• 04.06.2009 17:59

Bilanz: A1GP-Technikchef Travis über den neuen A1GP-Ferrari

A1GP-Technikchef John Travis zog eine zufriedene Bilanz über den neuen A1GP-Ferrari, der seine erste Saison erfolgreich hinter sich gebracht hat

(Motorsport-Total.com) - Mit der Bekanntgabe der Ferrari-Partnerschaft begann im Herbst 2007 ein Mammutprojekt für den Technikerstab der A1GP-Serie. John Travis und seine Mannschaft mussten ein Auto entwerfen, bauen und testen, das in der Saison 2008/2009 Rennreife haben sollte. Das erste der fünf Vertragsjahre ist nun vorbei und Travis zeigte sich durchaus angetan von "seinem" A1GP-Ferrari.

Titel-Bild zur News: A1GP powered by Ferrari Logo

Der A1GP-Ferrari hat mittlerweile seine erste Motorsport-Saison auf dem Buckel

Frage: "John, wie ist deine Meinung über das neue Auto und wie hat es in dieser Saison performt?"
John Travis: "Ich bin sehr zufrieden. Es war eine große Aufgabe und wir hatten nur ganz wenig Zeit. Wir mussten dafür sorgen, dass wir guten Rennsport liefern, die Autos eng beisammen liegen und so die A1GP-Philosophie erhalten bleibt. Ein interessantes Detail ist dabei, dass die Rundenzeiten zwischen dem schnellsten und dem langsamsten Auto konstant um die zwei Sekunden schneller als mit dem alten Modell waren."#w1#

"Jeder machte sich Sorgen, dass dieses ein Hi-Tech-Auto mit mehr Power sein werde, und dass die Top-Piloten daher auf und davon fahren würden, während die weniger erfahrenen Piloten zurückfallen würden. Aber das ist nicht passiert und das ist meiner Meinung nach ein tolles Ergebnis."

"Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen ist das Auto leicht abzustimmen und besitzt eine sehr progressive Aerodynamik. Außerdem haben wir allen Teams viele Informationen zukommen lassen, so dass die Top-Teams keinerlei technologische Vorteile hatten. Zum zweiten haben sich alle Teams verbessert und ihre Piloten sind die Autos auch sehr gut gefahren."

Wie ein alter Formel-1-Ferrari...

John Travis A1GP Technikchef

A1GP-Technikchef John Travis ist mit seinem neuen Auto rundum zufrieden Zoom

Frage: "Hatte die Regel, dass die Informationen der schnellsten Runde allen Team zugänglich gemacht wurden etwas damit zu tun, dass der technologische Vorteil einiger Teams reduziert wurde?"
Travis: "Es zeigt zumindest, dass den anderen Fahrer alles ermöglicht wurde. Nach dem Motto: Er macht dies, er macht das ... warum kann ich das nicht? Ich denke, das war schon eine gute Idee."

Frage: "Wie haben die Fahrer auf das Auto reagiert, die bereits in der Formel 1 oder in der Formel 3 gefahren sind?"
Travis: "Ich denke, sie waren vom Abtriebslevel, von den Karbonbremsen und von der generellen Qualität des Autos überrascht. Es ist wie ein Formel-1-Auto vor vier oder fünf Jahren, zumindest nehmen sie es so wahr. Auch die Reifen sind konstant und sehr gut. Ich weiß, dass wir zum Beispiel in Sepang nicht die richtige Mischung dabei hatten, aber das werden wir nächste Saison abstellen. Die Jungs lieben das Auto."

Frage: "Vor dem Algarve-Rennen sagte Neel Jani, er glaube nicht, dass die Autos nahe genug hintereinander fahren könnten, um Überholen zu können. Er wurde schnell eines besseren belehrt. Hat dich das überrascht oder war dies ein Teil des Designs?"
Travis: "Es war schon ein Teil des Designs. Ich habe die Formel 1 beobachtet und wie sie das Problem angehen. Meiner Meinung nach war dies aber der falsche Weg. Was wir gemacht haben, ist korrekt. Unsere Philosophie von Frontflügel, Balance, Aerodynamik und mechanischem Grip ist richtig. Das erkennt man an der Anzahl von Überholmanövern im Rennen und wie nahe die Autos aneinander fahren. Das übertrifft die Formel 1 bei weitem, weshalb ich glaube, dass dies das richtige Rezept ist."

