powered by Motorsport.com
  • 29.04.2014 12:58

  • von Roman Wittemeier

Auf den letzten Tropfen: Wenn die LMP1 bremsen muss

Das aktuelle Effizienzreglement begrenzt in der LMP1-Klasse den Energieverbrauch pro Runde: Wie wird kontrolliert und beobachtet? Wann greifen die Systeme ein?

(Motorsport-Total.com) - Die neuen LMP1-Autos der Saison 2014 verbrauchen im Vergleich zu den Vorjahren rund 30 Prozent weniger Treibstoff, dennoch realisieren die Autos die gleichen Rundenzeiten wie zuvor. Die Entwicklung läuft im Eiltempo ab. Sogar die Angst, der Rennsport könnte unter den neuen Vorgaben des Reglements leiden, bestätigte sich zumindest beim ersten Saisonrennen in Silverstone keinesfalls. Es wurde munter gekämpft, von Spritsparen nichts zu sehen. Kurzum: bisher ist das Regelwerk ein Volltreffer.

Titel-Bild zur News: Lucas di Grassi, Tom Kristensen

Trotz Effizienzreglement: Zweikämpfe gab es in Silverstone sehr wohl Zoom

Das neue Reglement erforderte nicht nur den Bau komplett neuer Autos mitsamt effizientem Antriebsstrang. Der Betrieb der Fahrzeuge läuft nach ganz neuen Vorgaben, die Fahrer haben zusätzliche Aufgaben. "Die Anforderungen an die Fahrer wachsen. Daher wird das viel geübt", schildert Audi-Sportchef Wolfgang Ullrich, dessen Piloten schon 2013 zu Trainingszwecken immer wieder den Verbrauch pro Runde im Auge behalten mussten.

"Ich muss zugeben, dass wir mit diesem Spiel schon in der Mitte der vergangenen WEC-Saison etwas begonnen haben. Wir haben seither die Art der Kommunikation mit dem Fahrer entwickelt", so Ullrich. "Im vergangenen Jahr haben wir es bei diesen Versuchen in den WEC-Rennen mit einigen Strategien geschafft, allein durch entsprechende Umstellung des Fahrens eine Runde pro Tankfüllung mehr zu fahren - eine volle Runde mehr."

"Das Potenzial des Autos ist größer, als der Fahrer es aufgrund der Vorgaben jeweils nutzen darf. Er könnte schneller fahren, aber dann verbraucht er mehr - und das darf er nicht", beschreibt Audi-LMP1-Entwickler Wolfgang Appel die neue Herausforderung. "Wenn man allein auf einer Strecke fährt, dann geht es noch. Es gibt dann keine Unwägbarkeiten, sondern der Fahrer fährt allein gegen die Uhr. Wenn aber dann noch Verkehr herrscht, dann muss der Pilot darauf reagieren. Auf die Jungs kommt sehr viel zu."

Kristensen hat seine helle Freude

"Man muss mit offenem Herz, offenen Ohren und offener Herangehensweise in die Saison starten. Es gab weitreichende Änderungen im Reglement zum Start in dieses Jahrzehnt, danach kam der Hybrid, aber das alles ist nicht vergleichbar mit dem Umbruch zu dieser Saison", sagt "Mister Le Mans" Tom kristensen, der die Umstellung auf das neue Reglement als "extrem spannend" empfindet. Der mittlerweile 46 Jahre alte Däne freut sich über einen weiteren Neubeginn. "Es geht immer wieder bei Null los."

Kristensen hat keine Scheu vor den neuen Aufgaben. Im Gegenteil: Der zehnmalige Le-Mans-Sieger wittert sogar Vorteile für sich und seine Crew. "Ein Viertel der Rennen, die ich bisher in Le Mans bestritten habe, ist allein über Effizienz entschieden worden. Wenn es darum ging, dass man Treibstoff für eine halbe Runde irgendwo zusätzlich sparen musste, um eine ganze weitere Runde pro Stint schaffen zu können, dann war ich immer der Erste, der so etwas versucht hat", sagt er. "Mit meinem Fahrstil habe ich das immer geschafft."

Tom Kristensen

Tom Kristensen hat an den neuen Aufgaben im Cockpit viel Freude Zoom

In der Vergangenheit konnte man sich selbst im "Sparmodus" mal eine Runde mit höherem Verbrauch gönnen, falls es die Verkehrssituation erforderte. Das ist nun komplett anders. Es kommt auf jede einzelne Runde an. "Wir müssen das jederzeit im Blick halten, haben dafür nun ein paar Lampen mehr im Cockpit. Je weiter ich in der Runde bin, desto wichtiger werden diese Anzeigen. Es ist nicht wie in der Formel 1, wo man erst einmal ein halbes Rennen fahren kann und dann schaut, wo man in Sachen Verbrauch steht. Bei uns muss es in jeder einzelnen Runde passen. Das ist ein gehöriger Druck", sagt Kristensen.

