Trulli: "So gibt es keine Hoffnung für italienische Fahrer"

Zum ersten Mal seit 1970 beginnt eine Saison ohne italienischen Piloten: Trulli übt heftige Kritik an seiner Heimat, während Ferrari sich als Heilsbringer sieht

(Motorsport-Total.com) - Dieses Jahr beginnt in Melbourne erstmals seit 1970 eine Formel-1-Saison ohne Italiener am Start. Eine bittere Ohrfeige für das Land, in dem italienische Grand-Prix-Sieger bereits hochmütig ausgepfiffen wurden, weil sei einen Ferrari-Triumph verhinderten. Insgesamt brachten es italienische Piloten auf 43 Siege (Formel-1-Datenbank: alle italienischen Grand-Prix-Siege). Der erste Formel-1-Weltmeister der Geschichte war mit Guiseppe Nino Farina ein Italiener. Alberto Ascari gewann in den Jahren 1952 und 1953 zwei weitere Titel für Italien. Es sollten bis heute die letzten bleiben.

Titel-Bild zur News: Jarno Trulli

Symbolbild für die Krise: Ist Italiens Motorsport nach Trullis Aus am Ende?

Dabei war es Ende der 1980er-Jahre keine Seltenheit, dass sich über zehn Italiener in der Formel 1 tummelten - Riccardo Patrese, Allesandro Nannini, Michele Alboreto, Ivan Capelli, Stefano Modena, Nicola Larini, Pierluigi Martini oder Alex Caffi waren nur einige des Großaufgebots. Durch die vorzeitige Auflösung von Jarno Trullis Zweijahres-Vertrags bei Caterham ist diese Ära aber nun endgültig vorbei.

Für die Italiener besonders bitter: Auch Landsmann Tonio Liuzzi hätte bei HRT einen Vertrag in der Tasche gehabt, doch das Team zog ihm den Inder Narain Karthikeyan vor. Mit etwas Wohlwollen ginge noch Daniel Ricciardo als Italiener durch: Der Toro-Rosso-Pilot hat neben dem australischen auch einen italienischen Pass, sieht sich aber ganz klar als "Aussie" - zudem fährt er mit australischer Lizenz.

Trulli fühlt sich nicht verantwortlich

"Ich bin nicht verstimmt", gibt sich Trulli nach dem Rauswurf gegenüber 'Autosport' locker. Der vorletzte italienische Grand-Prix-Sieger - Giancarlo Fisichella war in Malaysia 2006 der letzte - hatte mit seinem Formel-1-Aus bereits gerechnet und erhält nun eine Abfindung. "Ich war auf eine mögliche Trennung von Caterham vorbereitet, da ich wusste, dass das Team durch die wirtschaftliche Situation dazu gedrängt wurde, einen entsprechend unterstützten Fahrer zu finden."

Durch Petrows Mitgift wird auch Trullis Abfindung finanziert. "Kleine Teams haben gewisse Zwänge und die Verträge sind klar", erklärt der 37-Jährige. "Ich hoffe, dass durch Petrows Beitrag alle Mitarbeiter bei Caterham gelassener in die Zukunft blicken können."


Fotos: Caterham, Testfahrten in Jerez, Freitag


Das gilt allerdings nicht für die Motorsport-Nation Italien. Ferrari läuft seit 2007 einem Fahrertitel nach, durch Trullis Aus muss man nun auch auf einen heimischen Piloten verzichten. "Das ist schade", sagt der Routinier, der mit Monaco 2004 einen Grand-Prix-Sieg zu Buche stehen hat. "Es tut mir leid, aber es ist nicht mein Problem. Andere müssen die Verantwortung für diesen Niedergang übernehmen. Für ein Problem, das nicht erst seit gestern existiert und das bisher ignoriert wurde."

Wirtschaftskrise verschärft aussichtslose Lage

Dabei ist Italien seit langem die Kart-Nation Nummer eins. Doch Trulli kritisiert, dass die Unterstützung für heimische Piloten mangelhaft ist: "In Italien existiert kein System, das Fahrern hilft, ein hohes Niveau zu erreichen. Das endet dann in Situationen wie dieser. Es gibt Talente, aber ohne Hilfe von außen gibt es keine Hoffnung für sie."

Der Italiener weiß aber, dass dies vor allem in Anbetracht der aktuellen Wirtschaftslage noch schwieriger wird: "Ich würde mir mehr Unterstützung von allen Seiten wünschen, aber in so einer Krisenzeit, die dieses Land derzeit durchlebt, weiß ich nicht, wie ein junger Fahrer Hilfe finden soll, um von einem Team in Betracht gezogen zu werden."

