Cadillac Lyriq im Test: Ernsthafte Premium-SUV-Alternative?
Komfortabel und recht luxuriös ist das amerikanische 530-PS-Premium-SUV und schick und natürlich anders - Aber es bleiben einige Hürden
(Motorsport-Total.com/Motor1) - Manchmal fragt man sich ja schon, was den Lenkern eines Autokonzerns so durch den Kopf geht. Cadillac hatte zuletzt ja den CT4 vom deutschen Markt genommen, 2023 verkaufte man in Good Old Germany 217 Fahrzeuge. Aber anstatt beleidigt (oder aus purer wirtschaftlicher Vernunft?) den Schwanz einzuziehen, versucht man es jetzt ausgerechnet mit einem elektrischen Premium-SUV der Fünf-Meter-Klasse.
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Cadillac Lyriq (2024) im Test Zoom
Der erste Gedanke: Wie in aller Welt soll das denn funktionieren? Erstens ist der Markt aktuell ein Desaster und zweitens zu allem Überfluss auch noch prächtigst und mächtigst gefüllt. BMW iX, Mercedes EQE SUV, Kia EV9, der ziemlich hervorragende neue Volvo EX90, meinetwegen auch noch ein Tesla Model Y oder ein Nio EL6 - da hat der deutsche Kunde vermutlich nicht unbedingt auf einen neuen "Exoten" gewartet.
Uns juckt das natürlich weniger. Wir sind dafür da, Ihnen gewissenhaft zu sagen, ob der Cadillac Lyriq etwas taugt oder nicht. Herausfinden konnten wir das nun bei einem ausgiebigen Testtag in München. Legen wir los.
Was ist das?
In erster Linie mal ein genau fünf Meter langes Elektro-SUV aus dem GM-Konzern. Wobei SUV-Coupé es wohl besser trifft, denn die Dachlinie ist schneidiger als die Maßanzüge des deutschen Finanzministers. In den USA ist das Auto übrigens schon seit gut zwei Jahren auf dem Markt.
Technische Basis ist die Ultium-Plattform von General Motors. Die Batterie hat eine NCMA-Chemie. Das heißt, an der Kathode werden Oxide von Nickel, Cobalt, Mangan und Aluminium verwendet. Die Batterie besteht aus 12 Modulen mit jeweils 24 Pouch-Zellen. Die Netto-Kapazität beträgt 102 kWh. Der Hersteller rühmt explizit die hohe Performance bei Kälte.
Je ein Permanentmagnet-Motor an der Vorder- und der Hinterachse sorgen für Allradantrieb und eine Systemleistung von 528 PS/610 Nm.
Das Getriebe mit den üblichen Modi P, N, R und D wird über einen Lenkstockhebel gesteuert. Ziemlich cooles Gimmick: Die Bedienung des selben erinnert an alte Ami-Cruiser aus den 70ern und 80ern (keine Sorge, es geht spielend von der Hand). Die vier Fahrmodi heißen Tour, Snow/Ice, Sport und My Mode.
Das Fahrwerk besteht vorne wie hinten aus Fünflenker-Achsen. Dazu kommen non-adaptive Stahlfedern, ein Luftfahrwerk wird bisher nicht angeboten.
Zur Serienausstattung gehört ein Surround-Sound-System von AKG mit 19 Lautsprechern - einschließlich eines Lautsprechers in der Kopfstütze. Zudem gibt es elektrisch einstellbare Nappaleder-Sitze, Sitzheizung vorn und hinten, Massagefunktion und Sitzbelüftung vorne, Lenkradheizung, 360-Grad-Rundumsicht-System, Abstandstempomat (ACC), Spurhalteassistent, Totwinkelwarner und ein Antikollisionssystem. Super Cruise, Cadillacs autonomes "Hands Free"-Fahrsystem, soll ab 2025 verfügbar sein.
Sie haben die Wahl zwischen den jeweils 80.500 Euro teuren Optik-Versionen Luxury und Sport. Sechs Lackfarben und zwei verschiedene Nappaleder-Interieurs stehen zur Wahl.
