Analyse: So viel Politik steckt im Formel-1-Antrieb der Zukunft
Was wirklich gespielt wird im Ringen um das neue Reglement in der Formel 1: Wer was fordert und warum und mit welchen denkbaren Konsequenzen
(Motorsport-Total.com) - Nikolas Tombazis als Formelsport-Leiter im Automobil-Weltverband (FIA) hat bei einer Medienrunde in China zwei zentrale Fragen für die Zukunft der Formel 1 aufgeworfen: Wie soll die langfristige Motorenformel aussehen? Und - wenn das Ziel ein V10-Motor mit nachhaltigem Kraftstoff bis 2031 oder sogar früher ist - was geschieht in der Übergangszeit?

© Giorgio Piola
Mercedes-Antrieb im Mercedes W15 in der Formel-1-Saison 2024 Zoom
Die FIA stellte zwei Optionen zur Diskussion: entweder den Reglementzyklus ab 2026 zu verkürzen oder die neuen Regeln ganz zu verwerfen. Doch das Ergebnis des hochrangig besetzten Treffens mit den Herstellern in Bahrain war eindeutig: Letzteres wird nicht geschehen.
Drei Hersteller - namentlich Audi, Honda und Mercedes - machten von Anfang an deutlich, dass ein solcher Kurs für sie nicht in Frage kommt. Audi und Honda sind gerade wegen der Elektrifizierung und der nachhaltigkeitsorientierten Regelwerke in der Formel 1 engagiert.
Und Mercedes-Boss Toto Wolff betonte: Die Formel 1 müsse ein "verlässlicher Partner" sein - kurzfristige Regeländerungen seien damit nicht vereinbar. Auch Daimler-Geschäftsführer Ola Källenius, der virtuell zugeschaltet war, sprach sich klar gegen ein Verwerfen des 2026er-Reglements aus.
Die FIA hatte ohnehin signalisiert, dass eine Supermehrheit für eine Änderung nötig sei. Selbst bei nur einem ablehnenden Hersteller wäre eine Änderung unwahrscheinlich gewesen, da die FIA klarstellte, dass sie nichts "von oben herab" diktieren will - vielmehr müsse ein breiter Konsens bestehen.
Was bringt die Zukunft? Turbo, KERS und andere Streitpunkte
Trotz dieser Einigkeit gab es viele offene Fragen - nicht nur zu den 2026er-Regeln, sondern auch zur langfristigen Motorenstrategie der Formel 1. In einem späteren Statement betonte die FIA: "Ein gewisser Grad an Elektrifizierung wird stets Teil der Überlegungen sein." Die künftigen Formel-1-Antriebe werden also immer elektrische Komponenten beinhalten.
Eine oft diskutierte Option ist ein V10- oder V8-Motor mit KERS, doch in der Praxis ist das komplizierter: Einige Hersteller halten diese Variante für zu schwer, da mehr Kraftstoff nötig wäre, was das Gewicht erhöht. Zwar könnten elektrische Komponenten entfallen, doch das reicht nicht aus, um das Gewicht auszugleichen.
Mehrere Marken bestehen daher auf Turbomotoren, die auch für Serienfahrzeuge relevanter seien - so etwa Audi. Fahrer wie Esteban Ocon bedauern dagegen den Verlust des Sounds durch die Turbolader: "Diese Motoren sind stark und gut zu fahren, aber es fehlt der Sound, den wir als Kinder geliebt haben."
Die Diskussion bleibt also vielschichtig. Ein Konsens muss laut FIA die Interessen von Nachhaltigkeit, Gewicht, Sicherheit, Leistung, Serienrelevanz, Sound und Zuschaueransprache in Einklang bringen. Klar ist: Nachhaltigkeit und Seriennähe sind nicht verhandelbar, wenn die Formel 1 Hersteller nicht verlieren will.
Warum das gefährlich werden kann
Ein noch heißeres Eisen bleibt jedoch das Reglement ab 2026 - ein hochpolitisches Thema. Die Sorgen sind zweigeteilt: Zum einen geht es um die sportliche Qualität der neuen Regeln, zum anderen um die Angst, dass ein Hersteller einen überlegenen Vorteil erzielen könnte.
Carlos Sainz sagte in Bahrain: "Wenn mir gefallen würde, was ich über 2026 sehe, würde ich nicht so laut über eine Rückkehr des V10 sprechen. Aber da ich nicht mag, was ich sehe - wie das Auto funktioniert, wie der Motor arbeitet - würde ich eine Rückkehr des V10 mit ein paar Modifikationen befürworten."
Solche Aussagen zeigen die Skepsis vieler Beteiligter gegenüber dem kommenden Reglement.
Gleichzeitig warnte McLaren-Teamchef Andrea Stella davor, negative Stimmung zu erzeugen: "Wir haben 2026 noch nicht einmal begonnen, und reden schon über Änderungen. Wir müssen verantwortungsbewusst handeln und das Potenzial dieser Regeln nutzen. Sie brauchen vielleicht Feinschliff - aber dafür sind wir da."
Änderungen "im Interesse des Sports"?
Doch genau hier beginnt das politische Ringen. Was wirklich "im Interesse des Sports" liegt, ist höchst umstritten. Besonders beim Thema Gewichtung zwischen E-Motor und Verbrenner prallen Interessen aufeinander.
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Red Bull warnte vor einem "Katastrophenszenario" und forderte eine Anpassung, um zu viel "Lift and Coast" über eine Renndistanz hinweg zu vermeiden. Teamchef Horner stellte klar: "Wir haben das nicht diese Woche auf die Agenda gebracht. Wir haben schon vor zwei Jahren darum gebeten, dass man sich das anschaut."
Sollten die Fahrer unter dem neuen Reglement dazu gezwungen sein, zu häufig vom Gas zu gehen, dann "wäre das nicht besonders gut für den Sport und höchst frustrierend für die Fahrer", meint Horner. "Aber wenn die FIA das im Sinne des Sports tut, dann unterstützen wir das."
Toto Wolff von Mercedes sieht das anders: "Die Agenda der Formel-1-Kommission zu lesen ist fast so amüsant wie manche Kommentare auf Twitter zur US-Politik. Ich enthalte mich besser, aber es ist ein Witz."
Beide Seiten haben sportliche Gründe für ihre Äußerungen. Horner etwa sagt: "Mercedes wirkt selbstbewusst mit Blick auf seine Entwicklungen für 2026." Wolff wiederum meint, es sei zu spät, um noch Änderungen für 2026 durchzusetzen. Dazu sagt Horner: "Wir haben noch zehn Monate bis zum Saisonstart - das ist kein Drama."
Wichtig bei all dem ist: Die aktuelle Diskussion betrifft weniger Hardware-Änderungen als vielmehr die Energieverteilung während der Rennen. Die FIA könnte etwa die geplante elektrische Leistung von 350 kW reduzieren - im Extremfall sogar auf 200 kW, was aber unwahrscheinlich ist.
Hersteller, die ihre 2026-Motoren bereits fertig entwickelt haben, lehnen solche Eingriffe verständlicherweise ab - andere könnten profitieren. Das macht die Angelegenheit komplex und politisch.
Und die Uhr tickt. 2026 rückt näher. Deshalb müssen FIA und alle weiteren Beteiligten dringend ausarbeiten, was genau "im Interesse des Sports" liegt.
Und wie immer lautet die große Frage: Wer ist bereit, zum Wohle eines guten Endprodukts für die Fans einen vielleicht kleinen sportlichen Vorteil zu opfern?


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