• 28.04.2011 13:21

  • von Dieter Rencken

Tost: "Wollen einen weiteren Fahrer zu Red Bull bringen"

Franz Tost im Interview: Welche Groß-Baustelle Toro Rosso in Atem hält, wieso er nicht über die Fahrer entscheidet und ob er sich als Horner-Nachfolger sieht

(Motorsport-Total.com) - Franz Tost ist kein Mann der großen Worte. Im Fahrerlager gilt der Tiroler Toro-Rosso-Teamchef aber als einer der kompromisslosesten Arbeiter, der alles dem Erfolg unterordnet - sein Arbeitstag in Faenza beginnt oft um 7 Uhr morgens und endet gegen 22.30 Uhr. Seine Qualitäten stellte der 55-Jährige schon in seiner Zeit bei Williams-BMW unter Beweis.

Titel-Bild zur News: Franz Tost (Teamchef)

Teamchef Franz Tost sorgt dafür, dass Toro Rosso noch unabhängiger wird

Sein wahres Highlight war aber der wundersame Aufstieg des Toro-Rosso-Rennstalls vom Hinterbänkler zum Grand-Prix-Sieger mit Sebastian Vettel in Monza 2008. Damals fuhr man sogar dem A-Team Red Bull um die Ohren. In den letzten Jahren wurde es jedoch wieder ruhiger um Toro Rosso. Warum dies der Fall war, wieso es ihn nicht frustriert, das sein Rennstall als Ausbildungsteam für Red Bull agiert und wie er in Faenza am Erfolg bastelt, verrät er im ausführlichen Interview mit 'Motorsport-Total.com'.

Frage: "Franz, das letztjährige Auto war das erste, das ihr aufgrund des Concorde-Agreements selbst konstruieren musstet. Dieses Auto war ganz brauchbar, aber das diesjährige Auto ist viel besser."
Franz Tost: "Soweit waren unsere Schritte ziemlich erfolgreich. Es war nicht einfach für uns, als das Reglement uns zwang, das Auto in unserer Fabrik selbst zu designen und zu bauen. Wir mussten die Infrastruktur aufbauen, Designer verpflichten und eine Aerodynamikabteilung aufbauen. Dafür haben wir den Windkanal in Bicester und ein CFD-System gekauft."

"Es ist einfach, einen Windkanal zu kaufen. Es ist auch nicht so schwierig, Hard- und Software zu kaufen. Aber es ist keine einfache Aufgabe, die richtigen Leute zu holen. Leute mit viel Wissen, die aber auch zusammenarbeiten können und wollen."

"Wir machen aber gute Fortschritte. Wir haben die Anzahl der Maschinen und der Leute vergrößert. Wir haben im Winter in zwei Schichten gearbeitet. Wir sind aber immer noch weit davon entfernt, wo ich mit dem Team hinwill. Die kommenden Jahre werden daher noch viel Arbeit erfordern und hoffentlich gelingt es uns, am Ende erfolgreich zu sein."

Wie Tost das Team umstrukturierte

Frage: "Ihr wart ein Kunde von Red Bull Technology. Gibt es da überhaupt keine Verbindung mehr oder dürft ihr gewisse Teile und Technologie noch von dort beziehen?"
Tost: "Nein, das dürfen wir nicht. Im Reglement gibt es eine Liste von Teilen - das Monocoque, die Karosserie, die Aufhängungen, der Benzintank, die Pedale. Man muss alles im eigenen Haus produzieren, darf aber beim Getriebe mit einem anderen Team zusammenarbeiten. Da wir aber einen anderen Motor verwenden, bauen wir unser eigenes Getriebe. Derzeit gibt es also auf der technische Seite überhaupt keine Beziehung zu Red Bull Technology."

