• 16.10.2007 18:08

  • von Weddige / Leppert

Der große DTM-Saisonrückblick - Teil 1

'Motorsport-Total.com' blickt zurück auf die DTM-Saison 2007 - Im ersten Teil: Von Hockenheim bis zum Chaos am Lausitzring

(Motorsport-Total.com) - Die Saison 2007 war von ihrem Verlauf die spannendste seit der Wiederbelebung der DTM im Jahr 2000. Beim Finale in Hockenheim hatten noch drei Piloten die Chance auf den Titel - und sie lagen nur vier Zähler auseinander. Am Ende konnte sich Mattias Ekström durchsetzen, Bruno Spengler und Martin Tomczyk mussten sich geschlagen geben.

Titel-Bild zur News: Mattias Ekström, Martin Tomczyk

Mattias Ekström und Martin Tomczyk holten den Doppelsieg beim Auftakt

Die zehn Rennen der Saison boten heiße Tourenwagenaction, aber auch einen schrecklichen Unfall und einige Skandale, über die lange diskutiert wurde. Es war eine denkwürdige Saison. 'Motorsport-Total.com' blickt für Sie noch einmal zurück. Im ersten Teil fassen wir die ersten drei Saisonrennen zusammen, vom Auftakt in Hockenheim bis zum Rennen am Lausitzring.#w1#

22. April: Horrorcrash in Hockenheim

Die Saison begann mit einem Schock - dem Horrorcrash von Tom Kristensen. Der Däne drehte sich nach der zweiten Kurve, produzierte eine weiße Wolke aus Reifenqualm und wurde quer stehend von Alexandre Prémat und Susie Stoddart gerammt. Kristensens Audi A4 wurde völlig zerstört, der Däne blieb lang in seinem Auto sitzen und wurde von den Rettungskräften geborgen. Auch sein Audi-Markenkollege Alexandre Prémat musste von den Sanitätern behandelt werden. Nach langen bangen Minuten kam die gute Nachricht: Beide Piloten waren ansprechbar und wurden zuerst zur Behandlung ins Medical-Center und dann zur weiteren Untersuchung ins Krankenhaus gebracht. Susie Stoddart konnte ihre C-Klasse mit fehlender Fahrerseite zurück in die Box fahren.

Kristensen, der erst kurz zuvor zum dritten Mal Vater geworden war, hatte einen Schutzengel. Erst lange Zeit später berichtete er, wie viel Glück er hatte, dass er diesen Unfall überhaupt überlebt hatte. Sieben Wochen später drehte er in Brands Hatch wieder erste Runden im DTM-Auto, eine weitere Woche später bestritt er in Le Mans sein erstes Rennen seit dem Unfall. Neun Wochen nach Hockenheim gab er am Norisring auch in der DTM sein Comeback. Prémat hatte sich an der Lendenwirbelsäule verletzt und konnte erst beim dritten Rennen am Lausitzring wieder fahren.

Tom Kristensen

Nach dem Horrorcrash eilten die Helfer zu Tom Kristensens zerstörtem Auto Zoom

Zurück zum Auftaktrennen in Hockenheim: Eine halbe Stunde nach dem Unfall wurde das Rennen hinter dem Safetycar neu gestartet. Im weiteren Verlauf zeigte Audi eine taktische Meisterleistung. Mattias Ekström siegte vor Martin Tomczyk und Polesitter Bruno Spengler in der neuen Mercedes C-Klasse. Ekström kam in den letzten Minuten wie aus dem Nichts, mogelte sich mit der richtigen Taktik und zwei frühen Boxenstopps an die Spitze und ließ die Audi-Crew jubeln - zum ersten Mal seit fünf Jahren konnten die Ingolstädter auf der Mercedes-Heimstrecke gewinnen.

Mercedes-Pilot Spengler konnte sich nicht lange über seinen dritten Platz freuen: Nach dem Rennen bekam der Kanadier eine 50-Sekunden-Zeitstrafe aufgebrummt und fiel damit auf Rang 14 zurück. Damit reagierten die Sportkommissare auf einen Zwischenfall kurz vor dem Ziel eingangs der Mercedesarena. Spengler konnte wegen einer defekten Servolenkung kaum einlenken, fuhr erst gerade aus und zog dann nach innen. Dort rammte er Audi-Pilot Timo Scheider. Audi kostete das wohl den Dreifachsieg. Den dritten Platz bekam dadurch Daniel la Rosa im Mercedes-Jahreswagen zugesprochen.

Podium in Hockenheim 2007

Das Siegerpodest beim Auftakt: Teamchef Abt, Tomzcyk, Ekström und Spengler Zoom

In der Gesamtwertung führten nach dem Auftakt Mattias Ekström und Martin Tomczyk. Und schon freuten sich die Medien über das anstehende Titelduell der beiden Freunde - obwohl gerade erst ein Rennen gefahren war. Aber tatsächlich: Beim Finale in Hockenheim standen sich die beiden wirklich als Titelrivalen gegenüber. In den Monaten dazwischen redeten allerdings auch einige andere Piloten an der Tabellenspitze ein Wörtchen mit.

