• 14.10.2015 16:30

  • von Dieter Rencken

Auge in Auge mit Bernie Ecclestone

Die Formel 1 war schon vor der EU-Beschwerde von zwei Teams nicht kerngesund - Bernie Ecclestone, wir müssen über viele Dinge sprechen

(Motorsport-Total.com) - Sid Watkins, der legendäre Formel-1-Arzt, hat einmal gesagt: "Mit Bernie Ecclestone zu diskutieren ist wie eine Zeitung bei starkem Wind zu lesen." In Sotschi hat diese Kolumne den Wahrheitsgehalt dieser Aussage des verstorbenen (und sehr vermissten) Professors getestet, und sie für richtig befunden. Vor allem, wenn der bald 85-Jährige Formel-1-Zar der Stimmung einer Beilage der Sonntagszeitung hat.

Titel-Bild zur News: Bernie Ecclestone

Bernie Ecclestone zieht seit Jahrzehnten in der Formel 1 die Fäden Zoom

Wir treffen uns in Bernies Hospitality im Fahrerlager, während das dritte Freie Training läuft. Ausgemacht war 11:00 Uhr, aber er ist nicht da. Bernie entschuldigt sich, murmelt etwas von einem abgebrochenen Meeting mit "wichtigen Leuten, aber ich habe ihnen gesagt, dass du wichtiger bist..." - und verschiebt auch das anschließende Interview mit den russischen Medien.

Erste Frage: Welche Sorgen machst du dir als Geschäftsführer des Formel-1-Managements, das die kommerziellen Rechte hält, über die Zukunft der Formel 1? Knappe Antwort: "Ich denke nicht mehr als immer." Typisch Bernie: Die Antwort lässt sich mit "extrem besorgt" oder "überhaupt nicht besorgt" übersetzen - oder irgendwo dazwischen. Die Botschaft ist aber klar: Die Formel 1 hatte schon Krisen, hat sie aber immer überlebt...

Okay, aber sind die aktuellen Probleme nicht mehr direkt in deiner Hand? "Wenn man mit Leuten zu tun hat, die Wettbewerber sind, versuchen sie sich immer einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen. Dann bekommst du immer diese Art von Schwierigkeiten", lautet seine Antwort, die erwartbar ist. Aber davon muss man ausgehen, wenn man in einem öffentlichen und konkurrenzfähigen Umfeld aktiv ist, wo der Eintrittspreis höher als 100 Millionen Euro liegt? "Nein - heute ist das einzige Problem, dass wir zwei Hersteller haben, die sicherstellen wollen, dass niemand ihre Aktivitäten destabilisiert."

Lewis Hamilton

Mercedes dominiert von Beginn an die neue Hybrid-Ära in der Formel 1 Zoom

Wo soll ein unabhängiger Kundenmotor herkommen?

Aber Bernie, wir hatten ähnliche Situationen in der Vergangenheit und du konntest sie immer kontrollieren. "Der Unterschied ist, dass momentan nur zwei Hersteller Motoren liefern. Und dadurch haben sie im Vergleich zu früher praktisch mehr Kontrolle. Früher gab es jemanden, der allen Motoren zur Verfügung stellen konnte", sagt er ruhig und fast bedrohlich. In seiner felsenfesten Überzeugung liegen die Wurzeln des Übels in den Hybrid-Motoren.

Er erklärt wie komplex und teuer die Triebwerke sind und "fünf Jahre Vorsprung des Führenden" haben mögliche Einsteiger verschreckt. Aber die entscheidende Frage ist: Warum ist kein Hersteller gekommen, nachdem das Reglement schon 2009 beschlossen wurde? So wie heute war Bernie schon damals der Vorsitzende der Formel-1-Kommission. Diese ist der letzte Schritt bevor der FIA Motorsport-Weltrat Regeländerungen ratifiziert.

Michael Schumacher

1994 wurde zum letzten Mal ein Team mit dem Ford-Kundenmotor Weltmeister Zoom

"Es war (der damalige FIA-Präsident) Max (Mosley), der entschieden hat, dass wir diesen Motor haben müssen. Er dachte, das würde weitere Hersteller anziehen. Ich habe damals zu ihm gesagt: 'Max, vielleicht sollten wir die Hersteller fragen, ob sie kommen werden, wenn wir so einen Motor haben.'" Das passierte zu einem Zeitpunkt, als sich Honda, Toyota und BMW zurückzogen. Hat die Formel 1 nicht gelernt, dass sich Hersteller nur sehr selten nachhaltig engagieren? "Ja, das haben wir realisiert..."

