• 05.11.2014 15:56

  • von Bernd Mayländer

Bernd-Mayländer-Kolumne: Verkehrte Welt im Titelkampf

Der große Grand-Prix-Check des Safety-Car-Fahrers: Warum in Austin eine Vorentscheidung gefallen ist und was Brasilien so besonders macht

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton, Nico Rosberg

Bernd Mayländer weiß: Jetzt wird's für Nico Rosberg ganz, ganz schwierig... Zoom

Hallo, liebe Leser,

Austin war genau das Wochenende, auf das ich mich im Vorfeld so gefreut hatte. Schönes Wetter, tolle Rennaction - und wo sonst passiert es einem schon, an der Hotelbar Keanu Reeves einsam und allein sitzen zu sehen, während er gerade ein paar Sushi mit einem Bier runterspült? Am Sonntagabend war dann auch noch Party angesagt - in der Amber-Lounge und bei einem Red-Bull-Event habe ich auch den einen oder anderen Fahrer getroffen.

Die vielen Rad-an-Rad-Duelle waren schön anzusehen. Das hat wieder mal gezeigt, wie unterschiedlich in der Formel 1 gefahren wird. Auf der einen Seite Button und Alonso, die ihren Zweikampf zelebriert haben, ohne zu viel Risiko einzugehen, dass einer Schaden daraus ziehen könnte. Da merkt man halt, wenn zwei Weltmeister gegeneinander fahren, zwei gestandene und erfahrene Racer. Und auf der anderen Seite die "jungen Wilden", die teilweise so brutal reinhalten, dass schon viel Glück dazugehört, wenn keiner Schaden nimmt.

Das Überholmanöver von Lewis Hamilton gegen Nico Rosberg war eines von der astreinen, sauberen Sorte. Nico hatte in der Situation offenbar Probleme, sein ERS zu aktivieren. Vor Austin habe ich noch geschrieben, dass ich die Chancen bei 50:50 sehe. Das muss ich jetzt korrigieren. Die Fakten sind: 10:4 Siege für Lewis, 24 Punkte Vorsprung und nur noch zwei Rennen zu fahren. Man muss das sportlich sehen: Wenn alles funktioniert hat, war Lewis dieses Jahr einfach um den Zacken schneller.

Nico ist 2014 der bessere Qualifyer

Nico war zwar auf eine Runde der Bessere, das hat er im Qualifying auch bewiesen - im Stallduell führt er da mit 10:7. Aber mit dem Rennsetup war ihm Lewis fast immer eine Nasenlänge voraus. Die WM ist noch nicht entschieden, aber eine kleine Vorentscheidung ist in Austin schon gefallen. Aus eigener Kraft kann es Nico nicht mehr schaffen, selbst wenn er zweimal gewinnt und Lewis zweimal nur Zweiter wird. Jetzt braucht's ein bisschen Glück, damit er das noch hinbiegt.

Irgendwie haben wir 2014 verkehrte Welt zwischen den beiden: Nico ist im Qualifying schneller, Lewis im Rennen. Das hatte ich genau andersrum erwartet, nämlich dass Nico besser darin sein müsste, mit Reifen und Benzin hauszuhalten. Da scheine ich mich - und nicht nur ich, nebenbei bemerkt - geirrt zu haben. So gesehen steht sportlich gesehen momentan der Richtige vorn. Aber Vorsicht: Vorbei ist es erst nach der letzten Runde in Abu Dhabi!

Bernd Mayländer

Bernd Mayländer vor seinem Arbeitsgerät, dem Formel-1-Safety-Car Zoom

Brasilien hat nämlich schon oft extreme Rennen hervorgebracht. Ich erinnere mich an das dramatische Finale 2008, als Felipe Massa 20 Sekunden lang schon wie der neue Weltmeister aussah, bis Lewis auf den letzten Metern an Timo Glock vorbeifuhr und den rettenden fünften Platz holte. Und sogar in Abu Dhabi kann einiges passieren, wie wir 2010 erlebt haben, als Alonso hinter Petrow feststeckte und irgendwie doch noch Sebastian Vettel Weltmeister wurde. Eines steht übrigens jetzt schon fest: Ganz egal, was in Brasilien passiert, die Titelentscheidung fällt erst in Abu Dhabi.

