Ab Sonntag hat die Formel 1 in der EU ausgeraucht

Dieses Wochenende tritt das Tabakwerbeverbot der EU in Kraft - 'F1Total.com' analysiert noch existierende Unklarheiten und Folgen

(Motorsport-Total.com) - Als 1968 der erste Gold-Leaf-Aufkleber auf den Lotus-Boliden von Colin Chapman angebracht wurde, begann für die Formel 1 eine neue Zeitrechnung. Fast 40 Jahre lang subventionierte die Tabakindustrie den schnellsten Sport der Welt mit ihren Milliarden, doch zumindest in der Europäischen Union hat diese Ära nun ein Ende: Ab kommendem Sonntag ist Tabakwerbung in der EU verboten.

Titel-Bild zur News: Tabakwerbung in der Formel 1

Die Ära der Tabakwerbung in der Formel 1 neigt sich langsam dem Ende zu

Das zugehörige Verbot der britischen Regierung tritt Ende Juli in Kraft, was bedeutet, dass die betroffenen Teams beim bevorstehenden Grand Prix von Ungarn am Freitag und Samstag noch in ihrer standesgemäßen Lackierung auftreten dürfen, am Sonntag aber nicht mehr. Doch so klar diese Bestimmung auf den ersten Blick aussehen mag, so schwammig ist sie in Wahrheit - speziell für die in Großbritannien beheimateten Teams.#w1#

Probleme in Großbritannien wegen der TV-Übertragung

Die parallel zum EU-Gesetz in Kraft tretende Richtlinie der britischen Regierung besagt nämlich, dass Teams, die ihren Sitz in Großbritannien haben, auch außerhalb des EU-Raums keine Tabakwerbung betreiben dürfen, weil die TV-Bilder mit den Zigarettenlogos in britische Wohnzimmer transportiert werden. Seitens der betroffenen Teams gingen diesbezüglich mehrere Anfragen um Klarstellung dieser Vorschrift an die Behörden, eine klare Antwort steht aber noch aus.

Im schlimmsten Fall muss der Sender 'ITV', der die Formel-1-Rennen auf der Insel überträgt, einen Weg finden, die Logos zu überblenden, indem man zeitversetzt ausstrahlt und die Bilder digital bearbeitet. Sogar eine Streichung der TV-Übertragung in Großbritannien ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ausgeschlossen. Die Teams, die FIA und Bernie Ecclestone hoffen aber, dass eine Ausnahmereglung gefunden werden kann, mit denen sie wenigstens außerhalb der EU Tabakwerbung betreiben dürfen.

Derzeit setzen in der Formel 1 noch fünf Teams auf Tabakwerbung: Ferrari mit Marlboro, BAR-Honda mit Lucky Strike, Renault mit Mild Seven, McLaren-Mercedes mit West und Jordan-Toyota mit Benson + Hedges beziehungsweise Sobranie. Lediglich McLaren-Mercedes hat auf das EU-Gesetz schon mit einem definitiven Statement reagiert und bekannt gegeben, dass ab Ungarn die Whiskymarke Johnnie Walker West als Hauptsponsor ablösen wird. Nur am Freitag werden die "Silberpfeile" noch in der bisherigen Lackierung an den Start gehen.

BAR-Honda und Jordan-Toyota am meisten betroffen

Ferrari und Renault sind zumindest von der schwammigen britischen Gesetzgebung nicht betroffen, da sie in Italien beziehungsweise Frankreich beherbergt sind, doch die Teamchefs von BAR-Honda und Jordan-Toyota könnten unter Umständen sogar für zwei Jahre ins Gefängnis wandern, wenn sie außerhalb der EU mit Tabakwerbung antreten, die über die Medien die britische Öffentlichkeit erreicht. Entsprechend hoffen vor allem Nick Fry und Colin Kolles auf eine baldige Klarstellung.

"Wir haben die britische Regierung mehrere Male durch die die Teameigentümer von British American Tobacco um eine Klarstellung gebeten", erklärte Fry kürzlich gegenüber der 'Times'. "Wir sind einigermaßen frustriert, dass wir darauf noch keine Antwort erhalten haben. Wir brauchen etwas Schriftliches, etwas Verbindliches. Wir bemühen uns schon seit einiger Zeit um diese Klarstellung, schon seit sechs Monaten, aber bis heute sind wir um keinen Deut schlauer."

Klare Aussage der britischen Regierung weiterhin ausständig

Offenbar hat das britische Parlament zwischendurch anklingen lassen, dass man den Formel-1-Teams insofern entgegenkommen wird, als man ihnen wenigstens für den Nicht-EU-Raum eine Ausnahmegenehmigung erteilen möchte, doch laut Fry ist dies "bei weitem nicht genug", um das Risiko eines kriminellen Handelns auszuschließen. Indirekt übte er daher Kritik an den Behörden: "Ein paar Tage vor dem Inkrafttreten wissen wir immer noch nicht, wie das Gesetz denn nun interpretiert wird."

"Die Tatsache, dass eine zweijährige Gefängnisstrafe droht, hat sich in unseren Köpfen festgesetzt, aber das ist nicht fair gegenüber einem Formel-1-Team in einem Land, welches die EU-Gesetzgebung in vollem Umfang anwendet, während dies in anderen Ländern nicht derart drastisch der Fall ist", so Fry. Allerdings kommt die im Raum stehende Gefängnisstrafe nicht von ungefähr: Über eine Geldstrafe würden sich die Teams und Tabakkonzerne unter Umständen hinwegsetzen, bei Gefängnisstrafen hingegen wird man es sich zweimal überlegen, bei einer unklaren Gesetzgebung auf eigenes Risiko hin bis zu einer endgültigen Klarstellung weiterhin mit Tabaklackierung anzutreten.

