• 08.07.2009 15:49

  • von Britta Weddige

KALEX: Moto2-Bike "made in Germany"

Der schwäbische Chassis-Hersteller KALEX baut eine Moto2-Maschine und will den Teams mit viel Know-how im Rennsport ein "Rundumsorglos-Paket" bieten

(Motorsport-Total.com) - Im beschaulichen schwäbischen Städtchen Bobingen bei Augsburg rührt sich was. Im Computer des Chassis-Herstellers KALEX engineering entsteht ein Moto2-Bike, das in der neuen WM-Klasse eingesetzt werden soll. Hinter Kalex stehen die beiden Motorradenthusiasten und Rennsportexperten Alex Baumgärtel und Klaus Hirsekorn. Die beiden kommen eigentlich aus dem Automobilsport und haben jahrelang - unter anderem in der DTM - für Holzer-Rennsport gearbeitet.

Titel-Bild zur News: Kalex Moto2

So sieht sie aus, die Moto2 von KALEX, die Rennmaschine "made in Germany"

Baumgärtel war bei Holzer in den Bereichen Engineering und Konstruktion tätig, Hirsekorn hat alles gemacht, "von Qualitätskontrolle über Vormontage, Renningenieur bis hin zum Chefmechaniker". Vor ein paar Jahren haben sie ihre Liebe zum Zweiradsport wiederentdeckt und sind "just for fun" auf die Rennstrecke gegangen. Da sie es nicht interessant fanden, ein Serienmotorrad dafür umzubauen, haben sie beschlossen, ihr Ideal vom Sportmotorrad selbst zu entwickeln und zu fertigen. Das war die Geburtsstunde ihres Unternehmens KALEX engineering.#w1#

Im Sommer 2007 war ihr Prototyp AV1 rennbereit, er wird heute in der offenen Zweizylinderklasse des DMSB-Sportbike-Pokals eingesetzt. Zusätzlich bietet das Unternehmen Standarddienstleistungen, vornehmlich für Motorsportanwendungen, in den Bereichen Engineering und Fertigung an. Natürlich versteht sich das Unternehmen auch auf den Umbau von Motorrädern für den Rennstreckeneinsatz und den Service vor Ort. Auch exklusives Zubehör wie ein neuartiger Karbonheckständer gehört zum Portfolio von KALEX. Baumgärtel ist im Unternehmen für Engineering und Konstruktion, Hirsekorn für die Fertigung verantwortlich.

Alex Baumgärtel und Klaus Hirsekorn

Alex Baumgärtel und Klaus Hirsekorn sind die beiden Chefs bei KALEX Zoom

Doch die Arbeit am AV1 rückt jetzt etwas in den Hintergrund, denn Baumgärtel und Hirsekorn treiben ihr Moto2-Projekt intensiv voran. Wer nun glaubt, dass es sich bei ihnen um zwei "Hinterhofschrauber" handelt, die sich zum Spaß einmal auf der großen Bühne versuchen wollen, der täuscht sich. KALEX ist auf dem Firmengelände der Holzer-Firmengruppe angesiedelt, Synergien und Ressourcen können hier beiderseitig genutzt werden. Zudem verfügen Baumgärtel und Hirsekorn über jahrelange Erfahrung und Know-How in allen Bereichen des internationalen Rennsports, vom Entwurf des Fahrzeugs und der einzelnen Komponenten bis zur Logistik an der Rennstrecke.

Moto2 trifft genau die Kernkompetenz

Als die neue Moto2-Klasse ins Leben gerufen wurde, wussten die beiden sofort, dass das die ideale Serie für KALEX ist. "Das ist für uns als Chassis-Hersteller genau unsere Klasse, der Focus in dieser Serie trifft unsere Kernkompetenz, die Fahrwerksentwicklung", so Hirsekorn gegenüber 'Motorsport-Total.com'. "Durch den Einheitsmotor reduzieren sich die Kosten in der Entwicklung. Die Motorentechnik ist sicherlich ein interessantes Thema, bedarf jedoch einen immensen Mehraufwand."

Alex Baumgärtel KALEX

Alex Baumgärtel ist bei KALEX zuständig für Design und Engineering Zoom

Seitdem versucht das Duo, "die ganzen Fäden zueinander zu spinnen und das Thema professionell anzugehen." Sie möchten nicht nur Chassis-Lieferant, sondern Komplettanbieter für die Teams sein. "Es gibt viele Teams, die mit dem jetzigen Reglement vor neue Aufgaben gestellt werden. Sie waren jahrelang Nutzer von verschiedensten Serien-, Supersport- oder Rennmotorrädern, die sie von Aprilia, Honda, Yamaha oder anderen gekauft haben. Sie stehen jetzt vor der Entscheidung mit welchem neuen Chassis-Hersteller sie an den Start gehen sollen", erklärte Hirsekorn. "Und wir können ein Komplettkonzept anbieten von der Zeichnung, über die Stückliste, über Engineering, über Berechnung bis hin zum Komplettfahrzeug und dem Service an der Rennstrecke."

