100. Grand Prix für Red Bull - vom Exoten zum WM-Leader

Warum WM-Leader Red Bull 2005 zunächst kritisch beäugt wurde und welches Rennen Christian Horner als absoluten Tiefpunkt in der Teamgeschichte sieht

(Motorsport-Total.com) - Das hätte vor ein paar Jahren wohl nicht einmal Firmengründer Dietrich Mateschitz für möglich gehalten: Red Bull kommt als Führender in beiden WM-Wertungen zum 100. Grand Prix in der Teamgeschichte nach Spa-Francorchamps. Denn nach der Übernahme von Jaguar stieg Red Bull zwar 2005 beachtlich in die Formel 1 ein, doch zunächst machte man eher durch Marketing-Gags, als durch sportliche Erfolge auf sich aufmerksam.

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel

Gewinnt Red Bull auch das 100. Rennen in der Teamgeschichte?

Auf der Strecke ging so manches daneben: Bitterer Höhepunkt war der Fehler von Technikchef Mark Smith, der die Kühlung des 06er Autos noch an den Cosworth-Motor anpasste, obwohl man in dieser Saison auf ein Ferrari-Aggregat setzte - wie durch ein Wunder gelang in Monaco dennoch der erste Podestplatz durch David Coulthard. Doch als es dann drauf ankam, war Red Bull da: Stardesigner Adrian Newey nützte die Reglement-Revolution 2009, um die Konkurrenz zu überflügeln - schließlich fingen alle Teams vor der Saison mit einem weißen Blatt Papier an. Seitdem erzielte man zwölf Siege, 16 Pole-Positions, 16 Schnellste Runden und 30 Podestplätze.#w1#

Wie wichtig ist der Sieg im 100. Rennen?

Wie wichtig ist da Sieg Nummer 13 im 100. Rennen, Christian Horner? "Wichtig und unwichtig", stellt der Teamchef klar. "Wir haben alles abgearbeitet bis auf diese zwei Trophäen für die Weltmeisterschaft - im Vorjahr waren wir sowohl bei den Fahrern, als auch bei den Konstrukteuren Zweiter. Dieses Jahr wollen wir um diese eine Position besser sein. Das Team ist in so kurzer Zeit so weit gekommen und kann sehr stolz darauf sein. Doch wir sind sehr hungrig, noch mehr zu erreichen."#w1#

"Wir haben alles abgearbeitet, bis auf diese zwei Trophäen für die Weltmeisterschaft." Christian Horner

Einer, der von Anfang an dabei war, ist der ehemalige Pilot und nunmehrige Red-Bull-Berater Coulthard. "Unsere Reise ist wirklich bemerkenswert", sagt er nicht ohne Stolz. "Als Nicht-Hersteller-Team führen wir in beiden Meisterschaften, wir gewannen vor unserem 100. Grand Prix Rennen. Das sind alles Meilensteine, die auf die Kappe von all jenen gehen, die bei dieser Reise dabei waren. Manche sind noch immer da, manche nicht mehr. Doch das ist ein Sport, der menschliche Bemühungen und Scharfsinn belohnt. Red Bull ist Weltklasse."

Traumdebüt und viel Skepsis der Konkurrenz

Doch als alles begann, sah man sich ganz klar als David unter den Goliaths, auch wenn Coulthard schon beim Debüt in Melbourne punktete. Olli Schack war damals dabei. Er ist derzeit zweiter Mechaniker an Sebastian Vettels Auto und verpasste keines der 100 Red-Bull-Rennen. "Am Anfang war es unser Ziel, den großen Kerlen ein paar Punkte wegzuschnappen", erinnert sich der Däne. "Und dann waren wir beim ersten Qualifying und auch beim Rennen gleich Vierter. Wir haben in den ersten zwei Rennen mehr Punkte geholt, als unter den früheren Besitzern während der gesamten Saison."

"Viele fragten sich am Anfang: Werden sie nur ein Jahr da sein und dann wieder abhauen?" Christian Horner

Auch Teamchef Horner zeigte sich von der eigenen Teamleistung beim Debüt überrascht: "Schon im ersten Jahr waren wir so nahe am Podest dran. Fisichella gewann den Auftakt in Australien vor Alonso und Barrichello und David war Vierter - ein fantastischer Start. Wir hatten es uns vor der Saison zum Ziel gesetzt, zehn Punkte zu holen - wir erreichten 35. Wir lagen am Nürburgring in Führung, hätten dort auf dem Podest stehen sollen, doch David erhielt eine Strafe wegen überhöhter Geschwindigkeit an der Box."

Doch trotz des guten Einstandes wurde das Red-Bull-Team zunächst kritisch beäugt. "Wir mussten uns den Respekt erst erarbeiten", erzählt Horner. "Viele waren sehr skeptisch, weil Red Bull das Team gekauft hat - Jaguar hatte sich in diesem Sport viel Ruhm erarbeitet. Viele fragten sich: Werden sie nur ein Jahr da sein und dann wieder abhauen?" Doch die Vision von Firmengründer Dietrich Mateschitz war eine andere, wie der Brite bestätigt: "Seine Leidenschaft war es von Anfang an, ein Team aufzubauen, das vorne mitfahren sollte."