Gute Mischung aus Aerodynamik und mechanischem Grip

Adam Carroll

Adam Carroll und Team Irland gewannen den ersten A1GP-Titel im neuen Auto Zoom

Frage: "Wie vertragen sich Frontflügel und Heckflügel aerodynamisch miteinander?"
Travis: "Heckflügel kreieren immer Turbulenzen. Als ich bei den ChampCars war, unternahmen wir bei Penske eine Menge Forschungsarbeiten, um diese Turbulenzen und deren Effekte zu verstehen. Die Philosophie mit dem Frontflügel haben wir übernommen, der diese Turbulenzen ziemlich abschwächt. Von unten produzieren wir etwa 50 Prozent Abtrieb, weshalb wir denken, dass dies ein sehr gutes aerodynamisches Paket darstellt. Wir sind bei einer Breite von zwei Metern geblieben, was uns mehr mechanischen Grip bietet. Für mich haben wir eine gute Balance, eine gute Aerodynamik und einen guten mechanischen Grip."

Frage: "Der Power-Boost-Button hat das Überholen erleichtert und das Qualifying komplett verändert. Was magst du daran?"
Travis: "Das ist der Schlüssel zu gutem Rennsport. Ich mag es vor allem, weil einer, mit dem man überhaupt nicht rechnet, den Power-Boost nutzen kann und plötzlich ganz weit vorne steht. Dann gibt es noch die Strategiefrage: Brauchst du das im Sprint- oder im Hauptrennen? Das bricht die Startaufstellung auf und für den Zuschauer wird es sehr interessant."

Frage: "Wie ist für dich persönlich und für die A1GP-Serie die Zusammenarbeit mit Ferrari? Wenn man plötzlich Zugang zu Dingen hat, die einer normalen Serie oder einem normalen Hersteller verborgen bleiben?"
Travis: "Mit Ferrari zu arbeiten ist eine tolle Sache. Sie haben eine große Historie und es gab einen regen Informationsfluss. Auch die Zusammenarbeit mit Rory Byrne war einzigartig. Er war die Achse zwischen unseren Chassisbauern in Bognor Regis und den Motorenleuten in Maranello. Wir mussten einen Sportwagenmotor in ein Monoposto einbauen, was eine schwierige Aufgabe war."

"Wann immer wir etwas von Ferrari gebraucht haben, haben sie es uns gegeben. Sie waren eine große Hilfe. Der Motor wurde für zukünftige acht Zylinder-Autos entwickelt. Wir sind jetzt die Pioniere, die diese Technologie zuvor ausprobiert haben. Das war gut für Ferrari, denn wir tragen Rennen mit etwas aus, was sie später ihren Kunden geben können."

25 Autos, 25 Piloten - 25 Probleme

Neel JaniKyalami, Kyalami Grand Prix Circuit

Jede Menge Arbeit: John Travis musste sich um 25 A1GP-Ferraris kümmern Zoom

Frage: "Wie stand es um die Zuverlässigkeit des Autos?"
Travis: "Wir haben unglaublich viel getestet und wir hatten keine größeren Probleme. Das Testauto lief über 7.000 Kilometer und war sehr robust. Klar dachten einige, dass wir große Probleme haben werden. Speziell weil wir 25 Autos haben und es ja nicht so ist, als würdest du lediglich mit einem Zweiwagen-Team umgehen. Wir hatten eine volle Startaufstellung. Das ist ein großer Aufwand und eine logistische Herausforderung."

"Jeroen Bleekemolen hatte in Zandvoort ein Problem mit der Lenkung, aber das kam aufgrund des heftigen Regens. Unter trockenen Umständen hätte es kein Problem gegeben, aber es war eine Sinnflut und es kam Wasser in die Cockpits. Das ist aber kein Zuverlässigkeitsproblem, das war höhere Gewalt."

Frage: "Was ist mit den anderen Kleinigkeiten, die sich im Verlauf der Saison eingestellt haben? Habt ihr diese allesamt lösen können?"
Travis: "Wir haben eine gute Truppe. Alle Themen wurden sofort bearbeitet und es wurde sicher gestellt, dass dieses Problem nicht anderswo auftauchen wird. Interessant ist dabei: Es ist eine Sache, wenn du dich an einem Auto mit einem Problem beschäftigst, aber wenn du 25 Autos betreust, dann hast du 25 Piloten mit ganz unterschiedlichen Problemen."