6. Mai: Paffett triumphiert in Oschersleben

Da Kristensen und Prémat in Oschersleben nicht fahren konnten, fanden sich zwei neue "alte" Gesichter in der DTM ein: Frank Biela ersetzte Kristensen, Marco Werner pilotierte den Jahreswagen von Prémat. Allerdings fiel den beiden ALMS-Piloten die Eingewöhnung nach jahrelanger DTM-Abstinenz schwer: Werner wurde 15., Biela kam mit zwei Runden Rückstand als Letzter ins Ziel.

Im Rennen triumphierten die Gebrauchtwagen: Noch kurz vor dem Start hatte sich 'Motorsport-Total.com' mit Mercedes-Rückkehrer Gary Paffett unterhalten, wann er seinen ersten Saisonsieg einfahren würde. Die Antwort lieferte er schnell - der Brite gewann in seinem Jahreswagen. Auch dahinter setzte sich das "Alt-Material" durch: Paffetts Teamkollege Paul di Resta sorgte als Zweiter im Zweijahreswagen für einen Persson-Doppelsieg, Mike Rockenfeller jubelte im Jahreswagen von Audi als Dritter über seinen ersten Podestplatz in seinem erst zweiten DTM-Rennen.

Den Grundstein zum Erfolg legte Paffett bereits ganz am Anfang des Rennens: mit seinem ersten und frühen Boxenstopp. Wie in Hockenheim stellte sich heraus, dass das Team mit der ausgeklügelsten Strategie im Vorteil ist und die Option auf den Sieg hält. Nach dem Rennen lüftete der 26-Jährige gegenüber 'Motorsport-Total.com' das Geheimnis der Persson-Strategie: "Ich bin am Start hinter drei Autos festgesteckt, die den gleichen Speed hatten. Deshalb haben wir beschlossen, früh zu stoppen, um da raus zu kommen. Danach haben wir gewartet, um den Moment zu finden, beim Rausfahren aus der Box keinen Verkehr zu haben. Dann haben wir das zweite Mal gestoppt. Es war ein Auto vor mir, aber ich konnte es schnell hinter mir lassen. Dadurch waren wir ziemlich früh in Führung."

Paul di Resta, Gary Paffett

Gary Paffet (r.) und Paul di Resta (l.) holten für Persson den Doppelsieg Zoom

Rookie und Nesthäkchen di Resta war vom Team mit der richtigen Strategie von Startplatz elf vor auf Rang zwei gebracht worden. Und damit hatte die DTM eine erste Sensation: Der junge Schotte führte punktgleich mit Mattias Ekström und Martin Tomczyk (alle zwölf Zähler) die Tabelle an. Ekström hatte sich im Rennen mit einem Frühstart alle Chancen auf den Sieg verbaut. Nach seiner Strafe kämpfte er sich von Platz 20 bis vor auf Rang sieben und holte wenigstens noch zwei Punkte. Tomczyk beendete das Rennen als Fünfter.

20. Mai: Chaosrennen am Lausitzring

Runde drei der Saison war ein Chaos-Rennen, in dem die Mercedes-Piloten trotz aller Turbulenzen um Boxenstopps und Safetycar-Phasen Oberwasser behielten. Mika Häkkinen feierte nach zwei Nullrunden seinen lang ersehnten zweiten DTM-Sieg, gefolgt von seinen Markenkollegen Paul di Resta, Bruno Spengler und Bernd Schneider. Doch was für viel mehr Gesprächsstoff sorgte, war der chaotische Rennverlauf, in dem sogar Piloten und Rennleitung zwischenzeitlich der Durchblick fehlte.

Das Chaos begann - ausgerechnet - in Runde 13. Mercedes-Pilot Mathias Lauda rammte beim Überholen Markus Winkelhock, der diesmal im Audi von Tom Kristensen im Einsatz war. Winkelhocks A4 landete an einer denkbar ungünstigen Stelle im Reifenstapel, doch die Rennleitung wartete mehrere Runden, bis sie das Safetycar herausschickte. Dabei kam es zuerst zu Ungereimtheiten bei Mattias Ekström - er war in der Safety-Car-Phase in die Box gefahren, war allerdings ein paar Sekunden zu spät dran, musste an der Ausfahrt das gesamte Feld an sich vorbeiziehen lassen und sich als Letzter wieder einreihen. Später kam die Rennleitung zu dem Schluss, dass Ekströms Stopp regelwidrig war und der Schwede musste noch einmal in die Box.

