Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Sheldon van der Linde

Statt als Meister reist Sheldon van der Linde ohne Punkte aus Spielberg ab: Wieso das vorletzte DTM-Wochenende trotz BMW-Favoritenrolle komplett danebenging

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Titel-Bild zur News: Sheldon van der Linde

Unter Druck: Der 23-jährige Sheldon van der Linde muss BMW erlösen Zoom

rein theoretisch hätte sich Sheldon van der Linde schon in Spielberg zum neuen DTM-Champion krönen können. Vor dem Wochenende hatte er ein Polster von 32 Punkten in der Meisterschaft - und der BMW galt als das Fahrzeug, in dem man in Spielberg sitzen muss. "Da gewinnen sogar Rookies mit diesem Auto", verwies GRT-Teamchef Gottfried Grasser auf das ADAC-GT-Masters-Wochenende im Mai, als zwei Debütanten mit Schubert beide Rennen gewannen.

Doch dann setzte es eine bittere Pleite: 0 Punkte! Und das, obwohl sein Schubert-Team sogar extra rund drei Wochen vor dem Österreich-Wochenende auf dem Red-Bull-Ring getestet hatte, um nichts dem Zufall zu überlassen. Und mit dem Regen sogar vergleichbare Bedingungen herrschten wie beim Test.

Außerdem bewies Lokalmatador und Schubert-Teamkollege Philipp Eng am Sonntag, was möglich gewesen wäre: Der Salzburger lag das ganze Rennen lang auf Podestkurs, ehe am Ende die Regenreifen einbrachen und er Fünfter wurde. Sheldon van der Linde wurde hingegen wie schon am Samstag Elfter - und verpasste die Punkte haarscharf.

Statt vorzeitiger Entscheidung jetzt Sechskampf um Titel!

Dadurch ist sein Vorsprung auf Winward-Mercedes-Pilot Lucas Auer in der Meisterschaft nun auf nur noch elf Zähler zusammengeschmolzen. Einen Punkt dahinter lauert der dreimalige Champion Rene Rast, der in der Regel jede Chance knallhart nutzt. Dann wäre da noch Thomas Preining, der nur 14 Punkte Rückstand hat. Und nach dem Spielberg-Triumph einen Höhenflug erlebt.


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Und durch Mirko Bortolotti (18 Punkte Rückstand) und Luca Stolz (28 Punkte Rückstand) lauert ein hungriges Rudel von fünf GT3-Toppiloten aller Hersteller vor dem Finale in Hockenheim hinter van der Linde auf die fette Beute.

So kam es zum Spielberg-Fiasko

Aber wie konnte das Spielberg-Wochenende so danebengehen? Der Ursprung allen Übels war das Samstag-Qualifying, bei dem man die Vorderachse nicht auf Temperatur bekam. Sheldon van der Linde kam über Platz 17 nicht hinaus, während Debütant Leon Köhler bei seinem ersten DTM-Wochenende im ihm völlig unbekannten BMW M4 GT3 starker Zwölfter wurde.

Was danach passierte, war eine Kettenreaktion: Sheldon van der Linde probierte in den letzten Rennrunden auf Platz elf hinter Luca Stolz alles, um doch noch ein Pünktchen zu ergattern, da er weiß, dass dieses im Titelkampf den Ausschlag geben könnte. Aber dadurch verletzte der 23-jährige Südafrikaner insgesamt sechsmal die Tracklimits.

Maximilian Götz

In den letzten Runden am Samstag wollte der DTM-Leader die Punkte erzwingen Zoom

Nach dem dritten Verstoß erhält der Pilot in der DTM per Funk eine Warnung, ehe er bei jedem weiteren Mal im nächsten Rennen um je drei Startplätze zurückversetzt wird. Und so machte er sich, obwohl er nicht an Stolz vorbeikam, auch für den Sonntag die Ausgangslage kaputt.

Tracklimits-Verstöße waren es nicht wert

Denn das Qualifying lief eigentlich mit Platz sechs wirklich gut - und die direkten Titelrivalen lagen weit hinter ihm. Doch durch die Strafe startete er nur als 15. Und dann passierte schon wenige Meter nach dem Start der nächste Tiefschlag, als er sich bei Regen beim Versuch, außen an Nico Müller vorbeizufahren, in der Auslaufzone der dritten Kurve drehte. Er fiel ans Ende des Feldes zurück.

