• 30.10.2013 16:49

Abu Dhabi aus Motorensicht: Das Rennen der zwei Gesichter

Abu Dhabi zwingt die Motoreningenieure zu Kompromissen: Lange Geraden folgen auf kurvige Passagen, auch das Fahren bei Tag und Nacht wirkt sich aus

(Motorsport-Total.com) - Der topmoderne Yas Marina Circuit besticht durch zwei lange Geraden, wo Motorenleistung gefragt ist - dennoch konzentrieren sich Renaults Motoren-Ingenieure beim drittletzten Grand Prix des Jahres nicht auf die Vollgas-Passagen, sondern auf die große Menge an langsamen und mittelschnellen Kurven im hinteren Streckenteil rund um den Jachthafen.

Titel-Bild zur News: Davide Valsecchi

Tag und Nacht: Der Grand Prix von Abu Dhabi findet in der Abenddämmerung statt Zoom

Die als Kurve sieben bezeichnete Haarnadel zu Beginn des zweiten Sektors ist der langsamste Streckenpunkt; die technischen Herausforderungen ähneln der berühmten Grand Hotel Hairpin in Monaco (ehemals Loews). Das heißt: Zum einen soll der Motor effektiv mitbremsen, damit das Heck des Fahrzeugs am Kurveneingang ruhig bleibt. Zum anderen muss der Renault RS27 sehr exakt und agil auf das Gaspedal ansprechen, denn der Kurvenausgang der Haarnadel führt direkt auf die lange Gegengerade. Jede Verzögerung beim Beschleunigen kostet Top-Speed und wertvolle Rundenzeit.

14 Sekunden Vollgas

Die Drosselklappen des Renault RS27 sind während 58 Prozent einer Runde auf dem Yas Marina Circuit voll geöffnet. Die Durchschnittsgeschwindigkeit liegt bei knapp 190 km/h und damit etwa auf dem Level von Montreal. Eine weitere Parallele: Auf der fast 1,2 Kilometer langen Gerade zwischen den Kurven sieben und acht läuft der Renault RS27 volle 14 Sekunden lang auf Vollgas, die Autos erreichen hier Top-Speeds von über 310 km/h. Entsprechend wichtig ist die korrekte Auswahl der Getriebeübersetzung.

Der siebte Gang muss "lang" genug gewählt werden, damit das Fahrzeug am Ende der Geraden und mit flach gestelltem Heckflügel-DRS eine konkurrenzfähige Endgeschwindigkeit erreicht. Andererseits verlangen die aufeinander folgenden Rechtskurven im dritten Sektor nach sehr eng gestuften mittleren Gängen, weil die Fahrer zwischen den Turns immer wieder kurze Sprints hinlegen - folglich sind hier nur kleine Drehzahlsprünge erwünscht. Die Motoren-Ingenieure sind gefordert, den optimalen Kompromiss zwischen engen Anschlüssen der Gänge und einem "langen" Siebten herauszuarbeiten.

Der dritte Sektor von Kurve elf bis zur Zielkurve 21 besteht vor allem aus Rechtskurven, die im zweiten und dritten Gang genommen werden. Kurve 21 ist ein typischer Vertreter dieser 90-Grad-Kurven. Das Durchschnittstempo des Sektors ist mit rund 160 km/h recht niedrig. Der Renault RS27 wird hier vor allem auf gute Fahrbarkeit abgestimmt, gleichzeitig muss er spontan viel Drehmoment liefern für die kurzen Sprints zwischen den Kehren. Ein stabiles Heck gilt in dieser Passage als Schlüssel zum Erfolg: Wenn das Auto in den langsamen Kurven auf der Strecke "klebt", spart das wichtige Zehntelsekunden.

Motorensetup ein Kompromiss

Renaults Einsatzleiter Remi Taffin meint, dass der Yas Marina Circuit "bei der Abstimmung des Motormanagements ein eher neutrales Setup" erfordert: "Hier wechseln sich lange Geraden und einige enge, sehr langsame Kurven ab. Daher muss der RS27-Weltmeistermotor in allen Drehzahlbereichen optimal ansprechen."

"Hier wechseln sich lange Geraden und einige enge, sehr langsame Kurven ab." Remi Taffin

Weil jede Menge Sand und Staub auf die Strecke geweht wird, legt Renault den Fokus auch auf die Luftfilter: "Sie sorgen dafür, dass keine feinen Partikel in die Zylinder gelangen und dort Schäden anrichten oder den Verschleiß beschleunigen. Je nach Bedarf müssen wir die Filter regelmäßig reinigen." Wegen der hohen Temperaturen von mehr als 30 Grad Celsius ist auch die Kühlung wichtig: "Wenn auch nur etwas zu wenig Luft durch die Kühler strömt, kann dies den Temperaturhaushalt schon durcheinander bringen."

Der Spritverbrauch ist laut Taffin in Abu Dhabi "aufgrund des Stop-and-Go-Charakters höher als auf vielen anderen Formel 1-Rennstrecken. Das gilt vor allem für den ersten und den letzten Streckenabschnitt. Der hohe Luftdruck an der Strecke - die bekanntlich auf Meereshöhe liegt - verstärkt diesen Effekt nochmals."

Tag und Nacht wirken sich auf Motor aus

Weil das Rennen bei Tageslicht gestartet wird und im Dunkeln endet, verändern sich auch die Anforderungen an Motorkühlung und Ansprechverhalten des Motors sowie der Verbrauch. "Bei höheren Außentemperaturen ist er geringer, sobald das Thermometer jedoch gegen Abend fällt, steigt der Verbrauch", erklärt Taffin. "Denn aufgrund des höheren Sauerstoffgehaltes in der Luft kann der Motor mehr Kraftstoff verbrennen. Diese Parameter müssen wir bei der Abstimmung des Motormanagements mit im Hinterkopf behalten."

Obwohl Renault mit Red Bull und Sebastian Vettel erneut die WM gewonnen hat, hat man 2014 nach wie vor Ziele, so der Franzose: "Wir werden alles dafür tun, um Lotus zum zweiten Platz zu verhelfen. Und auch Williams und Caterham können bei den noch ausstehenden drei Rennen weitere wichtige Punkte sammeln. Daher werden wir so lange voll konzentriert zu Werke gehen, bis beim letzten Grand Prix in Brasilien die schwarz-weiß-karierte Flagge geschwenkt wird."