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1997: Ein Deutschland-Grand-Prix für die Ewigkeit

Der Vater gestorben, gesundheitlich schwer angeschlagen, von Alexander Wurz entzaubert: Gerhard Bergers märchenhafte Auferstehung in Hockenheim

(Motorsport-Total.com) - Hockenheim 1997, das könnte die Geschichte von Giancarlo Fisichella sein, dem aufstrebenden Jordan-Talent, das haarscharf an seinem ersten Sieg in der Formel 1 vorbeischrammt. Es könnte auch die Geschichte von Michael Schumacher sein, der durch den Ausfall seines großen Rivalen Jacques Villeneuve (Williams-Renault) vor 120.000 Landsleuten im Motodrom mit 53:43 Punkten Vorsprung in seinem zweiten Ferrari-Jahr die WM anführt. Aber es ist die Geschichte von Gerhard Berger.

Um diese zu erzählen, muss man etwas ausholen.

Berger ist nach sensationell starken Wintertestfahrten auf Benetton-Renault als einer der Favoriten in die Formel-1-Saison 1997 gestartet. Tatsächlich ist er nach drei Rennen WM-Zweiter. Aber ab dem Europa-Auftakt läuft für ihn alles schief: Ausfall in Imola, Neunter im Regenrennen von Monte Carlo, Zehnter wegen grainender Goodyears in Barcelona - dort, wo viele den Benetton eigentlich für eines der konkurrenzfähigsten Autos gehalten haben.

In Montreal, Magny-Cours und Silverstone ist Berger nicht am Start. Bereits seit Monaten plagt er sich mit gesundheitlichen Problemen herum, läuft von einem Zahnarzt zum nächsten. Kurz vor dem Grand Prix von Kanada hat der Österreicher einen Pressetermin in New York, nach dem ein amerikanischer Mediziner feststellt: Zwei Zähne müssen rausgenommen werden, eine Fortsetzung der Antibiotika-Behandlung ist unvermeidlich.

Briatore: Lieber Wurz als Berger im Benetton

Wenig später klingelt sein Telefon. Teamchef Flavio Briatore sagt ihm: "Der Arzt meint, du kannst den Grand Prix nicht fahren." In seiner Autobiografie "Zielgerade" (erschienen 1997 in der edition autorevue) schreibt Berger: "Das war natürlich Blödsinn, ganz abgesehen von einer seltsamen Auslegung des Arztgeheimnisses. In der gleichen Nacht stand schon in der Zeitung, dass Alexander Wurz in Montreal an meiner Stelle fahren würde, und alles roch danach, dass Flavio starke finanzielle Interessen an einem vorübergehenden Wurz-Engagement hatte."

"Ich fühlte mich elend genug, um keinen großen Widerstand zu inszenieren, ging wieder ins Krankenhaus, machte mich fit für Magny-Cours, hörte von Flavio, ich solle bloß nichts überhasten, legte mich wieder unters Messer", erinnert sich Berger.

Alexander Wurz

Als Berger-Ersatz sichert sich Alex Wurz in Silverstone das Ticket für die Saison 1998 Zoom

In der Zwischenzeit übernimmt Testfahrer Alexander Wurz den Benetton, wird mit starken Leistungen zum Shooting-Star des Sommers 1997, fährt in Silverstone sensationell als Dritter auf das Podium und sichert sich damit das Formel-1-Ticket für 1998.

Am 9. Juli 1997, gut zwei Wochen vor Hockenheim, stirbt Bergers Vater Johann bei einem Flugzeugabsturz.

Schwierige familiäre Situation

Der österreichische Transportunternehmer ist im August 1994 wegen Verdacht auf Betrug verhaftet worden. Ein Gericht hat ihn für schuldig befunden, mit betrügerischer Absicht einen Kredit in der Höhe von 17 Millionen Mark ergaunert zu haben. Berger jun. hat stets an die Unschuld seines Vaters geglaubt. Von der tragischen Todesnachricht erfährt er in London, bei einem Meeting mit Briatore. "Sie erwischte mich so brutal, dass ich es nicht beschreiben kann", schreibt er in seiner Biografie.

Von 14. bis 16. Juli finden in Monza Testfahrten statt. Berger steigt nach ausgestandener Kieferhöhlenentzündung erstmals wieder in den Benetton - und fliegt bei 300 km/h ab, weil sein Gaspedal stecken bleibt. "Zum Glück konnte ich den Wagen zum Stehen bringen", sagt er. "Es war ein ziemlicher Schreck."


