Surer: "Ein Erfolgserlebnis kann alles umdrehen"

Unser Experte Marc Surer über die Krise von Ralf Schumacher, das aktuelle Kräfteverhältnis an der Spitze, Youngster Adrian Sutil und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Marc, McLaren-Mercedes war in Monaco in einer eigenen Liga, die haben alle bis auf Felipe Massa überrundet. Monaco ist keine repräsentative Strecke. Trotzdem: Wie groß schätzt du den Sprung ein, den sie gemacht haben?"
Marc Surer: "Ich glaube schon, dass sie ein bisschen aufgeholt haben. Was einfach auffällt ist, dass der McLaren vom mechanischen Grip her sehr gut funktioniert und der Ferrari eher von der Aerodynamik her die Vorteile hat."

Titel-Bild zur News: Marc Surer

Marc Surer nimmt die Formel 1 für 'Motorsport-Total.com' unter die Lupe

Frage: "Das heißt, Strecken mit schnellen Kurven liegen eher dem Ferrari, solche mit langsamen Kurven eher dem McLaren-Mercedes?"
Surer: "Richtig, ja."#w1#

Volles Verständnis für die Silberpfeile

"Jeder Teamchef, der das nicht gemacht hätte, würde seinen Job falsch machen." Marc Surer

Frage: "In Monaco war Lewis Hamilton sauer wegen des Nichtangriffspakts. Hältst du es für richtig von Teamchef Ron Dennis, dass er seine Fahrer nach dem ersten Boxenstopp eingebremst hat?"
Surer: "Absolut! Es gab überhaupt keinen Grund mehr. Jeder Teamchef, der das nicht gemacht hätte, würde seinen Job falsch machen."

Frage: "Du verstehst aber sicher auch, dass Lewis Hamilton darüber nicht ganz so glücklich war, oder?"
Surer: "Man muss mal überlegen, wem er eigentlich verdankt, dass er in so einem Auto sitzt."

Frage: "Ferrari war in Monaco nicht so stark wie erwartet. Teamintern ist die Tendenz, dass Felipe Massa Kimi Räikkönen im Griff hat, doch recht stark. Woran liegt das?"
Surer: "Es ist wohl eine ähnliche Geschichte wie bei Alonso - Alonso, der ja von Hamilton bedrängt wird, weil er selber immer noch nicht die alte Form gefunden hat mit diesen Einheitsreifen. Wenn du einen Fahrstil hast, der empfindlich reagiert auf diese doch relativ labilen Reifen, die sie jetzt haben, dann kannst du vielleicht einfach nicht mehr dein Talent so einsetzen, wie du das vorher konntest. Ich denke, das hat Alonso betroffen, das hat aber auch den Räikkönen betroffen."

Frage: "Und Robert Kubica."
Surer: "Kubica auch, genau."

Frage: "Ferrari hatte in fünf Rennen viermal das schnellste Auto, dennoch liegen sie in der Weltmeisterschaft nicht vorne. Gemessen an Punkten konnten sie ihr Potenzial relativ schlecht nutzen, nicht wahr?"
Surer: "Gut, es gab zweimal Pech - einmal bei Kimi und einmal der Getriebeschaden im Training bei Massa. Ich denke, dieses Punktesystem - das ich ja schon immer angezweifelt habe, ob das richtig ist, was man da macht - straft eigentlich immer den, der ausfällt. Das kann es eigentlich nicht sein, denn es ist in der Formel 1 normal, dass man zwischendurch mal ausfällt. Dass schlussendlich die Ausfälle mehr wiegen als die Siege, das kann eigentlich nicht sein."

Ferrari ein Opfer des Punktesystems

"Auf Anhieb fällt mir kein Fehler von Ferrari ein." Marc Surer

Frage: "Findest du, dass auch von Ferrari-Seite Fehler gemacht wurden oder sind ganz einfach die Umstände am WM-Stand schuld?"
Surer: "Auf Anhieb fällt mir kein Fehler von Ferrari ein. Das sind einfach die Umstände."

Frage: "Zu den Deutschen, da ist natürlich Ralf Schumacher nach dem katastrophalen Wochenende das Negativthema. Der Toyota ist kein starkes Auto, aber er sieht auch gegen Jarno Trulli schlecht aus. Glaubst du, dass er jetzt auch psychologisch in einem Tief ist, aus dem er sich herausarbeiten muss?"
Surer: "Eines ist klar: Wenn man Formel 1 fährt, überhaupt der Motorsport, dann hängt viel mit dem Selbstvertrauen zusammen. Wenn du ins Auto kein Vertrauen hast und dir alles misslingt, was du anpackst - und im Moment ist Ralf in dieser Phase -, dann nagt das auch an deinem Selbstvertrauen, auch wenn du es nicht zugeben willst. Aber ein Erfolgserlebnis kann das alles wieder umdrehen. Kanada ist eine Strecke für Ralf. Wenn das Auto einigermaßen geht, wird er dort zur Form zurückfinden."

Frage: "Du kennst ihn ja schon relativ lange, ihr habt damals bei BMW zusammengearbeitet. Ist er ein Typ, an dem so etwas richtig nagt, oder kann er sich davon schnell erholen?"
Surer: "Ralf ist ein intelligenter Mensch. Er weiß genau, warum etwas passiert. Worauf er keinen Einfluss hat: Zu dem ganzen Problem, dass er langsamer ist als sein Teamkollege, kommt noch dazu, dass einfach alles schief läuft, was er anpackt. Aber das ist eine Phase, die geht vorbei."