" Es gibt Talente, aber ohne Hilfe von außen gibt es keine Hoffnung für sie." Jarno Trulli

Um seine eigene Zukunft macht er sich hingegen keine Sorgen: "Ich besitze eine Wein-Produktionsfirma und ein Hotel in der Schweiz. Ich bin also recht beschäftigt, aber im Beruf bin ich Rennfahrer und daher rechne ich damit, weiterzufahren - in der Formel 1 oder eben woanders."

Bortolotti und Filippi sind frustriert

Italienische Talente sehen sich derzeit gezwungen, sich außerhalb der Formel 1 umzusehen. Der in Wien lebende Mirko Bortolotti sicherte sich im Vorjahr den Meistertitel in der Formel 2 und durfte somit bei den Young-Driver-Tests in Abu Dhabi den Williams-Boliden testen. Doch für ein Cockpit in der Königsklasse fehlen dem 22-jährigen Talent schlicht die finanziellen Möglichkeiten.

Er reagiert mit Verärgerung auf das Trulli-Aus. "Es ist schade, aber keine Niederlage, denn die Formel 1 ist nicht mehr die Königsklasse des Motorsports", spielt er via 'Twitter' darauf an, dass der Weg in die Formel 1 für junge Piloten fast ausschließlich über potente Geldgeber führt und der Sport dadurch an Qualität verliert.

"Die Formel 1 ist nicht mehr die Königsklasse des Motorsports." Mirko Bortolotti

Seinem Landsmann Luca Filippi, der 2011 Vizemeister in der GP2-Serie wurde, geht die Situation nahe. "Wir alle wussten, dass dieser Tag kommen würde", teilt er auf 'Twitter' mit. "Niemand hat etwas dagegen getan, wahrscheinlich kümmert es keinen. Ein sehr trauriger Tag."

Ferrari: Schuldiger oder Retter?

Für mache trägt auch Ferrari eine gewisse Mitschuld an der düsteren Lage. Die Roten aus Maranello unterhalten zwar eine Nachwuchs-Akademie, der letzte italienische Ferrari-Stammpilot war aber Ivan Capelli in der Saison 1992. Fisichella und Langzeit-Tester Luca Badoer durfen 2009 nur einspringen, weil sich Felipe Massa in Ungarn schwer verletzt hatte.

Dennoch gibt sich auch Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali betrübt: "Ich bin sehr traurig, dass es nach so vielen Jahren dazu gekommen ist, dass sich kein Italiener im Starterfeld befindet. Das meine ich auf sportlicher und auf persönlicher Ebene, denn Jarno hatte nur in seltenen Momenten ein Auto, in dem er sein Talent zeigen konnte. Ich wünsche ihm alles Gute für seine Zukunft - auf und neben der Strecke."

"Ich bin sehr traurig, dass es soweit gekommen ist." Stefano Domenicali

Ferrari fühlt sich für italienische Piloten verantwortlich

Domenicali fühlt sich für die italienischen Piloten durchaus in der Verantwortung: "Es handelt sich um einen schwierigen Zeitpunkt für unseren Sport - zum Teil auch aus Gründen außerhalb unseres Einflussbereichs. Vor einigen Jahren erstellte Ferrari mit seiner Fahrer-Akademie einen Langzeit-Plan, eine neue Generation junger Fahrer aufzubauen. Dabei arbeiten wir auch mit dem italienischen Automobil-Verband zusammen. Es freut mich, dass wir gerade jetzt bekanntgeben dürfen, dass zwei italienische Youngsters - Raffaele und Brandon - die große Gelegenheit erhalten werden, sich in diesem Sport zu entwickeln."

Der Italiener verweist damit auf den 18-jährigen Brandon Maisano und dem 16-jährigen Raffaele Marciello - die einzigen zwei Italiener im Ferrari-Akademie-Programm. Doch Domenicali stellt klar, dass Ferrari auch noch andere heimische Rennfahrer unterstützt: "Unter den Piloten, die der Scuderia für Rennsport- und Promotion-Aktivitäten zur Verfügung stehen, befinden sich mit Andrea Bertolini, Fisichella und Davide Rigon auch noch drei andere waschechte Italiener. Jules Bianchi hat natürlich italienische Wurzeln und hat dieses Jahr als Ersatzfahrer bei Force India und als Rennfahrer in der Renault-World-Series die Möglichkeit, für Aufsehen zu sorgen."

"Vor einigen Jahren erstellten wir mit der Akademie einen Langzeit-Plan, eine neue Generation junger Fahrer aufzubauen." Stefano Domenicali