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Die Lehren aus Ferraris Le-Mans-Rückkehr

Ferrari kehrt zu den 24 Stunden von Le Mans zurück - Was der Einstieg bedeutet, vom Le-Mans-Hypercar über die Formel 1 bis hin zu Zukunftstechnologien

(Motorsport-Total.com) - Es ist das wohl spektakulärste Motorsport-Comeback des noch jungen Jahrtausends: Ferraris Rückkehr in die Topklasse bei den 24 Stunden von Le Mans nach 50 Jahren Abwesenheit schickt Erdbebenwellen durch die gesamte Motorsportwelt rund um den Globus.

Titel-Bild zur News: Tim Schenken, Carlos Reutemann, Ferrari 312PB

Ferrari wird 2023 erstmals nach 50 Jahren wieder um den Le-Mans-Gesamtsieg fahren Zoom

Zwar gehen die bisher bekannten Informationen nicht über ein 17-sekündiges Video mit vier Ziffern und drei Buchstaben (LMH 2023) hinaus. Doch das allein hat ausgereicht, ein Feuerwerk zu entfachen. Fünf Schlussfolgerungen lassen sich bereits ziehen.

1. Das Le-Mans-Hypercar ist nicht tot

Als IMSA und ACO im Januar 2020 ihr gemeinsames LMDh-Reglement verkündeten, wurde schnell geschlussfolgert, dass das nur sieben Monate zuvor festgezurrte Le-Mans-Hypercar (LMH) eine Totgeburt sei. Diese These schien weiteren Auftrieb zu bekommen, als Aston Martin sein LMH-Projekt auf Eis legte, von dem es bis heute nicht geholt wurde - und wohl so schnell nicht mehr geholt wird.

Zwar hat die FIA dem ACO den Auftrag erteilt, dass die Kosten für ein LMH-Projekt auf das Niveau von LMDh kommen. Doch egal, was man versucht: Es kostet mehr Geld, ein eigenes Chassis und einen eigenen Hybridantrieb zu entwickeln statt bestehendes Material von der LMP2-Stange zu nehmen und zu branden.

Der Einsatz eines Zwei-Wagen-Engagements in der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) mit einem LMDh wird auf rund 25 Millionen Euro pro Jahr geschätzt. Mit einem LMH liegt man im Bereich 25 bis 40 Millionen. Was noch mehr zu Buche schlägt ist die größere Anschubfinanzierung bei einem LMH, da alles selbst entwickelt werden muss.

Dennoch haben sich mit Peugeot und Ferrari nun zwei Hersteller zu einem LMH-Projekt durchgerungen, nachdem LMDh verkündet worden ist. Der Reiz, ein komplett eigenes Fahrzeug zu entwickeln, ist nach wie vor bei manchen Herstellern vorhanden. Ferrari hat stets betont, dass man ein eigenes Chassis entwickeln wolle. Und Toyota macht LMH, weil man einen eigenen Hybrid will.

Porsche-LMDh-Projekt, Porsche LMDh, Rendering

LMDh (hier ein Porsche-Rendering) ist eine gute Ergänzung, aber nicht der Tod für LMH Zoom

Zwar gibt es einen Trend bei den Herstellern, mehr und mehr Spec Racing im Motorsport zu akzeptieren. Das zeigen sämtliche in der Formel E engagierten Hersteller und auch das starke LMDh-Interesse. (LMH, LMDh, ACO und Co. - Alle Abkürzungen im Langstrecken-ABC erklärt!)

Es wäre jedoch zu früh, den Rufen der radikalsten Fraktion nachzukommen, die die LMDh schon zur alleinigen Zukunftsformel erklären wollten. Ohne LMH hätte es das Jahrhundert-Comeback nicht gegeben. Die zweigeteilte Topklasse ist momentan so genau richtig.

2. Selbst das prestigeträchtigste Rennen ist nur zu vertretbaren Kosten attraktiv

Die Realisierung hat lange genug gedauert. Doch die Entscheidung, sich von den sündhaften Kosten der LMP1-Zeit zu verabschieden, ist goldrichtig. Der Versuch des ACO, mit Hilfe der WEC um Le Mans herum eine Rennserie mit dem Prestige und den Kosten der Formel 1 aufzubauen, ist gescheitert. Das muss man klar festhalten.

Doch so viel Kritik der ACO für diesen Versuch einstecken musste, im Nachhinein muss man sagen: Es war den Versuch wert. Die Zeiten, in denen Hersteller neunstellige Beträge pro Saison investierten, brachten legendäre Schlachten und ein sportliches Drama hervor. Die kurze, aber intensive Ära hat für Gesprächsstoff auf Jahrzehnte gesorgt.

