powered by Motorsport.com
  • 19.06.2010 13:06

  • von Roman Wittemeier

Interview: Ein Blick in die Zukunft von Le Mans

Joest-Technikchef Ralf Jüttner im Interview: Vorfreude auf ein neues Duell gegen Peugeot, Zweifel an den Hybridregeln und Lob für den neuen ILMC

(Motorsport-Total.com) - Audi wird den Dreifacherfolg von Le Mans in der kommenden Woche mit Aktionen in den Werken in Ingolstadt und Neckarsulm gemeinsam mit der Belegschaft feiern. Anfang Juli zeigt man das Siegerfahrzeug R15 im Rahmen des DTM-Wochenendes am Norisring und auch die Piloten werden kaum aus der Partystimmung herausfinden.

Titel-Bild zur News:

Ralf Jüttner hat höchsten Respekt vor der Konkurrenz von Peugeot

Gleichzeitig wird bereits an Le Mans 2011 gearbeitet. Der ACO hat die Regeln für das kommende Jahr so gut wie festgezurrt, es stehen grundlegende Veränderungen an. Peugeot arbeitet bereits seit Monaten am Projekt 90X, bei Audi wird die Entwicklung unter dem Namen R18 vorangetrieben. Joest-Technikchef Ralf Jüttner beschreibt im Interview mit 'Motorsport-Total.com' die aktuelle Stimmung, die Pläne und auch die Sorgen.#w1#

Hochachtung vor der Konkurrenz

Frage: "Ralf Jüttner, sind der Dreifachsieg und die anschließenden Feiern schon gut verdaut?"
Ralf Jüttner: "Siege verdaut man immer gut. Aber es hat zwei oder drei Tage gedauert - also etwas länger als sonst. Das gesamte Rennen war enorm intensiv, es ging an die Substanz. Es hat natürlich auch nicht gerade geholfen, nach einem solchen 35-Stunden-Arbeitstag ein paar Gläser Champagner zu trinken. Da haut es einen zusammen. Aber das nimmt man in Kauf. Mental war es ziemlich heftig in diesem Jahr."

Frage: "Gab es gleichzeitig auch etwas Mitgefühl für Peugeot?"
Jüttner: "Ja, die haben mir schon leid getan. So etwas wünscht man seinem schlimmsten Gegner nicht. Das Ergebnis ist für die viel schlimmer als alles, was sie verdient gehabt hätten. Das müssen wir ganz ehrlich so festhalten. Wir fahren seit Jahren ein ganz tolles Duell gegen Peugeot. Proteste hin oder her - das Verhältnis ist von höchstem gegenseitigen Respekt geprägt. Ich fand es einfach stark, wie sie geschlossen nach dem Rennen zu uns gekommen sind und gratuliert und mit uns angestoßen haben."

Wolfgang Ullrich (Audi Sportchef), Benoit Treluyer, Romain Dumas, Allan McNish, Rinaldo Capello, Marcel Fässler, Mike Rockenfeller, Tom Kristensen

Drei Audis auf den ersten drei Plätzen: Große Party im Lager der Ingolstädter Zoom

Frage: "Wann war für sie der Sieg in Le Mans sicher? Erst als auch der Oreca-Peugeot weg war?"
Jüttner: "Nein, nein. Es wäre sicherlich schwierig für uns geworden, den dritten Platz gegen den Oreca-Peugeot zu halten. Aber das Auto war aus unserer Sicht kein Kandidat für Platz eins oder zwei mehr. Gefahr ging zu einem gewissen Punkt vom Auto mit der Startnummer eins aus. Als Alexander Wurz dann aber ausrollte, da war es ziemlich klar."

Hybridtechnik als Knackpunkt

Frage: "Das Rennen war emotional und hat sicherlich noch Nachwirkungen. Trotzdem muss man auch schon nach vorne blicken. 2011 gibt es ein neues Reglement. Wie schätzen sie dieses ein?"
Jüttner: "Die Rahmendaten waren vorher schon klar. Der ACO entscheidet das nicht allein aus einem Elfenbeiturm heraus, sondern man steht immer in Kontakt zu Herstellern und Teams. Es gibt dann höchstens bei Kleinigkeiten noch Überraschungen."

