Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Jack Aitken

Ex-Formel-1-Pilot Jack Aitken fährt in der DTM chancenlos hinterher, während seine früheren Kollegen Norris, Albon und Russell glänzen: Ist er in der Ferrari-Sackgasse?

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Titel-Bild zur News: Jack Aitken

Ex-Formel-1-Pilot ohne Chance: Jack Aitken fuhr am Norisring hinterher Zoom

da helfen nur noch Tim-Tam-Schokoladenkeks und Katjes-Fruchtgummis. Oder "Comfort Foods", wie Jack Aitken seine Frustkiller nennt. Denn vor fünf Jahren fuhr der 27-jährige Sohn eines Schotten und einer Südkoreanerin noch gegen George Russell, Lando Norris oder Alex Albon in der Formel 2.

Während aber Norris beim Heim-Grand-Prix in Silverstone im McLaren alle mit Platz zwei verblüffte, Albon seit Wochen im Williams auftrumpft und Russell im Vorjahr niemand geringeren als Formel-1-Rekordmann Lewis Hamilton bei Mercedes besiegte, ist Aitken in der DTM trotz angepeilter Siege am Tiefpunkt angelangt.

Denn nachdem der Emil-Frey-Ferrari-Pilot in seinem ersten DTM-Rennen in Oschersleben nach Startplatz zwei noch als Dritter glänzte, fiel er in Le Mans mit unnötigen Crashes auf. Und nach dem verpassten DTM-Wochenende in Zandvoort, an dem er in der IMSA-Serie erneut im LMDh-Cadillac gebraucht wurde, erlebte er beim DTM-Highlight auf dem Norisring nun die nächste bittere Enttäuschung.

Ex-Formel-1-Pilot im Ferrari am Ende des DTM-Feldes

Die Startplätze 25 und 26 bei 27 Boliden sagen eigentlich alles - nur Alessio Deledda und der disqualifizierte Patric Niederhauser starteten hinter ihm. Und auch die Rennen verliefen mit den Plätzen 17 und 20 - Aitken wurde jeweils Vorletzter - ernüchternd. Am Sonntag lag er sogar neben seinem Teamkollegen Thierry Vermeulen als einziger eine Runde zurück, was am Tag davor nur die Safety-Car-Phasen verhinderten.

Und das auf dem Norisring - in einem Ferrari.

Dabei schrieb Felipe Fraga im Vorjahr noch im AF-Corse-Ferrari Geschichte - und sorgte nach 54 Jahren wieder für einen Ferrari-Sieg am Dutzendteich. Und Liam Lawson hatte 2021 in Nürnberg im Zeichen des springenden Pferdes um den DTM-Titel gekämpft - und wurde zum tragischen Helden. Nach einem Jahr in Japan darf sich der Red-Bull-Junior nun Hoffnung auf ein Formel-1-Cockpit bei AlphaTauri machen.

Albon, der damals bei AF Corse Lawsons Teamkollege war, ist es sogar über ein Jahr in der DTM gelungen, seine ins Trudeln geratene Formel-1-Karriere zu reanimieren. Das muss Aitken bewusst gewesen sein, als er sich entschlossen, dieses Jahr in der DTM im Emil-Frey-Ferrari anzutreten. Um möglicherweise den Traum, nach nur einem Grand Prix als Russell-Ersatz bei Williams in Bahrain 2020 doch noch den Weg in eines der 20 begehrtesten Cockpits zurückzufinden, zu verwirklichen.

Warum der Norisring Gift für den neuen Ferrari war

Jack Aitken

Jack Aitken und sein Teamkollege beim Start am Samstag am Ende des Feldes Zoom

Aber warum war Aitken, für den der DTM-Titel nun wohl endgültig erledigt ist, auf dem Norisring komplett abgemeldet und sah das Feld nur von hinten? Hat das damit zu tun, dass die Schweizer Emil-Frey-Truppe anders als das Werksteam AF Corse in den vergangenen Jahren in der DTM nicht in gleicher Form aus Maranello unterstützt wird?

Nein, das lag nicht am Team, sondern am brandneuen Ferrari 296 GT3. Denn während Lawson, Albon und Fraga noch im ausgereiften 488 GT3 saßen, erlebte dieses Jahr der vom französischen Hersteller Oreca gebaute Nachfolger seine Premiere.

