• 05.03.2009 17:37

  • von Dieter Rencken

Whitmarsh: "Machtkämpfe gab es schon genug"

McLaren-Mercedes-Teamchef Martin Whitmarsh im Exklusivinterview über die FOTA-Vorschläge, die Umfrageergebnisse und ein Rennen in Nordamerika

(Motorsport-Total.com) - Die FOTA hat am Nachmittag viele neue Vorschläge zur Kostensenkung und zur Verbesserung der Show in der Formel 1 vorgeschlagen. Grundlage vieler Maßnahmen waren Ergebnisse einer Marktforschung, die die Teamvereinigung in insgesamt 17 Ländern durchführen lies. Ergebnis: Bereits zur kommenden Saison soll das Punktesystem in der Königsklasse angepasst werden. Dem Sieger winken dann zwölf Zähler, der Zweite bekäme neun und der Dritte sieben Punkte. McLaren-Mercedes-Teamchef Martin Whitmarsh erklärte im Exklusivinterview diese und andere Entscheidungen.

Titel-Bild zur News: Martin Whitmarsh

Martin Whitmarsh ist seit dem 1. März Teamchef von McLaren-Mercedes

Frage: "Martin, die Formel 1 soll ein neues Punktesystem bekommen. Wie kam es zu diesem Vorschlag und wie ist der weitere Weg zur Umsetzung?"
Martin Whitmarsh: "Die FOTA reagiert mit diesem Vorschlag auf die Fans, die uns zu verstehen gegeben haben, dass sie eine bessere Belohnung für den Sieger sehen möchten. Wir haben uns dann verschiedene Alternativen überlegt. Alles hat immer seine Vor- und Nachteile."#w1#

"Wenn der Abstand zwischen Platz eins und zwei zu groß wird, dann kann das dazu führen, dass eine Saison sehr schnell entschieden ist. Die beiden vergangenen Jahre waren sehr spannend. Also kann man natürlich fragen, warum sollten wir etwas ändern? Wir waren innerhalb der FOTA der Meinung, dass wir die Meinung der Fans nicht ignorieren können. Wir haben uns dann einstimmig dazu entschlossen, dass wir dieses System schon zur aktuellen Saison umsetzen möchten. Wir müssen natürlich jetzt sehr eng mit dem Rechteinhaber FOM und der FIA zusammenarbeiten, damit unser Vorschlag durchgesetzt wird."

Medaillen waren nie ein Thema

Frage: "Waren die Medaillen gar kein Thema?"
Whitmarsh: "Nein, darüber haben wir nicht diskutiert. Bei einem Meeting hatten wir acht verschiedene Modelle. Wir haben uns dann auf Grundlage der vergangenen beiden Jahre angeschaut, wie die jeweilige Weltmeisterschaft ausgegangen wäre. Wir sind der Ansicht, dass wir jetzt nicht alle Möglichkeiten noch einmal diskutieren sollten. Wir haben jetzt eben das Ergebnis der Beratungen der FOTA bekanntgegeben."

Frage: "Was kam denn bei der Analyse des neuen Systems heraus?"
Whitmarsh: "Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, dann wäre auf der Grundlage unseres heutigen Vorschlags Felipe Massa im vergangenen Jahr Weltmeister geworden. Im Jahr zuvor hätte sich nichts verändert. In beiden Jahren wäre es auch bis ganz zum Schluss spannend und eng geblieben. Wir hatten andere Alternativen in der Diskussion. Bei einigen davon hätte man den späteren Champion fast schon nach dem ersten Rennen benennen können. Wir mussten das passende Maß finden. Ich denke, das ist uns mit dem heutigen Vorschlag gelungen."

"Auf der Grundlage unseres heutigen Vorschlags wäre Felipe Massa im vergangenen Jahr Weltmeister geworden." Martin Whitmarsh

Frage: "Wie viele Menschen sind im Rahmen der Marktforschung in wie vielen Ländern befragt worden?"
Whitmarsh: "Es fand in 17 Ländern statt. Darunter waren klassische Formel-1-Nationen, wo der Motorsport eine große Tradition hat. Aber es waren auch Länder darunter, wo die Formel 1 nicht sonderlich bekannt ist. Wir haben in jedem dieser Länder ein professionelles Marktforschungsinstitut mit der Befragung beauftragt. Es wurden jeweils 500 Menschen befragt. Die 500 Probanden stellten einen repräsentativen Schnitt der Bevölkerung dar. Genau dies macht den großen Unterschied zu allen vorherigen Analysen aus."

"Wir haben das nicht über führende Motorsport-Magazine gemacht, sondern hatten nun plötzlich auch Menschen darunter, die sich überhaupt nicht für die Formel 1 interessieren. Deren Meinung war dann natürlich recht schwierig zu deuten. Es waren Leute darunter, die ein wenig Interesse an der Formel 1 haben. Von denen konnten wir natürlich gut erfahren, was ihr Interesse schmälert. Dabei kam heraus, dass häufige Regeländerungen als störend empfunden werden. Wir mussten also immer genau abwägen und eine gute Balance finden. Auf der einen Seite brauchen wir Veränderungen, auf der anderen Seite müssen wir die Erkenntnisse aus der Umfrage respektieren."