Ecclestone will Motorenreglement verändern

Es war der Tag nachdem Matthias Müller, der neue Volkswagen-Vorstandsvorsitzende, erklärt hat, dass alle geplanten Projekte gestrichen sind. Das legt nahe, dass die Formel 1 endgültig vom Tisch ist, zumindest in der näheren Zukunft. Trotzdem bleibt bei Ecclestone die Hoffnung, dass Volkswagen bald in die Formel 1 kommt: "Ich wäre überrascht, wenn sie es nicht täten?" Und wann? "Wir werden es sehen." Seine Antwort lässt alles offen...

Bernie deutet an, dass zwei Hersteller bald in die Formel 1 kommen werden, selbst wenn Volkswagen nicht darunter ist. Das passiert aber nur "wenn wir die Regeln ändern." Ecclestone schlägt wie im vergangenen Jahr vor, dass das Motorenreglement schon für 2017 geändert werden könnte. Wobei die Formel-1-Kommission und der Motorsport-Weltrat bis zum 28. Februar 2016 alles beschließen müsste, so wie es das Protokoll vorsieht. Bernie verrät kaum Details, außer dass "drei oder vier Monate" ausreichend für die Formulierung sind und die Hybridsysteme bleiben werden.

Bernie Ecclestone, Toto Wolff

Worüber sich Bernie Ecclestone und Toto Wolff wohl unterhalten? Zoom

Die Situation wird in den nächsten Tagen klarer, denn die Automobilhersteller treffen sich am Donnerstag mit der FIA, um über das Reglement zu sprechen. Möglicherweise wird das kontroverse Token-System abgeschafft. Genau an diesem Punkt war die Formel 1 schon vor einem Jahr in Abu Dhabi, und immer noch jagt die Formel 1 wie ein Hund seinen Schwanz der Motorenfrage nach. Es gibt vermutlich den Gedanken der Hoffnung, der sich wieder um die Frage der "Kontrolle" dreht.

Klarerweise verdient sich Ecclestone ein sehr großes Lob, weil er die Formel 1 aus einem Feld von Mechanikern mit schmutzigen Fingern, die eine kleine Gruppe Enthusiasten unterhalten hat, auf die globale Weltbühne geführt hat und weltweit viele Zuschauer besitzt. Da aktuell die Popularität der Formel 1 praktisch in allen Märkten sinkt - wer trägt die Schuld?


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Bernie weicht dieser angedeuteten Anschuldigung geschickt aus und identifiziert nicht einen Schuldigen, sondern den Fluch seines Lebens: "Wenn man ein wenig zurückblickt, und man muss nicht weit blicken, wirst du realisieren, dass viele Probleme wegen dieses Motors entstanden sind." Die Formel 1 stand schon 2009 vor der Spaltung in eine Piratenserie - lange bevor das Motorenreglement festgelegt wurde. Es scheint, dass sich die Formel 1 in jüngster Zeit im Kreis dreht.

Ist die Formel 1 ein "scheiß Produkt"?

Hat die Formel 1 ihren Reiz verloren? Ist es ein "scheiß Produkt", wie es kürzlich ein Rennpromoter genannt hat? Und wenn ja, wie ist die Formel 1 dann in diesen Zustand gekommen? "Ich denke, es könnte besser sein", sagt Bernie und ergänzt: "Wenn wir diesen Hybridmotor nicht hätten, dann wäre das alles gar nicht passiert." Wenn man diesen Antriebsstrang los wird, sind dann alle Probleme gelöst? "Absolut", sagt Bernie ohne zu zögern. "Das Problem wäre gelöst."

"Wenn wir diese Motoren loswerden und wir wieder einen unabhängigen Motorhersteller, der jeden ausrüsten kann, haben, wäre das Problem gelöst. Wenn du heute einen Mercedes-Motor verwendest und es gibt irgendwelche Diskussionen, dann sage ich als Mercedes zu dir: 'Ich werde so entscheiden und du wirst es genauso machen.'" Schlägt Bernie dann eine Einheitsformel mit Einheitsreifen und Einheitsmotoren vor? "Nein, keinen Einheitsmotor, aber es gäbe Wahlmöglichkeiten bei den Motoren."

Nelson Piquet

1981 war Bernie Ecclestone noch Besitzer des Brabham-Teams Zoom

Bernie, du schlägst also einen leistbaren Motor für die Privatteams vor? "Richtiges Wort. Ja, absolut. Das ist genau richtig", sagt er. Ein entscheidender Faktor wird dabei aber übersehen: Cosworth hat die Entwicklung des legendären DFV nicht bezahlt - es war Ford! Im Gegenzug wurde das Ford-Logo aufgeklebt und man bekam die Namensrechte. Man muss nur in die Statistik blicken: Nelson Piquet gewann seinen ersten WM-Titel nicht mit einem Brabham-Cosworth sondern mit einem Brabham-Ford.