Hockenheim 1997: Berger überholt Fisichella

Am Donnerstag in Hockenheim gibt der 37-Jährige eine Comeback-Pressekonferenz. "In meiner ganzen Karriere habe ich nur einmal einen Grand Prix ausfallen lassen müssen, nach meinem Feuerunfall in Imola 1989. Heute ist die Lage ganz anders: meine Krankheit, der Tod meines Vaters. Noch jetzt fällt es mir schwer zu glauben, dass ich ihn nie wiedersehen werde."

Bekanntgabe auf Pressekonferenz: 1998 nicht bei Benetton

In seiner Biografie schreibt er über jene Pressekonferenz: "Als ich nach drei pausierten Rennen zurück zur Szene kam, war es Hockenheim. Ich wusste nun ziemlich genau, dass ich mit Ende der Saison aufhören wollte. Noch viel genauer wusste ich, dass ich nicht mehr bei Briatore fahren würde, also sagte ich, dass eine Vertragsverlängerung bei Benetton für mich nicht in Frage käme."

Vor dem ersten Freien Training in Hockenheim gilt Berger als abgestempelt. Er ist die Vergangenheit, Wurz die Zukunft. Der Tod seines Vaters hat ihm emotional stark zugesetzt, körperlich war er "schon mal besser beisammen, aber auch schon mal schlechter". Und die letzten Rennen vor der Zwangspause haben nicht darauf hingedeutet, dass er es noch einmal mit den jungen Stars wie Michael Schumacher, Jacques Villeneuve oder Mika Häkkinen würde aufnehmen können.

Gerhard Berger

Der Start: Gerhard Berger geht in Führung und setzt sich gleich von Fisichella ab Zoom

Dann fährt Berger sensationell auf Pole-Position. "Das ist meine Antwort an alle, die mich schon abgeschrieben haben - aber der sensibelste Moment meiner Karriere", freut er sich. "Ich habe an meinen Vater gedacht - und im Cockpit nach meiner Pole-Position geweint." Am Ende ist Berger um 0,023 Sekunden schneller als sein designierter Benetton-Nachfolger Fisichella im Jordan, den er Briatore selbst empfohlen hat. Häkkinen/Schumacher stehen in Reihe zwei, WM-Favorit Villeneuve im ausnahmsweise mal nicht überlegenen Williams nur auf P9.

Weiche Reifen und Zweistoppstrategie

Vor dem Qualifying haben nur Benetton, McLaren und Sauber die weichere Goodyear-Reifenmischung gewählt. Das bedeutet für Bergers Rennstrategie: zwei Stopps, wohingegen seine direkten Gegner wohl nur einmal reinkommen werden. "Ich wusste: Ich muss als Erster in die erste Kurve gehen." Bis zum ersten Boxenstopp in der 17. Runde fährt er 13 Sekunden Vorsprung auf Fisichella heraus. Zurück auf die Strecke geht's als Vierter, hinter dem Jordan-Youngster, Schumacher und Häkkinen.

Den McLaren von Häkkinen schnappt sich Berger auf der Strecke, die Probleme Fisichella und Schumacher erledigen sich wegen deren Boxenstopps von selbst. In der 25. Runde hat Berger wieder 16 Sekunden Vorsprung, alle Zeichen stehen auf Sieg. Doch dann die große Schrecksekunde: In Runde 29 fährt er 1:49.5 statt in der Runde zuvor 1:45.8 Minuten - plötzlich muss der Österreicher wieder zittern!

Giancarlo Fisichella

Reifenschaden: Giancarlo Fisichella ist der unbelohnte Held des Rennens, ... Zoom

"Da ist vor mir ein Motor explodiert", schildert er die Schrecksekunde. "Ich fahr direkt in die Nebelschwaden rein, sehe überhaupt nix, fürchte schon: Wenn sich das Auto auf die falsche Seite gedreht hat, fahr ich mittendurch - und kann tot sein." Aber Jan Magnussen stellt seinen havarierten Stewart neben der Strecke ab und es bleibt bei einem mächtigen Schreck, von dem sich Berger rasch erholt.

