• 02.08.2022 12:06

  • von Roland Hildebrandt

Bugatti W16: Die Geschichte eines Mega-Motors

Er ist der letzte seiner Art und fasziniert bis heute: Im Bugatti Veyron und Chiron kommt ein W16 zum Einsatz - Wir zeigen Geschichte und Entwicklung.

(Motorsport-Total.com/Motor1) - 16 Zylinder. 8 Liter Hubraum. 1.001 PS. Als Bugatti 2005 die technischen Daten des Triebwerks für den Veyron 16.4 bekannt gibt, verschiebt Bugatti die Grenze des technisch Machbaren. Eine Sensation. Dieser Motor würde theoretisch auch für vier Autos reichen. Und alle wären noch stark unterwegs.

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Bugatti W16-Antrieb: Der letzte seiner Art Zoom

Und auch eine solche Leistung gab es bis dato nicht: Von 0 auf 100 km/h vergehen nur 2,5 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei über 400 km/h. Der Veyron wird zum ersten Hypersportwagen der Welt. Und das wäre ohne den W16 nicht möglich gewesen.

Im März 2016 stellt Bugatti seinen Nachfolger vor: den Chiron. Und wieder gelingt Bugatti etwas Unerwartetes: Was einst unmöglich in einem Straßenfahrzeug erschien, steigert Bugatti weiter mit einem Leistungsplus von 50 Prozent gegenüber dem Vorgängermodell. Ja, es ist ein 8,0-Liter-W16, und ja, er besitzt vier Turbolader - genau wie der Veyron -, aber um ein neues Leistungsniveau zu erreichen, wird jede einzelne Komponente neu betrachtet.

Der W16-Motor verändert die Geschichte der Hypersportwagen

Vor allem verwendet Bugatti größere Turbolader und ein Duplex-Kraftstoffeinspritzsystem mit 32 Einspritzventilen. Mehr Carbon und Titan kompensieren die Gewichtszunahme durch die größeren Turbolader. Mit einer Leistung von zunächst 1.500 PS, später 1.600 PS, und einem maximalen Drehmoment von 1.600 Newtonmeter verändert der W16-Motor einmal mehr die Geschichte der Hypersportwagen.

Der Ursprung des W16 ist ein langer Weg. 1997 konfrontiert Ausnahme-Ingenieur Ferdinand Karl Piëch, seinerzeit Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, den Leiter der VW-Aggregate-Entwicklung Karl-Heinz Neumann mit der ersten Idee und zeichnet sie auf einen Briefumschlag während einer Zugfahrt im Shinkanzen-Schnellzug von Tokio nach Osaka:

Piëchs Idee ist es, einen Motor mit 18 Zylindern zu entwickeln, der später aus Gründen der Leistungsentwicklung und als Hommage an Ettore Bugattis Sechzehnzylinder zu einem W16-Motor abgewandelt wird.

Bei jedem Bauteil für Grundsatzentwicklung betrieben

Gregor Gries, vor 20 Jahren einer der ersten Mitarbeiter bei Bugatti und bis Februar 2022 Leiter technische Entwicklung bei Bugatti, erinnert sich: "Alle bezweifelten damals, dass es möglich sei, ein Fahrzeug mit 1.000 PS für die Straße zu bauen. Wir wollten nicht nur beweisen, dass wir es schaffen, einen leistungsstarken Antrieb zu konstruieren, sondern auch einen, der fahrbar ist."

Die Ingenieure fingen bei null an. "Wir mussten bei allen Bauteilen Grundsatzentwicklung betreiben, jedes Fahrzeugteil musste neu konstruiert und getestet werden. Selbst der Motorprüfstand, um den Motor zu testen. Das Einzige, was wir nicht verändert haben, waren die Bleistifte zum Zeichnen", lacht Gregor Gries, der seit der Wiedergeburt von Bugatti für die Motoren- und Getriebeentwicklung verantwortlich war.


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Die Ingenieure setzen die auf einem Briefumschlag skizzierte Idee von Ferdinand Piëch in die Realität um. Der Motor, der nicht größer als ein V12 ist und rund 400 Kilogramm wiegt, verdankt seine Kompaktheit der einzigartigen Anordnung der Zylinder in W-Form. Zwei Achtzylinderblöcke sind im 90-Grad-Winkel zueinander angeordnet und werden von vier Abgasturboladern angetrieben.

3500 Teile mussten per Hand zusammengesetzt werden - für den Motor

Doch die Herausforderungen, die Karl-Heinz Neumann und sein Team bei der Verwirklichung des W16 zu bewältigen hatten, waren immens. "Damals gab es weder Literatur noch Erfahrungswerte für Serienmotoren mit mehr als zwölf Zylindern oder für Serienfahrzeuge, die schneller als 350 km/h fahren konnten", erzählt Neumann.

