Blasenbildung in Brasilien: Fahrer überrascht, Pirelli nicht

Der neue Asphalt und die ungewöhnlich hohen Temperaturen sorgten am Freitag in Interlagos für Gesprächsstoff - Pirelli erklärt Blasenbildung der Reifen

(Motorsport-Total.com) - Der Formel-1-Zirkus macht an diesem Wochenende in Sao Paulo Station. Auf der ursprünglich außerhalb der Stadt, inzwischen aber längst innerhalb des 11-Millionen-Einwohner-Mollochs gelegenen Rennstrecke von Interlagos wird der Grand Prix von Brasilien seit 1990 Jahr für Jahr ausgetragen. Die Vorzeichen aber haben sich geändert.

Titel-Bild zur News: Nico Hülkenberg

Der neue Interlagos-Asphalt stellt die Fahrer und Pirelli vor eine Herausforderung Zoom

"Vor zehn Jahren war diese Strecke eine der für die Reifenhersteller anspruchsvollsten weltweit", erklärt Paul Hembery. Neben der Beschaffenheit des (alten) Asphalts führt der Pirelli-Motorsportchef in diesem Zusammenhang vor allem das Layout der 4,309 Kilometer langen Strecke an. "Es ist eine Strecke mit gleichmäßig verteilten Links- und Rechtskurven und damit eine der wenigen Strecken, auf der beide Seiten des Autos gleichmäßig gefordert werden." So vergleicht Hembery die Belastungen für die Reifen mit denen "einer Wertungsprüfung im Rallyesport".

Aufgrund der hohen Anforderungen an die Reifen wählte Pirelli in den vergangenen Jahren die Mischungen Medium und Hard aus. Den harten und damit sicheren Weg wollte der italienische Reifenlieferant auch diesmal wieder gehen. Man hatte die Mischungen Medium/Hard für das Brasilien-Wochenende bereits offiziell bekanntgegeben. Nach Kritik seitens der Fahrer, allen voran Sao-Paulo-Lokalmatador Felipe Massa, ruderte man bei Pirelli aber zurück und nominierte die Mischungen Soft/Medium.

Asphalttemperaturen von knapp 60 Grad Celsius

Hintergrund der Piloten-Kritik war die Tatsache, dass der diesjährige Brasilien-Grand-Prix auf einer komplett neuen Asphaltdecke stattfinden würde. Laut Hembery müsse man aber so oder so in einen sauren Apfel beißen: "Die Sorge war, dass der harte Reifen nicht auf Temperatur kommen würde, wenn es kühl ist. Jetzt haben wir den weichen dabei, aber die Temperaturen waren heute sehr hoch. Also warf dieser Reifen Blasen, vor allem der Hinterreifen."

Daniil Kwjat

Am ersten Trainingstag kämpften zahlreiche Piloten wie hier Kwjat mit den Bedingungen Zoom

Dies wurde vor allem im zweiten Freien Training deutlich, als Asphalttemperaturen von knapp 60 Grad Celsius gemessen wurden. "So hohe Asphalttemperaturen gab es noch nie. Die Reifen bildeten massiv Bläschen und brachen ein", berichtet der Tagesschnellste, Mercedes-Pilot Nico Rosberg. "Das war zu erwarten", spricht Hembery auf die Blasenbildung des Soft-Reifens bei derart hohen Temperaturen an. Im ersten Freien Training am Vormittag war die Strecke noch rund 20 Grad Celsius kühler gewesen.

Neben den Temperaturen, die unerwartet hoch waren, stand am Freitag in Interlagos erwartungsgemäß der neue Asphalt im Fokus. Laut Rosberg, der sowohl im ersten als auch im zweiten Freien Training der Schnellste war, ist die neue Asphaltdecke "ganz anders als im vergangenen Jahr, viel glatter". Dies machte sich vor allem zu Beginn bemerkbar.