KERS genießt hohe Bekanntheit

"Sehr interessant war, dass wir eine große Bekanntheit von KERS festgestellt haben. Rund 70 Prozent der Leute - und darunter waren eben auch Nicht-Formel-1-Fans - hatten schon einmal was von KERS gehört. Das fand ich hoch interessant. Interessant war auch, dass die Fernsehübertragungen gut ankommen und unser Publikum immer jünger wird. Wir verstehen zwar nicht, woran das liegt, aber es ist natürlich ein positives Ergebnis. Es schauen auch immer mehr weibliche Fans zu. Außerdem scheinen wir in den wachsenden Märkten in China, Indien und Russland gutes Potenzial zu haben. Aber natürlich können wir uns weiter verbessern. Die Formel 1 hat viele Stärken und auf diese bauen wir auf."

"Wir sind weit davon entfernt, vielleicht einen Machtkampf vom Zaun zu brechen." Martin Whitmarsh

Frage: "Inwiefern unterstützen sich die Teams gegenseitig? Kann sich die Formel 1 selbst verwalten?"
Whitmarsh: "Wir bieten den kleineren Teams Motoren, Getriebe und KERS für sehr kleines Geld an. Es ist nicht so, dass sich die Topteams immer mehr von den kleineren Rennställen absetzen wollen, sondern das Gegenteil ist der Fall. Ich muss noch einmal daran erinnern: Es ist das erste Mal in der Geschichte der Formel 1, dass die Teams so geschlossen auftreten und gemeinsam Maßnahmen erarbeiten, um den Sport kostengünstiger und attraktiver zu machen."

"Wir haben in kurzer Zeit schon viel erreicht. Wir müssen natürlich sicherstellen, dass wir mit Beginn der neuen Saison nicht plötzlich nachlassen. Wir müssen uns als Organisation weiterentwickeln, aber wir müssen Hand in Hand mit der FIA gehen. Wir sind weit davon entfernt, vielleicht einen Machtkampf vom Zaun zu brechen. Davon gab es in der Formel 1 schon genug."

Frage: "Kann es nicht sein, dass sich der Vermarktungspartner CVC auf den Schlips getreten fühlt? Könnten dort nicht Ängste aufkommen, dass die FOTA zu mächtig wird?"
Whitmarsh: "Wenn ich Chef von CVC wäre, dann würde ich mich freuen, wenn die Teams kostenlos neue Daten, neue Ideen und Informationen bereitstellen. Sie werden sicherlich feststellen, dass die Formel 1 ein toller Sport ist, aber dass es auch noch Verbesserungspotenziale gibt. Es muss doch möglich sein, dass man sich mit den entscheidenden Gremien an einen Tisch setzt und darüber diskutiert, wie die Formel 1 noch schöner, spannender sowie kommerziell besser werden und eine größere Show bieten kann. Die Teams und Hersteller wollen eng mit dem Rechteinhaber zusammenarbeiten. Wir haben uns alle bis 2012 verpflichtet und haben nun genügend Zeit, gemeinsam an den Zielen zu arbeiten."

Umfrageteilnehmer wollen kürzere Rennen

Frage: "Warum hat man eine Verkürzung der Rennen auf 250 Kilometer oder maximal 100 Minuten vorgeschlagen?"
Whitmarsh: "Das ist ein Ergebnis der Umfrage. Wir haben die Leute gefragt, ob sie längere Rennen haben möchten, oder zwei kurze Läufe, oder Sprintrennen und so weiter. Wir haben auch gefragt, ob wir Zusatzpunkte für zum Beispiel die schnellste Rennrunde vergeben sollten. Die Umfrageergebnisse haben uns deutlich gezeigt, dass die Menschen kein Sprintrennen wollen, wir aber durchaus die Grands Prix etwas verkürzen sollten."

"Die Umfrageergebnisse haben uns in einigen Bereichen in dem bestätigt, was wir ohnehin schon vermutet hatten und in anderen Themenbereichen wurden wir etwas überrascht. Wenn wir die Menschen befragen und dann Ergebnisse bekommen, so dürfen wir diese dann nicht ignorieren. Es haben viele Manschen gesagt, dass die Rennwochenenden kompakter werden sollen. Auf dieser Grundlage haben wir dann entschieden."

"Wir hatten in den Diskussionen die klare Tendenz, dass sich die Teams einen Grand Prix in Amerika wünschen." Martin Whitmarsh

Frage: "Wurde auch über den Rennkalender diskutiert?"
Whitmarsh: "Ja, wir haben darüber gesprochen. Wir hatten in den Diskussionen die klare Tendenz, dass sich die Teams einen Grand Prix in Amerika wünschen. Wir müssen innerhalb der FOTA noch schauen, wie wir vielleicht auf ein solches Rennen hinwirken können. Aber zunächst einmal haben wir uns darauf beschränkt, Maßnahmen zur Kostensenkung und zur Verbesserung der Show vorzuschlagen. Es gibt sicherlich noch einige Themen, die wir angehen müssen."

"Der Kalender für dieses Jahr ist fertig und fixiert. Wir sind aber eine Weltmeisterschaft, von daher ist es für uns und die Investoren sicherlich wichtig. Wir müssen mal schauen, wie wir das Thema angehen können. Wir müssen uns vielleicht davon trennen, immer dorthin zu gehen, wo wir das meiste Geld bekommen können. Vielleicht können wir als FOTA da unterstützen, zum Beispiel unsere Piloten ein Jahr vorher für ein Werbeevent dorthin schicken."

"Wir müssen versuchen, in Nordamerika mehr Interesse zu erzeugen. Wenn man sich zum Beispiel Ferrari, Daimler oder BMW anschaut, dann ist Nordamerika einfach für die ein unglaublich wichtiger Markt. Als Weltmeisterschaft muss man auf diesem Kontinent vertreten sein. Bernie hat in den vergangenen Jahren gute Arbeit geleistet beim Rennkalender. Aber wir müssen erkennen, dass wir einen guten Sport noch besser machen können."

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