Wie eine ehemalige Hollywood-Limousinenschmiede in die WEC kam

Mit Isotta Fraschini kehrt in diesem Jahr eine legendäre Automarke in die Hypercar-Klasse der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) zurück

(Motorsport-Total.com) - Mit Isotta Fraschini steigt 2024 ein weiterer Hersteller in die Hypercar-Klasse der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) ein. Die Wiederbelebung der traditionsreichen Marke ist ein ehrgeiziges Projekt, das bereits einige Stolpersteine zu überwinden hatte. Doch namhafte technische Partner zeigen, dass es Isotta Fraschini ernst ist.

Titel-Bild zur News: Firmenlogo von Isotta Fraschini

Die Marke Isotta Fraschini feiert 2024 in der WEC ihre Auferstehung Zoom

Die meisten werden den Namen Isotta Fraschini bis vor kurzem noch nie gehört haben. Kein Wunder, denn die letzten Straßenfahrzeuge dieser Marke liefen Anfang der 1950er Jahre vom Band.

Kinofans hingegen dürfte der Name ein Begriff sein. Denn Luxuslimousinen von Isotta Fraschini waren eine Zeit lang auf der Leinwand und in Hollywood alltäglich. Ein Exemplar war 1950 im Klassiker "Sunset Boulevard" zu sehen und Stummfilmstar Rudolph Valentino fuhr in den 1920er Jahren einen Isotta Fraschini.

Die Motorsportgeschichte der Marke reicht noch weiter zurück und umfasst unter anderem einen Sieg bei der Targa Florio 1908. Auslöser für die Rückkehr von Isotta Fraschini auf die Rennstrecke war jedoch die Entscheidung einer weitaus berühmteren italienischen Marke. Ferrari gab den Anstoß zur Entwicklung des Tipo 6 LMH Competizione, der seit April 2023 getestet wird und 2024 mit dem Team Duqueine in der WEC an den Start gehen soll.

Entscheidung von Ferrari führte zum LMH-Projekt Isotta Fraschini

Das Le Mans-Hypercar-Projekt, aus dem der Tipo 6 hervorgegangen ist, wurde ins Leben gerufen, als Ferrari beschloss, die langjährige Zusammenarbeit mit Michelotto Engineering zu beenden. Seit dem 360 Modena GT2 aus dem Jahr 2000 hatte Ferrari mit dem Unternehmen bei Design, Entwicklung und Bau von GT-Rennwagen zusammengearbeitet.

Die Entwicklung des 296 GT3 übernahm Ferrari jedoch selbst. Er entstand im neuen Werk von Attivita Sportive GT, das Anfang 2021 eröffnet wurde. Als technischen Partner hat sich Ferrari den französischen Hersteller ORECA ins Boot geholt. Für Michelotto mit Sitz in Padua bei Venedig entstand dadurch eine Lücke, die es zu füllen galt. Das Projekt LMH-Auto war das Ergebnis.

Ferrari 296 GT3 von Frikadelli Racing

Den 296 GT3 entwickelte Ferrari ohne die Unterstützung von Michelotto Zoom

"Wir konnten nicht einfach aufhören und unsere technischen Fähigkeiten verlieren, während wir auf das nächste Projekt warteten", sagt Firmengründer Giuliano Michelotto, der betont, dass die 45-jährige Beziehung zu Ferrari nicht beendet ist, dass sich das Unternehmen heute aber mehr auf Straßenfahrzeuge konzentriert.

Michelotto will seine Fähigkeiten demonstrieren

"Langstreckenrennen sind die beste Form des Motorsports. Und die beste Art zu zeigen, wie gut man ist, ist, ein Langstrecken-Rennauto zu bauen. Die Entwicklung eines LMH zeigt unsere Fähigkeiten, indem wir an einem Auto arbeiten, das so komplex wie möglich ist", sagt Michelotto.

Luigi Dindo, der als Technischer Direktor von Michelotto das LMH-Programm leitet, bezeichnet es als "Antenne des Unternehmens" und als "Projekt, um unsere Mitarbeiter zusammenzuhalten - die Mitarbeiter sind der wichtigste Teil eines jeden Unternehmens".


Fotostrecke: Le-Mans-Hypercars, LMDh-Prototypen: Die Übersicht mit allen Informationen

Das Konzept und die ersten Entwürfe für LMH stammen aus der Zeit vor der Zusammenarbeit mit Isotta, erklärt Dindo. Michelotto kam mit den Eigentümern der Marke in Kontakt, die einen Relaunch planten. Er war einer der Partner, die sie brauchten: Wer in der Hypercar-Klasse mitfahren will, muss entweder ein Hersteller sein oder eine enge Verbindung zu einem solchen haben.

Glickenhaus und ByKolles zeigen, wie schwierig der Weg ist

Die Bestrebungen von Glickenhaus, ein vollwertiger Hersteller zu werden, sind bekannt, während das von ByKolles geführte Unternehmen Vanwall Racing eine straßentaugliche Version seines LMH zeigte und einen elektrischen Crossover-Fünftürer mit Heckklappe, den Vandervell S, verkauft. Doch beide Hersteller werden 2024 nicht mehr in der WEC an den Start gehen.

Dindo bezeichnet die Verbindung zwischen einer Marke, die am Anfang ihrer Wiedergeburt steht, und Michelotto als "natürliche Ehe". Die Besitzer der Straßen- und Rennwagenmarke Isotta Fraschini Milano, die sich in den 1990er Jahren vom staatlichen Mutterkonzern abspaltete, der heute unter anderem Schiffsmotoren baut, hatten Pläne für eine Luxuslimousine im Geiste ihrer Vorkriegsmaschinen, allerdings mit reinem Elektroantrieb.