"Derzeit gibt es auf der technische Seite überhaupt keine Beziehung zu Red Bull Technology." Franz Tost

Frage: "Wie viel Personal habt ihr derzeit in den Bereichen Produktion, Rennen, unterstützende Dienstleistungen, Marketing, Administration usw.?"
Tost: "Aufgrund des Ressourcen-Restriktions-Abkommens arbeiten bei Toro Rosso derzeit 170 Leute. Das komplette Team umfasst zirka 260 Leute. 50 Leute arbeiten für das Rennteam, 165 sind für Design und Produktion zuständig - das sind die Leute, die direkt für das Auto zuständig sind. Der Rest der Leute ist für Finanzen, Logistik und Presse zuständig. Die Marketingabteilung teilen wir uns mit Red Bull."

Frage: "Bevor ihr als Konstrukteur auftreten musstet, waren es ungefähr 120 Leute. Ihr habt das Personal also ungefähr verdoppelt."
Tost: "Ja.

Frage: "Entspricht das Personal von Toro Rosso dem Ressourcen-Restriktions-Abkommen oder müsst ihr noch Personal abbauen?"
Tost: "Wir müssen kein Personal abbauen. Ich weiß nicht, ob wir damit in einer glücklichen Position sind, aber wir können weiter Personal verpflichten. Wir bewegen uns deutlich unter dem Limit des Abkommens - sowohl bei den Angestellten, als auch bei den externen Ausgaben."

Toro Rosso baut neue Fabrikshallen

Frage: "Minardi hatte früher einige verstreute Sattelitenbetriebe. Wie sieht es nun in Faenza aus? Habt ihr euren eigenen Fabriksbereich?"
Tost: "Wir haben viele unterschiedliche Arbeitsbereiche, denn wir wollen alles unter einem Dach haben. Durch das neue Reglement ist es der günstigste Weg, alles in der eigenen Fabrik herzustellen. Daher haben wir ein neues Grundstück gekauft. Wir werden mit dem Bau der ersten Fabrikhalle für Verbundstoffe im September dieses Jahres beginnen. Der erste Teil wird ungefähr ein Jahr dauern, dann fangen wir mit dem nächsten Gebäude an. Dieser Prozess wird insgesamt drei Jahre dauern. In diesem Zeitraum wollen wir unsere eigene Infrastruktur aufbauen."

Frage: "Wie groß wird die Fabrik in Quadratmetern sein, wenn ihr fertig seid?"
Tost: "Das neue Grundstück ist ungefähr 6.000 Quadratmeter groß. Insgesamt sind es dann 8.000 Quadratmeter."

"In drei Jahren wollen wir unsere eigene Infrastruktur aufbauen." Franz Tost

Frage: "Befindet sich alles in Faenza?"
Tost: "Ja, abgesehen vom Windkanal, der in Bicester steht. Alles befindet sich in diesem Industriegebiet in Faenza. Wir hatten das Glück, dass wir dieses Grundstück bekommen konnten, das auf der anderen Straßenseite liegt. Es ist sehr nahe und wir mussten nichts abreißen. Wir werden die Hallen aber neu aufbauen und dadurch einen größeren Arbeitsbereich schaffen. Die Teile werden derzeit auch in Faenza hergestellt, aber in einer gemieteten Halle. Wir haben dort unsere Maschinen. Wir werden in den kommenden zwei bis drei Jahren aber alles in die neuen Hallen übersiedeln."

Frage: "Werdet ihr dann noch mehr Dinge in der eigenen Fabrik produzieren?"
Tost: "Ja, wir werden die Produktionskapazitäten in den kommenden Jahren steigern. Derzeit besprechen wir gerade, wie wir unsere Produktionsprozesse optimieren können. Wir werden weitere Leute verpflichten, vielleicht auf drei Schichten wechseln. Wir werden neue Maschinen kaufen, um die Anzahl der Teile, die wir im Haus produzieren, zu vergrößern."