Gleichzeitig hatte der ACO mit dem DPi-Reglement der IMSA - ob nun gewollt oder ungewollt - eine Back-up-Lösung in der Hinterhand. Während der ACO nach den Sternen griff, blieb die IMSA auf dem Boden. Beide Seiten konnten die Entwicklung abwarten. Die LMP1-Philosophie von 2014 funktionierte drei Jahre lang sehr gut. Danach zeigte sich, dass Kosteneffizienz langfristig teures Prestige aussticht.

Nissan DPi

Mit Nissan stieg ein DPi-Hersteller früh aus, Ende 2021 zieht Mazda nach Zoom

Doch auch die IMSA war als Standalone-Serie mit kostengünstigem Motorsport nicht für alle Hersteller attraktiv. Daytona und Sebring reichen von der Strahlkraft her nicht aus, um es mit Le Mans aufzunehmen. So zeigten die vergangenen Jahre auch: Die IMSA hatte das langfristig bessere Konzept, aber sie braucht Le Mans. Die gemeinsame Topkategorie tut beiden Seiten gut.

3. Die F1-Budgetobergrenze schafft neue Chancen

Ferrari besteht darauf, dass die Rückkehr nach Le Mans nichts mit der neuen Kostengrenze in der Formel 1 zu tun habe. Die Projekte stünden einem Ferrari-Sprecher zufolge "nicht miteinander in Verbindung". Das LMH-Projekt laufe ganz über den Ableger Competizione GT und habe nichts mit der Scuderia Ferrari zu tun.

Trotzdem handelt es sich bei weitem um keinen Zufall, dass Ferrari immer dann, wenn das Thema Kostengrenze in der Formel 1 debattiert wurde, Le Mans aus der Kiste holte. Luca di Montezemolo - der Mann, der Ferrari einst aus Le Mans abzog - brachte schon 2013 öffentlich ein LMP1-Engagement im Zuge von Diskussionen um eine Budgetobergrenze für 2015 ins Spiel.

Es ist kein Zufall, dass das Thema Le Mans wieder vom Tisch verschwand, als die Kostengrenze wieder einmal von den großen Teams der Formel 1 abgewehrt wurde. Die Le-Mans-Drohung hatte solange Gewicht, wie Bernie Ecclestone am Ruder der Formel 1 saß.

Denn Ecclestone hantierte noch mit den Methoden des 20. Jahrhunderts: Jegliche innermotorsportliche Konkurrenz zur Formel 1 galt es mit aller Macht zu bekämpfen. Noch 2016 verbot er Formel-1-Fahrern quasi die Le-Mans-Teilnahme, indem sie den Aserbaidschan-Grand-Prix zu fahren hatten - ein Rennen mit dem Prestige eines Grashalms im Vergleich zu Le Mans.

Jean Todt, Pierre Fillon, Chase Carey

Jean Todt, Pierre Fillon und Chase Carey glätteten 2017 die Wogen zwischen F1 und WEC Zoom

Liberty Media verfolgt eine andere Philosophie: Geht es dem Motorsport gut, geht es auch der Formel 1 gut. Das zeigte nicht zuletzt der Besuch von Chase Carey als Starter der 24 Stunden von Le Mans 2017 - nur ein Jahr nach Ecclestones "Kriegserklärung".

Natürlich ist Liberty kein Wohltäter und verfolgt eigene Interessen, doch die Philosophie ist eine andere: Will der Motorsport zukunftsfähig sein, so gilt es zusammenzuhalten und sich nicht zu bekämpfen. Vor diesem Hintergrund verlor Ferraris Le-Mans-Drohung plötzlich an Druck und die Budgetobergrenze wurde durchgesetzt.

Zwei Faktoren trieben Ferrari dennoch in die Le-Mans-Topklasse: Das ziemlich plötzliche Aussterben der GTE Pro und die früheren "Drohungen" eines Le-Mans-Projekts. Ferrari muss nun Liberty zeigen, dass man es in Verhandlungen durchaus ernst meint. Ohne die frühere Drohung ernst zu machen, würde Ferrari in künftigen Verhandlungen in der Formel 1 eventuell schlechtere Karten haben.

Die neue Kostengrenze ermöglicht bereits McLaren ein IndyCar-Projekt. Auch mit Le Mans ist bei den Briten auf dem Radar. Der Renault-Konzern schickt dank der Kostensenkungen in Formel 1 und Le Mans die Marke Alpine auf beide Hochzeiten.

