Le Mans 1966: Als Ford Ferrari entmachtete

Ford schickt 2016 vier GT als Hommage an den legendären Ford GT40 ins Rennen - Wie Ford den amerikanischen Traum bei den 24 Stunden von Le Mans wahrmachte

(Motorsport-Total.com) - "Es war mir eine Herzensangelegenheit, dass Ford nach Le Mans zurückkehrt", betont FIA-Präsident Pierre Fillon immer wieder aufs Neue. Dass der Ausrichter des Rennens bei einem Hersteller, der sich jahrzehntelang nicht an der Sarthe hat blicken lassen, dermaßen ins Schwärmen gerät, zeigt, was Ford in den 1960er-Jahren erreicht hat. Die GT40 sind eine Le-Mans-Legende. Die vier Siege von 1966 bis 1969 stehen am Ende einer Geschichte, die sich um eine persönliche Rivalität zweier verschiedener Charaktere mit völlig verschiedenen Philosophien dreht: Henry Ford II. und Enzo Ferrari.

Titel-Bild zur News: Ford GT40

Stromlinienförmig und kraftvoll: Der Ford GT40 ist eine Le-Mans-Legende Zoom

Die wenigsten Le-Mans-Fans der Jetzt-Zeit haben die GT40 selbst je erlebt, trotzdem geraten nahezu alle Auto-Enthusiasten ins Schwärmen. Le Mans zu gewinnen ist schwer genug, zur Legende zu reifen jedoch nur ganz wenigen Männern und Projekten beschieden. Das GT40-Projekt der 60er-Jahre gehört in letztere Kategorie. Ford weiß dies zu nutzen: 2016 werden vier Ford GT in der Klasse GTE Pro an den Start gehen. Mit einer großen Marketing-Kampagne - unter anderem werden die Boliden in einem gläsernen LKW durch Paris rollen - feiert Ford einen der größten Coups der Le-Mans-Geschichte: Den Vierfachsieg anno 1966.

Doch wie kam es zu einer der größten Wachablösungen der Le-Mans-Geschichte, als Ford die mächtigen Ferraris in die Schranken verwies? Zwei entscheidende Faktoren trieben das Ford-Projekt vorwärts: Der Bruch eines Abkommens amerikanischer Hersteller und die persönliche Fehde zwischen Henry Ford II. und Enzo Ferrari.

Ende der 1950er-Jahre hatten die drei großen amerikanischen Automobilhersteller - Ford, General Motors und Chrysler - beschlossen, keinen Motorsport mehr zu betreiben und diesen auch nicht zu fördern. Die Tragödien insbesondere in Le Mans 1955 und bei diversen Unfällen beim Indianapolis 500 ließen Hersteller weltweit zum Motorsport auf Distanz gehen. Doch freiwillige Abkommen unter Herstellern funktionierten bereits damals nicht: General Motors unterstützte hinter vorgehaltener Hand NASCAR-Rennen. Ford II. geriet darüber so in Rage, dass er sich nicht mehr an das Abkommen gebunden sah.

Die gescheiterte Ferrari-Übernahme

Ford II. suchte nach Möglichkeiten, sich motorsportlich aufzustellen und bewies Weitblick: Den amerikanischen Automarkt sah er bereits als gesättigt an, doch in Europa gab es noch Stücke vom Kuchen zu verteilen. Ein pan-europäisches Motorsportprogramm vom Rallyesport über Tourenwagenrennen bis hin zum Aushängeschild, dem Le-Mans-Projekt, sollte als Zugpferd dienen, die Europäer vom amerikanischen Know-how zu überzeugen. Lediglich die Formel 1 wollte mit ihren 1,5-Liter-Motörchen nicht so richtig zum US-Hersteller passen.

Ford GT, LKW, Paris

Ford zelebriert den Sieg 1966 mit einer großen Le-Mans-GT-Offensive Zoom

Im Vordergrund stand stets das amerikanische Motto "Think big". Und so ging Henry Ford auf niemanden geringeren zu als Enzo Ferrari persönlich, um dessen Unternehmen zu kaufen. Die Gespräche waren schon weit fortgeschritten. Doch schließlich endeten sie im Streit um eine Kleinigkeit: Enzo Ferrari wollte die Motorsport-Aktivitäten von Ford leiten und ließ sich dabei nicht umstimmen. Ford II. wiederum wollte den amerikanischen Einfluss nicht schwinden sehen. Die Gespräche endeten ergebnislos.