Kontakt zu mehreren Teams besteht bereits. Ihnen möchten die Beiden vermitteln, "dass sie bei uns wie bei einem Werk bedient werden - nur eben nicht von Aprilia oder Honda, sondern von KALEX engineering. Wichtig ist, dass man den Weg kennt. Und den kennen wir. Wir haben jahrelang in der DTM gearbeitet, jahrelang Rennautos aufgebaut. Alex hat sie konstruiert und ich habe sie an den Start gestellt, ich war für den Aufbau verantwortlich, ich weiß also ein bisschen was darüber. Von daher ist es die ideale Klasse für uns", so Hirsekorn.

Kontakt zu Teams besteht bereits

Als die beiden KALEX-Chefs in Le Mans erstmals mit der Dorna Kontakt aufnahmen, erlebten sie ihre erste Überraschung. Die Dorna gab ihnen nur mit auf den Weg, die Teams direkt anzusprechen, ein Motorrad zu bauen und dieses an den Start zu stellen. Eine Homologation der Fahrzeuge wie in anderen Rennserien gibt es nicht, nur die Richtlinien des Reglements, das auf dem der aktuellen 250er-Weltmeisterschaft basiert und in den festgeschrieben ist, welche Materialien verwendet werden, wie groß die Überstände sein dürfen und so weiter.

"Die technische Zusammenarbeit mit Deutschen ist offenbar angesehen." Alex Baumgärtel

Also sprachen Baumgärtel und Hirsekorn in Le Mans und Mugello direkt mit den Teams. Kontakt gibt es bisher zu 14 oder 15 Mannschaften aus der MotoGP, der 250er- und der 125er-WM. "Dabei haben wir außergewöhnlich gutes Feedback bekommen, schon allein, weil wir deutsch sind", berichtet Baumgärtel. "Die technische Zusammenarbeit mit Deutschen ist offenbar angesehen, 'Made in Germany' kommt glaube ich ganz gut an. Das war schon einmal sehr positiv und überraschend. Auch unsere Präsentation kam gut an."

Zu diesem Zeitpunkt lag jedoch noch vieles in der Schwebe, "die Teams mussten sich erst noch bei der Dorna bewerben. Jetzt haben wir den Einheitsmotor, die Daten wurden jetzt erst geliefert, deshalb konnten wir jetzt erst mit der Detailarbeit weitermachen. Daher arbeiten wir jetzt gerade weiter am Design, und zwar mit Vollgas. Am Sachsenring werden wir dann wieder die Teams ansprechen und weiter verhandeln."

Zwei mal zwei: das optimale Paket

Ziel von KALEX ist es, im Feld der insgesamt 21 Moto2-Mannschaften zwei Teams mit jeweils zwei Fahrern auszurüsten. "Das ist für uns aus der Erfahrung heraus ein sinnvolles technisches Paket, mit dem man erfolgreich sein kann und sich nicht in Kinkerlitzchen verliert", erläutert Baumgärtel. "Wir wollen ja erfolgreich sein und nicht die meisten Motorräder verkaufen, sondern die beste Technik sowie das beste Umfeld für Fahrer, Team und uns schaffen. Das ist die Größenordnung, mit der wir es von der finanziellen Seite gebacken kriegen und auch erfolgreich durch die Saison entwickeln können."

"Wir wollen ja erfolgreich sein und nicht die meisten Motorräder verkaufen, sondern die beste Technik sowie das beste Umfeld für Fahrer, Team und uns schaffen." Alex Baumgärtel

Eines der beiden Teams soll ein "A-Team", das andere ein "B-Team" sein. "Wir möchten ein Team, das schon eine Entwicklungsstruktur hat, in der Vergangenheit nah mit einem Werk zusammengearbeitet hat und in diesem Bereich bereits Erfahrung mitbringt", so Baumgärtel weiter. Ein solches Team wäre zum Beispiel auch Gresini, das in der MotoGP mit Honda-Maschinen unterwegs ist. "Das B-Team würde dann Daten mitliefern, Impulse geben und zeitversetzt von der Optimierung her nachlaufen. Das haben wir während unserer langen Jahre im Motorsport gelernt: Man muss sich auf etwas konzentrieren, um es gut hinzubekommen. Zu viele Köche verderben den Brei. Da kann man vielleicht ein bisschen mehr Umsatz machen, aber es ist halt schwieriger, Erfolg zu haben."

