• 30.10.2008 10:40

  • von Roman Wittemeier

Bell: "Man stochert absolut im Dunkeln"

Renault-Technikdirektor Bob Bell über die Aufholjagd innerhalb der Saison und die Aussichten für 2009: "Wir haben alle noch gar keine Ahnung!"

(Motorsport-Total.com) - Renault hat im Lauf der Saison 2008 gekämpft und gewonnen. Mit einem riesigen Kraftakt gelang es den Franzosen, aus einem anfangs unterlegenen R28 tatsächlich innerhalb weniger Monate ein Siegerauto zu machen. Konsequenz: Im Zweikampf mit Toyota um Rang vier in der WM behielt man deutlich die Oberhand. "Ich hätte lieber den ersten Platz im Sack, aber auf Grundlage unserer Saison ist der vierte Rang schon sehr in Ordnung", fasste Renault-Technikdirektor Bob Bell im offiziellen Team-Podcast die aktuelle Saison zusammen.

Titel-Bild zur News: Bob Bell

Bob Bell spricht offen über die Probleme im Hinblick auf 2009: Keine Ahnung

Man habe sich auf den letzten Drücker nach vorn gearbeitet und letztlich das Ziel erreicht: Mit dem drittschnellsten Auto auf Rang vier der Konstrukteurs-Meisterschaft zu stehen. "Es ist immer eine Belohnung, wenn man seine Ziele erreicht. Egal, ob es um den ersten Platz geht, oder den vierten. Wenn man das erreicht, was man sich vorgenommen hat, ist das immer sehr befriedigend. Das gibt einem Team immer einen besonderen Schub."#w1#

Aufschwung durch Trotz-Reaktion

Die gesamte Renault-Mannschaft sei mit großer Entschlossenheit ans Werk gegegangen. Nach dem verkorksten Saisonstart sei die erwartete Trotz-Reaktion gekommen: "Wir haben unser Entwicklungsprogramm rigoros durchgezogen. Für fast jedes Rennen gab es neue Teile. Wir waren einfach immer sicher, dass wir die Ziele Rennen für Rennen erreichen können, wegen dieser Verbesserungen. Es hat viel Aufwand von sehr vielen Leuten erfordert. Schritt für Schritt sind wir näher gekommen und haben letztendlich eine tolle Performance präsentiert."

"Wir haben wenig Politik innerhalb der Mannschaft. Wir arbeiten nicht gegeneinander, sondern miteinander." Bob Bell

Die schlappen Leistungen zu Beginn des Jahres warfen nicht den gesamten Fahrplan durcheinander. Renault sei beim normalen Plan geblieben, sagte Bell: "Wir wussten zum Saisonstart nicht wirklich genau, wo wir stehen würden. Wir wussten unabhängig von unserer Position, dass wir unser Programm beschleunigen müssen. Das haben wir dann getan. Das hat uns nun von recht weit hinten nah an die Spitze gebracht. Wären wir weiter vorne gestartet, hätten wir uns damit vorne etablieren können und hätten dann vielleicht etwas erreichen können wie 2005 und 2006. Die Basis war uns beim Start nicht ganz klar."

Die Teamstruktur sorgte nach Ansicht des Briten dafür, dass man letztlich an anderen Teams vorbeiziehen konnte: "Wir haben wenig Politik innerhalb der Mannschaft. Wir arbeiten nicht gegeneinander, sondern miteinander. Wir mussten uns kein Bein ausreissen, um die Zehntel zu finden. Es kam auf natürlichem Weg. Wir arbeiten alle schon lange in diesem Geschäft und arbeiten gut zusammen. Wir kennen unsere Stärken und Schwächen. Es gibt auch keine Eifersüchteleien. Ich will damit nicht sagen, dass es nicht schwierig ist. Es ist schwierig, aber bei uns läuft das vielleicht natürlicher ab als bei anderen. Schlüsselfiguren spielen dabei eine wichtige Rolle. Wir haben viele davon mit viel Erfahrung."

Alonso zum Bleiben überzeugt?

Der Aufschwung brachte auf der Zielgeraden der Saison nicht nur zwei Siege und viele weitere Punkte, sondern auch Aussichten auf den Verbleib von Fernando Alonso im Team. Der spanische Doppelweltmeister habe wieder die feste Bindung zur Mannschaft gefunden, beschrieb Bell. "Fernando merkt man das deutlich an. Sobald er jetzt nur den Hauch einer Chance auf den Sieg hat, dann ergreift er sie. Er holt alles aus dem Auto heraus. Nicht ohne Grund sprechen viele Leute bei ihm vom zurzeit komplettesten Fahrer in der Formel 1."