Blasenbildung bei den Soft-Reifen

"Am Anfang war unsere Balance komplett falsch. Ich hatte massives Untersteuern. Ich habe eingelenkt, aber das Auto fuhr einfach weiter geradeaus", berichtet Rosberg. Nachdem man den Silberpfeil an der Vorderachse weicher und an der Hinterachse härter abgestimmt hatte, lief es besser. "So arbeitet das Heck mehr und es gibt weniger Untersteuern", erklärt der Fahrer, der Lewis Hamilton als einziger noch den Gewinn des zweiten WM-Titels streitig machen kann.

McLaren-Pilot Kevin Magnussen hält mit Blick auf das Nachmittagstraining fest: "Da die Temperaturen höher waren als erwartet, hatten wir mit den Reifen stärker zu kämpfen als angenommen. Sollten die Bedingungen auch am Sonntag so sein, dürften mehr oder weniger alle mit starkem Verschleiß zu kämpfen haben. Da es aber für alle gleich ist, sollte es kein großes Problem darstellen. Vielleicht regnet es ja ohnehin."

"Am Anfang war unsere Balance komplett falsch." Nico Rosberg

Grundsätzlich hat sich die Neuasphaltierung in Interlagos nach Ansicht der Fahrer bezahlt gemacht. "Der Grip auf dem neuen Asphalt ist recht gut. Die Bodenwellen sind verschwunden", bemerkt Sebastian Vettel, schiebt aber sofort hinterher: "Wenn man einmal von der Start/Ziel-Geraden absieht. Von der ersten Kurve bis zur letzten Kurve ist es um einiges besser, aber auf der Start/Ziel-Geraden hat es unheimlich viele Bodenwellen. Dort wurde es nicht wirklich besser."

Massa erwartet Entspannung der Situation

Laut Ferrari-Pilot Fernando Alonso bot der neue Asphalt "sehr viel Grip und es war schwierig, eine gute Runde zusammenzubekommen. Der Grund dafür war das Verhalten der Reifen, das in jeder Kurve ein anderes war. Jeder hatte heute Probleme mit den Reifen". Mit knapp 20 Celsius höheren Temperaturen war der Asphalt am Nachmittag wesentlich wärmer als am Vormittag.

Felipe Massa

Williams-Pilot und Lokalmatador Felipe Massa rechnet mit Besserung Zoom

"Das sind schon extreme Werte", findet Williams-Chefingenieur Rob Smedley und betont: "Auf dem alten Belag hätte das noch viel Abbau bedeutet, aber so haben alle die weicheren Reifen aufgezogen. Die Besten waren dabei die, die die kürzesten Shortruns gefahren haben. Jeder, der fünf oder sechs Umläufe abgespult hat, hatte Graining und Bläschenbildung zu beklagen. Das ist ganz normal."

"Der Prime funktionierte gut, aber der Option entwickelte etwas zu viel Graining. Das sollte sich aber bessern, wenn zum einen die Temperaturen unten gehen und es zum anderen mehr Grip gibt", urteilt Williams-Pilot Massa nach dem ersten Trainingstag gegenüber 'Sky Sports F1'. Grundsätzlich beträgt der Zeitunterschied zwischen dem Soft und dem Medium "rund eine Sekunde pro Runde", wie Hembery vorrechnet. "Durch die zahlreichen Roten Flaggen am heutigen Tag haben wir aber noch keine klare Einschätzung bezüglich des Verschleiß. Aus diesem Grund steht uns morgen eine äußerst wichtige Session bevor", so der Pirelli-Motorsportchef.

"Die größte Schwierigkeit ist nun, dass die Wettervorhersage für morgen und Sonntag viel kühler ist", sagt Paddy Lowe, Geschäftsführer Technik im Mercedes-Team. Lotus-Pilot Pastor Maldonado äußerst sich in diesem Zusammenhang ausdrücklich "zufrieden, dass die Reifenauswahl geändert wurde." Für das Rennen am Sonntag geht man bei Pirelli laut Hembery "von einer Zweistoppstrategie aus, solange die Asphalttemperaturen nicht auch am Sonntag im Bereich von 60 Grad Celsius liegen. Dann werden es wohl eher drei Stopps".