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Vom Schrottplatz zu den 24h Le Mans: Das vergessene Projekt aus Südkorea
30 Jahre vor dem geplanten Debüt von Genesis wollte schon einmal eine Automarke aus Südkorea am 24-Stunden-Rennen von Le Mans teilnehmen
(Motorsport-Total.com) - Man könnte meinen, Genesis werde 2026 der erste südkoreanische Hersteller sein, der bei den 24 Stunden von Le Mans antritt, wenn das neue LMDh-Fahrzeug des Hyundai-Ablegers auf der Startaufstellung steht. Doch das ist falsch. Drei Jahrzehnte zuvor gab es auf dem Circuit de la Sarthe bereits ein südkoreanisches Projekt.

© John Brooks
Bertrand Gachot brachte die Marke SsangYong 1996 nach Le Mans Zoom
SsangYong unternahm 1996 einen Angriff auf das berühmte französische Langstreckenrennen. Besonders faszinierend daran war, dass der Einsatz von einem ehemaligen Formel-1-Piloten und Le-Mans-Sieger organisiert wurde: Bertrand Gachot.
Der Belgier hatte 1991 mit Mazda in Le Mans triumphiert und ist in Deutschland vor allem dafür bekannt, dass sein Gefängnisaufenthalt Michael Schumacher zu dessen Formel-1-Debüt verhalf. Nachdem Gachot in der Formel 1 nach Stationen bei Onyx, Rial, Coloni, Jordan und Larrousse zuletzt für Pacific gefahren war, wollte er 1996 seinen Helm an den Nagel hängen und neue Geschäftsmöglichkeiten erkunden.
Da wurde er von einem Hersteller angesprochen, der gerade erst auf den europäischen Markt drängte. SsangYong hatte 1994 begonnen, Autos in Großbritannien zu verkaufen. "Ich wollte mit dem Fahren aufhören und ins Geschäftsleben einsteigen", sagt Gachot. "Ich hatte das Gefühl, dass meine Zeit [in der Formel 1] abgelaufen war."

© Motorsport Images
1991 gewann Gachot mit dem Mazda 787 mit Wankelmotor die 24h Le Mans Zoom
In diesem Sinne reiste er mit Ko Gotoh, einem Anteilseigner von Pacific, der laut Gachot "Geschäftsinteressen auf der ganzen Welt" hatte, nach Südkorea. Ein Treffen mit SsangYong führte zu der Anfrage, die 1988 gegründete Marke nach Le Mans zu bringen.
"Sie waren eine aufstrebende Marke und wollten ihr Image ändern, das bis dahin stärker auf Lastwagen ausgerichtet war", erinnert sich Gachot. "Sie fragten, ob wir sie nach Le Mans bringen könnten, und gaben uns ein sehr kleines Budget. Es war ein verrücktes Projekt."
Ein Low-Budget-Projekt mit ungewöhnlicher Motorenwahl
Laut Gachot war das Budget nicht einmal siebenstellig. Doch SsangYong stellte nur eine einzige Bedingung: Das Fahrzeug, das in Le Mans unter dem Namen SsangYong antreten sollte, musste mit einem Mercedes-Motor ausgestattet sein. Der Grund: Eine technische Partnerschaft mit dem deutschen Hersteller, dessen Motoren in der SsangYong-Modellpalette verwendet wurden.
Gachots Antwort auf diese Anfrage war die Wahl des ungewöhnlichen LMP2-Chassis von Welter Racing mit zentraler Sitzposition - eines der Fahrzeuge, das 1995 sensationell die Poleposition in Le Mans geholt hatte. Anstelle des ursprünglichen Peugeot-Aggregats verbaute er einen zwei Liter großen, turboaufgeladenen Vierzylinder von Mercedes.
Für die Umrüstung des Mercedes-Serienmotors in eine Rennversion holte sich Gachot die Hilfe von Nicholson-McLaren Engines in Großbritannien. Als er nach den benötigten Komponenten fragte, erhielt er eine ungewöhnliche Antwort: "Fünf Motorblöcke - aber ihr müsst sie von einem Schrottplatz besorgen."