Ford II. und Ferrari - das wollte einfach nicht passen. Hier der Commendatore, dessen Leben aus Rennsport besteht. Der Autos verkauft, um den Motorsport zu finanzieren. Dort der amerikanische Geschäftsmann, der Motorsport betreibt, um mehr Autos verkaufen zu können. Der gescheiterte Deal zog das Motorsport-Engagement auf eine persönliche Ebene. Und vermutlich brachte erst dieser Ansporn, es dem verbohrten Italiener zu zeigen, Ford II. dazu, dem Motorsportprogramm nahezu unendliche finanzielle Mittel bereitzustellen. "Wir bekamen einfach alles, aber hatten ein klares Missionsziel", sagt Motorenbauer Mose Nowland.

Ferrari war in Le Mans seit 1960 zu einer Macht aufgestiegen, der man nicht einfach mit Millionen entgegentreten konnte. Die Ferrari-Prototypen der P-Serie fuhren mit dem Feinsten auf, was der Motorsport anzubieten hatte. Die leichtgewichtigen Mittelmotor-Prototypen mit ihren drei bis vier Liter großen V12-Motoren hatten die Langstreckenszene komplett erobert. Kunden- und Werksteam teilten sich seit 1960 alle Le-Mans-Siege auf. Ford hatte das Geld, aber Ferrari das Know-how.


Fotostrecke: Ford bei den 24 Stunden von Le Mans

Amerikanische Expertise beschränkte sich größtenteils auf den Motorenbau, sodass das Chassis ausgelagert wurde. Aus einer Kooperation mit Lola ging ein Übergangs-Prototyp hervor, der keinen Erfolg hatte. 1964 debütierte dann der eigentliche Ford GT (die 40 für die 40 Zoll/1,02 Meter Höhe des Fahrzeugs wurde erst später hinzugefügt) unter der Regie des britischen Le-Mans-Experten John Wyer.

Zwei böse Ford-Niederlagen zu Beginn

Doch das Unterfangen endete in einem Desaster für Ford: Das Getriebe war mit dem Drehmoment überfordert und alle GT40 schieden aus. Zwar verlor auch Ferrari zwei seiner neuen 275P, aber die zahlenmäßige Überlegenheit zahlte sich aus und es setzte einen Dreifacherfolg. Ford entzog daraufhin Wyer die Verantwortung und gab sie an Carroll Shelby weiter.

Und der zog alle Register: Trotz der Probleme im Antriebsstrang legte er nach uramerikanischer Philosophie erst einmal beim Hubraum nach: Sieben Liter trieben den Mk. II GT40 voran. Das Unterfangen war ein Schuss ins Blaue: Weder gab es ein Getriebe, das jemals in einem 24-Stunden-Rennen derartigen Belastungen ausgesetzt war, noch gab es Zeit für Testfahrten. Nicht einmal den Spritverbrauch kannte man - das konnte nicht gutgehen. Noch ein Problem kam hinzu: "Wir waren auf der Geraden über 150 km/h schneller als andere Fahrzeuge", erinnert sich Fahrer Chris Amon. Zu einer Zeit, als die Fahrzeugbeleuchtung kaum ausgereift war.

Ford GT40 1964

Die ersten beiden Anläufe in Le Mans waren nicht von Erfolg gekrönt Zoom

Letztlich war es aber das Wetter, das Ford den Garaus machte: Niemals zuvor waren die GT40 bei derartiger Hitze bewegt worden. Der Siebenliter entwickelte so viel thermische Energie, dass er binnen kürzester Zeit kaputt ging. Doch selbst die als Backup gestarteten Mk. I fielen der Hitze zum Opfer. Zwar traf es auch die weiterentwickelten Werks-Ferrari, die allesamt ausschieden. Ferrari hatte aber private Teams, die den Verlust der Werkswagen abfederten. Ford war ein zweites Mal besiegt, alle Rundenrekorde halfen nichts.

