Kolumne: "Unfaire Le-Mans-Politik" langfristig für Toyota von Vorteil?

Toyota wurde nach einer umstrittenen BoP-Änderung in Le Mans von Ferrari geschlagen - Langfristig könnte es den Japanern mehr einbringen, glaubt Jamie Klein

Titel-Bild zur News: Der Kampf Toyota vs. Ferrari war bei den 24 Stunden von Le Mans eng

Der Kampf Toyota vs. Ferrari war bei den 24 Stunden von Le Mans war eng Zoom

(Motorsport-Total.com) - Eine Minute und 22 Sekunden. Das war alles, was Toyota von einem sechsten Sieg in Folge bei den 24 Stunden von Le Mans trennte. Man sollte nicht vergessen, welch historisch geringer Vorsprung das für den französischen Klassiker ist, der sein hundertjähriges Bestehen feierte.

Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es nur zehn Fälle, in denen die beiden führenden Autos in derselben Runde ins Ziel kamen. Mit 1:22 Minuten liegt das Rennen 2023 auf Platz vier der Liste der knappsten Ergebnisse, bei denen ein Vorsprung offiziell gemessen wurde - hinter den Ausgaben von 2011, 2019 und 2004.

Es wäre oberflächlich zu behaupten, dass der Unfall von Ryo Hirakawa auf dem Toyota GR010 Hybrid #8 in Arnage zwei Stunden vor Schluss den Ausschlag gegeben hätte. Ja, die verlorene Zeit (etwa eine Minute auf der Strecke und zwei weitere in der Box) ist natürlich viel geringer als der endgültige Rückstand. Aber Hirakawa war angewiesen worden, bis zum Äußersten zu gehen, denn nur so hätte er Antonio Giovinazzi im führenden Ferrari 499P #51 einholen können.

Hirakawa hatte zum Zeitpunkt seines Abflugs einen Rückstand von etwa 16 Sekunden - weniger als die 30 Sekunden, die der Ferrari in der letzten Stunde durch einen Power-Cycle beim Boxenstopp verloren hat. Im Nachhinein ist man immer schlauer, und auch hier wäre es zu einfach zu sagen, Hirakawa hätte es etwas ruhiger angehen lassen sollen.

Es war rührend zu sehen, wie seine Toyota-Kollegen, vor allem Brendon Hartley - derjenige, der so viel dazu beigetragen hatte, Ferrari überhaupt unter Druck zu setzen - ihn nach dem Rennen in Schutz nahmen.

Mehr Fans durch BoP-Änderung?

Wenn man bedenkt, welche Steine Toyota im Vorfeld von Le Mans alles in den Weg gelegt wurden und wie verzweifelt die Organisatoren versuchten, einen weiteren Durchmarsch des japanischen Herstellers nach dessen dominantem Start in die Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) zu verhindern, sollten die Mitarbeiter des Teams in Köln und Higashi-Fuji stolz auf ihre Leistungen sein.

Und die Tatsache, dass Toyota die zusätzlichen Hürden, die ihm von der FIA und dem Automobile Club de l'Ouest (ACO) in den Weg gelegt wurden, so gut genommen hat, wird der Marke zweifellos viele neue Bewunderer eingebracht haben, nachdem sie einige Jahre lang nur auf sich allein gestellt war.

Diese Meinung vertrat auch Toyota-Pilot und Teampräsident Kamui Kobayashi, der zur Mannschaft der #7 gehörte. Diese schied bei einem bizarren Zwischenfall mit mehreren Fahrzeugen in Tertre Rouge aus, der durch eine Slow Zone um die Acht-Stunden-Marke ausgelöst wurde.


Fotos: WEC 2023: 24 Stunden von Le Mans, Rennen


Kobayashi und Hirakawa waren beide auf der mittlerweile traditionellen Pressekonferenz für die japanischen Medien in der Woche nach Le Mans dabei. Dort machte Kobayashi deutlich, wie schmerzhaft die Niederlage für Toyota im "Jahrhundertrennen" war.

"Wir waren nicht das schnellste Auto", sagt er. "Das ganze Team hat als Einheit gearbeitet, um zu sehen, wie weit wir mit unserer Stärke als Team [im Gegensatz zur reinen Geschwindigkeit] kommen können, und wir wurden am Ende knapp Zweiter. Weil wir [Auto #7] früh ausgeschieden sind, stand das Auto #8 noch mehr unter Druck."

"Wir waren so nah dran, was es noch frustrierender macht. Wenn das Glück auf unserer Seite gewesen wäre, hätten wir gewinnen können. Ich bin stolz, dass wir so weit gekommen sind."

BoP-Klatsche kurz nach Wasserstoff-Demonstration

Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass die umstrittenen Änderungen an der Balance of Performance, die im Vorfeld des offiziellen Testtages vorgenommen wurden, den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage für Toyota ausgemacht haben. Toyota erhielt eine Gewichtserhöhung von 37 Kilogramm gegenüber 24 Kilogramm für Ferrari.

Der technische Direktor von Toyota, Pascal Vasselon, schätzte nach dem Rennen, dass diese Änderung 2:30 Minuten ausmachte. Kobayashi weist auch darauf hin, dass Ferrari bereits beim letzten WEC-Rennen in Spa bewiesen hat, dass man in Sachen Grundschnelligkeit mit Toyota mithalten kann:

"Wir wussten in Spa, dass der Ferrari schnell ist, auch was die Rennpace angeht, und trotzdem haben wir 13 Kilogramm mehr als Ferrari bekommen. Das macht etwa 0,4 Sekunden pro Runde aus, daher mussten wir absolut alles geben, um eine Chance zu haben."