Frage: "Wenn wir Heck, Motor, Getriebe, Hydraulik und all diese Dinge außer acht lassen und uns ausschließlich auf das Monocoque konzentrieren: Welchen Anteil davon produziert ihr derzeit selber und wird sich das ändern?"
Tost: "Bei der Karosserie und beim Monocoque sind es derzeit 90 bis 95 Prozent. Bei den mechanischen Teilen sind es ungefähr 30 Prozent. Das wird ansteigen. Zunächst wollen wir alles im Bereich der Karosserie optimieren, denn es gibt da immer noch Teile, die wir auswärts produzieren lassen. Dann kümmern wir uns um die Produktion der mechanischen Teile und werden die Anzahl, die wir im Haus produzieren, steigern."

Tost: Drei Fahrer positiv

Frage: "Diese Investitionen deuten darauf hin, dass Red Bull in das Team investiert. Immer wieder gab es Gerüchte, dass Herr Mateschitz das Team verkaufen will. Es muss ermüdend sein, immer wieder darüber zu sprechen, aber wie sieht es diesbezüglich aus?"
Tost: "Nein, es ist nicht ermüdend. Es deutet auch darauf hin, dass alle immer etwas über Toro Rosso wissen wollen. Unser Team scheint für Investoren sehr interessant zu sein. Meine letzte Information von Herrn Mateschitz ist, dass er das Team nicht komplett verkaufen möchte. Er hätte kein Problem damit, wenn ein Investor an Bord käme und ein bisschen Geld mitbringen würde. Aber die Mehrheit wird bei Red Bull bleiben. Das ist meine Information."

"Wie lange ein Fahrer bei uns fährt, liegt nicht in meiner Hand als Teamchef. Er entscheidet es selbst." Franz Tost

Frage: "Ihr habt mit Buemi und Alguersuari zwei Piloten des Red-Bull-Juniorteams unter Vertrag. Und dann wäre da noch Ricciardo. Habt ihr zu viele Fahrer?"
Tost: "Man kann nie zu viele Fahrer haben. Das ist gut, denn es vergrößert den internen Konkurrenzkampf. Die Situation in diesem Jahr ist aber geklärt: Unsere Rennfahrer sind Sebastien Buemi und Jaime Alguersuari. Daniel Ricciardo fährt am Freitagmorgen, um alle Rennstrecken kennenzulernen und um zu erfahren, wie ein Formel-1-Team arbeitet."

"Er lernt über die Technik, über die Konstruktion des Autos, lernt, wie man gutes Feedback gibt, gewöhnt sich an die Arbeit außerhalb des Cockpits, an das Marketing und an die Pressearbeit. Für ihn ist es eine Vorbereitung auf die Zukunft. Wie lange ein Fahrer bei uns fährt, liegt nicht in meiner Hand als Teamchef. Der Fahrer entscheidet es selbst. Wenn er das rechte Pedal findet, dann schafft er es vielleicht ins Red-Bull-Team. Wenn nicht, dann wird er ersetzt."

Warum Tost keine Ingenieure für Red Bull ausbilden will

Frage: "Ist es für dich frustrierend, dass ihr für die Red-Bull-Fahrer eine Art Kindergarten darstellt und ihr sie wieder verliert, wenn sie sich bewähren?"
Tost: "Nein. Als Dietrich Mateschitz und Red Bull Minardi kauften, da sprach er immer von einem Rookie-Team. Er hat dieses Team aufgebaut, um jungen Fahrern die Chance zu geben, in die Formel 1 zu kommen. Das ergibt Sinn, da Red Bull glücklicherweise viele hochtalentierte Fahrer unter Vertrag hat. Toro Rosso ist genau dafür vorgesehen, diese Fahrer in die Formel 1 zu bringen und ich war mir dessen immer bewusst. Ich bin recht glücklich, dass diese Philosophie mit Sebastian Vettel fruchtet und zu einem erfolgreichen Ende geführt wurde. Es ist schön, ein Teil dieser Familie zu sein und wir werden hoffentlich noch einmal gute Arbeit leisten und einen weiteren Fahrer ins Red-Bull-Team bringen."

