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Baldisserri: "Der schlimmste Ort für einen Strategen"
Ferrari-Chefingenieur Luca Baldisserri erläutert die Tücken der Wahl der besten Strategie im Fürstentum - schon das Qualifying kann dabei entscheidend sein
(Motorsport-Total.com) - Neben den 24 Stunden von Le Mans und den 500 Meilen von Indianapolis ist der Grand Prix von Monaco eines der berühmtesten Motorsportereignisse der Welt. Das Rennen durch den Leitplankenkanal im kleinen Fürstentum an der Cote d'Azur ist für Fahrer und Teams gleichermaßen eine große Herausforderung.

© xpb.cc
Boxenstopp bei Ferrari: Die richtige Strategie ist in Monaco entscheidend
Dabei haben die Piloten auf den engen Straßen zwar einen größeren Einfluss auf die Performance ihres Pakets als auf anderen Strecken, doch die Tatsache, dass Überholmanöver nahezu unmöglich sind, macht die richtige Rennstrategie der Teams beinahe ebenso entscheidend: "Monaco ist definitiv der schwierigste Ort für Überholmanöver auf der Strecke, außer der Vordermann hat ein größeres Problem", bestätigt auch Luca Baldisserri, Ferrari-Chefingenieur und damit auch in die Strategie-Wahl der "Roten" eingebunden.#w1#
Großer Zeitverlust hinter langsameren Fahrzeugen
"Ich kann mich an viele Rennen hier erinnern, in denen ein Auto, das drei Sekunden langsamer unterwegs war, es dennoch einem Fahrer unmöglich machte, ein Überholmanöver zu starten, so wie das Michael (Schumacher; Anm. d. Red.) 2002 passiert ist, als er Coulthard vor sich hatte", erinnert sich der Italiener. Doch trotz dieser Erfahrungen ist er von der Strecke an sich begeistert: "Ich denke, das Streckenlayout ist fantastisch und für die Fahrer sehr herausfordernd."
Der Zeitverlust, den sich die Piloten hinter langsameren Fahrzeugen durch den Mangel an Überholmöglichkeiten einhandeln können, kann in Monaco beträchtlich ausfallen, weshalb es im Fürstentum noch mehr als auf allen anderen Strecken das Ziel ist, dem eigenen Fahrer eine möglichst freie Strecke zu verschaffen, damit dieser sein Potenzial optimal umsetzen kann.
Richtige Spritmenge für Qualifying und Rennen ist entscheidend
Doch bezüglich der Strategie genügt es dabei inzwischen nicht mehr, von reiner Rennstrategie zu sprechen - schließlich müssen die Piloten, die den dritten Abschnitt der Qualifikation erreichen, diesen mit der Spritmenge bestreiten, mit der sie tags darauf ins Rennen zu starten gedenken. Ein guter Startplatz ist in Monaco oftmals ein Schlüssel zum Erfolg. Wenn dieser jedoch mit einer sehr geringen Spritmenge erkauft werden muss, könnte dies unter Umständen im Rennverlauf zu Problemen führen.
"Es ist entscheidend, dass man die Spritmenge richtig kalkuliert, die man für diesen Teil des Qualifyings mit an Bord nimmt", bestätigt Baldisserri. "Daneben muss man auch die Strategie selbst so planen, dass man im Qualifying eine freie Runde ohne Verkehr bekommt, um das zu vermeiden, was andernfalls zur Katastrophe werden kann. Manchmal ist es besser, eine freie Runde ohne Verkehr, als vielleicht etwas mehr Sprit im Auto zu haben, denn es ist absolut entscheidend, dass man nicht von dem Auto vor einem auf der Strecke behindert wird."
"Die Bedeutung des Qualifyings in Monte Carlo ist daher ebenfalls wesentlich größer als anderswo, denn ein Startplatz an der Spitze des Feldes ist ein großer Vorteil", erklärt der Italiener. Daher kann man auf dem Stadtkurs im Fürstentum oftmals nicht die gleichen strategischen Schlüsse ziehen, wie dies auf anderen Strecken normalerweise der Fall ist.
Monaco erfordert andere strategische Reaktionen