"Vor allem eines machte uns Kopfzerbrechen: Das Auto musste am Boden bleiben, die Kraft musste auf der Straße bleiben - was bei diesen Geschwindigkeiten nicht einfach ist. Aber der Beweis, dass es möglich ist, einen Motor zu konstruieren, der dies leisten kann, war unglaublich cool. Es war ein echtes Gefühl der Erfüllung, als der W16 endlich einsatzbereit war."

Um den Motor zum Leben zu erwecken, sind mehr als 3.500 Einzelteile nötig, die von Hand zusammengesetzt werden, Prüfcomputer überwachen die Arbeit. Beim ersten Testlauf 2001 leistet der Motor mit den doppelten Biturbo gleich die verlangten 1.000+1 PS. Theorie und Praxis können nicht dichter beieinander liegen.

Viele Herausforderungen, die es bei einem normalen Straßenauto nicht gibt

Doch die Leistungssprünge sind so groß, dass die herkömmlichen Motorprüfstands- und Belüftungssysteme mit dem neuen W16 nicht zurechtkommen - neue Systeme müssen speziell entwickelt werden.

Zudem kommen neue Anforderungen hinzu, die bisher bei einem Serienfahrzeug nicht auftreten, wie beispielsweise die sehr heißen Abgase zu kanalisieren. Eine Abgasanlage aus Titan, die es in dieser Größe zuvor im Automobilbereich noch nicht gibt, wird schließlich ein Teil der Lösung.

Nachdem die Leistung gesichert ist, richten die Ingenieure ihre Aufmerksamkeit auf Laufruhe und Zuverlässigkeit. Da ein 16-Zylinder-Aggregat eine natürliche Laufruhe bietet, ist die Erkennung von Fehlzündungen oder Klopfen im Motor mit herkömmlichen Methoden unzuverlässig. Bugatti entwickelt daher die Bugatti Ionenstrom-Sensierung (BIS), die den Ionenstrom an jeder Zündkerze überwacht.

Wasser-Kühlsystem mit zwei Wasserkreisläufen

Stellt das System eine klopfende Verbrennung oder eine Fehlzündung fest, wird der Zündzeitpunkt verlangsamt, der Zylinder abgeschaltet oder der Ladedruck reduziert. So kann jeder einzelne Zylinder bis an seine Leistungsgrenze laufen. "Unser Ziel war es von Anfang an, die maximale Motorleistung stabil und sauber zu erzeugen", erklärt Gregor Gries.

Absolut entscheidend für die dauerhafte Zuverlässigkeit des W16-Motors war sein Kühlsystem, das - wie nicht anders zu erwarten - in einem in der Automobilindustrie noch nie dagewesenen Ausmaß entwickelt wurde.

Ein komplexes Wasser-Kühlsystem mit zwei Wasserkreisläufen hält den W16 auch bei extremer Volllast im geforderten Temperaturbereich. Im Hochtemperaturkreislauf mit drei Kühlern im Vorderwagen fließen 40 Liter Wasser, um den Motor auf Betriebstemperatur zu halten.

Vier Turbolader bieten ein einzigartiges Performance- und Sounderlebnis

Der Niedertemperatur-Kreislauf mit separater Wasserpumpe enthält 15 Liter Kühlwasser und kühlt in zwei auf dem Motor angeordneten Wärmetauschern die erhitzte Ladeluft der Turbolader um bis zu 130 Grad ab. Dazu kommen je ein Kühler für das Differentialöl, das Getriebeöl und das Motoröl sowie der Wärmetauscher für die Klimaanlage.

Der W16 wird als längs eingebauter Mittelmotor in den Veyron 16.4 eingebunden, mit in Fahrtrichtung vor dem Motor angeordnetem 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe. In Verbindung mit den Trockensumpf-Schmierölsystemen für Motor und Getriebe erhält der Antriebsstrang eine tiefe Schwerpunktlage.

Normalerweise werden Turbolader hinzugefügt, um die Leistung von kleinen Motoren zu erhöhen. Bei Bugatti verfügt der Grundmotor schon über ausreichend Leistung, die vier Turbolader machen den Antrieb noch kraftvoller und bieten ein einzigartiges Performance- und Sounderlebnis.

Triebwerk wurde über die Jahre weiterhin optimiert

Aufgrund einer vollständig eigenständigen, asymmetrischen Zündfolge mit Zündabständen von nur 45 Grad ist sein Sound mit keinem anderen Motorkonzept zu vergleichen. Im unteren Lastbereich, ausgeglichen und komfortabel, mit steigender Last mehr und mehr das fauchende Biest. Aber immer frei von mechanischen Störgeräuschen.

Im Laufe der Jahre optimieren die Ingenieure das Triebwerk weiter. Neben größer dimensionierten Turboladern und vielen Veränderungen im Motor leistet der W16 ab 2010 im Veyron 16.4 Super Sport 1.200 PS. Im selben Jahr erreicht der Super Sport mit 431,072 km/h einen Geschwindigkeitsrekord als schnellster straßenzugelassener Seriensupersportwagen und mit ihm einen Eintrag ins legendäre Guinness Book of Records.