"Er ist einfach extrem intelligent und taktisch klug", sagte der Technikchef weiter. "Er kennt die Stärken des Autos und er weiß genau, wie er in eine Situation kommen kann und auch wieder heraus. Wenn er erkennt, dass es klug sein könnte, vielleicht mal für eine gewisse Zeit etwas Gas herauszunehmen, dann hat er den Mut und tut das auch. Er hält dann nicht einfach voll drauf und geht hohes Risiko, um schneller zu sein. Er kann in einem Rennen die ganze Zeit die taktische Situation antizipieren. Er arbeitet einfach brilliant."


Fotos: Renault Roadshow in Lissabon


Auch Teamkollege Nelson Piquet habe sich zuletzt deutlich weiterentwickelt. Der Speed habe nie in Frage gestanden, aber die Konstanz fehlte lange Zeit, so Bell: "Er wird besser und konstanter. Er reagiert auf die Tatsache, dass unser Auto konkurrenzfähiger geworden ist. Wenn man einem jungen Neuling ein solches Auto gibt, ist es immer schwierig. Der hinterfragt sich selbst immer mehr als das Auto. Die Punkte haben ihm sicher geholfen. Manchmal ist er genauso schnell wie Fernando und manchmal sogar etwas schneller. Fernando ist immerhin ein heftiger Gradmesser."

Vielleicht hat man sich zwar 2008 noch nach vorn manövriert, doch es besteht die Gefahr, dass dadurch viel Entwicklungszeit für das kommende Jahr verloren ging. "Das kann man nicht sagen", gab Bell Entwarnung. "Andere Teams haben sich schon recht früh auf die Entwicklung für 2009 verlegt. Wir haben das nicht so getan. Wir haben unseren Piloten, Sponsoren und unserer Muttergesellschaft bewiesen, dass wir uns im Laufe einer Saison verbessern können. Es war für uns ganz wichtig, dass wir das belegen konnten. Wir haben das allerdings nie auf Kosten von 2009 getan."

Die große Unbekannte: 2009

"Wir haben es die ganze Zeit geschafft, gleichzeitig unsere Aufgaben für 2009 zu lösen. Natürlich lassen sich wegen der grundlegend anderen Voraussetzungen im kommenden Jahr keine technischen Entwicklungen auf das kommende Jahr übertragen, aber die Motivation und den Stolz können wir mitnehmen. Wir können sicherlich kaum etwas greifbares mit ins nächste Jahr nehmen, aber wir haben unseren Piloten und Sponsoren einiges beweisen können, was sich im nächsten Jahr bezahlt machen kann", beschrieb der Brite die möglichen Auswirkungen auf 2009.

"Die Türen der Entwicklungsabteilung sind verschlossen und man hat keine Ahnung." Bob Bell

"Ich glaube, wir haben den Spagat bei der Entwicklung ganz gut hinbekommen. Das Problem ist aber, dass man bezüglich 2009 eigentlich im Dunkeln stochert. Man kann nur so gute Arbeit leisten wie möglich. Die Türen der Entwicklungsabteilung sind verschlossen und man hat keine Ahnung. Die Konkurrenz kann uns Meilen voraus sein, aber sie kann auch Meilen hinter uns liegen. Man sieht das alles erst beim ersten Rennen, denn auch bei den Wintertests wird man es kaum einschätzen können. Einige Teams werden einen Riesensprung zwischen Tests und erstem Rennen hinlegen. Man kann nur auf sich selbst schauen und sich fragen, ob man irgendetwas hätte besser machen können. Da kann ich bei uns zurzeit kaum etwas finden."

Im Normalfall könne man am Ende einer Saison das Kräfteverhältnis zum Start der kommenden Saison bereits ablesen. In diesem Herbst sei das nicht der Fall: "Wir haben alle noch gar keine Ahnung. Es ist einfach viel mehr Platz für unterschiedlich Konzepte da. Vielleicht hat ja irgendjemand eine tolle Idee, auf die niemand anderes gekommen ist. So etwas hat es ja schon gegeben. Vielleicht nicht ganz so heftig wie bei Colin Chapmans "Ground-Effekt"-Auto, aber schon so in dieser Richtung. Vielleicht kann sich jemand für ein halbes Jahr einen Vorteil sichern, weil er einfach schlauer war. Das wird auf jeden Fall sehr interessant."