Isotta Fraschini Tipo 6 LMH Competizione

Im Rahmen des WEC-Rennens in Monza 2023 drehte der Tipo 6 LMH Competizione Demo-Runden Zoom

Neue Investoren wurden gefunden, die mit Frank Kanayet zusammenarbeiteten, der Ende der 2010er Jahre Mehrheitsaktionär von Isotta wurde. Er war einer der ersten Geldgeber sowohl für die kroatische Elektro-Sportwagenmarke Rimac, die heute mit Bugatti im Volkswagen-Konzern zusammenarbeitet, als auch für die Formel E. Eine neue Holding wurde gegründet, deren Details und Beteiligte vorerst geheim bleiben.

HWA baut den Dreiliter-V6-Turbomotor

Die Verbindung mit Isotta wurde Ende 2021 formalisiert, sodass Michelotto das Projekt vorantreiben konnte. Die aerodynamische Entwicklung begann im Oktober dieses Jahres bei Williams Advanced Engineering, einem der zahlreichen technischen Partner, die Michelotto für das Projekt gewinnen konnte.

Der Ableger des Formel-1-Teams Williams liefert auch die Batterie für das Vorderachs-Hybridsystem des Autos, während ein anderes britisches Unternehmen, Hexis, die Motor-Generator-Einheit (MGU) herstellt. Der maßgeschneiderte Dreiliter-V6-Turbomotor wurde von HWA entwickelt, dem ehemaligen DTM-Partner von Mercedes.


Isotta Fraschini Tipo 6 LMH Competizione beim Test in Monza

"Wir haben uns die besten Partner gesucht", sagt Dindo. "Für uns ist es das erste Auto dieser Art. Früher haben wir immer Autos gebaut, die auf Serienfahrzeugen basierten. Wir brauchten erfahrene Partner, denn wir hatten keine Zeit zu verlieren."

Erste Starts in der Saison 2023 scheitern

Isotta kündigte sein Programm im Oktober 2022 an und erklärte seine Absicht, 2023 an der WEC teilzunehmen, beginnend mit dem 6-Stunden-Rennen in Spa Ende April. Angesichts der Tatsache, dass das Auto erst Ende Februar 2023 zum ersten Mal getestet werden sollte, schien dies ein zu ehrgeiziges Ziel zu sein.

Das räumt auch der ehemalige Ferrari-Formel-1-Teamchef Claudio Berro ein, der im September 2022 als Motorsportchef in den Isotta-Vorstand einzog. Nicht ganz unerwartet wurde der Einstieg der Marke von den Organisatoren der Serie, dem Automobil-Weltverband FIA und dem Automobile Club de l'Ouest ACO, abgelehnt. Aber das war Teil eines Prozesses, den Isotta seiner Meinung nach durchlaufen musste.

"Für Isotta war es wichtig, der FIA und dem ACO zu zeigen, dass wir es ernst meinen", erklärt Berro, der in seiner langen Motorsportkarriere unter anderem die Motorsportprogramme von Peugeot Italia leitete und Maserati mit dem MC12 GT1 zurück in den Rennsport brachte. "Wir mussten ihnen unser Programm zeigen und alle Prozeduren durchlaufen".

Tipo 6 LMH Competizione, Pista und Stradale

Der Tipo 6 LMH Competizione, Pista (rechts) und Stradale (hinten) Zoom

Vector Sport wird Einsatzteam - und dann vor die Türe gesetzt

Als klar wurde, dass Isotta 2023 keine komplette Saison bestreiten würde, wurde Vector als Einsatzteam bekannt gegeben. Das britische Unternehmen mit Sitz in Stratford-upon-Avon war 2021 gegründet worden und hatte zunächst einen ORECA-Gibson 07 LMP2 unter der Flagge von Risi Competizione bei den 24 Stunden von Le Mans eingesetzt.

2023 folgte eine komplette Saison in der LMP2 unter der Flagge von Vector Sport. Doch dann die Kehrtwende. Im November 2023 wurde Vector Sport plötzlich vor die Tür gesetzt und das finanzkräftigere Team Duqueine als Einsatzteam präsentiert.

Der erste Renneinsatz des Tipo 6 ist nun für den WEC-Auftakt in Katar im März 2024 geplant. Pläne, das Auto in der Saison 2023 im Rahmen von Gaststarts in der WEC einzusetzen, mussten verworfen werden, um sich auf die Entwicklung und Homologation des Autos konzentrieren zu können.

Isotta war auf heimischem Boden präsent, als die WEC Italien besuchte. Das Unternehmen präsentierte den LMH und eine Trackday-Version, den Pista, sowie ein straßentaugliches Modell des Tipo 6, den Stradale. Die Präsentation des Pista und des Stradale war wichtig, um zu zeigen, dass die Marke auf dem Weg ist, ein echter Hersteller zu werden, wie es die Vorschriften verlangen. Die Pläne für eine EV-Limousine bleiben bestehen, ebenso wie die Absicht, eine Art High-End-Sportwagen zu bauen.

Das Hauptaugenmerk für 2024 liegt jedoch auf dem Rennsport. Sowohl Michelotto als auch Isotta sind überzeugt, dass sie über alle Voraussetzungen verfügen, um im Hypercar-Segment gegen Toyota, Ferrari und Co. anzutreten.

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