• 23.05.2011 15:01

  • von Michael Noir Trawniczek

Interview: Simulationsexperte verteidigt neue Regeln

Simulationsexperte Peter Schöggl über die Konsequenzen des Zwischengas-Verbots, den Erfolg von DRS und dessen geplante Ausweitung

(Motorsport-Total.com) - Peter Schöggl ist seit 1996 in der Grazer Zentrale der Firma AVL List GmbH als Leiter der Produktlinie Racing tätig. Er ist verantwortlich für die Rennsportaktivitäten im Geschäftsbereich Powertrain-Engineering. AVL ist laut der firmeneigenen Website "das weltweit größte private und unabhängige Unternehmen für die Entwicklung von Antriebssystemen mit Verbrennungsmotoren und Mess- und Prüftechnik". Nicht nur Formel-1-Teams, sondern auch jene aus der NASCAR-Serie oder der Formel 3 gehören zu den Kunden von AVL. Die Firma beliefert die Rennställe mit hochmodernen Prüfständen und Simulationswerkzeugen. Im Interview analysiert Schöggl nun die Auswirkungen des neuen Formel-1-Reglements.

Titel-Bild zur News: Peter Schöggl

Peter Schöggl arbeitet bei AVL mit vielen Formel-1-Teams zusammen

Frage: "Das spezielle Motorenmapping, welches quasi Zwischengas gibt, um den Diffusor auch im Bremsvorgang anzuströmen, soll bald verboten werden. Jetzt könnte man auf die Idee kommen, dass die Piloten selbst Zwischengas geben..."
Peter Schöggl: "Das wäre halt energetisch nicht sehr sinnvoll, weil man einen hohen Kraftstoffverbrauch hätte und die Bremsen würden auch darunter leiden, wenn man mit links bremst und rechts am Gas bleibt."

Teams arbeiten an Umstellungen

Frage: "Welche Konsequenzen hat das Verbot des Zwischengas-Mappings?"
Schöggl: "Die Teams wissen es jetzt und rüsten schon seit ein paar Wochen auf. Man muss jetzt das Fahrwerk anpassen, weil das Fahrverhalten in dem Moment, wo der Pilot vom Gas geht, instabil wird. Und als zweite Konsequenz fährt man halt nicht mehr ganz so schnell."

Frage: "Hat man dieses Verbot auch aus Umweltgründen gemacht? Weil diese Gasausstöße eine schlechte Botschaft sind?"
Schöggl: "Ja, vielleicht. Aber das ist glaube ich zweitrangig. Hauptsächlich hat man es gemacht, weil man, vorsichtig formuliert, das Gleichgewicht im Kräfteverhältnis wieder herstellen will."

Frage: "Was sagst du zu DRS? Meiner Meinung nach hat das bislang sehr gut funktioniert und wir haben ganz tolle Rennen gesehen. Wie ist deine Meinung dazu?"
Schöggl: "Es freut mich, dass du das so siehst, denn ich hatte vor circa einem Monat im Hangar-7 einen Talk, wo eigentlich alle gegen mich waren, weil die gemeint haben, DRS ist schlecht. Und ich hoffe, dass nicht nur du es so siehst, und bin auch deiner Meinung. Wenn man jetzt das DRS verbieten würde, dann würden die Leute sicher sagen: 'Mit DRS war es doch lustiger!'"

¿pbvin|512|3639||0|1pb¿"Und Barcelona war bislang immer nur eine Prozession - mit DRS war es deutlich spannender. Selbst wenn es in Monaco nicht ganz so viele Überholmanöver geben sollte - mein Gott, in der Vergangenheit gab es in beiden Rennen null Überholmanöver, und selbst wenn es jetzt ganz wenig sein werden, dann macht es nichts."

Frage: "DRS ist meiner Meinung nach eben moderner Rennsport. Wenn die Aerodynamik dermaßen ausgefeilt ist, dass ich nicht nahe an den Vordermann heranfahren kann, warum soll dann so ein Hilfsmittel wie der verstellbare Heckflügel zu künstlich sein?"
Schöggl: "Ja, das sehe ich auch so - und es geht ja weiter. Man denkt daran, das DRS auszuweiten."

Frage: "Wie auszuweiten? Zum Beispiel auch den Frontflügel verstellbar zu machen?"
Schöggl: "Es gibt verschiedene Spielvarianten, die zurzeit überlegt werden. Doch man wartet noch zu, um die Reaktionen der Fans anzusehen."

Doch keine Ground-Effect-Cars

Frage: "In meinen Augen waren die letzten Rennen spannend - Schanghai war vielleicht sogar das beste Formel-1-Rennen, das ich jemals gesehen habe."
Schöggl: "Sehe ich auch so."

Frage: "Vom Comeback der Ground-Effect-Autos ist man wieder abgekommen."
Schöggl: "Das habe ich übrigens auch schon vor fünf Monaten vorausgesagt. Die Leute interessiert nicht, was unter dem Auto ist, glaube ich. Und der Entwicklungsaufwand wäre riesengroß gewesen. Deshalb wird man beim flachen Unterboden bleiben - man wird einen Diffusor haben. Mit welchen Abtriebswerten, darüber diskutiert man noch ein bisschen."

Fernando Alonso

Endlich wird in der Formel 1 wieder Rad an Rad gefightet und überholt Zoom

"Ich glaube, dass man mit dem Abtrieb zurückgehen wird und dass man das eher über kleinere Flügel machen wird, die aber verstellbar sein werden. Und über den Grad der Verstellwinkel - das kann man kurzfristig ändern. Die Autos werden sich nicht so stark ändern, sie werden vielleicht um 30 bis 35 Prozent weniger Abtrieb haben."

Frage: "Dass man von den Ground-Effect-Autos wieder abgekommen ist, finde ich sehr gut, denn die Formel 1 geht derzeit in eine sehr gute Richtung."
Schöggl: "Freut mich, wenn du das so siehst - und die Einschaltziffern bestätigen das. Der Kraftstoffverbrauch wird zurückgehen, es entwickeln alle intensiv an den neuen Motoren. Das ist sehr spannend, das sind sehr seriennahe Technologien. Turbolader, Direkteinspritzung, Reibungsoptimierung - das liegt sehr nahe an der Serie."

"Und zum Glück gibt es mittlerweile auch einen vierten Motorenhersteller. Und wir hoffen, dass es dann vielleicht auch einen fünften gibt - doch viel mehr würde die Formel 1 ohnehin nicht vertragen, weil dann würden die Motorenhersteller gleich wieder einen Wettbewerb abhalten."