Frage: "Traust du es Toyota zu, dass sie das Blatt noch wenden in dieser Saison?"
Surer: "Nicht wirklich. Es wird jetzt immer schwieriger. Wir haben das neue Reglement, nach dem nur noch ein Auto auf einmal testen darf. Das heißt, man hat nur noch beschränkte Möglichkeiten, ein Auto auf Vordermann zu bringen. Da geht es wirklich um Detailarbeit. Ich denke, dass sie sich irgendwo wieder finden werden, aber dass es ein Siegerauto wird, daran glaube ich nicht mehr."

Sutil macht alles richtig

"Wenn du deinen Teamkollegen schlägst, dann nicken die Leute zwar, aber es fällt natürlich meistens nicht auf." Marc Surer

Frage: "Das positive Highlight aus deutscher Sicht war die Trainingsbestzeit von Adrian Sutil in Monaco. Natürlich waren das auch glückliche Umstände, aber er hat damit schon gezeigt: Hallo, es gibt nicht nur Lewis Hamilton, von dem alle reden, sondern ich bin auch noch da!"
Surer: "Genau. Wenn du ein Auto fährst wie Adrian Sutil, dann hast du nicht die Möglichkeit, immer zu überzeugen, sondern dann fährst du hinten - und wenn du deinen Teamkollegen schlägst, dann nicken die Leute zwar, aber es fällt natürlich meistens nicht auf. Er hat genau das gemacht, was ich auch erwarte von jemandem, der ein schlechtes Auto fährt: dass er nämlich dann auffällt, wenn er die Chance bekommt. Das Wetter hat ihm die Chance gegeben. Monaco ist jetzt nicht so, dass man mit einem schlechten Auto wirklich einen großen Nachteil hat, vor allem wenn es so rutschig ist wie am Samstagmorgen. Dann kann man einfach mit fahrerischem Einsatz viel wettmachen. Er hat das getan. Für mich ist das die beste Werbung, die er für sich selber machen konnte."

Frage: "Wo siehst du ihn denn fahrerisch im Vergleich zu den anderen jungen Fahrern? Kann er langfristig zu einem Spitzenmann in der Formel 1 werden?"
Surer: "Er ist sicherlich überdurchschnittlich. Wie weit er sich noch entwickelt, das müssen wir jetzt abwarten. Eines ist sicher: Die Karriere vom Christijan Albers hat er bereits zerstört."

Frage: "Alexander Wurz hat einen positiven Akzent gesetzt, zumindest im Rennen, hat mit seiner Einstoppstrategie keine Fehler gemacht und wurde mit zwei Punkten belohnt. Was sagst du zu seiner Vorstellung?"
Surer: "Ich bin so froh für ihn, denn bei ihm ist alles schief gelaufen. Er hat gute Rennen gezeigt, konnte aber nie ernten. Jetzt hat er endlich mal ein festes Resultat und kann ein bisschen aufatmen. Es gibt ja immer diesen Ruf, dass es Piloten gibt, die es nicht auf die Reihe kriegen - und diesen Ruf hat er jetzt hinter sich."

Befreiungsschlag für Wurz war bitter nötig

"Er hat gute Rennen gezeigt, es aber nie auf die Reihe gekriegt." Marc Surer

Frage: "Ohne die zwei Punkte wäre es jetzt auch langsam eng geworden, oder?"
Surer: "Genau, denn er hat gute Rennen gezeigt, es aber nie auf die Reihe gekriegt, während sein Teamkollege das normalerweise sehr locker macht. Das nagt natürlich."

Frage: "Nun geht es weiter nach Kanada, von der langsamsten Strecke, Monte Carlo, auf die zweitschnellste nach Monza, Montréal. Wen erwartest du dort stark und mit welchen Verschiebungen ist zu rechnen?"
Surer: "Ich erwarte das BMW Sauber F1 Team sehr stark. Das Sauber-Team hat schon immer auf Strecken, wo mit wenig Flügel gefahren wird, brilliert. Auch im letzten Jahr waren die sauschnell im Freien Training, haben es dann aber irgendwie in der Qualifikation nicht umsetzen können. Die werden sicherlich da ein Wörtchen vorne mitreden. Ansonsten bin ich jetzt mal gespannt. Das ist auch wieder eine Strecke, auf der mechanischer Grip wichtig ist, auch wenn sie nicht so aussieht. Du fährst mit wenig Flügel und die Kurven selber sind sehr langsam. Du hast diese Schikanen und dann wieder lange Gerade. Da bin ich mal gespannt, ob Ferrari die Form von Monaco konservieren kann, weil es ist wiederum eine Strecke wie gesagt, wo dieses Einlenkverhalten und die Richtungswechsel gut funktionieren müssen. In der Beziehung sehe ich eine sehr ausgeglichene Spitze."

Frage: "Die Strecke müsste theoretisch auch dem Williams-Toyota FW29 liegen, denn die haben ganz gute Topspeeds, sind dafür aber aerodynamisch nicht so stark."
Surer: "Ich habe Williams nicht ganz vorne auf der Liste. Ich glaube einfach, dass sie da nicht ganz mithalten können mit den Werksteams."

Frage: "Kann man sagen, dass die Weltmeisterschaft mit den beiden Nordamerikarennen in die vorentscheidende Phase geht? Die Entscheidung wird nicht fallen, aber wer jetzt zu viele Punkte liegen lässt, der wird es am Ende schwer haben..."
Surer: "Es ist ganz klar: Das Aufholen wird immer schwieriger, je länger die Saison dauert, wenn du einen Rückstand hast. Aber wir haben im letzten Jahr gesehen, als es dann plötzlich lief bei Ferrari, dass es durchaus möglich ist. Von daher ist die Weltmeisterschaft noch lang."