"Es hieß immer, dass Toro Rosso junge Fahrer ausbildet, nicht junge Ingenieure." Franz Tost

Frage: "Lässt sich diese Philosophie auch auf Ingenieure anwenden?"
Tost: "Das ist etwas komplizierter. Red Bull sitzt in Großbritannien und wir sitzen in Italien. Unsere Hauptsprache ist Italienisch, da wir ein italienisches Team sind. Es ist nicht einfach, Ingenieure auszutauschen, da es nicht so viele britische Ingenieure gibt, die der italienischen Sprache mächtig sind. Diese Kommunikationshürde macht es schwierig. Dennoch gibt es Ausnahmen: Ben Butler arbeitete ursprünglich bei Red Bull Technology, wo er für Toro Rosso zuständig war, und arbeitet jetzt in Italien als Toro-Rosso-Chefdesigner."

Frage: "Wäre es nun ein logischer nächster Schritt für Ben in einem Red-Bull-Karriereprogramm, zu Red Bull in Großbritannien zurückzukehren?"
Tost: "Ich hoffe erstmal, dass er bleibt." (lacht)

Frage: "Wie damals bei Vettel?"
Tost: "Das ist eine etwas andere Geschichte. Es hieß immer, dass Toro Rosso junge Fahrer ausbildet, nicht junge Ingenieure. In der Formel 1 können sich die Dinge schnell ändern. Wir würden Red-Bull-Ingenieure mit offenen Armen empfangen, denn sie sind sehr gut ausgebildet. Da sind wir flexibel."

Tost und die Horner-Nachfolge

Frage: "Reden wir über deinen Karriereplan: Wenn Christian Horner entscheiden würde, dass er lieber Zeit mit seiner Familie verbringt, dann würde es in der Red-Bull-Familie doch Sinn ergeben, dich als Red-Bull-Teamchef in Betracht zu ziehen, anstatt außerhalb zu suchen."
Tost: "Ich hoffe, das Christian dort bleibt. Er wird bleiben, denn ich glaube nicht, dass es einen besseren Ort gibt. Ich möchte dieses Team in Italien aufbauen, ich genieße diese Arbeit. Als ich hierher kam, da gab es nur 85 Mitarbeiter und ich habe so viele Ideen in meinem Kopf, die ich wenn möglich umsetzen möchte. Ich will dieses Team vorwärts bringen und zu einer erfolgreichen Squadra machen. Das ist mein Ziel."

"Ich möchte dieses Team in Italien aufbauen, ich genieße diese Arbeit." Franz Tost

Frage: "Du bist Österreicher und Red Bull ist österreichisch. Wenn das britische Red-Bull-Team gewinnt, dann wird die österreichische Hymne gespielt. Wenn aber dein Team gewinnt, dann spielt man die italienische Hymne."
Tost: "Das stimmt, weil wir eine italienische Lizenz haben. Derzeit sieht es danach aus, dass wir dabei bleiben werden. Das Red-Bull-Team in Großbritannien heißt Red Bull, wir heißen Toro Rosso. Das ist Italienisch, alles ist bei uns Italienisch - der Name, das Team. Daher finde ich es in Ordnung, wenn die italienische Hymne gespielt wird. Ich wäre glücklich, wenn ich die italienische Hymne hören könnte." (lacht)

Frage: Würdest du nicht lieber die österreichische hören?"
Tost: "Mir persönlich ist das egal. Ich will nur gewinnen, die Hymne ist sekundär. Wenn aber Red Bull in diese Richtung irgendwelche Forderungen stellt, dann bin ich für alles offen."

Frage: "Lebst du in Faenza?"
Tost: "Ich lebe immer maximal 15 Minuten von der Fabrik entfernt, ganz egal wo mein Team sitzt. Ich lebe nicht in Österreich."

Frage: "Wenn das Team morgen nach Mailand ziehen würde..."
Tost: "...dann würde ich nach Mailand ziehen. Ich will am Morgen nicht im Stau stehen und Zeit verlieren."