Es gibt lediglich zwei Extras - eine abnehmbare Anhängekupplung und eine Dachreling. Für knapp 85.000 Euro ist der Lyriq also voll. Dagegen stehen - zumindest laut Konfigurator - eher happige Leasingraten (fast 1.200 Euro ohne Anzahlung bei einer jährlichen Laufleistung von 15.000 Kilometern).
Die Amerikaner wollen den Privatkundenbereich im Direktvertrieb stemmen, arbeiten im Flottengeschäft und beim Service aber mit größeren und etablierten Händlergruppen zusammen. In München ist das etwa der US-Experte Geiger Cars. Auf den Lyriq gewährt man eine Garantie von vier Jahren/100.000 Kilometern, auf die Batterie 8 Jahre/160.000 Kilometer. Das Service-Intervall beträgt 24 Monate.
Schnelle Daten
Motor - 2 Permanentmagnetmotoren mit Stabwicklung
Leistung - 383 kW (528 PS)
Drehmoment - 610 Nm
0-100 km/h - 5,3 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit - 210 km/h
Verbrauch WLTP: - 22,5 kWh
Reichweite WLTP: - 530 Km
Batterie - 102 kWh
Ladedauer - max. AC: 22 kW; max. DC: 190 kW
Grundpreis - 80.500 Euro
Exterieur
Der Lyriq folgt der relativ exzentrischen und kantigen Designsprache, die wir von Cadillac seit einigen Jahren kennen. Der Verzicht auf das traditionell farbige Logo soll den Schwenk hin zur Elektromobilität symbolisieren.
Auffällig vorne sind die großen vertikalen Tagfahrlichter. Hinten stechen vor allen Dingen die sehr extrovertierten Rückleuchten ins Auge, die von der Mitte des Fahrzeugs bis zum Dach hin verlaufen und die vermutlich längste Blinklicht-Signatur beinhalten, die die Welt je gesehen hat (was ganz nebenbei ziemlich cool aussieht).
Die Unterschiede zwischen den Ausstattungslinien Sport und Luxury beschränken sich auf Akzente wie Zierleisten (schwarz oder silber) und die grundsätzlich 21 Zoll großen Räder.
Abmessungen
Länge x Breite x Höhe - 5.005 mm x 1.977 mm x 1.623 mm
Radstand - 3.094 mm
Kofferraumvolumen - 588 - 1.687 Liter
Leergewicht - 2.774 Kg
Zuladung - 426 kg
Anhängelast - 1.587 kg
Stützlast - keine Angabe
Interieur
Hier passiert eine ganze Menge. Vieles davon ist gut, einiges aber auch nicht. Starten wir mit dem allgemeinen Qualitätseindruck. Sitze, Lederqualität und die Beschaffenheit der meisten Oberflächen machen einen sehr guten Eindruck. Leider gibt es bei näherem Hinsehen aber auch einiges, was einem Fahrzeug dieser Preisklasse nicht angemessen ist.
Bei den Spaltmaßen im Übergang zwischen Armaturenbrett und Türen passt wenig zusammen, manches Furnier wirkt arg klapprig, die Befestigung der Sitzgurte am Boden ist fast schon hanebüchen und der Dreh-Drück-Steller klingt wie bei einem Kleinstwagen. Insgesamt geht das Ambiente im Interieur allerdings absolut in Ordnung.
Auf der anderen Seite freuen wir uns darüber, dass es noch einen Dreh-Drück-Steller gibt. Das bringt uns direkt zur Bedienung, die im Großen und Ganzen viel Lob verdient.
Der ziemlich gewaltige Screen (Cadillac spricht von 32 Zoll und 9k-Auflösung, aber hier wurde offensichtlich zusammengezählt) erzeugt ein fantastisches Bild und reagiert extrem schnell. Ganz vernünftig gelöst auch: Einige Funktionen lassen sich ganz links am Bildschirm mit der linken Hand steuern. Schwierig in diesem Segment: Ein Head-up-Display glänzt durch Abwesenheit.