"Der größte Knackpunkt ist die Frage, wie man die Hybridtechnik nun nach Le Mans bringt. Die aktuellen Vorschläge sind wahrscheinlich nicht das letzte Wort. Alles andere ist klar und im Einvernehmen mit den Akteuren. Dass man langsamer werden muss und über Downsizing auf das reagiert, was sonst in der Automobilwelt aktuell der Trend zu sein scheint, ist absolut korrekt."

"Man sollte Hersteller nicht dazu zwingen, auf Hybrid zu setzen." Ralf Jüttner

Frage: "Inwiefern ist die Hybridtechnik der Knackpunkt?"
Jüttner: "Die Frage ist, wie speist man ein und wie gibt man die Energie wieder ab. Die Frage ist auch, wenn es reglementiert ist, wie man es schließlich alles kontrollieren will. Das ist unheimlich schwierig. Das nächste Problem: Muss es überhaupt Hybridtechnik sein? Der Hybrid ist nur ein Ansatz bei fortschrittlicher Automobil-Technologie. Im Rahmen von Umweltschutz, Verbrauchssenkung und Verminderung von CO2-Ausstoß gibt es eine Menge anderer Möglichkeiten. Man sollte Hersteller nicht dazu zwingen, auf Hybrid zu setzen. Es gibt durchaus Diskussionen, ob das der Weisheit letzter Schluss ist."

Konzept des R18 bliebt geheim

Frage: "Vor allem Aston Martin muss man in diesem Zusammenhang nennen. Die haben bei ihren Sportwagen keine Hybridtechnik in Planung, sondern sie setzen eher auf Leichtbau..."
Jüttner: "Diese Diskussion wird durchaus von Audi mitgetragen. Das heißt nicht, dass man Hybrid komplett ignorieren will. Aber die Diskussion muss erlaubt sein, ob man nicht - wie Aston Martin - einfach sagt, ich mache die Autos von vornherein 50 Kilogramm oder sogar um noch mehr leichter. Das ist doch auch eine Form von Energieeinsparung, sogar eine ziemlich saubere und sehr direkte. Wichtig ist, dass man nicht nur die Modeerscheinung Hybrid in den Vordergrund rückt, sondern auch anderen Ansätzen eine Chance gibt."

Frage: "Audi arbeitet seit längerer Zeit am R18. Können sie verraten, auf welche Motorenvariante sich die Fans einstellen dürfen? Diesel oder Benziner mit Turbo-Aufladung und Hybrid?"
Jüttner: "Das kann ich ihnen nicht sagen. Auch bei Audi Sport werden sie erst einmal keine konkrete Antwort auf diese Frage bekommen."

¿pbvin|64|2832||0|1pb¿Frage: "Sprechen wird über die Bauform. Die Vorteile des offenen Sportwagens sind reduziert, ein Coupé ist aerodynamisch günstiger. Was planen sie beim R18?"
Jüttner: "Ein Coupé ist sicherlich nicht abwegig. Diese Diskussion ist aber schon viele Jahre alt. Es gibt Vor- und Nachteile bei beiden Konzepten. Wir haben das immer gegeneinander aufgewogen. Man kann eine Gewichtungslistung machen und darstellen, was für ein offenes Auto spricht und was für einen geschlossenen Wagen."

"Am Ende zählt man zusammen und schaut, welche Variante die meisten Vorteile hat. Das verändert sich durch neue Regeln, nicht nur in Bezug auf das technische Reglement. In dem Fall ist durch die veränderten Reifenwechsel-Regeln im vergangenen Jahr ein Punkt, der bisher für ein offenes Auto sprach, eben ganz einfach weggefallen."

Langsame Boxenstopps und die "Haifischflosse"

"Vorher war es ein Vorteil, in 20 bis 25 Sekunden einen Fahrerwechsel zu absolvieren. Das hat man mit einem geschlossenen Auto nicht geschafft. Da nun aber Reifenwechsel und Tanken jeweils 25 Sekunden dauern hat man mehr Zeit. Man hat nun insgesamt 50 Sekunden. Da schaffen auch die Leute mit den geschlossenen Autos einen Fahrerwechsel - ohne Probleme. Damit ist auf unserer Tabelle der Punkt 'Schneller Fahrerwechsel' gestrichen."

