• 29.10.2012 15:55

  • von Tim Westermann

Volkswagen auf Brasilianisch - der VW Gol

Vom São Paulo Automobilsalon frisch auf die Straße. Brasiliens Bestseller Gol in der Hand eines verwöhnten Polofahrers

(Motorsport-Total.com/Auto-Medienportal) - Brasilien, Land automobiler Überraschungen von Volkswagen. Da fahren die beim Publikum unverändert beliebten nagelneuen Transporter vom Typ T2 herum. Frisch aus der Fabrik mit steiler Frontscheibe und Heckmotor. In Deutschland werden die Schätzchen schon Jahrzehnte nicht mehr gebaut und besitzen als Oldtimer bereits Seltenheitswert. Oder taufrische Golf 4, die ebenfalls noch in Brasilien von den Bändern laufen.

Titel-Bild zur News: Volkswagen Novo Gol

Der Volkswagen Gol - Brasiliens Bestseller Zoom

Genauso wie der VW Fox, der hierzulande schon vom up! abgelöst wurde und der Polo samt dem Stufenheckableger Polo Sedan, die noch auf dem deutschen Vorgänger basieren. Natürlich gibt's auch VW-Modelle als Brasilien-Import aus Zeiten knapp vor dem letzten Modellwechsel oder sogar topaktuell: Jetta, Passat, Passat CC, Amarok, Tiguan und Touareg zählen zur Mittel bis Oberklasse für gut verdienende Bevölkerungsschichten.

Aber dann wäre da auch noch die dritte Spezies. Volkswagen, die Europa nie erreicht haben und bei uns dementsprechend unbekannt sind. Ein Mini Van "Space Fox" etwa und gleich eine ganze Modellfamilie, nämlich die des Gol. Der begeistert die Brasilianer als Pickup namens Saveiro mit Standard- oder verlängerter Fahrerkabine sowie als Gol-Stufenheckversion Voyage. Und natürlich der Klassiker schlechthin, der einfach nur Gol heißt. Ein Kompaktauto im Format unseres Polo und Brasiliens Nummer 1 seit 25 Jahren. Sechs Millionen Mal im Land verkauft und dennoch nicht gut genug für Deutschland?

Diese Frage wollen wir klären. Im Juli in Brasilien stolz präsentiert und auf dem "Salão Internacional do Automóvel de São Paulo 2012" ein Star der Show - nunmehr rollen die ersten "Novo Gol" auf die Straßen. Wir fahren zum Ortstermin ins VW-Werk Anchieta in São Bernardo do Campo unweit von São Paulo, wo weite Teile der Fabrik mittlerweile nach den modernsten Standards im Konzernverbund unter anderem auch den neuen Gol produzieren. Dort bekommen wir das neue Modell an die Hand, um damit 80 Kilometer südwestlich an die Küste bei Guarujá zu fahren.

Volkswagen Novo Gol Seitenansicht

Die Seitenlinie des Gol - nicht ganz so dynamisch wie Polo oder Golf hierzulande Zoom

Erster Eindruck: Schnuckelig. Uns empfängt das moderne Volkswagengesicht mit kühn geschnittenen Scheinwerfern und großen Lufteinlässen unter der Stoßfängerblende. Die Seitenlinie des Gol wirkt vielleicht nicht ganz so dynamisch wie uns das Polo oder Golf hierzulande vorgeben, um in ein modernes und aufgeräumtes Heck zu münden, mit spoilerbetonter Dachkante und hochwertiger Leuchtengrafik.

Auch innen ist der Gol gut gemacht. Modern, wenn auch nicht ganz so aufregend, wie wir das ansonsten von VW zu kennen glauben. Aber in der Funktionalität vertraut. Da ist man weltweit bei Volkswagen gut aufgehoben, einschließlich der straff gepolsterten und bequemen Sitze.

Zum offenbar ziemlich vollständig ausgestatteten Testwagen gehören zumindest ABS und Front-Airbags für Fahrer und Beifahrer, Fahrersitzhöhenverstellung, elektrische Spiegel und Fensterheber, Zentralverriegelung, immerhin ein einfache Klimaanlage, aber kein Navigationssystem. Auch verwöhnt uns nicht der feine Schimmer einer soft lackierten Armaturentafel.