Gibt es einen Hersteller, der dieses Modell kopieren könnte? "Eigentlich nicht", meint Ecclestone und stellt klar: "Ich meine, es würde keinen Unterschied machen, wenn jemand für die Entwicklung bezahlt. Es muss kein Automobilhersteller sein." Der PURE Hybrid-Motor von Ex-BAR-Teamchef Craig Pollock beruhte auf einem ähnlichen Modell. Das Projekt scheiterte, weil der Schotte nicht genug Finanzpartner gewinnen konnte. Es existiert also ein Präzedenzfall.


Mercedes feiert den Konstrukteurstitel

"Es könnte ich sein, oder du, wenn du willst. Wenn wir uns gemeinsam dazu entschließen, dann könnten wir es machen", meint Ecclestone, obwohl er genau weiß, dass so eine Partnerschaft aus finanziellen Gründen von meiner Seite nicht machbar ist. "Warten wir ab", meint Bernie auf die Frage, ob er sich aktiv für so ein Modell mit einem unabhängigen Motor einsetzt.

EU-Untersuchung bringt Ecclestone nicht aus der Ruhe

Zusammengefasst heißt es also, dass in der Formel 1 alle Probleme aus der Welt geschafft wären, wenn sich die Motorensituation verbessert? "Ja, das denke ich", mein Bernie und wirkt dabei wenig überzeugend. Er verübelt die aktuelle Motorenformel dem ehemaligen FIA-Regime, das sich dafür stark gemacht hat. Auch wenn er Mosley nicht direkt die Schuld dafür gibt - schließlich sind sie seit 30 Jahren gute Freunde - brodelt diese Schlussfolgerung während unseres 25 Minuten Interviews.

Aber blicken wir weiter: Würde die Motorenfrage auch die Untersuchung der EU-Kommission beenden oder die Strategiegruppe legitimieren? Oder würde es die finanzielle Ungerechtigkeit in der Formel 1 beenden? Ist Bernie überrascht, dass zwei Teams bei der EU Beschwerde eingereicht haben? Haben sie dafür überhaupt etwas in der Hand? "Eigentlich nicht. Sie haben immer gesagt, dass sie es tun könnten. Sie beschweren sich über die Geldverteilung."

Monisha Kaltenborn

Neben Sauber hat auch Force India bei der EU Beschwerde eingelegt Zoom

"Aber haben sie etwas Handfestes? Sie haben sich beschwert und jetzt liegt es an der EU-Kommission zu entscheiden, ob die beiden Teams etwas Handfestes in der Hand haben", entgegnet Bernie gelassen. Und hättest du dich auch beschwert, wenn dein Team in dieser Position wäre? "Ob ich mich als Team beschweren würde? Wahrscheinlich nicht, denn wenn ich einen Vertrag ausgehandelt und unterschrieben habe, würde ich ihn nicht ändern müssen."

Deal mit Ecclestone ein Pakt mit dem Teufel?

Bernie! Diese beiden Teams sind der Meinung, dass sie einen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben. Sie sind verdammt wenn sie unterschreiben, und sie sind verdammt wenn sie es nicht tun. Wir diskutieren kurz ob es eine Alternative zu dem Pakt mit dem Teufel gibt, bis Ecclestone schließlich etwas Überraschendes sagt: "Ich kann mich nicht detailliert an die finanziellen Angebote erinnern, aber ich glaube nicht, dass es so war."

Vielleicht. Aber die EU wird sich sicher dafür interessieren, wie diese beiden Teams darauf gekommen sind. Und dann wird sich die EU auch andere Teams ansehen, zum Beispiel Ferrari. Glaubt Bernie wirklich, dass unterschiedliche Bezahlmodelle, die Strategiegruppe und so weiter der richtige Weg sind? Würde er im Rückblick nicht lieber alle Verträge zerreißen und neu anfangen? "Ich habe das zwei oder dreimal vorgeschlagen, aber man kann Leute nicht dazu zwingen ihre Verträge zu zerreißen."

Bernie Ecclestone, Wladimir Putin

Russlands Präsident Wladimir Putin und Bernie Ecclestone in Sotschi Zoom

Sollte die EU die Verträge für null und nichtig erklären,würde das Bernie recht sein? "Wir müssen abwarten", meint er. Es gibt eine Verschwörungstheorie, dass du dir das wünscht? "Warum sollte ich das wollen", sagt Bernie und sieht mich dabei ausdruckslos an, auch als ich anmerke, dass damit viele Kopfschmerzen aus der Welt geschafft wären. "Ich habe keine Kopfschmerzen", entgegnet er.