Ist das ein Anfängerfehler, der einem Titelkandidaten nicht passieren sollte? Nein, denn GT-Routinier Laurens Vanthoor drehte sich im Asphalt-Sturzraum, der beim Formel-1-Rennen noch mit einer Werbeaufschrift bemalt war und dadurch rutschig wie Schmierseife war, schon in der Einführungsrunde. Und später zeigte dort auch Felipe Fraga einige sehenswerte Pirouetten.


Der Gesamtführende Sheldon van der Linde wird im 2. Spielberg-Rennen wegen zu vieler Track-Limit-Überschreitungen um neun Plätze nach hinten versetzt. Aufgeben will der Südamerikaner aber nicht - ganz im Gegenteil.

Vielmehr hätte es Sheldon van der Linde beim Samstagsrennen nicht passieren dürfen, im Kampf um nur einen Punkt so oft die Tracklimits zu verletzen. Obwohl sich auch das leicht sagt, denn wenn die Warnung kommt und man bereits ein weiteres Mal über die Grenze fuhr, dann ist das Übel bereits angerichtet. Nur passierten van der Linde nach der Verwarnung gleich drei weitere Verstöße - das erinnert an Rookie David Schumacher in Spa.

Welche Rolle spielte die Einstufung?

Aber war er durch die Einstufung seines BMW in Spielberg - der Ladedruck wurde im Vergleich zu Spa deutlich reduziert - gezwungen, so viel Risiko zu nehmen? Der Südafrikaner war nach dem Samstags-Qualifying merkbar unzufrieden.

Klar ist, dass der BMW in Spielberg sicher nicht im Vorteil war, denn abgesehen von Eng holte kein M4-GT3-Pilot Punkte. Aber abgesehen vom Mercedes und vom Porsche bekamen Ferrari (+35 kg), Audi (+25 kg) und Lamborghini (+15 kg) im Verlauf des Wochenendes ordentlich Gewicht ins Auto. Am Sonntag wären für van der Linde Punkte möglich gewesen. Das weiß er auch selbst - entsprechend zerknirscht und selbstkritisch zeigte er sich nach dem Rennen.

Heftiger Druck für 23-jährigen Youngster

Trotz der Spielberg-Pleite muss Sheldon van der Linde jetzt Stärke zeigen. Man merkte ihm an, dass das schwierige Wochenende Spuren hinterlassen hat. Was nicht verwundern darf bei einem 23-Jährigen, der im Titelkampf mit Gegnern wie Rast, Auer und Bortolotti, die alle schon mehrmals in dieser Situation waren, konfrontiert ist.

Und den jungen Preining, mit dem niemand rechnete und der jetzt das Momentum auf seiner Seite hat. Und davon spricht, er wolle jetzt vor allem "eine Show" bieten. So spricht einer, für den sich der Titelfight als Belohnung anfühlt - und nicht als Belastung.

Wenn man dann noch bedenkt, dass BMW in der DTM seit 2016 nicht mehr Meister wurde und der Titel im ersten Jahr des neuen M4 GT3 perfekt wäre, dann muss einen das doch verrückt machen, oder?

Hockenheim-Test als Trumpf?

Positiv denken ist jetzt angesagt: Denn auch nach schwierigen Wochenenden wie am Norisring, wo er ebenfalls einen Nuller verzeichnete und die DTM-Führung an Bortolotti abgeben musste, ist es ihm gelungen, zurückzuschlagen. Und zwar durch Cleverness: Am Nürburgring hielt er sich aus Zwischenfällen heraus und staubte den Sieg ab, in Spa riskierte er keine Attacke auf Nick Cassidy und nahm die Punkte für Platz zwei mit.

Diese Stärken zählen jetzt. Zudem hat er mit Schubert ein Team, in dem eine gute Atmosphäre herrscht. Und das keine Mühen scheut: Als eines von wenigen Teams geht man diese Woche am Mittwoch und am Donnerstag sogar zwei Tage lang zum Testen nach Hockenheim. Zudem hat man im Gegensatz zu vielen anderen noch Michelin-Reifensätze, mit denen man sich gut vorbereiten kann. Das könnte am Ende der Trumpf sein.

Sven Haidinger