Berger: "Alonso erinnert an den jungen Schumacher"

Ex-Formel-1-Pilot Gerhard Berger im Interview über die aufstrebenden neuen Superstars der Formel 1 und seine österreichischen Landsleute

(Motorsport-Total.com) - Ex-Formel-1-Pilot Gerhard Berger war gestern in Barcelona erstmals in diesem Jahr im Fahrerlager anzutreffen. Gleich nach dem Grand Prix jettete er allerdings nach Wien, um in der TV-Sendung 'Sport am Sonntag' auftreten zu können. Das dort geführte Interview kann heute dank freundlicher Genehmigung des 'ORF' auch bei 'F1Total.com' nachgelesen werden.

Titel-Bild zur News: Gerhard Berger

Gerhard Berger war gestern zum ersten Mal in diesem Jahr bei einem Grand Prix

Frage: "Gerhard, was ist deine Einschätzung des Rennens in Barcelona?"
Gerhard Berger: "Zuerst einmal muss man sagen, dass sich dieses Jahr wirklich eine tolle Saison herauskristallisiert. Es gibt mehrere Teams, die Chancen haben, Rennen zu gewinnen. Nach dem Training sind die Abstände immer sehr gering, so dass auch ich unsicher bin, auf welches Fahrzeug man sein Geld setzen sollte."#w1#

"Es ist eine Saison, wie man sie sich nur wünschen kann"

"McLaren hat ein superschnelles Auto und Räikkönen ist ein superschneller Fahrer. Alonso dominiert die Saison bis jetzt. Bei Michael Schumacher wartet man gespannt, wann er wieder zurückkommt und wieder um die Siege mitkämpfen kann. In Imola sah es schon sehr gut aus, heute kam dann ein Rückschlag für ihn. Die beiden Toyotas sind immer schnell unterwegs. Es ist wirklich eine Saison, wie man sie sich nur wünschen kann. Wir wissen nicht, wer gewinnt."

Frage: "Die Minardis sind gleich am Start stehen geblieben. Ein Worst-Case-Szenario, nicht wahr?"
Berger: "Ja. Wir kennen das von Minardi. Die Fahrzeuge sind die schwächsten im Feld. Sie haben immer wieder Probleme und zu wenig Geld. Dadurch ist die Technik natürlich nicht auf dem Stand, auf dem sie sein sollte. In dem Fall ist das natürlich schade, weil ein Österreicher im Cockpit sitzt, aber so ist das eben bei Minardi."

Frage: "Patrick Friesacher war zuletzt ein paar Mal langsamer als sein Teamkollege. In den Interviews wirkt er zum Teil schon recht frustriert. Was kannst du ihm raten?"
Berger: "Dass er den Teamkollegen schlägt, ist das einzig Wichtige, denn er hat nicht die Technik zur Verfügung, um wirklich etwas Gutes zu zeigen. Nur: Albers ist ein schneller Mann. Der war schon in der DTM ein besonders schneller Pilot und zeigt das jetzt wieder. Patrick muss schauen, dass er Albers Mitte des Jahres hinter sich lassen kann, um nächstes Jahr auch wieder eine Chance zu bekommen."

Über Red Bull: "Dort wird hart und konsequent gearbeitet"

Frage: "Red Bull hatte einen sehr starken Saisonbeginn, aber in letzter Zeit klappt es nicht mehr ganz so. Werden dem Team jetzt die Grenzen aufgezeigt?"
Berger: "Zuerst einmal muss man sagen, dass Red Bull in die Formel 1 wieder eine Lockerheit hineingebracht hat. Das ist wirklich erfreulich. So, wie wir Red Bull in Österreich kennen, gibt sich das Formel-1-Team auch im Fahrerlager - das geht vom Motorhome über die Box bis hin zu den Mechanikern. Ich finde das toll. Hinter den Kulissen wird dort aber sehr hart und konsequent gearbeitet. Das Resultat sieht man: Sie sind ständig in den Punkten - und wenn man die großen Werksteams einmal beiseite nimmt, sind sie eigentlich immer vorne dabei. Man muss den Leuten, die da am Werk sind, gratulieren, denn sie machen das ganz toll."

Frage: "Christian Klien wird am Nürburgring wieder im Einsatz sein. Was hältst du von diesem Rotationsprinzip? Hättest du das auch so gemacht?"
Berger: "Das meine ich, wenn ich sage, dass man hinter den Kulissen hart arbeitet, auch wenn man sich nach außen hin sehr locker gibt und Partys macht. Hinter den Kulissen wird das Konzept beinhart umgesetzt. Dazu gehört auch dieses System. Ich finde es okay, muss ich sagen. Red Bull hat in den letzten Jahren eine Juniorenmannschaft aufgebaut, die einzigartig ist. Beginnend bei Christian Klien bis runter in den Kartsport sind das die Besten, die es momentan gibt. Sie haben einen Scott Speed, einen Amerikaner, sauschnell, sie haben Liuzzi, guter Mann, Klien, guter Mann, Vettel - sie haben die besten Nachwuchspiloten unter Vertrag, die es gibt. Jetzt ist Red Bull natürlich gefordert, die alle nachzuziehen und intern herauszufinden, wer die Besten sind."

