Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat: Mirko Bortolotti
Der "Iceman" mit dem Paradoxon: Auf der Strecke ist der neue DTM-Meister Mirko Bortolotti nervenstark und abgebrüht, daneben dafür unsicher und misstrauisch
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© ADAC Motorsport
Siegerpose: Mirko Bortolotti krönte sich in Hockenheim zum DTM-Champion Zoom
als ich Mirko Bortolotti beim Titelfinale in Hockenheim in der Mixed Zone, wo die Fahrer den Medien Rede und Wort stehen, zum DTM-Titel gratulierte, antwortete er: "Du freust dich jetzt wahrscheinlich nicht so!"
Ich war im ersten Moment etwas perplex, weil ich nicht wusste, was er meint. Mirko Bortolotti und ich kennen einander seit 16 Jahren. Ich habe schon 2008 über seinen spektakulären Formel-1-Rundenrekord im Ferrari F2008 in Fiorano berichtet, habe ihn ein Jahr später als Red-Bull-Junior beim Formel-2-Rennen in Imola begleitet.
War im Auto dabei, als Doktor Helmut Marko anrief und unangenehme Fragen stellte. Bortolottis Speed war schon damals beeindruckend - und ich habe mich gefreut, als der Sohn einer italienischen Eisverkäufer-Dynastie aus Wien im Jahr 2022 als schon damals anerkannt bester Lamborghini-Werksfahrer in der DTM auftauchte.
Überraschende Auseinandersetzung bei der Pressekonferenz
Doch im Vorjahr hatte ich mit Mirko Bortolotti eine Auseinandersetzung. Nach seinem schweren Hypercar-Testunfall in Le Castellet vor einem Jahr schrieb er mir: "Soweit alles gut, sehen uns nächste Woche am Sachsenring." Meine Infos waren aber, dass er nach dem Unfall gefahren werden musste, sogar Gerüchte über einen Beinbruch machten die Runde, was ich in einem Artikel thematisierte.
Als Bortolotti dann am Sachsenring tatsächlich siegte und ich ihn auf die Umstände ansprach, merkte ich schon am Blick, dass etwas nicht stimmt. "Vor zehn Tagen hast du mich auf WhatsApp gefragt, wie es mir geht - und am nächsten Tag hast du etwas anderes geschrieben", reagierte er genervt. "Ich weiß nicht, ob es dein Job ist oder nicht, aber ich habe dir schon eine Antwort gegeben."
Alle gegen Mirko Bortolotti?
Die Vehemenz, das bei der Pressekonferenz zu thematisieren, hat mich überrascht. Denn es ist zwar nicht das erste Mal, dass sich ein Teamchef oder Fahrer eine andere Berichterstattung gewünscht hätte, doch ein Rene Rast ist zum Beispiel auch nach einer kritischen Schlecht-Geschlafen-Kolumne professionell und freundlich wie immer.
Bortolottis Weltbild scheint hingegen zu sein: Ich allein gegen alle!
Das zeigte sich auch am Samstag in Hockenheim, als ihm Titelrivale Kelvin van der Linde ausgerechnet vor dem Finaltag die DTM-Führung abgeknöpft hatte: Bortolotti meinte nach dem harten Überholmanöver von Titelrivale Maro Engel und der ausgebliebenen Strafe, gewisse Fahrer würden in der DTM Immunität genießen. Zudem gratulierte er Abt bereits zum Titel.
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Schon im Jahr davor hatte er beim Finale gegen Porsche-Pilot Thomas Preining gesagt, dass es in den Zweikämpfen immer nur er abbekomme und man auch als Italiener Respekt verdient habe - und "nicht nur als Deutscher oder wenn man ein deutsches Fahrzeug fährt". Interessant: Bortolotti selbst fuhr 2020 ein Jahr lang mit Audi für eine deutsche Marke, ehe er zu Lamborghini zurückging.
