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2006: Ein Bahrain-Grand-Prix für die Ewigkeit

Wie Fernando Alonso im Duell der Giganten endgültig die Wachablösung von Michael Schumacher einleitete und mit Nico Rosberg zum Auftakt der V8-Ära ein Stern aufging

(Motorsport-Total.com) - Es ist ein Duell der Giganten, das den Grand Prix von Bahrain 2006 zu einem unvergesslichen Rennen macht - im Cockpit, an den Kommandoständen, bei den Boxencrews. Und die Ausgangssituation könnte nicht aufregender sein: Auf der einen Seite Fernando Alonso, der 2005 mit Renault die Gunst der Stunde genutzt hat und Michael Schumachers Erfolgsära von fünf WM-Titeln in Serie beendet hat.

Titel-Bild zur News: Fernando Alonso, Michael Schumacher

Fernando Alonso setzte sich in Bahrain 2006 haarscharf gegen Schumacher durch Zoom

Auf der anderen Seite Rekord-Weltmeister Schumacher, der Alonso 2005 wegen der schwachen Bridgestone-Reifen nicht die Stirn bieten konnte und fest entschlossen ist, den Jungspund in die Schranken zu weisen und einen achten Titel einzufahren.

Das alles wird garniert mit umfangreichen Reglementänderungen: Die V10-Ära ist vorbei - neue V8-Saugmotoren sorgen für weniger Leistung und erfordern einen neuen Fahrstil: Die Piloten müssen wegen des Leistungsdefizits mehr Speed in die Kurven mitnehmen.

Spektakuläres neues Qualifying feiert Premiere

Dazu kommt ein brandneues Knock-Out-Qualifying-Format, das sich nach Jahren des Herumdokterns der Regelhüter als Volltreffer erweisen sollte: Die Sitzung wird in drei Segmente unterteilt, wodurch von Anfang an für alle die Gefahr besteht, bei einem Problem am Ende der Startaufstellung festzustecken.

Und wie bitter sich das auswirken kann, musste als Erster Kimi Räikkönen am eigenen Leib erfahren. Beim McLaren-Piloten, der bereits 2005 den Titel wegen der zahlreichen technischen Probleme verlor, bricht in Q1 der Heckflügel, wodurch er abfliegt - dabei bricht die Hinterradaufhängung, und sein Schicksal ist besiegelt. Er muss von ganz hinten starten.

Kimi Räikkönen

Erstes Opfer des 2006 neuen Knock-Out-Qualifyings: Kimi Räikkönen Zoom

Ganz vorne stehen die beiden Ferrari von Schumacher und Neo-Teamkollege Felipe Massa, der mit Platz zwei überrascht - die Scuderia zeigt also von Anfang an die Zähne. Alonso muss sich mit Platz vier begnügen. Doch mit genau diesem vierten Startplatz legt der Asturier den Grundstein zum Sieg.

Massa räumt Alonso um ein Haar aus dem Rennen

Schon beim Start attackiert Alonso, dessen Renault-Bolide gewohnt gut wegkommt, die beiden Ferrari-Piloten, doch Massa macht sich breit und schirmt Schumacher ab. Die Doppelführung der Roten aus Maranello hält trotzdem nicht lange: Alonso legt sich in Kurve vier den Brasilianer zurecht und macht daraufhin Jagd auf Leader Schumacher.

Wenig später hält der Schützling von Flavio Briatore den Atem an: Massa, der nicht locker lässt, überbremst in Runde sieben den Ferrari, verliert ihn aus der Kontrolle und rutscht nur Zentimeter an Alonso vorbei von der Strecke. "Ich berührte die Bremsen ganz normal, verlor aber das Heck außer Kontrolle", wundert sich Massa nach dem Rennen. Und Alonso weiß, dass er riesiges Glück hatte: "Ich konnte nichts dagegen tun. Die Geschwindigkeit war zu hoch, und man hat keine Bedenkzeit. Das ist gerade noch gut ausgegangen."

Felipe Massa, Fernando Alonso

Massa verliert den Ferrari aus der Kontrolle und trifft beinahe Alonso Zoom

Als bei Massas folgendem Boxenstopp der Schlagschrauber rechts hinten klemmt und er über eine Minute verliert, entwickelt sich aus dem Drei- ein Zweikampf. Dennoch kann Alonso den Rückstand nicht verringern - Schumacher zieht sogar eher davon. Was den Renault-Piloten aber keineswegs beunruhigt: "Wir dachten, dass sich die Spritmenge gravierend unterscheidet - und es nicht der richtige Zeitpunkt war, um zu pushen."

Renault-Kommandostand cleverer als Ferrari

Als Schumacher in der 15. Runde erstmals in die Boxengasse einbiegt, atmet man am Renault-Kommandostand auf. Die Vermutung stimmt - Alonso hat für vier weitere Runden Sprit. Das reicht zwar nicht aus, um Schumacher die Führung abzuknöpfen, aber um den Rückstand zu verringern und sich einen taktischen Vorteil zu verschaffen. Denn ab sofort folgt der 24-Jährige seinem 37-jährigen Rivalen wie ein Schatten und lauert auf seine Chance.