Berger schätzt Klien bisher höher ein als Liuzzi

"Natürlich leidet man aus österreichischer Sicht, wenn Christian Klien nicht zum Einsatz kommt, aber nach dem harten Auswahlverfahren im Winter muss man zu Christian sagen, dass er nicht im Auto sitzt, weil er Österreicher ist, sondern weil er besser war als Liuzzi. Jetzt sitzt Liuzzi im Auto. Bis jetzt hat mir Christian Klien besser gefallen, muss ich sagen. Wenn Liuzzi seine Sache nicht besser macht, wird bald wieder Christian Klien fahren und sich dort längerfristig behaupten."

Frage: "Red Bull fährt ab 2006 mit Ferrari-Motoren. Ist das eine geniale Entscheidung oder eher eine riskante, wo es bei Ferrari gerade nicht so läuft?"
Berger: "Wir wissen, dass Ferrari nicht top ist, weil die Reifen nicht funktionieren. Beim letzten Rennen, wo die Reifen funktioniert haben, war das das schnellste Auto im Feld. Heute waren die Reifen nicht ideal. Mit Ferrari hat man sich einen extrem guten und auch politisch starken Partner gesucht. Ich finde es toll, dass es ein Team gibt, das mit Ferrari-Motoren fährt. Man kann sich darauf verlassen, dass die auf Anhieb einen guten Motor haben werden, wenn nächstes Jahr das V8-Reglement in Kraft tritt. Diese Entscheidung war also absolut richtig."

Wechsel zu Ferrari laut Berger eine gute Entscheidung

"Es war auch fast ein Muss, denn inzwischen sind Punkte für Red Bull selbstverständlich geworden. Ich bin sicher, dass nächstes Jahr um diese Zeit alle schon mehr sehen wollen. So gesehen hat das Team vorgebaut und sich mit dem Ferrari-Motor eine gute Ausgangsposition verschafft."

Frage: "Ist für dich trotz des Sieges von Kimi Räikkönen heute weiterhin Fernando Alonso der Mann der Stunde?"
Berger: "Beide. Kimi Räikkönen und Alonso sind zwei ganz unterschiedliche Fahrertypen, aber beide sind erste Klasse. Alonso ist schon jemand, dem ich zutraue, dieses Jahr Weltmeister zu werden. Er ist für seine 23 Jahre unglaublich ausgeschlafen. Wie er in Imola den Michael Schumacher hinter sich gelassen hat, war beeindruckend. Auch heute fuhr er den zweiten Platz nach Hause. Er macht kaum Fehler, treibt das Ganze ans Limit, ohne dabei darüber zu gehen. Da unterscheidet er sich schon sehr von Räikkönen. Räikkönen ist ein Draufgänger. Er ist auch superschnell, Fahrzeugbeherrschung 1A, aber er schießt ab und zu auch über sein Ziel hinaus. Daher glaube ich, dass sich Alonso auf das Jahr gesehen schon vorne behaupten wird, auch wenn er momentan das langsamere Auto hat."

"Es tut der Formel 1 gut, unterschiedliche Typen zu haben"

Frage: "Es gibt immer mehr ruhige und besonnene Typen im Fahrerlager, während du immer als letzter Playboy der Formel 1 bezeichnet wirst. Hat sich das Fahrerbild in den letzten Jahren so stark verändert?"
Berger: "Es hat immer schon solche und solche gegeben. Die gibt es auch immer noch. Mich erinnert Alonso sehr an den jungen Michael Schumacher. Er ist sehr überlegt, sehr konsequent, auch in seinen Aussagen immer sehr bestimmt. Und er setzt es hervorragend um. Alonso ist schon ein guter Typ, aber auf der anderen Seite haben wir den Räikkönen, der manchmal die Sau raus lässt, wie man so schön sagt. Das ist ein ganz anderer Typ. Unterm Strich ist er aber ein guter Rennfahrer. Es tut der Formel 1 gut, unterschiedliche Typen zu haben."

Frage: "Ein Wort noch zu Alexander Wurz. Gehört er nach seiner Vorstellung in Imola nicht sofort in ein Rennauto gesetzt?"
Berger: "Es ist keins frei! Das ist das Problem. Alexander hat beim letzten Rennen einen guten Job gemacht, wobei ja auch nichts anderes zu erwarten war. Alexander fährt regelmäßig im Formel 1. Wir wissen, dass er das kann. Er hat genau das gemacht, was das Team von ihm erwartet hat. Allerdings muss man sagen: Um jetzt für ihn wieder einen Platz in einem Spitzenteam zu bekommen, hätte er ganz vorne fahren müssen. Ich will aber nicht ausschließen, dass irgendein Team Ende des Jahres auf ihn zukommt, um seine inzwischen doch recht große Testerfahrung zu nutzen."