Neil England, Marketingchef des Gallaher-Konzerns, der Jordan-Toyota unterstützt, erklärte dieser Tage in einem Zeitungsinterview, dass alle Betroffenen "abwarten und sich gegenseitig beobachten, wer was macht. Als Tabakunternehmen mit Sitz in Großbritannien erhoffen wir uns eine Klarstellung der britischen Gesetze, damit wir wissen, ob wir weiterhin unsere Logos zeigen und damit dem Sport verbunden bleiben dürfen", so der Brite.

Niemand will das Risiko einer Gefängnisstrafe auf sich nehmen

Sollte die Klarstellung der britischen Behörden ausbleiben und Teams wie BAR-Honda und Jordan-Toyota auf eigenes Risiko bei den ersten Rennen außerhalb der EU mit Tabakwerbung antreten, dann aber plötzlich ein Einwand seitens der Regierung kommen, würde dies möglicherweise ernsthafte rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen - wie bereits erwähnt bis hin zu Gefängnisstrafen für die Verantwortlichen. Dieses Risiko will natürlich niemand eingehen.

Umgekehrt sind die Teams aber auch massiv daran interessiert, ihre Geldgeber bei Laune zu halten - vor allem für BAR-Honda geht es ja um viel, weil British American Tobacco nach wie vor 55 Prozent der Anteile am Rennstall hält. Der Konzern möchte zwar auf lange Sicht aussteigen und an Honda verkaufen, wie Fry in den Medien nun noch einmal bestätigt hat, doch solange man in der Formel 1 aktiv ist, möchte man natürlich maximalen Ertrag aus dem Investment schöpfen.

Unabhängig davon haben mehrere Teams vor, mit Ersatzwerbung aufzutreten, also quasi ohne Schriftzüge der Zigarettenmarken, aber mit Farbschemen, die sehr wohl an die bestehenden Sponsoren erinnern. Marlboro kann sich angeblich sogar vorstellen, unter diesen Umständen selbst bei einem völligen Tabakwerbeverbot weiterhin mit Ferrari zusammenzuarbeiten. Nun hat die EU diesem Treiben aber vorerst einen Riegel vorgeschoben.

EU verbietet auch Ersatzlogos ohne Schriftzüge

Laut offiziellem EU-Statement sei "jede Form von kommerzieller Kommunikation" für Tabakkonzerne strikt untersagt, was auch den Gebrauch von Ersatzlogos verbietet. Ein Paradebeispiel dafür waren die Alternativlackierungen von Jordan-Toyota, wo der Schriftzug "Benson + Hedges" kurzerhand durch "Be on edge" ersetzt wurde. Die EU will dies künftig aber ebenso wenig tolerieren wie das Beibehalten von Farbschemata, wie es Ferrari mit dem berühmten Marlboro-Barcode in Silverstone vorexerziert hat.

Darüber hinaus scheint eine Klage des Nürburgrings, der das Tabakwerbeverbot in der Formel 1 angefochten hatte, zum Scheitern verurteilt zu sein. Dies berichten zumindest unsere britischen Kollegen von 'Autosport-Atlas'. Der Nürburgring hatte bekanntlich argumentiert, dass das Tabakwerbeverbot illegal sei, weil dadurch wirtschaftlicher Schaden entstehen wird. Vor allem hatte man in der Eifel Angst, dass ein deutscher Grand Prix gestrichen werden könnte, um mehr Rennen außerhalb Europas austragen zu können, wo Tabakwerbung großteils weiterhin erlaubt ist.

Ab 2006 maximal neun Rennen mit Tabakwerbung?

Sollte die britische Regierung einlenken und den britischen Teams wenigstens außerhalb der EU Tabakwerbung erlauben, blieben 2006 immerhin noch neun Rennen, in denen die Standardlackierung verwendet werden darf: Australien, Malaysia, Bahrain, die USA, die Türkei, Brasilien, Japan, China und eventuell Mexiko, falls der Grand Prix im Tourismusparadies Cancun in den Kalender aufgenommen werden sollte.

Im Interesse der Formel 1 kann man nur auf eine baldige Lösung des vielschichtigen Problems hoffen, zumal Konzerne wie Philip Morris jährlich mehr als 50 Millionen Euro investieren, um ihre Produkte zu bewerben. Zwar haben viele Teams bereits von Tabakwerbung Abstand genommen, doch die Hälfte des Feldes ist noch auf diese Gelder angewiesen - und könnte folglich bei juristischen Komplikationen in ernsthafte Schwierigkeiten schlittern.

Was an der Sache jedoch einen bitteren Beigeschmack mit sich bringt, ist, dass es die Behörden auf Anfrage in sechs Monaten nicht geschafft haben, klare Richtlinien, die jedem verständlich sind, auszugeben, während man den Teams und den Tabaksponsoren vorwerfen kann, dass die EU-Richtlinie ja bereits seit 1998 im Raum steht und man sich durchaus besser darauf hätte vorbereiten können. Denn auf eine Rückkehr in die Gerichtssäle hat angesichts des Formel-1-Streits hinter den Kulissen kaum noch jemand Lust...