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Die Mercedes-Motorblöcke des SsangYong-Renners stammten vom Schrottplatz Zoom
Der Grund für diese eigenartige Anforderung? Gusseiserne Motorblöcke werden mit der Zeit durch Hitzezyklen stabiler. Genau aus diesem Grund waren die Hauptkomponenten der BMW-Turbomotoren, mit denen Nelson Piquet 1983 die Formel-1-Weltmeisterschaft mit Brabham gewann, keineswegs neu. Geschichten, wonach Mitarbeiter aus der Motorenabteilung von BMW-Guru Paul Rosche auf die Blöcke urinierten, um den Alterungsprozess zu beschleunigen, sind möglicherweise mehr als nur Gerüchte.
"Nicholson-McLaren baute uns einen sehr guten, sehr leistungsstarken Motor", erklärt Gachot. Nun hatte er also einen Motor für ein WR-Chassis aus dem Jahr 1994 - nur kleinere Anpassungen an Motorhalterung und Getriebegehäuse waren erforderlich. Was ihm jedoch fehlte, war ein Einsatzteam.
"Wir besaßen nicht einmal einen Schraubenzieher", erinnert sich Gachot. Er tat sich mit dem ehemaligen Le-Mans-Teilnehmer Jean Messaoudi zusammen und baute eine Art "virtuelles Team" auf: Alles wurde angemietet, und Mechaniker mit Formel-1-Erfahrung wurden kurzfristig engagiert.
Gachot sicherte sich einen Startplatz unter dem Namen seiner Firma "PGM" (Pretty Good Management(. Allerdings ergatterte er nur einen Platz auf der Teilnehmerliste des Vortests, der damals noch eine Art Vorqualifikation war. Um sich für das Rennen im Juni zu qualifizieren, musste Gachot beim Pre-Qualifying Ende April bestehen.
Doch das Projekt nahm ein unglückliches Ende: Beim Pre-Qualifying konnte sich Gachot, der als einziger Fahrer das Steuer des WR-SsangYong LM94 übernahm, nicht für das Rennen qualifizieren. Aufgrund eines technischen Problems rollte das Auto am Nachmittag auf der Strecke aus. Und wurde dann zu allem Überfluss von einem anderen Fahrzeug gerammt. Ironischerweise war es eines der Werksautos von Welter Racing! Damit war das Projekt gescheitert.
Eine letzte Chance beim "Autumn Cup"
Das war jedoch nicht das Ende der SsangYong-Geschichte in Le Mans. Im September 1996 kehrten Gachot und das Auto für den sogenannten "Autumn Cup" auf dem permanenten Bugatti-Kurs in Le Mans zurück.
Was Gachots WR dort zeigte oder nicht zeigte, ist nicht ganz klar - teilweise, weil seine Erinnerungen 30 Jahre später etwas verblasst sind, aber auch, weil zeitgenössische Berichte, einschließlich jener von Autosport, nur spärlich über das Rennen berichteten. Das Teilnehmerfeld war überschaubar, doch unter den Startern befanden sich Courage mit zwei Porsche-angetriebenen LMP-Prototypen sowie das Werksteam von Welter Racing.

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1997 kehrte Gachot mit einem Kremer-Porsche nach Le Mans zurück Zoom
Im Gespräch mit Autosport war Gachot zunächst überzeugt, dass sein WR-Auftritt auf dem Bugatti-Kurs vor dem Pre-Qualifying stattfand, nicht danach. Er erinnert sich an ein Problem mit der Drosselklappe, das seiner Meinung nach beim Bugatti-Rennen auftrat - und er ist sich sicher, dass sein WR-SsangYong LM94 eines der beiden zweistündigen Rennen anführte.
Seine Erinnerungen decken sich jedoch nicht mit den Autosport-Berichten und den offiziellen Rennstatistiken. Doch fest steht: Der von Gachot und Emmanuel Clerico pilotierte Wagen erzielte die zweitschnellste Qualifikationszeit, nur neun Zehntelsekunden hinter dem Werkswagen von Welter.
Im ersten Lauf erreichten sie Platz acht, während sie im zweiten Lauf das Ziel nicht sahen - möglicherweise aufgrund des von Gachot erwähnten Drosselklappenproblems.
Das Ende des Le-Mans-Projekts von SsangYong
Damit endete das kurze Le-Mans-Engagement von SsangYong. Der Hersteller verlängerte den Vertrag mit Gachot nicht - stattdessen wurde das Unternehmen von Daewoo übernommen und durchlief in den folgenden Jahrzehnten mehrere Besitzerwechsel. Heute firmiert die Marke als KGM (KG Mobility).
Gachot hingegen wechselte ins Geschäftsleben und wurde CEO der Energy-Drink-Marke "Hype". Doch er erinnert sich noch immer an sein kurzes Le-Mans-Abenteuer: "Unser kleines Paket war superschnell. Wir wussten, dass wir etwas bewiesen hatten - auch wenn es nicht gereicht hat."


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