Kolumne zu den 24h Le Mans 2023: Zurück zur ACO-Gutsherrenart

Nachdem man jahrelang alles richtig gemacht, kehrt der ACO auf sein hohes Ross zurück und macht den Herstellern klar, wer das Sagen hat - Das ist problematisch

Titel-Bild zur News: Der ACO machte Ferrari bei den 24 Stunden von Le Mans förmlich zum Sieger

Der ACO machte Ferrari bei den 24 Stunden von Le Mans förmlich zum Sieger Zoom

(Motorsport-Total.com) - Liebe Freunde des Hypercar-Hypes,

Da war es, das neue goldene Zeitalter des Langstreckensports. Ein abwechslungsreiches und von außen spannendes Rennen wurde den Zuschauern der 24 Stunden von Le Mans 2023 geboten, die Entscheidung fiel dramatisch, der Sieger jubelte, der Geschlagene landete in der Mauer. Ein besseres Drehbuch hätte man kaum schreiben können.

Eigentlich war ich auf dem besten Weg, endlich einmal eine Kolumne mit dem Titel "Ein Lob an den ACO" zu schreiben, sollte das Rennen halten, was die ersten WEC-Läufe versprochen hatten: Ein engeres Feld, in dem es aber immer noch eine klare Hackordnung gibt, die sich allerdings mit dem Erfahrungsvorsprung von Toyota Gazoo Racing und AF Corse erklären lässt.

Nach Le Mans hätte man definitiv genug Daten gehabt, um die richtigen Anpassungen für die Zukunft vorzunehmen. Die zurückliegenden Werksteams würden früher oder später mit mehr Erfahrung von selbst aufholen.

Die sarkastischen Stimmen nach dem Motto: "Mal sehen, wie der ACO das goldene Zeitalter jetzt noch in den Sand setzt", gab es durchaus. Aber es war einfach nicht vorstellbar, dass man das noch irgendwie vermasseln könnte.

BoP-Änderung gegen die eigenen Regeln

Und dann kam die BoP-Änderung vom 31. Mai, die einfach nur fassungslos macht. Da setzt sich der ACO - und mit ihm die FIA - einfach über seine eigenen Regeln hinweg. Da ist sie wieder, die hässliche Seite des französischen Verbands, von dem man eigentlich geglaubt hatte, spätestens mit der IMSA-Einigung auf das LMDh-Reglement wieder mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen.

Kaum läuft der Laden wieder - und besser als je zuvor - ist die alte Gutsherrenart zurück. Der ACO und mit ihm die FIA haben im Vorfeld dieses Rennens unmissverständlich klargestellt: "Wir haben hier das Sagen und ihr tanzt nach unserer Pfeife. Wem das nicht passt, der fährt eben nicht in Le Mans."


Fotostrecke: Alle Sieger bei den 24h Le Mans seit der Erstausgabe 1923

Ein Selbstverständnis, das völlig aus der Zeit gefallen ist. Das sollte der ACO nach fünf Jahren Magerkost eigentlich gelernt haben.

Sportlich mag das seine Berechtigung gehabt haben. Dass ein Porsche in der Anfangsphase die beiden Toyota unter Druck setzt, dass ein Peugeot nach dem ersten Renndrittel führt, dass ein Cadillac stundenlang die schnellste Runde hält - das war eine schöne Abwechslung. Nur: Sie war künstlich.

Und sie verstieß gegen die selbst auferlegten Regeln. Es gab in Spa noch Diskussionen darüber, ob es eine "Plattform-Anpassung" geben sollte - also ob die LMDh-Boliden von Porsche und Cadillac besser an die Le Mans-Hypercars angepasst werden sollten. Aber mit einer so weitgehenden Änderung fast aller Autos, und das ohne Beteiligung der Hersteller, hat man sich ganz ungeniert wieder auf das alte hohe Ross gesetzt.

Nun ist es eigentlich zu begrüßen, wenn der Einfluss der Hersteller begrenzt wird. Wir haben im Motorsport in den vergangenen Jahren genügend Beispiele gesehen, was passiert, wenn der Einfluss der Hersteller zu groß wird.

Leistungsgewicht der Hypercar-Klasse bei den 6h Spa und den 24h Le Mans

Leistungsgewicht der Hypercar-Klasse bei den 6h Spa und den 24h Le Mans in g beziehungsweise kg pro PS Zoom

Aber gleich ins andere Extrem zu verfallen und in einer Diktatur a la Max Mosley nach Gutsherrenart zu entscheiden, ist genauso ungesund - wer sich an die drohende Spaltung der Formel 1 im Jahr 2009 erinnert, weiß, wohin das führen kann.