Frage: "Welche Argumente bleiben überhaupt noch für einen offenen Prototypen?"
Jüttner: "Es gibt schon noch welche: Fahrt im Regen, mehr Frischluft für die Fahrer, bessere Rundumsicht zum Beispiel. Die Sicht sollte man speziell im Verkehr nicht unterschätzen. Auf der anderen Seite: Mit geringerer Motorleistung, die wir ab kommenden Jahr haben werden, wird der cw-Wert in Le Mans an Bedeutung gewinnen. Das ist dann eben ein Punkt, der für ein geschlossenes Fahrzeug spricht. Wir werden weiter schauen, welche Variante die größten Vorteile bietet."

"Der Vortest war immer schon wichtig, weil man in Le Mans nicht trainieren kann." Ralf Jüttner

Frage: "Es wurde vor einigen Wochen darüber diskutiert, dass man die aus der Formel 1 bekannten 'Haifischflossen' bei den Prototypen verpflichtend einführt. Ist das vom Tisch?"
Jüttner: "Nein, überhaupt nicht. Das liegt ziemlich weit oben auf dem Tisch. Solch eine 'Haifischflosse' soll das Auto stabilisieren, wenn es bei hohen Geschwindigkeiten in einen Dreher gerät. Das war ein großes Problem in den vergangenen Jahren. Es haben sich einige Autos überschlagen, wenn sie sich - aus welchem Grund auch immer - gedreht haben. Das soll nun durch die 'Haifischflosse' sicherer werden."

Frage: "Der Vortest kommt zurück. Wird der angesichts des neuen Reglements umso wichtiger?"
Jüttner: "Der Vortest war immer schon wichtig, weil man in Le Mans nicht trainieren kann. Wenn man wie 2009 dorthin kommt und es regnet an den Trainingstagen, dann fehlt einem unheimlich viel Zeit, um mit dem Auto auf dieser sehr speziellen Strecke zu arbeiten. Im Hinblick auf die vielen neuen Autos in kommenden Jahr wird es ganz sicher sehr wichtig sein."

Vortest wichtig, ILMC richtig

"Der Vortest soll aber nun schon im April oder Mai sein, nicht mehr wie in der jüngeren Vergangenheit erst zwei Wochen vor dem Rennen. Man kann bezüglich der Entwicklung also vielleicht noch reagieren. Allerdings muss man nun zweimal mit großem Aufwand nach Le Mans reisen. Als der Vortest bis 2008 kurz vor dem Rennen war, hat man dort aufgebaut und alles dort stehen lassen. Es wird mehr Aufwand. Und: Man muss früher fertig sein."

Frage: "Was erwarten sie für das Jahr 2011?"
Jüttner: "Erst einmal freue ich mich auf ein weiteres tolles Duell gegen Peugeot. Die werden alles daran setzen, uns zu packen. Wir werden aufpassen, dass wir sie nicht noch einmal bezüglich ihrer Fortschritte unterschätzen, so wie es uns in diesem Jahr ergangen ist. Dann habe ich die Hoffnung, dass private und kleine Teams weiterhin die Chance haben, in dieser einzigartigen Form des Motorsports tätig zu sein."

Romain Dumas, Mike Rockenfeller

Der R15 TDI plus beim Abschied: Im kommenden Jahr kommt der neue R18 Zoom

"Außerdem finde ich es gut, dass der ACO den International Le Mans Cup aus der Taufe gehoben hat. Das bietet auf der einen Seite den Herstellern die Chance, die Autos weltweit zu präsentieren. Auf der anderen Seite haben die Privatteams die Serien LMS und ALMS, um dort sportlich hochklassigen Wettbewerb zu zeigen und den Meister unter sich auszumachen. Bei ausgewählten Events kommen dann die großen Werksteams dazu und steigern die Aufmerksamkeit und Medienwirksamkeit der beiden Kontinentalserien. Das ist perfekt."

Frage: "Ist der International Le Mans Cup (ILMC) der erste Schritt zu einer künftigen Sportwagen-Weltmeisterschaft?"
Jüttner: "Es ist zumindest eine kluge Lösung, um die Präsenz und die sportliche Relevanz in gute Bereiche zu lenken. Ob der ACO nun dieses Prädikat Weltmeisterschaft tatsächlich von der FIA verliehen bekommt, das sei einmal dahingestellt."