Lausitzring 2007

Das Safetycar kam im Chaosrennen am Lausitzring mehrfach zum Einsatz Zoom

Als die Boxengasse während der Safetycarphase geöffnet wurde, nutzen das viele Teams zu taktischen Kunststücken: Viele Piloten absolvierten gleich beide Pflichtstopps kurz hintereinander. An den Kommando-Ständen herrschte Hektik, es ging drunter und drüber. Und als in Runde 23 das Rennen wieder freigegeben wurde, hatte im Chaos keiner mehr den Durchblick. Wer zu diesem Zeitpunkt wo lag, das konnten weder die Teams noch die Rennleitung sagen.

Die Rettung brachte wieder das Safetycar: In Runde 31 fuhr es wieder raus, damit sich das Feld dahinter wieder in seine richtige Reihenfolge sortieren konnte. Und so gab es endlich die Übersicht, wie die Lage im Rennen war: Häkkinen führte vor di Resta und Spengler. Die fuhren nur inzwischen dem Feld hinterher und drohten, auf die Hinterbänkler aufzulaufen. Das Safetycar sollte sich also zwischen dem Feld und Häkkinen platzieren, das klappte jedoch auch nicht ganz auf Anhieb, so dass einige Piloten das Safetycar noch überholen mussten.

Chaos gab es auch mit der Boxenampel: "Bei der ersten Safetycar-Phase ist die Boxenampel bei einem Drittel der Fahrzeuge zu früh auf Grün geschaltet worden, so dass hier nicht auszuschließen war, dass der eine oder andere sich ins Feld einfügen konnte, aber das lässt sich leider nicht feststellen", erklärte der damalige Delegierte des DMSB, Michael Schwägerl, danach." Pech mit der Ampel hatte auch Bruno Spengler, der statt Platz drei vielleicht hätte den Sieg holen können, aber er musste an der Boxenausfahrt stehen bleiben, während Timo Scheider und Mattias Ekström an ihm vorbeifahren konnten: "Zu dem Zeitpunkt, als Bruno Spengler zum Boxenausgang gefahren ist, war die Ampel auf Rot", so Schwägerl. "In dem Moment, als Mattias Ekström und Timo Scheider sich dem Boxenausgang näherten, sprang die Boxenampel auf Grün. Es waren zwischen dem Umspringen der Boxenampel auf Grün und der Ausfahrt von Timo Scheider exakt drei Tausendstel Sekunden."

Viel wurde diskutiert, ob denn das Rennergebnis nach all dem Chaos eigentlich stimmen konnte. Nach langen Überprüfungen blieb es aber so, wie es schon nach der Zieldurchfahrt war: "Wir können bei der Durchsicht aller Durchfahrtszeiten zu keinem anderen Ergebnis kommen", sagte Schwägerl. Er konnte allerdings nicht versichern, dass das Ergebnis zu 100 Prozent auch dem Rennverlauf entsprach.

Die Top-8-Piloten konnten sich allerdings nicht lange über ihren Erfolg freuen: Wenige Tage später beschloss der DMSB, für dieses Rennen nur die halben Meisterschaftspunkte zu vergeben und zudem den im Reglement vorgesehenen Gewichtsauf- und -abbau für das nächste Rennen von sieben auf 3,5 kg zu reduzieren. Sieger Häkkinen zum Beispiel kassierte statt zehn nur fünf Zähler, was ihn auch im Meisterschaftsrennen zurückwarf. Der Finne war entsprechend sauer: "Da fragt man sich natürlich als erstes - warum? Was soll das? Das ist nicht fair!" schilderte er seine aufgewühlten Gefühle. "Man überlegt, sieht sich jeden Aspekt an, sieht sich selbst im Spiegel an und fragt sich: Was habe ich falsch gemacht? Warum haben sie mir die Punkte weggenommen? Das Wochenende war wirklich hart, man hat sich immer voll konzentrieren müssen, man hat hart gearbeitet, und zum Lohn hat man den Sieg geholt - und dann sagen sie dir eine Woche später 'denkste, du bekommst deine Punkte nicht'. Oder zumindest die Hälfte nicht."

Mika Häkkinen

Mika Häkkinen holte seinen zweiten DTM-Sieg, bekam aber nur halbe Punkte Zoom

Auch für die Rennleitung hatte das Chaos am EuroSpeedway Konsequenzen. DTM-Renndirektor Roland Bruynseraede wurde mit sofortiger Wirkung entlassen, auch Schwägerl und Rennkommissar Wilfried Zametzer mussten gehen. Neuer Renndirektor wurde Sven Stoppe, Christian Schacht wurde Delegierter und zum neuen Vorsitzenden der Sportkommissare wurde Dr. Gerd Ennser ernannt.

Zurück zum Sportlichen: Neben all dem Chaos gab es am Lausitzring auch Historisches zu verzeichnen. Durch seinen zweiten Platz sicherte sich Paul di Resta die alleinige Tabellenführung, als jüngster Pilot aller Zeiten und als erster Fahrer eines Zweijahreswagens.