Sao Paulo: Dramatische Veränderungen seit 1996

Ich komme seit 1996 nach Sao Paulo und habe in all den Jahren die Veränderung der Stadt miterlebt. Die wachsende Wirtschaftskraft spiegelt sich inzwischen in der Architektur - aber das Verkehrschaos bekommen sie nach wie vor nicht in den Griff. Wenn es regnet, kommt der Verkehr teilweise komplett zum Erliegen, wenn die Sonne scheint geht's einigermaßen.

Sao Paulo ist eine phänomenale Stadt mit viel Flair, Samba, mit einer gewissen Lockerheit, heißen Rhythmen und noch heißeren Frauen. Und es hat geniale Locations dort, die man Sao Paulo gar nicht zutrauen würde. Denn die Stadt hat auch eine Schattenseite, und das ist die hohe Kriminalitätsrate. Sicher erinnert ihr euch noch daran, dass Jenson Button einmal massiv attackiert wurde. Aber ganz viele Kollegen haben ihre ganz eigene (unerfreuliche) Sao-Paulo-Geschichte. Ich selbst zum Glück nicht.

Hohe Kriminalität in Sao Paulo ein Thema

Ich halte mich an die Spielregeln, die einem jeder sagt: keine teure Armbanduhr, unauffällig verhalten, mit dem Taxi nach Möglichkeit bis vor die Tür des Restaurants oder Hotels fahren - und darauf achten, dass man ins richtige Taxi einsteigt. Mir ist noch nie was passiert. Aber in jeder Großstadt, in der der Kontrast zwischen Arm und Reich so groß ist, gibt es unweigerlich Kriminalität. Allzu teure Privatsachen würde ich jedenfalls nicht nach Sao Paulo mitschleppen.

Insgesamt ist Brasilien für mich ein phänomenales Land - und das nicht nur, weil wir dort Fußball-Weltmeister geworden sind. Der Grand Prix ist für alle ein besonderes Highlight, auch wegen der Senna-Atmosphäre, die man immer noch spüren kann. Und den scharfen Kurven der brasilianischen Frauen steht die Rennstrecke in Interlagos um nichts nach! Da ist jede Runde eine echte Herausforderung.

"Den scharfen Kurven der brasilianischen Frauen steht die Rennstrecke in Interlagos um nichts nach." Bernd Mayländer

Interlagos liegt, wie der Name schon sagt, "zwischen den Seen", leicht am Hang. Die Fahrer sind immer am Fighten, es gibt gute Überholmöglichkeiten, mit DRS sowieso. Eine Strecke mit einem schönen Flair, einem tollen Stil. Und das Wetter spielt oft eine große Rolle. Wir haben dort schon Hitzerennen erlebt, aber auch Regenschlachten.

Haupttribüne tanzt Samba

Gänsehaut kommt auf, wenn die Menschen auf der Haupttribüne vor dem Rennen Samba tanzen - und das meine ich nicht im sprichwörtlichen, sondern im buchstäblichen Sinn! Das ist Brasilien pur. Da spielt dann auch Politik mal für zwei Stunden keine Rolle, sondern es steht der Sport im Vordergrund. Mit Felipe Massa gibt es auch einen Lokalmatador, der gute Chancen auf einen Podestplatz hat. Ich würde es den leidenschaftlichen brasilianischen Fans wünschen.

Was nicht mehr ganz so toll ist, ist die Infrastruktur an der Strecke, also das Boxengebäude mit dem wirklich sehr kleinen Paddock. Aber da soll ja bald umgebaut werden. Die Boxeneinfahrt ist auch nicht optimal und wegen es lehmigen Untergrunds kommen alle paar Jahre wieder die alten Bodenwellen auf. Im Vorjahr war es ganz okay, da hat keiner der Fahrer geklagt. Aber dauerhaft werden sie das dort einfach wegen der geologischen Voraussetzungen nie in den Griff bekommen.

So voll wie in den vergangenen Jahren wird der Paddock in Interlagos diesmal übrigens nicht sein. Leider. Denn Marussia und Caterham werden nicht teilnehmen, sodass wieder nur 18 statt 22 Autos fahren werden. Man kann nur hoffen, dass das eine oder andere Team bald zurückkommt, vielleicht sogar schon in Abu Dhabi. Denn die Formel 1 hat immer auch von ihrer Vielfalt gelebt.

Euer

Bernd Mayländer

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