Frage: "Müssen die Autos im Sommer überarbeitet werden?"
Travis: "Wir haben im Sommer ein Programm, nach dem wir sicherstellen, dass alle Autos der neuesten Spezifikation entsprechen. Wenn du das ganze Jahr um die Welt reist, dann ist das schwer und die Teams sind mit ihren Fahrkilometern beschränkt. Im Sommer werden nun alle Komponenten gecheckt und alle auf die gleiche Spezifikation gebracht. Beim ersten Sommertest in Silverstone sollen alle auf dem gleichen Level sein."

Laufzeit: Drei bis vier Jahre

Edoardo Piscopo

Das aktuelle Auto wird der A1GP-Serie noch drei bis vier Jahre erhalten bleiben Zoom

Frage: "Wie sehen eure kurz- und langfristigen Pläne in Sachen Upgrades aus? Werdet ihr neue Dinge designen um Verbesserungen zu erzielen?"
Travis: "Wahrscheinlich nicht für die kommende Saison. Aber in Sachen Performance werden wir uns schon mit Upgrades beschäftigen. Auch in Sachen Reifen wird es eine Entwicklung geben und dann werden wir uns mit anderen Fragen beschäftigen: Wollen wir, dass das Auto optisch anders aussehen wird? Müssen wir den Speed erhöhen oder den Abtrieb verringern? Das wird alles getestet werden und wir werden unsere Schlüsse daraus ziehen."

Frage: "Eine andere Frage ist das Thema Sicherheit. Das wurde ausreichend getestet, denn das Auto landete einige Male in den Mauern, aber alle Fahrer blieben unverletzt..."
Travis: "Dieses Lob gebührt der FIA und deren Spezifikationen für die Homologisierung. Das war eine große Herausforderung. Wenn du ein unlimitiertes Budget hast, dann ist es okay, denn dann kannst du eine Menge exotischer Materialien verwenden. Wenn du aber Kosten und Sicherheit gegeneinander ausbalancieren musst, dann wird es schwierig. Aber ich denke, wir haben einen guten Job gemacht. Die Autos haben sich genauso verhalten, wie es die Crashtests vorhergesagt haben."

Frage: "Wie lange kann dieses Auto noch fahren?"
Travis: "Das liegt an der A1PG-Serie und daran, wie lange sie es behalten wollen. Ich persönlich glaube, dass drei bis vier Jahre das Maximum darstellen, denn auch die Safety-Regeln schreiten voran, die Technologie entwickelt sich und auch die öffentliche Wahrnehmung, wie ein Auto aussehen sollte, ändert sich."

Frage: "War dieses Projekt auch eine persönliche Genugtuung, wenn du beobachten konntest, wie sich die ersten Basis-Informationen in ein fahrendes Rennauto verwandelt haben?"
Travis: "So etwas ist immer eine Genugtuung. Es gibt ganz wenige Branchen, in denen du in sechs Monaten etwas zeichnen, herstellen und produzieren kannst. Der Motorsport ist wahrscheinlich die letzte dieser Branchen und das gibt uns allen einen Kick. In der Flugzeugindustrie dauert solch ein Prozess zehn bis zwölf Jahre, wir sprechen hier über sechs Monate. Ich bin schon 30 Jahre in diesem Geschäft, aber das hier ging ganz schnell und wurde von einer kleinen Gruppe an Leuten umgesetzt."

Frage: "Wieviel mehr Speed ist in diesem Auto in der aktuellen Spezifikation noch verborgen?"
Travis: "Es geht noch etwas. Vor allem in der Reifenentwicklung liegen noch Dinge verborgen, die die Rundenzeiten drücken können. Auch die Teams werden aus dem Auto noch Dinge herausquetschen können. Es wird immer der Fall sein, dass Fahrer und Teams ein Auto besser verstehen und sich daher das Performance-Level verschiebt. Das ist ganz natürlich."

"Aber ich muss meinen Leuten danken, denn sie haben diese Saison viele Stunden gearbeitet. Im Prinzip ist es wie in einem Orchester. Ich bin zwar der Dirigent und ich habe mein Orchester vor mir, aber ohne diese Burschen würde es niemals gut klingen."