Die Stimmung in der US-Zentrale war nun auf dem Tiefpunkt. Millionen wurden investiert, doch statt den eigenen Kauf anzukurbeln hatte man eine Ferrari-Werbekampagne finanziert. Shelby hatte alle Mühe, Henry Ford II. klarzumachen, dass ein solches Projekt Zeit braucht. 1966 sollte es eine letzte Chance geben, das Motorsportprojekt doch noch erfolgreich werden zu lassen. Ford schwenkte auf ein konventionelles Entwicklungsprogramm rund um Testfahrer Ken Miles um.

Nichts wurde mehr dem Zufall überlassen. Ford schweißte Wissenschaft und Entwicklung enger zusammen als jemals zuvor und war damit seiner Zeit voraus. Alles für den einen Le-Mans-Sieg. "Wir waren 1966 sieben Tage vor Beginn der ersten Trainingssitzung da", erinnert sich Nowland. Das mag heute Standard sein, für jene Zeit aber stellte das ein ungeheures Maß an Professionalität dar.

Wachablösung

Ferrari wusste, was sich da zusammenbraute. Die Fords waren schneller und sobald sie zuverlässig wären, stünde Ferrari mit dem Rücken zur Wand. So statteten die Italiener den Vier-Liter-Motor, der bislang auf altbackene Vergaser setze, mit einer Einspritzanlage und neuem Getriebe aus. Nun stand plötzlich Ford mit ausgereifter Technik da, während Ferrari Neuland betrat. Aber selbst die schwarzmalerischsten Pessimisten sollten nicht ahnen, dass Ferrari bis zum heutigen Tage nie wieder Le Mans würde gewinnen können.

Ford GT40, Zieldurchfahrt, Denis Hulme, Ken Miles, Chris Amon, Bruce McLaren

Coup mit Kontroverse: Der umstrittene Zieleinlauf 1966 Zoom

Das Rennen verlief einseitig: Ford zwang Ferrari ein solch hohes Tempo auf, dass die italienische Technik kollabierte. Egal ob 3,3 oder vier Liter Hubraum, ob Vergaser oder Einspritzung, ein Italiener nach dem anderen fiel dem enormen Tempo zum Opfer. Schon in der Nacht war klar, dass Ford gewonnen hatte. Der Dreifacherfolg gilt als größter Geniestreich jener Dekade.

Doch dieser hat bis heute einen Fleck: Ford erklärte das Rennen zum toten Rennen und wollte alle drei Fahrzeuge gleichzeitig nebeneinander über die Ziellinie fahren lassen - das ultimative Fotofinish. Zu diesem Zeitpunkt lag das Fahrzeug von Ken Miles und Denny Hulme in Führung und hätte das Rennen wohl gewonnen. Doch der ACO machte noch während des Rennens deutlich, dass man keine zwei Sieger akzeptieren werde. Man würde dasjenige Fahrzeug zum Sieger zu erklären, das weiter hinten gestartet war, weil es die größere Distanz zurückgelegt hätte.

Die drei Fahrzeuge fuhren ohnehin hintereinander statt nebeneinander durch Ziel. Der Sieg ging aber an Chris Amon und Bruce McLaren. "Das Fotofinish war in der Praxis einfach nicht umzusetzen", hieß es von den Piloten. Es hält sich aber auch die Theorie, dass Ken Miles, der mit dem enormen Entwicklungsprogramm und der klaren Führung den Sieg in den Augen vieler am meisten verdient hätte, absichtlich vor dem Zielstrich verzögerte, um gegen den politisch gewollten Sieg zu protestieren. Anderen Theorien zufolge wollte Ford, dass die bekannteren Namen gewinnen sollten. Man wird es nie erfahren, denn Miles starb nur wenige Wochen später bei Testfahrten.


Ford GT40 in Le Mans

Dass Ferrari weiterhin eine Macht war, bewiesen die Roten 1967 bei den 24 Stunden von Daytona, als die 330 P4, die letzte Ausbaustufe der Ferrari P-Serie mit neuer Aerodynamik, einen Dreifacherfolg feierten. Dabei verhöhnten sie Ford mit einer Kopie des toten Rennens. Für Le Mans rüstete Ford daher nach. Der Mk. IV kam mit einer völlig überarbeiteten Aerodynamik und somit gänzlich anderen Optik daher. Doch die radikal weiterentwickelten Fahrzeuge hatten Probleme und letztlich war es nur einer Schonfahrt Dan Gurneys und A.J. Foyts zu verdanken, dass Ford auch 1967 siegreich war.

