• 27.01.2012 18:10

Simulationsexperte Schöggl erwartet weitere Innovationen

Simulationsexperte Peter Schöggl ist in die Geheimnisse der Formel-1-Technik eingeweiht wie nur wenige - Am Samstag referiert er bei der Racingshow in Wien

(Motorsport-Total.com) - Als Leiter der Rennabteilung der Grazer Firma AVL ist Peter Schöggl mit den jüngsten Entwicklungen in der Königsklasse vertraut - schließlich zählen einige Formel-1-Teams zu den AVL-Kunden.

Im Vorfeld seines Auftritts bei der Racingshow (Samstag, 28. Januar um 15:30 Uhr) nimmt Schöggl im Interview zur aktuellen und künftigen Formel-1-Technik Stellung und spricht in diesem Zusammenhang unter anderem über den neuen Trend bei den Fahrzeugnasen, die Zukunft des CFD-Ansatzes, Cockpitkuppeln sowie neue Techniken im Rallyesport."

Titel-Bild zur News: Peter Schöggl

Peter Schöggl ist Experte auf dem Gebiet der Simulationstechnik

Frage: "Peter, Caterham hat den CT01 mit einer hässlichen Höckernase präsentiert. Werden alle Boliden diesen Höcker aufweisen? Oder könnte jemand mit einer anderen Lösung für eine Überraschung sorgen?"
Peter Schöggl: "Die Fahrzeugnase muss vom Reglement her tiefer liegen als letztes Jahr (maximal 550 Millimeter statt 650 Millimeter), der Verbindungsteil zum Cockpit hin darf nicht höher als 625 Millimeter hoch sein. Andererseits wollen alle Teams hoch angelenkte obere Dreieckslenker, da diese eine bessere Fahrwerksgeometrie ermöglichen. Offensichtlich hat die neue Ferrari-Nase Luca di Montezemolo ja auch nicht gefallen, vielleicht sieht sie der Caterham-Nase ähnlich. Ich erwarte trotzdem geringfügige Unterschiede im Design der Nasen."

Frage: "2010 gab es in der Formel 1 den F-Schacht, 2011 den angeströmten Diffusor. Ist denkbar, dass auch 2012 eine Innovation die technische Entwicklung bestimmen wird? Wenn ja, welche?"
Schöggl: "Natürlich wird es auch heuer technische Innovationen geben, mehrere hundert intelligente Ingenieure suchen ja ständig danach. Ich erwarte Lösungen zur Erzielung eines konstanteren Bodenabstands, zum Beispiel durch passive Fahrwerkssysteme. Aktive Eingriffe sind ja vom Reglement her verboten."

"Der aerodynamische Abtrieb ist sehr stark von der Bodenfreiheit abhängig, die sich natürlich ständig etwas ändert. Ein konstanter Bodenabstand bringt ein angenehmeres Fahrverhalten und ermöglicht die Verwendung einer aggressiveren Aerodynamik. Weitere technische Neuheiten sind im Design der Seitenkästen, in der Anströmung des Heckflügels mit dem Auspuff und in neuen Flügelprofilen für das DRS-System zu erwarten. Und vielleicht mehr ..."

Frage: "Das neue Auspuff-Reglement sieht eine feste Position vor. Für welche Teams stellt das die größte technische Umstellung dar beziehungsweise wer könnte davon am meisten profitieren oder am meisten verlieren?"
Schöggl: "Die feste Position an sich ist für kein Team ein Problem, der Vorteil des angeströmten Diffusors ist für alle Teams weg. Die neue Challenge liegt in der Anströmung des Heckflügels über die neue Auspuffposition. Der Motor liefert bei Volllast ja nach wie vor pro Minute mehr als 50.000 Liter heiße Luft. Damit kann schon Abtrieb generiert werden."

Frage: "Gerüchten zufolge geht Ferrari mit dem Auspuff sogar höher als die vorgeschriebene Position. Wäre es denkbar, die Auspuffgase nun zur Anströmung anderer aerodynamischer Elemente, etwa des Heckflügels, zu nutzen, oder ist dies aus Temperaturgründen unmöglich?"
Schöggl: "Klar, das wird genutzt werden. Temperatur spielt dort keine so große Rolle beziehungsweise kann durch spezielle Metallplatten am Flügel in den Griff bekommen werden."