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Überholmanöver sind auf dem engen Kurs von Monaco nahezu unmöglich Zoom
Erkennt man beispielsweise in den Freien Trainings, dass man in der ersten Runde nach der Ausfahrt aus der Boxengasse nicht ausreichend schnell ist, wählt man im Normalfall eine Strategie, bei der man die optimale Performance auf eine einzige Qualifying-Runde opfert. Man betankt dann das Auto mit einer etwas größeren Menge Sprit, um im Rennen vor dem ersten Boxenhalt möglichst einige Runden länger fahren zu können als die Konkurrenz, um somit auf der dann idealerweise freien Strecke einige schnelle Umläufe absolvieren zu können. Dadurch hofft man, sich das entscheidende Zeitpolster verschaffen zu können, um nach dem eigenen Stopp vor der Konkurrenz zurück auf die Bahn zu kommen.
In Monaco ist diese Folgerung aus den Trainingseinheiten am Freitag und Samstag jedoch deutlich komplexer, denn startet man im Fürstentum nicht ganz von der Spitze des Feldes, verliert man im Normalfall zu viel Zeit auf den Spitzenreiter, so dass der Vorteil des längeren ersten Stints zumeist nicht ausreicht, um bei den ersten Boxenstopps an die Spitze vorstoßen zu können.
"Es wird sehr wichtig sein, zu versuchen, sich mit einer Spritmenge zu qualifizieren, die es einem erlaubt, die optimale Länge des ersten Stints zu treffen, denn wenn man diesen zu kurz ansetzt, riskiert man, nach dem Boxenstopp im Verkehr stecken zu bleiben", erläutert Baldisserri. "Plant man diesen hingegen zu lange, dann bedeutet das, dass man am Samstagnachmittag mehr Sprit mit an Bord nehmen muss und man möglicherweise das Qualifying vermasselt. Diesen Faktor korrekt hinzubekommen, beruht meiner Meinung nach zwischen 60 und 70 Prozent auf der Arbeit der Strategen bei dieser Veranstaltung."
Wenig Spielraum für kurzfristige Anpassungen
Normalerweise versuchen die Teams überdies, ihre Strategie möglichst flexibel zu gestalten, um auf Vorfälle im Rennen reagieren zu können. Auch dies erweist sich in Monaco als schwierig: "Wenn man hier weit zurückliegt, dann wird einem keine Strategie der Welt ermöglichen, mehr Plätze gut zu machen", ist sich der Ferrari-Stratege sicher. "Wenn man dagegen am vorderen Ende des Feldes kämpft, dann gibt einem das eine größere Chance, dazu in der Lage zu sein, die Strategie in Abhängigkeit des Verhaltens des direkten Konkurrenten im Verlauf eines Rennens zu ändern."
Doch selbst für diese Flexibilität wird man in dieser Saison keinen großen Spielraum haben: "Ich denke, in diesem Jahr werden wir in Monte Carlo bezüglich der Flexibilität höchstens um die zwei bis drei Runden Spielraum zur Verfügung haben, also alles andere als eine radikale Änderung des ursprünglichen Plans."
Auch die Reifen spielen eine große Rolle
Neben der korrekten Spritmenge werden bei allen strategischen Entscheidungen auch die Reifen eine wichtige Rolle spielen, was auch der Reifenwahl zwischen den zwei zur Verfügung stehenden Pneus eine große Bedeutung zukommen lässt: "In den vergangenen Jahren haben wir beobachten können, dass unsere Konkurrenten sehr weiche Reifen nach Monaco gebracht haben, um eine exzellente Leistung auf einer Runde zu haben, um anschließend im Rennen ihre Positionen zu verteidigen", erinnert sich Baldisserri.

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Den Reifen kommt auch im Fürstentum eine große Rolle zu Zoom
"Wir werden abwarten müssen, wie sich unsere Reifen hier verhalten. Die Reifenwahl für dieses Rennen ist ziemlich schwierig, denn es gibt keine Strecke, die in Bezug auf das Verhalten der Reifen vergleichbar ist", erläutert der Italiener die Schwierigkeiten bei der Vorbereitung auf den Grand Prix. Daher könne man sich bis zu den ersten Runden auf der Strecke nicht sicher sein, wie man bezüglich der Leistung auf eine Runde sowie den Verschleiß der Reifen aufgestellt ist.
"Monaco ist wirklich der schlimmste Ort für einen Strategen", meint Baldisserri angesichts dieser vielen zu beachtenden Faktoren und Tücken. Die Strategen der Teams werden daher am Rennwochenende in Monaco alle Hände voll zu tun haben, und nicht zuletzt wird für die perfekte Strategie auch eine Portion Glück vonnöten sein.
Zuversicht bei Ferrari
Angesichts der bisherigen Leistungen dieser Saison gibt man sich bei Ferrari jedoch zuversichtlich für das kommende Wochenende: "Bislang haben wir uns in den vergangenen drei Rennen bezüglich der Qualifying-Performance gut geschlagen, und hoffentlich können wir das auch in Monaco wiederholen", meint Baldisserri. "Das bedeutet, dass wir mit der gleichen Spritmenge im Vergleich zu unseren Hauptrivalen definitiv konkurrenzfähig sein werden."
Dennoch dürfe man sich seiner Sache nicht zu sicher sein: "Monaco ist wieder eine komplett andere Art Strecke, wir können uns also nicht zu hundert Prozent sicher sein, dass unser Auto zum Kurs von Monaco passt, denn das erfordert ein grundlegend anderes Setup, mit möglichst viel Abtrieb." Jedoch habe man sich bei Testfahrten in der vergangenen Woche in Paul Ricard und Fiorano in dieser Hinsicht gut vorbereitet, außerdem "haben wir ein Aerodynamik-Update, andere Reifen und einige Verbesserungen am Motor".