Fisichella: Gegner um den Sieg

Nach seinem zweiten Boxenstopp kommt er hinter Fisichella wieder auf die Strecke, holt aber rasch auf und versucht, den unerfahrenen Italiener in einen Fehler zu hetzen. Das geht auf - zum Glück: "Sonst wär's schwieriger gewesen, denn er hatte einen guten Speed auf der Geraden." Dass Fisichella später mit einem Reifenschaden zum unbelohnten Helden des Grand Prix von Deutschland 1997 wird, ist eine andere Geschichte.

Berger bekommt in den letzten Runden noch das Boxensignal "P4" für ein mageres Benzingemisch angezeigt, um nicht auf den letzten Metern stehen zu bleiben, "aber da ist keine Gefahr". Als er die Ziellinie überfährt, zum zweiten Mal nach 1994 (auf Ferrari) als Hockenheim-Sieger, brechen alle Dämme: "Mein emotionellster und schönster Sieg! Irgendwer da oben hat mir heute geholfen", deutet er zum Himmel und meint seinen verstorbenen Vater.


Gerhard Berger gewinnt in Hockenheim 1997

Für den Österreicher wird bei der Siegerehrung die österreichische Hymne gespielt, obwohl er mit monegassischer Rennlizenz fährt - das hatte er bei der FIA vorher extra beantragt. Und von der internationalen Presse wird er gefeiert: "Zurück aus der Hölle", schreiben die Italiener, die Berger seit seinen Ferrari-Jahren immer noch lieben - und Hans-Joachim Stuck richtet über die 'Bild'-Zeitung aus: "Fast hätte ich mit Gerhard geweint!"

Gerüchte um Wechsel zu McLaren-Mercedes

Zurück in seine Wahlheimat Monaco (wo er sich abends ein Michael-Jackson-Konzert ansieht) fliegt Berger im Privatjet von McLaren-Teamchef Ron Dennis. Zu den ersten Gratulanten gehört Mercedes-Sportchef Norbert Haug: "Dieser Mann wurde geprügelt, als hätte er noch nie ein Rennauto fahren können. Er wurde von allen abgeschrieben. Jetzt hat er die Antwort auf der Strecke gegeben. Gerhard ist ein guter Freund von mir. Wenn wir nicht gewinnen, gibt's nur einen, dem ich den Sieg gönne. Das ist er. Er verdient es. Das wird in die Motorsport-Geschichte eingehen."

Michael Schumacher, Giancarlo Fisichella

... und wird von "Taxifahrer" Michael Schumacher an die Box gebracht Zoom

Und Haug ergänzt: "Gerhard ist vor Hockenheim auf keiner Wunschliste gestanden. Jetzt steht er auf etlichen Listen." Daraus wird in den Wochen nach dem denkwürdigen Rennen das heißeste Gerücht des Sommers 1997: Berger soll 1998 zu McLaren-Mercedes wechseln, als Teamkollege von Damon Hill. Letztendlich platzt die Sensation aber und die Silberpfeile halten am bewährten Duo Häkkinen/Coulthard fest - eine Entscheidung für die Zukunft.

Schumacher baut WM-Führung aus

Neben Bergers unglaublicher Geschichte wird der Rest des Hockenheim-Rennens 1997 zur Nebensache. Michael Schumacher erbt Fisichellas zweiten Platz, baut seine WM-Führung aus, obwohl er kurz vor Schluss noch einmal unplanmäßig zur Box kommen muss, um Benzin nachzutanken. Und Mika Häkkinen beendet eine Motorschaden-Serie mit einem guten dritten Platz beim Mercedes-Heimspiel.

Gerhard Berger

Gerhard Berger ist im Rennen in Hockenheim 1997 unschlagbar Zoom

Bei seinem ersten Deutschland-Grand-Prix in der Formel 1 holt auch Ralf Schumacher als Fünfter zwei WM-Punkte, der kleine Bruder des zweimaligen Weltmeisters steht aber das ganze Wochenende im Schatten von Teamkollege Fisichella. Und die Williams-Stars Jacques Villeneuve (Dreher) und Heinz-Harald Frentzen (Kollision) gehen sogar komplett leer aus.

Was bleibt, ist die Emotion. "Die Freude über Hockenheim 1997", sollte Berger später einmal sagen, "war unvergleichlich mit irgendeinem Gefühl, das ich je erlebt habe."