davor, dass Michelin im Reifenduell mit Bridgestone einen Wunderreifen aus dem Ärmel zaubert und der eigene Reifenpartner dem nichts entgegenzusetzen hat.

Schumachers sechster Sieg in dieser Saison, auf dem Circuit Gilles Villeneuve, war für Brawn "ein guter Tag, doch es müssen noch mehr solcher Tage folgen, bevor die Meisterschaft entschieden ist", sagt der Technische Direktor, der verdeutlicht, dass sich Ferrari jetzt noch nicht ausruhen wird: "Zu denken die Weltmeisterschaft wäre schon zu unseren Gunsten entschieden, würde Selbstzufriedenheit bedeuten, doch das ist das Letzte was wir uns erlauben dürfen. Bis der Titel nicht wirklich gewonnen ist, können wir nicht daran denken. Natürlich hoffen wir, dass wir die Entscheidung bald herbeiführen, doch wir sind uns auch der Situation bewusst dass uns die Ereignisse überraschen könnten", spricht der 47-Jährige auf mehrere Umstände an die eintreten könnten. Einerseits könnten Rennunfälle und technische Defekte den Vorsprung schrumpfen lassen, andererseits steht ja auch noch die Anhörung vor der FIA wegen der umstrittenen Stallorder auf dem A1-Ring bevor. Ferrari und den beiden Fahrern könnten unter Umständen die WM-Punkte wegen "Verstoßes gegen den Geist des Sports" wieder aberkannt werden.

Für den Großen Preis von Europa auf dem modifizierten Nürburgring rechnet Brawn nach den letzten Testfahrten mit einer guten Leistung des Teams: "Wir haben ein paar Verbesserungen die von den Reifen kommen und vielleicht setzten wir dort auch schon ein paar neue Teile am Auto ein. Ich bin wirklich sehr hoffnungsvoll, aber wir wissen natürlich nie was Michelin zu leisten vermag", bestätigt Ferraris Technischer Direktor, dass es vordergründig gar nicht einmal die Verbesserungen sind die BMW-Williams am Auto und Motor machen kann die einem Kopfzerbrechen bereiten, sondern die Reifen. Ohne die fährt nun einmal kein Formel-1-Bolide und was nützt es den "Roten" das schnellste Auto im Feld zu haben, wenn die Konkurrenz dank besserer Pneus diesen Vorteil egalisieren kann.