Der Veyron 16.4 und seine Derivate Grand Sport, Super Sport und Grand Sport Vitesse sind zu begehrten Sammlerstücken geworden. Noch während die Produktion der Fahrzeuge in vollem Gange ist, denkt Bugatti über einen Nachfolger nach.

Ingenieure gehen an die Grenzen des Machbaren und erreichen 1.500 PS

Die Ingenieure stehen vor der Herausforderung, mit dem Chiron ein ähnlich anspruchsvolles, aber noch luxuriöseres und leistungsstärkeres Nachfolgemodell zu entwickeln.

Sie wollen den W16 stärker, leiser und kultivierter machen und gehen damit wieder an die Grenze des technisch Machbaren. "Neben der Leistungssteigerung bei gleichen Maßen und Motorgewicht wollten wir Akustik, Verbrauch und Emissionen verbessern", erinnert sich Tilo Fürstenberg, seinerzeit Leiter Antriebsentwicklung bei Bugatti.

Lediglich die kompakte Motorform und das Stichmaß von 73 Millimetern behalten die Ingenieure bei, den Rest entwickeln sie neu. Das Ergebnis ist ein neues, leises, effizientes und leistungsstarkes Triebwerk mit 1.500 PS - mit einem direkteren Ansprechverhalten und einer Kraftentfaltung, wie es sie noch nie gegeben hat.

Jeder Ladelüfter braucht genügend Luftmasse für 380 PS

Dies entspricht einer Leistungssteigerung von 50 Prozent gegenüber der ursprünglichen Basisentwicklung des Veyron 16.4 und einer Steigerung von rund 24 Prozent gegenüber dem Veyron 16.4 Super Sport.

Für einen wesentlichen Anteil der neuen Leistungscharakteristik sorgen die Abgasturbolader mit der speziellen neuen Bugatti-Registeraufladung. Die Leistungserhöhung auf zunächst 1.500 PS und für den Chiron Super Sport und Centodieci um weitere hundert PS auf 1.600 PS erfordert vier Abgasturbolader.

Jeder Lader muss die adäquate Luftmasse für mindestens rund 380 PS zur Verfügung stellen. Möglich wird das mit der zweistufig geregelten Aufladung (Registeraufladung), bei dem zwei in Serie geschaltete Turbolader zum Einsatz kommen. Diese sind um 69 Prozent größer als die des Veyron.

Auslassventil muss 980 Grad Celsius aushalten

Nur wenn alle vier Turbolader - zwei auf jeder Zylinderbank - im Einsatz sind, erreicht der Motor seine maximale Leistung. Beim Chiron sind der permanent laufende Abgasturbolader und der abschaltbare Abgasturbolader gleich groß - ideal für einen gleichmäßigen Drehmomentverlauf ohne spürbare Einbrüche.

Das dazugehörige Auslassventil muss Temperaturen von 980 Grad Celsius standhalten und dabei voll beweglich bleiben - Bugatti verwendet daher für die Hauptkomponenten eine spezielle Hochtemperatur-Werkstofflegierung.

Die Entwicklungsarbeit hat sich gelohnt: 2019 bricht der Chiron Super Sport 300+ einen Geschwindigkeitsrekord und überschreitet als erstes Serienfahrzeug die 300-Meilen-Marke. Mit einer Geschwindigkeit von exakt 304,773 mph (490,484 km/h) ist der Chiron Super Sport 300+ der schnellste Seriensportwagen überhaupt.

Motor läuft auf Prüfstand über 500.000 Testkilometer

Gleichzeitig erhöhte Bugatti den elektronischen Begrenzer auf eine bisher nicht zugelassene Geschwindigkeit von 440 km/h, was den Chiron Super Sport zum schnellsten Serien-Bugatti aller Zeiten und den Centodieci zu einem besonders leistungsstarken limitierten Sondermodell macht.

Bugatti testet den 16-Zylinder-Motor vor der Produktion mit Hilfe von Computersimulationen und auf einem neu entwickelten Motorenprüfstand. In seiner Entwicklungszeit läuft der Chiron-Motor über 16.000 Stunden. Dazu kommen mehr als 500.000 Testkilometer im Fahrzeug.

Das Aggregat lässt Bugatti im Volkswagen-Motorenwerk in Salzgitter fertigen - in einem abgetrennten Raum nur für die Herstellung des W16 reserviert. Zwei Meister benötigen sechs Tage, um die 3.712 Einzelteile des Motors in präziser Handarbeit zusammenzubauen.

Das fertige Aggregat wird anschließend mit großer Sorgfalt verpackt und nach Molsheim transportiert, wo Motor und Getriebe im ersten Schritt der finalen Montage des Chiron im Bugatti-Atelier zusammengefügt werden. Danach folgt wochenlange Handarbeit, bis am Ende ein weiterer einzigartiger Hypersportwagen auslieferungsbereit auf seinen Rädern steht.

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