Diese Teams möchten die beiden KALEX-Chefs möglichst bald finden, denn das Motorrad soll zielgerichtet auf den Fahrer, das Team und deren Anforderungen entwickelt werden. "In der Motorradszene ist der Fahrer noch wichtiger als im Automobilrennsport, er hat extremen Einfluss auf das System, auf die Funktion. Deshalb wollen wir uns schon in der Entwicklung mit einem Team verbünden und zusammentun. Denn dann sind wir schneller erfolgreich", erklärt Hirsekorn.

Noch sind die Teams zurückhaltend

Doch noch verhalten sich die Teams abwartend. Denn angeblich wollen auch Honda und Aprilia Moto2-Maschinen bauen. Honda soll sogar schon ein fertiges Bike haben, mit dem bereits getestet wurde. "Und solange diese Gerüchte rumgeistern, sind die Teams extrem zurückhaltend. Klar würde man als Team eher zu einem Hersteller mit der Geschichte von Aprilia gehen als zu jemandem wie KALEX", weiß Hirsekorn.

Klaus Hirsekorn

Klaus Hirsekorn ist bei KALEX der Experte für Fertigung und Logistik Zoom

Das müsse aber nicht unbedingt der richtige Weg sein, fährt er fort: "Die Geschichte hat gezeigt, dass es nur zwei oder drei Teams gibt, die wirklich nah am Hersteller sind. Die restlichen sieben bis zehn bekommen aber nur Standardmaterial, das, was es halt grad so gibt." Und deshalb wollen die beiden KALEX-Männer am Sachsenring weiter für die Vorzüge ihres Unternehmens werben.

Denn bei KALEX könne man Neuentwicklungen schneller und schlagfertiger umsetzen, auch dank der räumlichen Nähe zur Infrastruktur von Holzer. "Wir haben es ja jahrelang hier im Haus gemacht. Ab dem Moment, wo wir Konstruktion, Fertigung, Qualitätssicherung und Fahrzeugaufbau in einem Haus hatten, haben wir Sachen umgesetzt, die früher in dem großen Kreislauf eben nicht gingen", so Hirsekorn. "Im großen Kreislauf musste etwas erst einmal eingeschickt werden, wenn es nicht funktioniert hat. Dann wurde abgewartet. Hier telefoniert man einfach im Haus, der zuständige Mitarbeiter sieht es sich an, nimmt die Änderungen sofort vor, eine halbe Stunde später hast du deine Daten und es geht weiter."

CNC-Maschinen

Alles unter einem Dach: Vom Design bis zur Fertigung sind die Wege kurz Zoom

"Wir haben hier auch schon alle zwei Wochen ein neues DTM Fahrwerk gebaut, einmal für den Norisring, einmal für den Lausitzring und Ähnliches immer wieder in kürzester Zeit hingezaubert", ergänzt Baumgärtel. "Das ist eben das, was wir den Teams auch noch vermitteln müssen: Wo wir herkommen. Wir haben zwar in dem Sinne keinen Namen, aber trotzdem wohl einen größeren Erfahrungsschatz als der eine oder andere größere Mitbewerber. Natürlich sind die Teams gerade im Rennstress, aber sie müssen auch allmählich die Weichen stellen. Wir selbst geben Vollgas und spätestens zum Valencia-Grand-Prix wollen wir ein fertiges Produkt vorstellen."

Überraschungspaket Moto2-Reglement

Derzeit existiert das KALEX-Moto2 nur als CAD in Baumgärtels Rechner. Er befindet sich in der Designphase beim Detailing. Jetzt schon mit dem Bauen anzufangen, würde auch wenig Sinn machen, da von der Dorna immer wieder Änderungen kommen: "Das Reglement steht in dem Sinne auch noch nicht fest, gerade was die Motorperipherie des Einheitsmotors und so weiter angeht." Erst vor zwei Wochen wurden die offiziellen Daten des Honda-Einheitsmotors für die Hersteller bereitgestellt.