"Was wir dieses Mal auch gemerkt haben, ist, dass mit dem zusätzlichen Gewicht, weil es keine Reifenwärmer [für die ersten Runden der WEC] gab und die Reifen daher weicher sind als in den Vorjahren, der Verlust noch größer war, als wir simuliert hatten."


Rennhighlights 24h Le Mans 2023

Die Nachricht von der BoP-Änderung muss für die Toyota-Spitze besonders ärgerlich gewesen sein, denn nur wenige Tage zuvor hatte sie dem ACO-Präsidenten Pierre Fillon bei den 24 Stunden von Fuji den roten Teppich ausgerollt. Fillon hatte dort verkündet, dass die von Toyota in Japan entwickelte Wasserstoffverbrennungsmotor-Technologie ab 2026 in Le Mans zugelassen wird.

Der neue Toyota-Präsident Koji Sato bestätigte, dass die Marke Pläne für die Produktion eines eigenen Wasserstoffautos hat. Tatsächlich wurde in Le Mans das Showcar enthüllt, das Toyotas Ambitionen symbolisiert, Le Mans mit Wasserstoffantrieb zu erobern. Der Vorstandsvorsitzende Akio Toyoda führte auch den wasserstoffbetriebenen Corolla Sport vor, mit dem er zwei Wochen zuvor in Fuji gefahren war.

Toyoda vor Rennen fassungslos: Geht ihr echt so weit?

Vor dem Rennen, nachdem Ferrari in der Hyperpole die erste Startreihe für sich beansprucht hatte, gab Toyoda dem firmeninternen Magazin Toyota Times ein Interview auf Japanisch, aus dem klar hervorging, was er von der Änderung der BoP hielt:

"Ich habe mir gedacht: 'Wollt ihr wirklich so weit gehen, nur um ein anderes Team gewinnen zu lassen?' Wir alle im Team sind der Meinung, dass wir nicht so weit gehen sollten. Sport ist ein Kampf zwischen Athleten. Das ist das 'Sport' in 'Motorsport'. Was ich damit sagen will, ist, dass es sich hier um 'Motorpolitik' handelt. Als ich das Qualifying sah, dachte ich: 'Wir haben gegen die Politik verloren.'"

"Wie dem auch sei, wir werden mit allem kämpfen, was wir haben, auch wenn es nach unfairer Politik aussehen mag. Ich hoffe, dass die Fans Freude daran haben werden, unser Team mit ganzem Herzen kämpfen zu sehen. Ich will keinen Kampf hinter verschlossenen Türen, den niemand sieht. Ich möchte unter freiem Himmel kämpfen, wo jeder uns sehen kann."

Toyodas offizieller Kommentar nach dem Rennen in der Toyota-Pressemitteilung war etwas zurückhaltender, aber der Tenor bleibt gleich: "Der Kampf von Sportlern wurde durch 'Kämpfe außerhalb der Strecke' beeinflusst. Das ist wirklich bedauerlich und enttäuschend."

Kobayashi ist jedoch der Meinung, dass die umstrittene BoP-Änderung, auch wenn sie Toyota mit ziemlicher Sicherheit das Rennen gekostet hat, den Hersteller klüger gemacht hat, wenn es darum geht, künftige Änderungen zu verhandeln. Das wird auch nötig sein, da politische Spielchen offenbar wieder in Mode sind.


Präsentation Toyota GR H2 Racing Concept

Warum es noch ein Segen sein könnte

"Ich war mir nicht sicher, wie weit wir diese Änderung anfechten sollten", sagt der Japaner. "Aber anstatt sie kleinlaut zu akzeptieren, haben wir sie bis zum Start des Rennens hartnäckig bekämpft. Ich denke, diese Einstellung hat sich auch auf das Team übertragen. Der Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft wurde gestärkt."

"Europa und Japan haben unterschiedliche Kulturen. In Europa kämpft man um alles und handelt alles aus. Wir sind ein japanisches Team, aber da wir in Europa gekämpft haben, haben wir nicht aufgegeben, die Legitimität [der Regeländerung] in Frage zu stellen. Ich denke, das hat sich positiv auf das Team ausgewirkt."

Vor dem Rennen wurde Vasselon nach der Laufzeit des aktuellen Engagements von Toyota in Le Mans und der WEC gefragt. Er konnte nicht mehr sagen, als dass das Programm auf jährlicher Basis unterzeichnet werden muss, ohne längerfristige Garantien.

Aber wenn wir davon ausgehen, dass Toyota im nächsten Jahr an der Sarthe wieder antreten wird, um sich zu revanchieren, dann kann man mit Fug und Recht behaupten, dass Toyota wesentlich mehr Fans auf seiner Seite haben wird als zwei Wochen vor dem diesjährigen Rennen, als man noch als großer Favorit gegen die Newcomer galt.

Auch wenn die Serie von fünf Le-Mans-Siegen in Folge gebrochen sein mag, spricht einiges dafür, dass eine Rückeroberung des Titels im Jahr 2024 Toyota mehr positive PR bescheren würde, als es bei einer intakten Serie jemals der Fall gewesen wäre. Auch wenn es zu diesem Zeitpunkt nicht so aussehen mag, vielleicht haben der ACO und die FIA dem japanischen Autogiganten vielleicht einen Gefallen getan...

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