Das Betriebssystem basiert nicht auf Android, allerdings sind die wichtigsten Google-Dienste wie Maps, die Sprachbedienung oder Apps integriert. Das erweist sich einmal mehr als eine goldrichtige Entscheidung. Vor allem die irre Geschwindigkeit, mit der das Navi Reise-Routen samt Ladestopps ermittelt, beeindruckt immer wieder.
Die Sitzposition vorne ist minimal zu hoch, das Gestühl erweist sich bei relativ überschaubarem Seitenhalt aber als sehr komfortabel. Etwas schade: Ein ausziehbares Sonnenbrillenfach unter der haptischen Klimasteuerung schafft keine Sonnenbrillen (zumindest keine halbwegs großen).
Darunter befindet sich ein für E-Autos typischer Raum für allen möglichen Krimskrams, der dann aber ziemlich lose umherfliegen dürfte. Beide sind schick mit Leder bezogen.
In den Türen dürfte es ganz unamerikanisch für 1,5-Liter-Flaschen eng werden. Dafür gibt es vorne und hinten tonnenweise USB-Anschlüsse, Steckdosen et cetera. Unpraktisch auch: Das Handschuhfach muss über den Infotainment-Screen geöffnet werden.
Der Beinraum im Fond zeigt sich wenig überraschend generös. Dafür wird es aufgrund der schnittigen Dachform für Menschen über 1,80 Meter am Scheitel extrem eng. Ein weiteres Manko ist die Rückbank selbst. Aus unerfindlichen Gründen verfügt sie im Übergang zwischen Sitz- und Rückenfläche über einen ausgeprägten Knubbel, der an Stellen drückt, an denen man ungern gedrückt werden will. Hier sollte nachgebessert werden.
Das Kofferraumvolumen von 588 Liter geht in Ordnung. Die 1.687 Liter bei umgeklappter Rückbank wiederum zeigen, dass die Linie des Autos Vorrang hatte. Leider fährt auch die Heckklappe nicht höher aus als circa 1,75 Meter. Einen Frunk gibt es nicht, dafür ein Fach unter der Heckklappe für Ladekabel und Co. Einen sehr guten Eindruck wiederum macht das riesige Glasdach.
Fahrbericht
Wir wollen ja mit den wichtigen Dingen anfangen, und ich gehe mal davon aus, Sie würden es durchaus goutieren, wenn es in Ihrem 80.000-Euro-Elektro-SUV leise zugeht. Das kann der Lyriq definitiv gewährleisten.
Der Geräuschpegel ist grundsätzlich sehr angenehm, Windgeräusche oder andere Dinge, die Ihr anspruchsvolles Ohr belästigen könnten, bleiben größtenteils draußen, da macht die Noise Cancelling-Technologie einen guten Job. Im Sportmodus bietet auch dieses Auto die wohl unvermeidliche Klang-Aggressivierung, alles aber glücklicherweise im Rahmen und nicht aufdringlich.
Das Fahrwerk federt den massiven Burschen komfortabel durch die Weltgeschichte. Zumindest, wenn die Straßen halbwegs passabel sind. Das trifft in unseren Breiten ja zu 90 Prozent zu. Werden sie mal schlechter, zeigen die Dämpfer etwas Grobmotorik und auch die Fahrwerksakustik passt sich dem ein wenig an. Nichts all zu dramatisches, aber gesagt haben will ich es Ihnen schon.
Dass unsere lieben Kollegen auf der anderen Seite des großen Teichs die Dinge auch bei der E-Auto-Fahrdynamik gerne mal ein wenig anders sehen, werden Sie bemerken, sobald Sie den Lyriq mit ordentlich Schmackes in die erste Kurve feuern.
Da nimmt er am Eingang anstandslos einen beachtlichen Speed mit, aber irgendwann reicht es ihm dann und er taucht sich in ein relativ starkes Untersteuern, dass sich in der Folge auch mit Gaswegnehmen nicht so wirklich bändigen lässt. Da schiebt er dann stur geradeaus weiter. Das habe ich so bei einem Batterieelektrischen mit deftig Akku-Gewicht im Keller auch noch nicht erlebt. Es gibt Schöneres.