"Da wird es schon noch den einen oder anderen kleinen Gimmick geben, wobei das im Racing normal ist." Klaus Hirsekorn

"Alex hatte allerdings schon konstruiert. Bei den Daten war jedoch eine Serienairbox eingefügt, die dann auf einmal ein ganzes Stück über dem Tank stand, den er schon konstruiert hat. Das sind so die kleinen Überraschungen, die man erlebt", schildert Hirsekorn. Auf die Rückfrage, ob es dabei bleibt, erhielt KALEX nach mehreren Tagen die Antwort, dass sich das wieder ändern wird. Beim Design ist also Flexibilität gefragt: "Es gibt auch eine Einheitselektronik und eine Einheitsdatenerfassung, die bis dato aber auch nicht fix ist. Es scheint wohl Einheitsreifen zu geben, aber das ist auch noch so eine halb bestätigte Meldung. Da wird es schon noch den einen oder anderen kleinen Gimmick geben, wobei das im Racing normal ist. Die Rahmenbedingungen stehen so weit und man muss eben hier oder da noch etwas ändern."

Keine unnötigen Risiken

Das Risiko, ein Motorrad zum Beispiel um einen Yamaha-Motor herum zu bauen, um schon einmal Testen gehen zu können, wollte man bei KALEX - anders als bei manchem Mitbewerber - nicht eingehen. "Die spielen das Ganze jetzt locker runter und sagen: 'Dann bauen wir halt einen Honda-Motor ein. Lustig ist das aber nicht, das geht nicht so einfach. Das kostet auch alles Geld", so Hirsekorn. "Wir kennen jetzt die Eckdaten und können jetzt solide arbeiten. Sonst macht es auch keinen Sinn." Und Baumgärtel ergänzt: "Die Luft haben wir natürlich nicht, uns solche gravierenden Fehler zu leisten. Wenn, dann muss es klar vorangehen, mit einem klaren Ziel."

"Das sind Leute, die Motorsport gelebt haben und auch die Erfahrung und das Know-How haben." Klaus Hirsekorn

Das klare Ziel lautet: Im November sollen zwei komplette Motorräder fertig sein, die im Idealfall auch schon vorgetestet sind. Wenn es von der Entwicklung in den Schritt der Fertigung geht, können Baumgärtel und Hirsekorn auf die die gesamte Infrastruktur und die Manpower der Holzer-Firmengruppe zurückgreifen. "Es ist gut, dass wir hier die erfahrenen Leute haben, um das in der Zeit zu stemmen", so Baumgärtel. Und Hirsekorn pflichtet bei: "Die Kapazität und das Know-How sind hier im Haus vorhanden. Zudem haben wir aus unserer Vergangenheit die nötigen Kontakte, um relativ schnell hochqualifiziertes Personal zu finden, wenn wir mit dem Bauen loslegen. Das sind Leute, die Motorsport gelebt haben und auch die Erfahrung und das Know-How haben. Sie kennen alle die Produktionsabläufe und können die Zeiten, was wie lange dauert, gut einschätzen. Und dann funktioniert das auch."

Die Kosten: 130.000 bis 155.000 Euro

Nach derzeitiger Kalkulation wird eine KALEX-Moto2 die Teams zwischen 130.000 und 155.000 Euro kosten. "155.000 Euro war der letzte Stand, bei dem wir uns bewegt haben. Seitdem wurde im Reglement aber wieder etwas beschränkt, von daher fallen Kosten weg. Deshalb kalkulieren wir gerade neu", so Baumgärtel.

CAD-Platz

Am CAD-Platz wird am Detailing gearbeitet, bald soll die Produktion starten Zoom

Derzeit sei es aber schwierig, sich von den Kosten her mit anderen Herstellern zu vergleichen. "Wir überlegen bei unserem Kostenvoranschlag gleich: 'Was brauche ich, um erfolgreich zu sein, auch in der Ausstattung, von den Komponenten her, von den Zukaufteilen her, sei es auch nur Bremsen, Räder und Fahrwerk?' Andere scheinen dagegen anzubieten: 'Was brauche ich, damit ich überhaupt rollen kann?' Aber ich denke, dass es in naher Zukunft ein klareres Bild geben wird, wo ich welchen Wert für welche Summe bekomme."

"Es sind halt auch viele fiktive Summen unterwegs", pflichtet Hirsekorn bei. "Wir versuchen eben, eine Realkalkulation zu machen, auch mit unseren Bedingungen, unserem Know-How, dem was wir anbieten wollen. Und wenn ich zum Beispiel sehe, was Aprilia in der aktuellen Saison anbietet, dann konnten wir das mit unserer KALEX-AV1 ebenfalls schon leisten. Wir arbeiten so. Da gibt es ein Handbuch, da gibt es eine Stückliste, da gibt es Zeichnungen, Artikelnummern - wir haben ja das nötige Know-How und Ressourcen, auch in der Logistik."