Vom Formel-1-Aspiranten hinab in die Niederungen
Aber woher kommt dieses fehlende Urvertrauen, dieses Gefühl, die Welt habe sich gegen ihn verschworen? Vielleicht hat es damit zu tun, dass er 2008 und 2009 als Ferrari- und Red-Bull-Junior auf dem Weg in die Formel 1 schien und man ihm die Welt versprach.
Er schaffte es aufs Cover von Autosprint und Gazzetta dello Sport, ehe er nach dem Formel-2-Titel im Jahr 2011, einem Williams-Test und einer DTM-Sichtung von Audi plötzlich vor dem Nichts stand.

© Sven Haidinger/smg
Der 19-jährige Bortolotti im Jahr 2009 beim Formel-2-Wochenende in Imola Zoom
"Ich habe den Glauben an das gesamte System verloren", hat er mir mal gesagt. Plan B mit 22? Ein Sportmanagement-Studium an der Uni. 2012 bestritt er gerade mal zwei Rennwochenenden im BMW Z4 von Schubert im ADAC GT Masters, 2013 startete er seine Karriere im Renault-Megane-Cup neu. Diesen Fall ins Bodenlose muss man erst mal verarbeiten.
Sensibler als man denkt?
Wenn man mit Bortolotti-Kennern spricht, hört man, dass der in Wien lebende Italiener, der sich gern mit verkehrter Kappe präsentiert, eigentlich sehr sensibel ist. Das erklärt, dass er um sich herum einen Schutzwall aufbaut. Und bei Interviews oft misstrauisch ist und zweimal zu überlegen scheint, wie er antwortet.
Umso beachtlicher ist, wie unglaublich stark Bortolotti im Auto ist. Keiner ist in der Lage, die Runde im Qualifying so perfekt zu treffen wie er, was seine 20 Qualifying-Punkte erklärt. Die sicherten ihm am Ende auch den Titel, denn Kelvin van der Linde lag im Klassement 17 Punkte hinter ihm. Bortolotti scheint genau zu spüren, wann der Reifen voll da ist und alles passen muss - und macht dann auch keinen Fehler.
DTM-Krönung kommt für Bortolotti im richtigen Moment
Auch wenn er abseits der Strecke manchmal unsicher wirkt, ist er im Auto extrem nervenstark. Der DTM-Titel ist dafür die Krönung, er holte abgesehen vom Formel-2-Titel aber bereits 2017 den Titel in der damaligen Blancpain-Langstrecken-Serie (heute GT-World-Challenge Europe) und 2018 den Sieg bei den 24 Stunden von Daytona - beides mit dem Team von Gottfried Grasser.
Und fast noch beeindruckender: Anstatt nach dem Formelsport-Aus in den Niederungen zu zerbrechen, erkämpfte er sich den Status als weltweite Nummer 1 beim Hersteller Lamborghini.
Diese scheint mit dem DTM-Titel nun zusätzlich gefestigt, was auch vom Timing her günstig ist, denn nach dem Aus seines großen Unterstützers Giorgio Sanna als Motorsportchef ordnen sich dort die Machtverhältnisse mit ehemaligen Audi-Leuten wie Rouven Mohr und Stefan Gugger als Entscheidungsträger gerade neu.
Wie es jetzt weitergeht? Das ist unklar, denn ein DTM-Ausstieg seines SSR-Teams ist alles andere als auszuschließen. Und auch ein Abt-Verbleib von Kelvin van der Linde ist nicht in Stein gemeißelt. Sollte sein Erzrivale dort weggehen, könnte es gut sein, dass sich das langjährige Audi-Team 2025 mit Lamborghini darauf einigt, dass Bortolotti dort fährt.
Dadurch würde die Serie einen Typen mit Ecken und Kanten als Titelverteidiger gewinnen. Und genau das ist es, was die DTM braucht! Ein Grund für alle (also auch für mich), sich mit Mirko zu freuen.


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