Ecclestone verteidigt Startegiegruppe

Wenden wir uns der Strategiegruppe zu. "Was ist mit der Strategiegruppe falsch? Weißt du überhaupt was die Strategiegruppe ist", feuert er zurück. Nachdem ich im erklärt habe, dass sie ursprünglich als "abgespeckte Formel-1-Kommission" - wie es viele Teamchefs bezeichnen - gedacht war, hält Bernie dagegen, dass sie nie gemacht wurde, um die Kommission zu ersetzen. Sie sollte nur die Zukunft der Formel 1 formulieren.

Ich weise auf ein Meeting am 22. Oktober 2012 in Paris hin, wo entschieden wurde, dass man die Strategiegruppe und die Kommission behalten wird. Damit wurde der Prozess noch komplexer als er ohnehin schon war. Bernie hält davon nichts. Entweder sind meine Quellen, die mir über längere Zeit unabhängig Informationen gegeben haben, komplett falsch informiert - obwohl sie in Paris waren. Oder Bernie hat es einfach vergessen.

Es ist nicht das erste Mal, dass wir nicht einer Meinung sind. Also widmen wir uns der Effektivität, oder Ineffektivität, der Strategiegruppe zu. "Ich habe die Strategiegruppe zusammengestellt. Der Halter der kommerziellen Rechte hat sechs Stimmen, die Teams haben sechs Stimmen und die FIA hat sechs Stimmen. Wir besprechen die Dinge und präsentieren sie dann der Formel-1-Kommission. Dort sitzen alle Teams und die Sponsoren der Teams. Sie können die Dinge annehmen oder zurückschicken."

Bernie Ecclestone, Jean Todt

Bernie Ecclestone und FIA-Präsident Jean Todt kennen sich schon sehr lange Zoom

"Sie können die Dinge nicht verändern, aber sie können sagen, dass wir noch einmal darüber nachdenken sollen. Danach geht es wieder zur Formel-1-Kommission und anschließend zum Weltrat, wo es mehr oder weniger durchgeht. So läuft das", sagt Ecclestone. Diese Prozedur wurde auf dieser Webseite schon oft genug dargestellt. Es ist aber eine Tatsache, dass sich die Zusammenstellung der Kommission geändert hat und jetzt mehr Macht bei der FOM liegt, denn früher konnten die Teams zwei Streckenbetreiber nominieren. Außerdem hat ein FOM-Sponsor (Rolex) den Sponsorplatz eines Teams eingenommen.

Zusätzlich wurde HRT ausgeschlossen. Dafür könnte man indirekt der FOM die Schuld geben, denn sie haben dem Team keinen kommerziellen Vertrag angeboten. Die Stimme von HRT wurde dann bei einer Abstimmung gegen die Teams gedreht. Laut Dokumenten haben mindestens vier Stimmen dafür votiert. "Nein, nichts hat sich verändert. Der Aufbau der Formel-1-Kommission hat sich nicht verändert", beharrt Ecclestone vehement und sagt, ich solle das "richtige Dokument" auftreiben. Wieder sind wir nicht einer Meinung.


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"Und weißt du, wenn wir als Halter der kommerziellen Rechte gemeinsam mit der FIA etwas beschließen, dann müssen wir niemanden fragen", hält Ecclestone fest. Das stimmt, weil du und FIA-Präsident Jean Todt je sechs Stimmen habt. "Absolut. Und dann geht es weiter in die Formel-1-Kommission. Dort können es die Teams ablehnen. Die Teams haben also die Kontrolle."

Wir stehen wieder am Anfang, also widmen wir uns der Frage nach der FIA-Präsidentschaft von Jean Todt. Wie gut ist ihr Verhältnis? "Gut." Keine Probleme? "Überhaupt nicht" Unterstützt er die Formel 1 gut genug oder lässt er euch alleine? "Ja." Max war dagegen regelmäßig involviert. Welchen Ansatz magst du lieber, Max oder Jean? "Deshalb haben wir die Strategiegruppe ins Leben gerufen und sie müssen damit zufrieden sein. Wenn wir uns prinzipiell mit den Teams einigen, muss die FIA nichts tun."

Trotzdem stand dein Verhältnis zu Todt zu einem Zeitpunkt auf der Kippe. Hat sich die Situation verbessert? "Als er Präsident wurde, war er der Neue. Die Dinge verändern sich mit der Zeit", sagt Ecclestone. Würdest du ihn gerne noch länger als FIA-Präsident sehen? "Ja, kein Problem." Damit stehen wir auf und gehen zur Türe, während das Training nach dem Unfall von Carlos Sainz unterbrochen ist. Bernie sieht mir in die Augen und sagt: "Bist du dir mit der Kommission und all dem sicher?" Ja Bernie, zu 100 Prozent. "Weißt du, du hast mir Sorgen bereitet. Ich kann mich nicht erinnern, ich muss das überprüfen." Wir schütteln uns kurz die Hände und er dreht sich um und widmet sich den wartenden russischen Journalisten.