Toyota durfte nicht gewinnen

Die Änderung, so die Erklärung von FIA und ACO, sei "nach einer gründlichen Analyse der verfügbaren Daten" erfolgt. Da fragt man sich schon, warum die Anpassungen dann so merkwürdig Anti-Toyota ausgefallen sind. Und es bleibt nur eine Schlussfolgerung: Der sechste Toyota-Sieg sollte um jeden Preis verhindert werden.

Oder man sollte Ferrari das Geschenk machen, 50 Jahre nach dem bisher letzten Auftritt gleich wieder zu gewinnen. Womit wir wieder bei dem Thema wären, das in der GTE Pro lange ein Problem gewesen ist. Zum Beispiel, als 2016 das Duell Ford gegen Ferrari zum 50. Jubiläum gefeiert werden sollte und alle anderen Autos chancenlos gemacht wurden.

Ferrari hatte schon bei den 6 Stunden von Spa das schnellste Auto. Das zeigt unsere Analyse deutlich. Bei den besten zehn Prozent der schnellsten Runden hat Toyota noch knapp die Nase vorn. Erinnern wir uns: Ferrari brauchte in Spa teilweise eine Viertelstunde, um die Reifen auf Temperatur zu bringen, während Toyota den Peak nutzen konnte.

In den Top 40 Prozent der schnellsten Runden lag Ferrari aber klar vorn. Das heißt, in der Breite war der Ferrari 499P schon in Spa das schnellere Auto. Warum Ferrari dann 24 und Toyota 36 Kilogramm Zuladung bekommt, wissen nur die, die das entschieden haben. In Portimao war Toyota schneller, aber diese Strecke ist kein Gradmesser für Le Mans. Und Sebring schon gar nicht.

Analyse Top 40 Prozent schnellste Runden von Toyota und Ferrari bei den 6h Spa 2023

Analyse Top 40 Prozent schnellste Runden von Toyota und Ferrari bei den 6h Spa 2023 Zoom

In Spa war der Toyota vom Leistungsgewicht her sogar etwas besser eingestuft als der Ferrari (siehe Grafik oben). Es wäre nur fair gewesen, beide auf ein Leistungsgewicht zu bringen. Stattdessen hat man Toyota chancenlos gemacht.

Le Mans mit Golf-Handicap

Eigentlich hätte der Ferrari #50 das Rennen mit einer Runde Vorsprung gewonnen, wenn nicht in der Nacht die Bremsen hätten gewechselt werden müssen. Aber Le Mans ist Le Mans und wählt seinen Sieger. Der Toyota #8 war nach Analyse der besten 40 Prozent der Runden eine Viertelsekunde pro Runde langsamer als der Ferrari #51.

Das klingt nicht nach viel. Rechnet man das aber auf 218 Runden hoch (so viele wurden nach dem letzten Safety-Car-Restart gefahren), so kommt man auf fast eine Minute Zeitverlust. Dass Toyota damit überhaupt in der Lage war, Ferrari bis zur vorletzten Stunde zu attackieren (Abstand zum Zeitpunkt des Unfalls: zwölf Sekunden), ist aller Ehren wert.

Ganz zu schweigen davon, dass Toyota enorme Risiken in Kauf genommen hat, um dieses Tempo überhaupt zu erreichen. Und die haben letztlich zum Unfall von Ryo Hirakawa geführt. Ihm die ganze Schuld zuzuschieben, wäre nicht fair.

Analyse Top 40 Prozent schnellste Runden von Toyota und Ferrari bei den 24h Le Mans 2023

Analyse Top 40 Prozent schnellste Runden von Toyota und Ferrari bei den 24h Le Mans 2023 Zoom

Akio Toyoda hat es nach dem Rennen treffend formuliert: "Kämpfe abseits der Strecke haben unseren Kampf als Sportsleute behindert". Dass Morizo-san, der sonst selbst in der Stunde der größten Siege immer noch ein Haar in der Suppe fand, diesmal das Team in den höchsten Tönen lobt, zeigt, was hier passiert ist.

Im Golf gibt es bei Amateurturnieren das Handicap. Aber niemand käme auf die Idee, bei professionellen Major-Turnieren dieses anzuwenden. Dass Le Mans mit einer Balance of Performance entschieden wird, ist dem Zug der Zeit geschuldet. Das System aber gegen die eigenen Regeln zu missbrauchen, um das erfahrenste Team zu bestrafen, geht zu weit.

Das ist besorgniserregend für die Zukunft des Sports.

Euer


Gerald Dirnbeck

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