Audi hat ein System zur automatischen Absicherung

Um diesen Druck erträglich zu machen, arbeiten alle drei LMP1-Hersteller weiter an den Details der so wichtigen Verbrauchsanzeigen. Die Werte müssen schnell zu erfassen und absolut eindeutig sein. "Man kann es grafisch ins Display legen, denn die Anzeigen sind heutzutage frei konfigurierbar. Es hat sich bisher aber bewährt, dass man es ganz einfach mit verschiedenfarbigen Lichtern darstellt und verschiedenen Balkenhöhen", sagt Audi-Entwickler Appel. "Es muss schnell für den Fahrer erfassbar sein."

"Die Messsysteme an Bord müssen passen, außerdem ist eine Crew im Hintergrund, die alles zusätzlich überwacht. Wir dürfen keine Daten senden, aber notfalls können wir dann den Fahrer anfunken und sagen, er solle etwas umstellen", so der Ingenieur. "Wir Fahrer wollen unsere Augen am liebsten immer auf der Strecke halten. Das Drehzahlband bekommen wir nun als Beep-Ton in die Ohren. Es piept, wenn wir schalten müssen", schildert Kristensen den aktuellen Stand im R18.

Anthony Davidson, Sebastien Buemi, Stephane Sarrazin

Fast zu viel verbraucht: Sebastien Buemi musste in Silverstone mal vom Gas Zoom

"Wir hatten eine Anzeige mit Ziffern, die uns genau über den aktuellen Stand informiert hat. Wir arbeiteten aber gleichzeitig an einem Anzeigesystem mit verschiedenen Farben, sodass wir nun keine Ziffern mehr ablesen müssen. Das ist vor allem im dichten Verkehr sehr wichtig", meint der Däne. Während die Einhaltung der maximalen Treibstoffmengen pro Runde bei Porsche und Toyota ganz allein in Händen der Fahrer liegt - in Silverstone konnte man Sebastien Buemi einmal auffällig vorm Zielstrich verlangsamen sehen-, gibt es im Audi eine Art "Notbremse".

Es bleibt für die Fans immer noch toller Rennsport

"Der Energiemanager im Auto greift nicht gleich selbst ein, sondern er gibt zunächst dem Fahrer Informationen, um ihn wieder ins richtige Fenster zu leiten. Da gibt es eine entsprechende Anzeige. Wenn der das aber nicht macht und die Runde sich dem Ende neigt, erst dann greift er wirklich automatisch ein", erklärt Wolfgang Ullrich die Audi-spezifische Lösung, die einen zu hohen Verbrauch verhindern soll. Das System erfordert eine komplexe Programmierung und eine Abstimmung mit Fingerspitzengefühl.

"Es hilft nichts, wenn ich sage, das System greift in Le Mans immer erst ab der Ford-Schikane ein. Vielleicht reicht das nicht mehr aus. Falls du den Verbrauch überzogen hast, dann musst jederzeit berechnen, wie du mit möglichst minimalem Zeitverlust bis zum Ende der Runde wieder ausgleichst", sagt der Audi-Sportchef. Im Optimalfall sollen die Audi-Piloten den Verbrauch aus eigener Kraft im erlaubten Bereich halten. Möglichst nahe 100 Prozent, aber niemals darüber.

"Wenn ein Fahrer so etwas erstmals umsetzen muss - also diese Verbrauchsstrategie -, dann sagt er schnell mal, dass so etwas doch kein Rennen mehr ist. Andererseits ist es doch so: Wer am Schluss als Erster ins Ziel kommt, der hat gewonnen. Also ist und bleibt es ein Rennen, nur eben auf eine etwas andere Art", fasst Entwicklungschef Appel zusammen. Der WEC-Auftakt in Silverstone hat die Einschätzung des Ingenieurs gestützt. Von außen betrachtet war der Sport kaum anders als zuvor. Was im Hintergrund in Computern und Gehirnen der Ingenieure passiert, ist sicherlich anders als 2013 - für Fans aber nicht entscheidend.


Le-Mans-Version des Audi R18 beim Monza-Test

"Ich kenne das aus den alten Gruppe-C-Zeiten. Damals gab es ähnliche Situationen. Effizienz passt zum Langstreckensport, finde ich. Außerdem ist es die Zukunft", hat Kristensen an den neuen Aufgaben in der LMP1-Klasse seine Freude. "Man sieht es doch nicht nur an Audi, Porsche und Toyota, sondern auch an den Gerüchten um Nissan und Ferrari: Die schauen in der Enduranceszene genau hin, weil es zum Trend unserer Zeit passt. WEC ist aus meiner Sicht die Zukunft. Ich denke, dass solch ein Motorsport mittel- oder langfristig mehr Sinn macht als Formel 1."