Und stellt schon in jungen Jahren seine Fähigkeit unter Beweis, ein Rennen lesen zu können wie kaum ein anderer: "Ich wusste, dass die Entscheidung beim zweiten Boxenstopp fallen würde. Ich schonte meine Reifen zu Beginn des Stints, um in den wichtigen Momenten zuschlagen zu können, und ich war sehr zuversichtlich." Zurecht, denn in der 36. Runde lenkt Schumacher seinen Ferrari zum zweiten und letzten Stopp in die Boxengasse. Jetzt weiß Alonso, dass seine Stunde geschlagen hat: Er gibt alles, wird aber von Nachzüglern aufgehalten, ehe er in der 39. Runde selbst hereinkommt, um neue Pneus auszufassen und seinen Boliden für die Schlussrunden auftanken zu lassen.

Fernando Alonso

Die Entscheidung: Alonsos Crew arbeitet um eine Sekunde schneller als Ferrari Zoom

Heißes Rad-an-Rad-Duell nach zweitem Stopp

Die Renault-Mechaniker arbeiten um eine Sekunde schneller und Alonso fährt zurück auf die Piste, als Schumacher mit hohem Tempo herannaht. Der Kerpener nützt seinen Geschwindigkeits-Überschuss, setzt sich auf der Außenbahn neben Alonso, doch der gewinnt das Rad-an-Rad-Duell und verlässt die zweite Kurve als Führender.

"Für mich war es entscheidend, beim letzten Stopp vor Michael aus der Box zu kommen", erzählt der Spanier. "Es war die einzige Möglichkeit, dieses Rennen zu gewinnen, und ich habe alles riskiert. Danach hatte ich das Rennen in der Hand." Auch Schumacher weiß in dem Moment, dass die Vorentscheidung gefallen ist: "Wenn man hinten ist, dann muss man auf einen Fehler warten - oder auf eine unglückliche Situation mit einem Überrundeten."

Fernando Alonso und Michael Schumacher

Nach dem Stopp: Schumacher presst sich neben Alonso in die erste Kurve Zoom

Oder man hofft darauf, dass Alonso ein Reifenproblem kriegt: Genau diese Befürchtung hatten die Ingenieure um Pat Symonds zu diesem Zeitpunkt am Renault-Kommandostand. Und wieder musste Alonso Fingerspitzengefühl beweisen: "Ich wusste, dass meine Michelin-Reifen am Anfang des Stints ein bisschen besser sind, am Ende des Stints aber die Bridgestone-Reifen. Ich rechnete also in den letzten fünf Runden damit, dass Michael für Probleme sorgen wird. Daher fuhr ich konservativ und passte auf meine Reifen auf."

Spannung bis zur Zielflagge

Zu Beginn der letzten Runde saugt sich Schumacher tatsächlich noch einmal im Windschatten an den Renault-Boliden heran und schert aus, doch Alonso lässt nichts anbrennen und rettet einen Vorsprung von nur 1,3 Sekunden ins Ziel. Der Jubel beim amtierenden Weltmeister ist gewaltig, Teamchef Briatore trommelt auf den Kommandostand.

Doch auch bei Ferrari ist man alles andere als unglücklich: Nach der Pleitensaison 2005 hat man sich erfolgreich an der Spitze zurückgemeldet und dem Weltmeister-Team die Stirn geboten. "Heute hatten wir alles beisammen, um zu gewinnen, aber uns fehlte vielleicht dieses letzte Quäntchen Glück", weiß Teamchef Jean Todt.

Fernando Alonso

Der Jubel des Siegers: Alonso fährt seinem zweiten Titel entgegen Zoom

Und Schumacher hat eine Idee, was den Ausschlag über Sieg und Niederlage gegeben haben könnte: "Mir wurde im Qualifying eine Runde nicht angerechnet, also durfte ich für diese Runde heute Morgen kein Benzin nachtanken. Sonst hätte ich eine Runde länger draußen bleiben können. Wenn man das jetzt im Nachhinein betrachtet, war das vielleicht der entscheidende Faktor gegen uns. Das ist schade, weil ich in jener Runde wegen eines langsameren Autos abbremsen musste."

Debütant Rosberg verblüfft mit Schnellster Runde

Alonso und Schumacher haben den Grand Prix von Bahrain zum Thriller gemacht - doch im Schatten der beiden Giganten gibt es weitere Helden: Räikkönen rast im McLaren vom letzten Startplatz mit einer cleveren Einstopp-Strategie noch auf das Podest und überholt alleine in der ersten Runde neun Piloten.

Und für eine Sensation sorgt Nico Rosberg in seinem ersten Formel-1-Rennen: Der Weltmeister-Spross gerät zwar in der ersten Kurve mit Nick Heidfeld aneinander und muss zum Reparaturstopp an die Williams-Box, arbeitet sich aber dann mit tollen Überholmanövern durch das Mittelfeld und fährt sensationell auf Platz sieben - das ergibt zwei WM-Punkte.

Nico Rosberg

Verblüfft beim Debüt mit der Schnellsten Runde: Williams-Rookie Nico Rosberg Zoom

Und zum Drüberstreuen fährt er in der Endphase des Rennens eine Schnellste Runde nach der anderen - und erregt damit schon beim Debüt die Aufmerksamkeit von Teamchef-Granden wie Ron Dennis. "Ich habe meine Aufholjagd wirklich genossen", grinst er. "Das Ergebnis - Platz sieben und die Schnellste Rennrunde - ist mehr als ich mir in meinem ersten Rennen erhofft habe." Ein Versprechen für die Zukunft - denn beim ersten Rennen der nächsten Motorengeneration (2014 in Melbourne zum Auftakt der Turbo-Ära) sollte der Wiesbadener das oberste Podest erklimmen und über den Sieg jubeln.