Frage: "Nick Wirth ist mit seinem CFD-Ansatz als Designer gescheitert. Kann CFD nach heutigem Stand der Technik einen Windkanal zumindest theoretisch ersetzen? Und warum ist dieser Ansatz deiner Meinung nach gescheitert?"
Schöggl: "Nick Wirth ist nicht am CFD-Ansatz gescheitet, sondern daran, dass er den begleitenden Versuch im Windkanal grundsätzlich abgelehnt hat. Jede Simulation braucht ein gewisses Maß an Versuch, um die Treffsicherheit der Simulation zu analysieren und zu verbessern. Ein Kernspruch dazu lautet: Die Wahrheit liegt im Versuch. Jedes Team betreibt heute intensiv Simulation. Erfolgreiche Teams kombinieren jedoch Simulation und Versuch zu einem optimalen Entwicklungsansatz. Hier konnten wir als AVL auch wesentliche Schwerpunkte setzen."

Frage: "Aus Sicherheitsgründen zieht die FIA die Einführung von Cockpit-Kuppeln in Betracht. Welche technischen Auswirkungen hätte das und welche anderen potenziellen Vor- und Nachteile siehst du?"
Schöggl: "Nach dem Massa-Unfall in Budapest 2009 bekam das FIA-Institut für Sicherheit den Auftrag, Cockpithauben für die Formel 1 zu entwickeln und zu testen. Wie immer gibt es erhebliche Vor-, aber auch Nachteile. Vorteilhaft ist die Sicherheit gegen herumfliegende Teile wie Räder, Flügel oder Fahrwerksteile. Nachteilhaft sind unter anderem die Sicht, die Blendungsgefahr, die Bergungsmöglichkeit der Fahrer nach Unfällen und die Belüftung der Cockpits."

"Ein wesentlicher Punkt liegt auch in der Akzeptanz der Fahrer und der Zuseher. Die Formel 1 ist als Rennserie mit offenen Cockpits bekannt. Die Zuseher schätzen es, den Kopf des Fahrers beobachten zu können. Somit wird es meiner Meinung nach zumindest bis zum nächsten größeren Unfall dauern, bis es wieder ernsthafte Überlegungen in diese Richtung gibt. Die Entwicklungen des FIA-Sicherheitsinstituts laufen in der Zwischenzeit weiter."

Frage: "Ohne zu viel zu verraten: Welche Thematik erwartet uns bei deinem Formel-1-Vortrag bei der Racingshow?"
Schöggl: "Geplant ist eine kurze Einführung der Formel-1-Aerodynamik und der Herausforderungen für die Entwickler. Damit Lösungen wie angeblasene Heckflügel und verstellbare Flügel besser verständlich sind. Zeigen möchte ich die Hintergründe zur Elektrifizierung in der Formel 1. Ein Ausblick auf die Saison 2014 wird den Formel-1-Block abschließen - mit Infos zum neuen V6-Turbomotor mit Direkteinspritzung und Verbrauchslimitierung und zum Hybridsystem 2014."

Frage: "Die Firma AVL ist nicht nur im Bereich Formel 1 tätig, sondern auch in vielen anderen Rennserien. Bei deinem Vortrag wirst du erstmals auch über die Technik der World-Rally-Cars referieren. Welche Thematik erwartet uns?"
Schöggl: "Durch den Einstieg neuer Hersteller wird die WRC eine neue Attraktivität gewinnen, auch von Seiten der Presse und des Publikums. Das Top-Management dieser neuen Hersteller erwartet sich kurzfristig Siege, was rein über Erfahrungsaufbau nicht geht. Wir erwarten den vermehrten Einsatz von Methoden und von Lösungen, die heute in der Formel 1, in der IndyCar-Serie und in der NASCAR zum Einsatz kommen."

"Und es werden völlig neuartige, höchst innovative Lösungen für den Rallye-Einsatz entwickelt werden. Alles mit einem Ziel: Um die Autos schneller zu machen. Der Vortrag beinhaltet neben einer kurzen Analyse der vergangenen Rallyesaisonen eine Darstellung von technischen Methoden zur Entwicklung von Turbomotoren und von Rallyefahrzeugen. Beispielshaft werden reine Rallyelösungen gezeigt, wie zum Beispiel das Anti-Lag-System der WRC."