Und der 2,163 Kilometer kurze Norisring, eine Stop-and-Go-Strecke mit nur zwei Haarnadeln und einer S-Kurve, erwies sich als Gift für den an einen Prototypen erinnernden Sportwagen, der beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring sensationell siegte und als eines der besten GT3-Autos gilt.

Sechs Zehntel in zwei Kurven

"Es tut wirklich weh, wir sind nirgends", sagte mir Teamchef Lorenz Frey-Hilti am Telefon, der wegen eines Familienfestes nicht vor Ort war, aber aus der Ferne sogar noch mehr mit seiner Truppe litt. "Bei uns überhitzen die Bremsen an der Vorderachse so stark, dass wir keine Chance haben."

Das zeigen auch die Rundenzeiten: Denn im zweiten Sektor, der mit dem Schöller-S noch die schnellste Kurve aufweist, verlor Aitken im zweiten Qualifying auf "Grello"-Pilot Thomas Preining - den schnellsten von Startgruppe A - nur 0,125 Sekunden, während es pro Haarnadel fast genau drei Zehntel sind. Und das, obwohl beide Fahrer mit dem Set-up zufrieden waren.

Dazu kommt, dass der 296 GT3 seine Stärken bei der Aerodynamik - und damit in schnellen Kurven - hat, was aber auf dem Norisring keine Rolle spielt. Manche Teams entschieden sich sogar dazu, den Heckflügel komplett flach zu stellen, weil in den langsamen Kurven nur mechanischer Grip zählt und man so auf den Geraden schneller ist.

Im Rennen selbst hinter Deledda

Während sich das Bremsproblem im Qualifying "nur" in der langsamen Rundenzeit äußerte, hatten Aitken und Teamkollege Vermeulen im Rennen noch ein zusätzliches Problem: Sie konnten bei der Hitzeschlacht mit Temperaturen über 30 Grad nicht lange im Windschatten eines Konkurrenten fahren, weil so die Bremsen noch heißer werden. Was auf dem engen und schmalen Stadtkurs gar nicht so einfach ist.

An Überholen war unter diesen Umständen kaum zu denken. Da half selbst die Balance-of-Performance-Anpassung am Samstag nach dem Qualifying nichts, als auch die Verantwortlichen die Ferrari-Schwäche erkannten und dem Boliden etwas mehr Ladedruck gaben.

Am Samstag wurde Aitken bei einem Restart auch noch von Clemens Schmid heftig gegen die Mauer gedrückt. Ein Wunder, dass dabei die Vorderachse heil blieb und der tapfere DTM-Rookie das Rennen beendete. Aber selbst beim Sonntagsrennen lag das Ferrari-Duo lange hinter dem traditionellen Schlusslicht Deledda am Ende des Feldes.

Emil-Frey-Team: Jetzt kommt ausgerechnet Misano!

Aber warum konnte das Problem mit der Bremse nicht rechtzeitig behoben werden? Tatsächlich erkannte man beim Team aus Safenwil die Schwachstelle schon bei den Testfahrten vor der Saison. Doch das Fahrzeug ist homologiert - und die Mannschaft von Technikchef Jürg Flach, der bis 2010 über zehn Jahre lang bei Sauber in der Formel 1 Einsatzleiter war, ist diesbezüglich auf Ferrari angewiesen.

Jetzt brennt der Hut, denn schon am kommenden Wochenende fährt das Team in der Sprintserie der GT-World-Challenge Europe Misano - und damit auf der nächsten Strecke, die die Bremsen extrem fordert. Aitkens Glück: Er tritt nur in der DTM an - und auf dem Nürburgring, wo es in drei Wochen weitergeht, gibt es weniger harte Bremspunkte und mehr schnelle Kurven.

Zudem ist Aitken kommenden Freitag bei der Formel E in Rom Freitagtester beim Jaguar-Kundenteam Envision - und da ist hartes Bremsen ohnehin nicht erwünscht, weil man zu viel Energie verliert.

Bewundernswert ist, dass der Brite nach dem bitteren Wochenende seine Moral nicht verloren zu haben scheint, denn auf 'Instagram' schwärmt er vom legendären Straßenkurs in Nürnberg und den vollen Rängen auf den Tribünen trotz der enormen Hitze. Und er offenbart sein mögliches Geheimnis: "Vielen Dank an alle, die mich dieses Wochenende mit Süßigkeiten versorgt haben. Ihr seid meine wahren Helden."

Sven Haidinger