Aber entscheidende Minuspunkte würden wir dafür nicht vergeben. Auch nicht, was die Sicherheitsausstattung unseres Gol betrifft. Man sollte wissen, dass die Mehrheit der Südamerikaner bis heute Safety-Pakete im Auto für überflüssigen Kram hält.

Als Motorisierung stehen im neuen Gol zwei "Total Flex"-Versionen zur Wahl. Ein 1,0 l-Aggregat mit rund 75 PS und eine zirka 100 PS starke Version mit 1,6 Liter Hubraum. Ganz genau lässt sich die Leistung nicht angeben, da dessen Entfaltung ein bisschen vom getankten Kraftstoff abhängt.

Volkswagen Novo Gol Motor

"Total Flex"-Motor im Gol: hier mit ca. 100 PS bei 1,6 Liter Hubraum Zoom

Die Bezeichnung Total Flex weist darauf hin. Es handelt sich um prinzipiell auf dem Konzernbaukasten basierende Motoren, allerdings mit einer brasilianischen Spezialität. Entweder tanken sie reinen Alkohol, der zu einer knapp drei Prozent höheren Leistung führt, als wenn E22 eingefüllt würde. Oder aber man nimmt dieses E22. Das ist ein Benzin-Alkoholgemisch nach Art unseres E10, nur eben nicht mit 10, sondern mit 22 Prozent Alkoholanteil.

Die mit rund 12:1 ziemlich hoch verdichtenden Motoren vertragen auch jedes Mischungsverhältnis zwischen beiden Kraftstoffsorten, würden aber mit unserem E10 nicht laufen. Genauso bedarf es besonderer Maßnahmen, um den kalten Motor bei Temperaturen unter 15 Grad Celsius zu starten, wenn mit reinem Alkohol gefahren werden soll. Entweder gibt es dafür, wie beim Gol, einen kleinen Zusatztank, in den E22 gefüllt werden sollte, das bei Außentemperaturen von weniger als15 Grad zunächst in den Motor gespritzt wird. Oder es kommt eine spezielle Startvorrichtung zum Einsatz, die den Alkohol kurz vor dem Zylinder aufheizt, so dass der Motor bei allen Temperaturen sicher zünden kann.

Los geht's - und zwar mit dem stärkeren 1,6 Liter. Der setzt den kaum mehr als eine Tonne leichten Gol spielend in Bewegung und schnurrt angenehm leise vor sich hin. Das leicht zu schaltende, manuelle Fünfganggetriebe passt hervorragend zur Motorcharakteristik, wie wir sie von vergleichbaren Motoren hierzulande zu kennen glauben.

Komfortabel rollt der beim Fahrwerk angenehm straff abgestimmte Testwagen auf breiten 195/55 R 15-Reifen über die nicht immer so gut wie hierzulande ausgebauten Straßen. Das sanfte, sichere Untersteuern in stramm gefahrenen Kurven kommt uns irgendwie bekannt vor. Bei der Fahrwerksabstimmung hat Volkswagen eben offenbar weltweit mit hoher Trefferwahrscheinlichkeit das richtige Rezept gefunden.

Volkswagen Novo Gol - Heck

Der Gol wurde in Brasilien bisher sechs Millionen Mal verkauft Zoom

Entspannt landen wir am Strand bei Guarujá und fragen uns erneut, warum es den Gol in Deutschland nicht zu kaufen gibt. Natürlich dann mit konventionellen Benzinern statt der brasilianischen Total Flex-Version. Trotz des guten Eindrucks, den der Gol bei uns hinterlassen hat, ist die Antwort eindeutig. Deutschland braucht den Gol nicht.

Mit einem Einstiegspreis von 27.990 Real - das sind umgerechnet weniger als 11.000 Euro - ist der Novo Gol zwar um einen guten Tausender billiger als ein in der Leistung vergleichbarer Polo. Das wäre doch ein Argument für den kleinen Südamerikaner. Ein Blick in Volkswagens brasilianische Gol-Preisliste belehrt uns aber auch, dass der Preisunterschied unterm Strich rasch dahin schmelzen würde, wollte man den Gol aufs Ausstattungsniveau eines Polo bringen.

Der aktuelle Polo kann letzten Endes für unseren Geschmack, unsere Verhältnisse und Bedürfnisse alles besser. Der Gol füllt keine Marktlücke, für den sich der weite Weg über den Atlantik lohnen würde.

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