Red Bull rüttelt die Formel 1 auf

Mateschitz wollte sein Team zwar zu einer fixen Größe in der Formel 1 aufbauen, dennoch unterschied sich seine Philosophie in vielen Bereichen von der Konkurrenz. Horner denkt zurück: "Red Bull wollte die Dinge von Beginn an etwas anders machen. Mit der Energy-Station, mit dem Formula-Una-Programm, das im ersten Jahr sehr populär war." Und Mechaniker Schack bestätigt, dass man im ersten Jahr zwar einige hochgezogene Augenbrauen, aber auch viel Zuspruch erntete: "Wir hatten einen ganz anderen Auftritt im Fahrerlager, unsere eigene Zeitung - wir haben die Formel 1 belebt. Das hat auch Bernie Ecclestone gefallen, denn alle mussten sich dadurch verbessern und etwas Neues machen."

"Andere Teams haben vielleicht Angst davor, bei ihren Siegesfeiern so viel Hingabe und Emotion zu zeigen wie wir." Christian Horner

Inzwischen sind die Formula Unas und die hauseigene Fahrerlagerzeitung Red Bulletin wieder aus dem Fahrerlager verschwunden, dennoch erhielt sich Red Bull seine ganz eigene Identität auch nach 100 Rennen. Das beweist man nun immer wieder bei den äußerst ausgelassenen Siegesfeiern. "Andere Teams haben vielleicht Angst davor, bei ihren Siegesfeiern so viel Hingabe und Emotion zu zeigen wie wir", glaubt Horner. "Doch bei Red Bull geht es um die Emotionen, deine Träume auszuleben und daran zu glauben, dass nichts unmöglich ist. Und dass nichts unmöglich ist, haben wir bewiesen - nur diese eine Trophäe fehlt. Wir wollen Weltmeister werden - und das auf eine Art und Weise, die im Einklang mit dem Way of Life von Red Bull ist."

Horner sieht Istanbul 2010 nicht als absoluten Tiefpunkt

Dass dabei nicht immer alles nach Plan läuft, bewies die bittere Stallkollision in Istanbul. Für Mechaniker Schack der Tiefpunkt der vergangenen 100 Rennen. "Wir hatten eine Menge Punkte vor Augen, was wichtig ist, wenn man Weltmeister werden will", erinnert er sich das denkwürdige Rennen am Bosporus. "Wir ließen die Punkte liegen. Trotzdem haben wir zusammen gehalten, die Enttäuschung hinuntergeschluckt. Als wir zusammenpackten, wurde die Musik aufgedreht und es ging weiter. Als Team waren wir stark genug und bei den nächsten Rennen haben wir wieder gewonnen."

"Wir hatten nicht die Erlaubnis, unsere Fahrer in die Startaufstellung zu schicken - ein dunkler Tag für die Formel 1." Christian Horner

Wenn Teamchef Horner auf seinen persönlichen Tiefpunkt der vergangenen 100 Rennen blickt, dann meint er damit überraschenderweise nicht die Stallkollision: "Der Tiefpunkt war glaube ich Indianapolis 2005", verweist er auf das Farce-Rennen im "Nudeltopf", als wegen Reifenproblemen bei Michelin nur die drei Bridgestone-bereiften Teams starteten. "Es war so ein schwieriges Rennen und eine politisch stark aufgeladene Zeit zwischen FIA, FOM und den Herstellern. 150.000 Zuschauer kamen dorthin, um das Rennen zu sehen und wir hatten nicht die Erlaubnis, unsere Fahrer in die Startaufstellung zu schicken. Das war ein dunkler Tag für die Formel 1."

Wird Red Bull zum Serien-Champion?

Horners Highlight war klarerweise der Debütsieg in Schanghai 2009: "Nicht nur, weil wir gewonnen haben, sondern weil es gleich ein Doppelsieg war - das war etwas ganz Besonderes. All die harte Arbeit trug endlich Früchte. Die Autos an so einem elenden Tag in China so dominieren zu sehen, das war sensationell." Damit war der Knoten geplatzt, seitdem zählt Red Bull zu den absoluten Topteams der "Königsklasse". Auch beim 100. Grand Prix.

"In fünf Jahren wollen wir fünf Weltmeisterschaften gewonnen haben." Christian Horner

Doch wo sieht Horner sein Team in 100 Rennen? Er lacht: "Da wollen wir fünf Weltmeisterschaften gewonnen haben. Aber es ist schwer, so etwas vorauszusagen. Doch eines ist klar: Unser Ziel ist es, Weltmeisterschaften zu gewinnen - deshalb sind wir da, deshalb existieren wir." Trotz der enormen Bedeutung der technischen Mittel in der Formel 1 ist ihm klar: "Die Menschen sind dein größtes Gut. Wir sind nicht so groß wie McLaren oder Ferrari, aber die harte Arbeit und die Leidenschaft, die die Leute in Milton Keynes haben, inspiriert alle. Da gibt es so viele Helden, die im Schatten stehen, doch durch ihren Einsatz erreichen wir als Gruppe so viel."