Wer in der Formel 1 in der Vergangenheit 300 Millionen Euro pro Jahr ausgegeben hat, muss dieses Budget auch mit allen Ausnahmen bis 2023 auf etwa die Hälfte reduzieren. Da bleibt genug für ein WEC-Engagement liegen und unterm Strich spart der Hersteller noch immer rund 100 Millionen pro Jahr beim Motorsport. Der einzige Grund, warum Mercedes fortbleiben dürfte: Das Trauma von 1999.

4. Der ACO darf sich jetzt keine Fehler mehr erlauben

Dass es nun gut läuft, ist zunähst einmal eine gute Nachricht für den ACO. Doch mit immer mehr Teilnehmern wächst auch die Verantwortung. Das Balancing zwischen den verschiedenen Fahrzeugkonzepten muss stimmen.

Und das ist alles andere als einfach. Es gibt LMH-Prototypen, straßenabgeleitete LMH (sofern Ferrari diesen Weg geht, für den es sich stark gemacht hat), LMH mit und ohne Hybrid sowie LMDh. Drei verschiedene Konzepte mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen. Es ist schön, so eine Vielfalt zu sehen, während auf der Straße sich die Fahrzeuge immer mehr angleichen. Doch das alles auf ein Niveau zu bringen, wird eine Herkulesaufgabe werden.

Toyota GR010 Hybrid

Le-Mans-Hypercars wie der Toyota GR010 Hybrid und LMDh unterscheiden sich stark Zoom

LMP1-Hybriden und -Nichthybriden aneinander anzugleichen, hat nie funktioniert, bis man mit dem Vorschlaghammer Erfolgsballast um die Ecke kam. Und selbst dann eher schlecht als recht. Diesmal hat man aber nicht ein paar kleine Privatteams, die man benachteiligen könnte. Hier sitzen nun zahlreiche Schwergewichte des Automobilbaus am Tisch, die alle nur ein Ziel haben: Gewinnen. Und deren Geduldsfaden ist sehr kurz.

Die Balance of Performance dürfte ein nie gesehenes politisches Kräftezehren werden. Denn noch nie wurde ein solch prestigeträchtiger Titel wie der Le-Mans-Sieg mit einer BoP-basierten Klasse ausgefochten.

Und noch eine Sache muss der ACO garantieren: Dass die Kosten nicht doch wieder aus dem Ruder laufen. Die Franzosen waren immer starke Verfechter einer "virtuellen Budgetobergrenze". Dass es also ab einem gewissen Betrag keinen Sinn mehr macht, noch mehr Geld zu investieren. Dieses Versprechen gilt es nun einzuhalten.

5. Die Anziehungskraft von Le Mans ist ungebrochen

In einer Zeit, in der die Politik den Verbrennungsmotor verteufelt, strömen plötzlich wieder zahlreiche Hersteller zu einem Rennen, in dem das Verbrennungsaggregat weiterhin primärer Antrieb ist. Audi hat dafür sogar extra die Formel E verlassen. Wie kann das sein?

Das Prestige des Le-Mans-Siegs ist noch immer so groß, dass sich Hersteller die Chance darauf für einen zweistelligen Millionenbetrag nicht nehmen lassen wollen. Der Werbegegenwert ist einfach zu groß.

Selbst wenn man die Zahl von 40 Millionen Euro Budget pro Jahr heranzieht, die Toyota nachgesagt werden, ist das noch immer um den Faktor vier bis fünf weniger als das, was Porsche und Audi zu den größten Zeiten der LMP1 Mitte der vergangenen Dekade hingeblättert haben.

Mission H24

Der ACO hat ein Wasserstoff-Projekt für 2024 mit potenten Partnern angeschoben Zoom

Und der ACO lockt mit einer weiteren Perspektive: Wasserstoff. Es liegt auf der Hand, dass bei einem 24-Stunden-Rennen rein batteriegetriebene Rennwagen ohne einen technologischen Durchbruch nicht konkurrenzfähig sein werden.

Deshalb will der ACO zum Vorreiter auf dem Gebiet der Wasserstofftechnologie werden und hat dafür bereits eine H2-Tankstelle in Betrieb genommen. Ab 2024 wird es eine eigene Wasserstoffklasse geben, zunächst als strenge Spec-Klasse. Doch auch hierfür wollen sich die Hersteller in Stellung bringen.

In einer Zeit, in der überhaupt nicht absehbar ist, welche Technologie sich in Zukunft auf der Straße durchsetzen wird (oder ob sich überhaupt eine durchsetzen wird), ist es nicht falsch, sich die Möglichkeit des Wasserstoffantriebs offen zu halten. Vor allem, wenn man dabei noch die Chance hat, zwischenzeitlich mit einem Hybridfahrzeug den Le-Mans-Sieg zu holen.

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