• 16.03.2015 13:46

  • von Dieter Rencken & Dominik Sharaf

Windkanal-Verbot? "Lieber Finger als Hand abschneiden"

Red Bull will Kosten sparen und Windkanal-Tests verbieten, doch Mercedes spielt nicht mit und McLaren rümpft die Nase - Sauber und Toro Rosso gesprächsbereit

(Motorsport-Total.com) - Jede Woche wagen Formel-1-Verantwortliche Vorstöße mit neuen Sparideen, selten werden welche davon umgesetzt. Der letzte Schrei im Kampf um weniger Kosten ist die Red-Bull-Idee, die Arbeit im Windkanal komplett zu verbieten und einen einheitlichen Microchip für die CFD-Supercomputer auszugeben. Die Reaktionen auf die Initiative Christian Horners fallen gemischt aus: Eindeutig in die Opposition geht Mercedes, McLaren knirscht mit den Zähnen, Sauber und Toro Rosso zeigen sich gesprächsbereit.

Titel-Bild zur News: Windkanal

Dient bei den Formel-1-Teams der Windkanal bald als Frühstücksraum? Zoom

Toto Wolff belächelt die Idee: "Ich glaube noch immer, das war nur ein Witz", sagt der Mercedes-Motorsportchef und erwähnt, dass Amtsträger in der Formel 1 lieber genau darüber nachdenken sollten, was sie sagen. "Ich würde das nicht so ernst nehmen. Windkanäle gehören zur modernen Formel 1 und zur Autoindustrie." An der Umsetzbarkeit des Vorhabens hat er seine Zweifel, weil es an Testmöglichkeiten mangeln würde und die aerodynamische Leistung eines Fahrzeugs nicht überprüfbar wäre.

Obwohl das Thema in der Strategiegruppe nie auf der Tagesordnung stand, sei es schon vor einer Weile diskutiert worden, so Wolff. Er nahm aber keine Gesprächsbereitschaft wahr: "McLaren hat gesagt, sie haben gerade in einen neuen Windkanal investiert, Ferrari auch. War irgendjemand von den kleinen Teams dafür? Auch nicht." In Woking bewertet man die Lage nun offenbar anders. Das liegt weniger an der Sache selbst als an den Alternativen: "Core-Car"-Konzept oder allgemeine Budgetobergrenze.

Boullier skeptisch: "Formel-1-Autos sind keine Flugzeuge"

"Die beste von vielen schlechten Möglichkeiten", knurrt Rennleiter Eric Boullier im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. "Ehe ich mir die Hand abschneide, schneide ich mir lieber einen Finger ab." In seinem Technology Centre steht eine der fortschrittlichsten Anlagen, jedoch auch der beste CFD-Simulator der Szene. Der wäre bei einem Windkanal-Verbot ein Joker, für Boullier aber kein Ersatz: "Das klappt nicht wie in der Luftfahrtindustrie", blockt der Franzose ab und nennt Rennautos zu kompliziert. "Es gibt bei uns Bremsen, Beschleunigen, Lenken. Ein Flugzeug hebt ab, fliegt und landet. Das war's."

Dennoch räumt Boullier ein, bei der Suche nach einer radikalen Lösung aus der Finanzkrise das Aus für die Windkanäle in Betracht zu ziehen. Er warnt davor, Investments zu bestrafen und unerwünschte Nebenwirkungen nicht abzuwägen: "In der Formel 1 gibt es keinen Zaubertrick, mit dem man viel Geld spart und Teams konkurrenzfähig macht." Wer wüsste das besser als Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn, die seit Jahren die große Vorkämpferin für eine erschwinglichere Königsklasse ist?


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Sauber und Toro Rosso sehen Chancen und Risiken

Sie fordert gegenüber 'Motorsport-Total.com', die Situation als Ganze zu betrachten. "Die Windkanäle sind nur ein Aspekt. Wenn das Gesamtkonzept sinnvoll ist, bin ich gesprächsbereit. Die technische Herausforderung unterscheidet uns von anderen Serien. Man muss sich fragen, wie man das beibehalten kann." Kaltenborn verweist auf das auch von Force India und Lotus propagierte "Core-Car"-Konzept, was sie für die richtige Lösung hält. Es würde zwar weiter im Windkanal gearbeitet, bei der Entwicklung des Grundchassis' könnten sich aber mehrere Teams eine einzige Anlage und deren Betriebskosten teilen.

Eric Boullier

Will keine Flugzeuge, sondern Autos bauen: McLaren-Mann Eric Boullier Zoom

Einer Red-Bull-Idee logischerweise nicht abgeneigt ist Toro Rosso. Jedoch sieht Franz Tost nicht nur den Nutzen, sondern auch die Risiken: "Wenn kein Team einen Windkanal besitzt oder nutzen kann, kommt es darauf an, was in Sachen CFD zur Verfügung steht", geht der Teamchef auf die Frage nach den Supercomputern ein. Mit dem einheitlichen Chip wäre diese zumindest theoretisch beantwortet. Tost weiter: Wenn wir die Windkanäle verbieten, dann arbeitet ein Team dort kurz zuvor Tag und Nacht - und hat dann über Jahre einen Vorteil." Für ihn sei eine Zustimmung aber "kein Problem".