"Das war die großartigste Fahrt, die ich jemals gesehen habe", schwärmte der mittlerweile verstorbene Carroll Shelby über Gurney. Eigentlich hatte dieser sich nur eingebremst, um nicht Foyt herauszufordern. Jener war zwar ein hervorragender Ovalpilot und hatte gerade das Indianapolis 500 gewonnen, konnte jedoch auf der Rundstrecke mit Gurney nicht mithalten. "Er tat es, weil er wusste, dass Foyt versuchen würde, schneller zu fahren", so Shelby. "Alle anderen Fords gingen kaputt, aber sie hielten ihren Wagen an einem Stück und gewannen das Rennen. Das zeigt, was für ein fantastischer Denker Dan Gurney war."

Ford GT40 Mk. IV

Auch das ist ein Ford GT40: Der Mk. IV fuhr 1967 zum Sieg Zoom

Eine weitere Legende hält sich, die aber nie offiziell bestätigt wurde: Mike Parkes soll im vier Runden zurückliegenden Ferrari (deren Werkswagen waren bereits früh in Rückstand geraten) Gurney mit der Lichthupe bis zum Umfallen traktieren, um ihn in einen Fehler zu treiben. Gurney parkte den GT40 seelenruhig in Arnage. Parkes stellte sich hinter ihn, musste aber bald erkennen, dass Gurney erst weiterfahren würde, wenn er es vorher täte. Der kreative Versuch hatte nicht funktioniert. Ob wahr oder nicht: Ferrari wurde ein zweites Mal besiegt. Dennoch hat sich der MK IV mit seiner ungewöhnlichen Optik nie im kollektiven Gedächtnis festgesetzt.

Wyer übernimmt nach Reglementswechsel

Das mag mit daran liegen, dass 1968 und 1969 noch einmal der betagte MK. I (nun mit 4,9 Litern Hubraum) im "gewohnten" Design mit zwei Siegen an der Reihe war. Ford hatte sich werksseitig zurückgezogen, sodass nun der einst ins zweite Glied versetzte John Wyer seinen großen Auftritt hatte. Der Hubraum wurde vom ACO für Sportwagen auf fünf Liter, für Prototypen auf drei Liter gedeckelt. Die MK. II und IV aus der Unlimited-Klasse sowie sämtliche Ferrari-Prototypen waren damit nicht mehr startberechtigt. Der launische Enzo Ferrari trat dadurch gar nicht erst in Le Mans an.

Mittlerweile war der einst filigrane Ford GT40 der Dinosaurier im Feld. 1968 konnten die neuen Prototypen von Porsche und Matra ihm noch nichts anhaben. Der Sieg 1969 ist wiederum eher der fahrerischen Leistung von Jacky Ickx und Jackie Oliver zuzuschreiben. Ickx holte im dramatischten Finish aller Zeiten inklusive Vortäuschen eines Defekts und anschließender Attacke aus dem Windschatten in der letzten Runde den vierten Sieg in Folge für Ford. Obwohl das Werksteam seit zwei Jahren nicht mehr am Start stand, heimste der Konzern die Lorbeeren gerne ein.

Ford GT40, Jacky Ickx, Jackie Oliver

Siegreicher Mk. I in Gulf-Lackierung: So erinnern sich die meisten an den GT40 Zoom

Ford hatte in Le Mans eine Ära beendet. Ferrari sollte nie wieder einen Gesamtsieg an der Sarthe davontragen. Obwohl es nur ein kurzes Intermezzo war, sind die Ford GT40 in diesen Jahren zur Legende gereift. Danach übernahm Porsche das Ruder in Le Mans. 2016 treffen sich nun alle Beteiligten in der GTE-Pro-Klasse wieder und werden sich hier zudem mit Corvette und Aston Martin messen. Die vier Ford GT des Ganassi-Teams 2016 starten mit den Startnummern 66, 67, 68 und 69. Le Mans verspricht eines der spannendsten GT-Rennen aller Zeiten.