Sie sehen: Cadillac bleibt seiner Linie treu, setzt - zumindest bei seinen Standard-Modellen (die Performance-Fahrzeuge der Marke waren fahrdynamisch zuletzt Spitzenklasse) - auf komfortables Gleiten als Kernkompetenz und überlässt sportliche Spagate der Konkurrenz.
Dazu passt auch die Lenkung, die relativ indirekt ausgelegt ist und mit ungewohnt generösen Lenkwinkeln aufwartet. Wer schon mal eine Drehorgel bedient hat, dürfte in der Stadt Vorteile haben. Wird es flotter, wird sie härter, ohne besonders viel Gefühl zu vermitteln.
One-Pedal-Driving ist in jedem Fahrmodus verfügbar. Man kann diese Betriebsart per Touchscreen aktivieren und zudem zwischen starker und schwacher Rekuperation wählen. Um nicht in ein Untermenü wechseln zu müssen, können Sie das One-Pedal-Driving auch zur Menüleiste am unteren Bildschirmrand hinzufügen.
In der Ausführung gibt sich das Auto keine Blöße, bremst auch ruckfrei bis zum Stillstand. Eine eher ungewohnte Spielerei: Ein Paddle links am Lenkrad, mit dem Sie per Hand die Intensität des Bremsvorgangs zusätzlich verstärken können.
Interessant, weil ebenfalls ungewöhnlich: Der Caddi geriert sich mit seinem E-Antrieb nicht als Blitzstarter, der vor den Insassen mit möglichst viel Initial-Bumms angeben will, sondern zeigt eine Leistungsentfaltung, die sich angenehm aufbaut. Eher wie ein extrem gut ansprechender Benziner mit reichlich Power.
Für mich eine sehr vernünftige Entscheidung, weil wohl keiner ein Groß-SUV braucht, das ihm bei jedem Tritt in die Tube ein grünes Gesicht beschert. Obendrein dürfen Sie sich darüber freuen, dass es gefühlt auch nach 4-5 Sekunden Beschleunigung noch spürbar nach vorne geht. Erst alles, dann nichts - das ist hier nicht vorgesehen.
Fazit
Der Cadillac Lyriq ist ein optisch durchaus interessantes Auto, das einen eher entspannten Fahrstil goutiert und da dann auch seine Stärken ausspielt. Diese liegen klar im Fahr- und Geräuschkomfort sowie im harmonischen, kraftvollen Antrieb. Zudem weiß die Bedienung mit den Google-basierten Diensten und dem großartigen Mega-Screen sowie zusätzlichem Dreh-Drück-Steller zu gefallen.
Die Verarbeitung hat Höhen, bei genauerem Hinsehen allerdings auch einige Tiefen. Das Kofferraumvolumen ist für diese Klasse Durschnitt, der Sitzkomfort auf der Rückbank für ein Fünf-Meter-SUV ausbaufähig. Zudem haben wir es technisch mit einem im Wettbewerbsumfeld eher einfachen Fahrzeug zu tun (kein Head-up-Display, keine Luftfeder, keine Hinterachslenkung).
Und bisherige Berichte sprechen davon, dass es mit der Ladegeschwindigkeit nicht unbedingt zum Besten bestellt sein soll. Das konnten wir allerdings selbst noch nicht in Deutschland prüfen, also versehen wir das noch mit einem Fragezeichen.
Cadillac selbst spricht davon, dass vergleichbare Premium-Konkurrenten gut und gerne mal 20.000 Euro mehr kosten. Das könnte ein Ansatz sein, aber dafür muss dann wohl noch ein bisschen an den Leasingraten geschraubt werden.
Die US-Edelmarke weiß selbst, dass sie hier nicht mit den ganz großen Stückzahlen rechnen darf. Dennoch werden mindestens zwei weitere Modelle folgen. Es bleibt die alte Leier: Mit dem Lyriq macht man sicher nicht viel falsch, aber ob das mehr Kunden als die Fans der Marke und Individualisten anspricht, wird sich zeigen. Für mich eine 7/10.
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